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Frankreich: Front National und Gewerkschaften

Eingereicht on 14. März 2016 – 15:57

Bernard Schmid. Die Gewerkschaften in Frankreich haben derzeit keine vielerorts besonders gute Presse. Eine Umfrage des Instituts Odoxa, die am 28. Februar 16 durch die Sonntagszeitung Le Parisien dimanche publiziert wurde, kam jedenfalls zu dem Ergebnis – so besagte es die Überschrift, die daraus gebastelt wurde -, 65 Prozent der Befragten hätten eine negative Einstellung zu ihnen. Allerdings erklären zugleich etwa 56 Prozent, sie hätten eine „nützliche“ Aufgabe. Und eine Mehrheit betrachtet die derzeit geplante Arbeitsrechts-„Reform“, gegen die eine Mehrheit der französischen Gewerkschaften gerade Sturm läuft, als „fundamental negativ“ für die abhängig Beschäftigten. Wahrscheinlich mischen sich einfach sehr unterschiedliche Antwortmotive; und während manche Befragte Gewerkschaften generell skeptisch sehen, würden andere sich vielleicht eher andere und durchsetzungsstärkere Gewerkschaften wünschen.

Die Umfrage enthält jedoch noch ein anderes scheinbares Paradoxon. Man hätte sicherlich vermutet, dass die Ergebnisse bei SympathisantInnen der politischen Linken (im weiteren Sinne) anders ausfallen als auf der Rechten. Dies ist auch der Fall: 59 Prozent unter den Anhänger/inne/n der Linksparteien, aber nur 19 Prozent von jenen der konservativ-wirtschaftsliberalen Rechten haben demnach ein positives Bild von den Gewerkschaften. Überraschend wirkt jedoch, dass die Anhängerschaft des rechtsextremen Front National dabei zwischen den beiden Blöcken zu landen scheint. Dessen Wähler/innen sollen demzufolge zu 30 Prozent eine positive und zu 69 Prozent eine negative Meinung zu den Gewerkschaften haben – ein Ergebnis, das nuancierter ausfällt als bei der bürgerlichen Rechten.

Doch es gibt Erklärungen für diesen Befund – bei aller Vorsicht, die man ansonsten generell gegenüber Umfragen und ihren Ergebnissen walten lassen sollte. Tatsächlich weist die extreme Rechte, zieht man etwa die Ergebnisse der jüngsten Regionalparlamentswahlen vom Dezember 2015, einen erheblichen „Unterklassenbauch“ in ihrer Wählerschaft auf. Eine Ursache dafür liegt in dem politischen Vakuum, das vor allem die französische Sozialdemokratie in Teilen der Gesellschaft hinterlassen hat, seitdem sie eine nach fast allgemeinem Dafürhalten durch und durch kapitalfreundliche Politik durchexerziert – wie es seit ihrer Regierungsübernahme 2012 in der Grundtendenz, verschärft jedoch seit dem „Pakt der Verantwortung“ von Anfang 2014 der Fall ist.

Der zweite Hauptgrund liegt darin, dass auch das Diskurs der extremen Rechten in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen sich verändert hat. In den 1980er Jahren war der Front National noch eine agressiv neoliberale Partei, die als ihre wirtschaftspolitischen Vorbilder explizit Ronald Reagan und Margaret Thatcher bennante. Doch das ist vorbei, denn in den frühen Neunziger Jahren vollführte die Parteiführung einen radikalen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik. Ihr neuer Diskurs kombinierte soziale Demagogie – Versprechen, die allerdings nur an „die französischen Arbeiter“ unter Ausschluss der Migranten gerichtet wurden -, Etatismus und die Behauptung, die zentrale Ursache aller sozialen Probleme läge in der Globalisierung. Letztere gehe zu Lasten der Nationen ebenso wie der Arbeiter.

Hintergrund für den scharfen Strategiewechsel und die Abkehr vom Wirtschaftsliberalismus war die Erwartung rechtsextremer Strategen, nach dem Fall der Berliner Mauer und dem von ihnen behaupteten „Tod des Marxismus“ werde nunmehr der Platz der Systemopposition für die extreme Rechte frei, da es links keinerlei echte Alternative mehr gebe. Im Laufe der Jahre hat dieser Diskurswechsel auch zu einem Austausch der Wählerschichten geführt. Allerdings gerät diese Orientierung derzeit innerhalb der extremen Rechten wieder unter erheblichen Beschuss. Denn von Teilen des FN wird heftig kritisiert, dass er etwa jeglichen Brückenbau zu konservativen Bündnispartern verhindere, die man jedoch benötige, um eines Tages mehrheitsfähig zu werden. Vor allem seit einem „Strategieseminar“ der Parteiführung vom ersten Februarwochenende werden verstärkt wirtschaftsliberale Kurskorrekturen eingefordert. Der Ausgang dieses Kräfteringens ist derzeit noch unentschieden.

So zu tun, als ob das Anwachsen der Stimmenanteile der extremen Rechten – auf nunmehr 28,4 % im nationalen Durchschnitt bei der Wahl im Dezember vorigen Jahres – sie nichts angehe, kann sich unterdessen keine französische Gewerkschaft erlauben. Denn längst ist ein solches Stimmverhalten tatsächlich auch in ihrem eigenen sozialen Umfeld angekommen. Wie bei jeder landesweit stattfindenden Wahl in Frankreich, wurde auch bei der im Dezember 2015 eine Umfrage über den Zusammenhang von gewerkschaftlicher Orientierung und Stimmverhalten durchgeführt. Wie immer gelten dabei die üblichen Vorbehalte: Die erhobenen Daten über „Nähe zu einer Gewerkschaft“ beruhen auf einer nicht näher überprüfbaren Selbsterklärung der Befragung, d.h. auf subjektiven Sympathieerklärungen und nicht auf einer Messung objektiver Faktoren wie etwa einer Mitgliedschaft. Dennoch besteht ein inhaltliches Interesse an den Ergebnissen solcher Befragungen, da diese sich im langjährigen Trend von den 1990er Jahren bis heute untereinander vergleichen lassen, wobei sich durchaus Tendenzen herausschälen

Die Haupterkenntnis dabei lautet: Schon seit zwanzig Jahren ist auch das Umfeld französischer Gewerkschaften nicht vom Rechtswählen verschont. Und eine fest Konstante dabei bleibt, dass der politisch schillernd auftretende (drittstärkste) Dachverband Force Ouvrière – FO, ungefähr „Arbeiterkraft“-, dabei noch bei jeder Wahl deutlich in Führung liegt. Das hat mit seiner Geschichte zu tun: Als 1947/48 im Kalten Krieg entstandene Abspaltung von der CGT wurde diese Organisation lange Zeit vor allem mit dem, inhaltlich grob vereinfachenden, Adjektiv „antikommunistisch“ identifiziert. Da die mit FO ausgetretenen Strömungen aus der alten CGT aber politisch unterschiedlich ausgerichtet waren, wahrt die Organisation bis heute offiziell ein Prinzip vordergründiger „politischer Neutralität“, was FO bis heute davon abhält, Erklärungen gegen die extreme Rechte wie die oben zitierte mitzutragen. (Anmerkung: Der Name FO wird ohne Artikel benutzt.) Schon 1995 lagen die FO-Sympathisant-inn-en unter allen, die sich subjektiv „gewerkschaftsnah“ erklärten, in Sachen Stimmangabe für den FN deutlich vorne, mit damals 19 Prozent. Zwanzig Jahre später ist dieser Wert nunmehr gar bei 34 Prozent angelangt.

Das wirklich Neue dabei aber ist, dass seit den Europaparlamentswahlen 2014 in Frankreich – und nunmehr erneut auch bei den jüngsten Regionalwahlen – die Stimmabgabe für die extreme Rechte auch bei erklärten SympathisantInnen anderer Gewerkschaften sprunghaft angewachsen ist. Bei denen, die von sich selbst angeben oder behaupten, der CGT nahe zu stehen, sind es im Dezember 2015 etwa 29 Prozent. Bei den abhängig Beschäftigten, die sich „mit keiner Gewerkschaft“ auch nur vage identifizieren möchten, sind es derselben Umfrage zufolge übrigens 33 Prozent.

Die Gewerkschaften versuchen gegenzusteuern. Etwa durch massive Bildungsarbeit zu den mit der extremen Rechten. Oder durch eine Anti-Rechts-Kampagne, die am 29. Januar 2014 mit einer Großveranstaltung im Pariser Gewerkschaftshaus begann. Seitdem wird sie auf regionaler Ebene fortgeführt, auch mit Veranstaltung in rechtsextrem regierten Städten, wie im Mai vorigen Jahres in Béziers und im Oktober im lothringischen Hayange. Die Mehrzahl der französischen Gewerkschaften – nicht jedoch FO – schließt Mitglieder aus, wenn sie sich erkennbar beim FN betätigen. Gegen das ideologische Gift des Rassismus, das die Partei verbreitet – das wissen die Gewerkschaften – sind nicht alle ihrer Mitglieder immun. Umso wichtiger bleibt die offensive Auseinandersetzung mit ihr.

Quelle: www.labournet.de/ vom 14. März 2016

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