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Brasilien. Tausende auf Demos gegen rechten Putsch

Eingereicht on 20. April 2016 – 15:39

Regierungsgegner erreichen Zweidrittelmehrheit und verbieten Rede der Präsidentin in TV und Radio. Proteste in über 70 Städten.

Claudia Fix in Brasília. Die Abstimmung des brasilianischen Parlaments über die Zulassung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Präsidentin Dilma Rousseff wurde heute mit 367 Stimmen zu 137 Stimmen zugunsten der Opposition entschieden, die Rousseff stürzen will. Sieben Abgeordnete enthielten sich, zwei fehlten. Für das Amtsenthebungsverfahren war eine Zweidrittelmehrheit von 342 Stimmen notwendig. Die Parlamentarier stimmten einzeln und vor laufenden Kameras für oder gegen das Verfahren. Die meisten begründeten ihre Entscheidung. Viele Abgeordnete der Opposition bezogen sich dabei auf ihre Verantwortung gegenüber ihren Familien, ihren Wählern und Gott.

Die Abstimmung im Abgeordnetenhaus muss in den nächsten Wochen mit einfacher Mehrheit im Senat bestätigt werden. Sollte dies der Fall sein, kann Rousseff ihr Amt längstens 180 Tage nicht ausüben, währenddessen muss das Parlament endgültig über ihre Amtsenthebung entscheiden. In dieser Zeit – und möglicherweise darüber hinaus – übt Vizepräsident Michel Temer (PMDB) das Amt aus. Er ist damit der erste Präsident der stärksten Partei im nationalen Parlament seit 25 Jahren.

Das Verfahren wurde von Parlamentspräsident Eduardo Cunha (PMDB) beantragt und mit Verstößen gegen das Haushaltsrecht begründet. Die Regierung soll ohne Zustimmung des Parlaments Gelder staatlicher Banken genutzt haben, um Defizite im Haushaltsbudget zu überbrücken. Dieses Vorgehen wurde von den Vorgängerregierungen ebenfalls angewendet, hatte aber bisher nie rechtliche Konsequenzen. Cunha eröffnete die namentliche Abstimmung aller Abgeordneten mit einer mehrstündigen Verspätung am späten Nachmittag um viertel vor sechs. Zuvor hatten die Abgeordneten zwei Tage in einer sehr emotional geführten Debatte über das Amtsenthebungsverfahren diskutiert.

 

Die Regierung versuchte bis zum Schluss, die Amtsenthebung über den Obersten Gerichtshof (STF) zu stoppen. Der STF hatte in einer mehrstündigen Dringlichkeitssitzung in den frühen Morgenstunden des vergangenen Freitags das Verfahren zugelassen, jedoch Auflagen über die Form der Abstimmung und der Ausrufung der Abgeordneten nach Bundesstaaten gemacht. Präsidentin Rousseff bezeichnete die Amtsenthebung in einer Videobotschaft als „abenteuerlichen Putsch“. Von der Opposition wurde sie über eine gerichtliche Verfügung daran gehindert, ihre Rede während der täglichen Sendezeit von regierungsamtlichen Informationen in TV und Radio zu verbreiten. Rousseffs Videobotschaft wurde daher nur in den sozialen Medien veröffentlicht. Rousseff sagte weiter: „Ich habe kein Verbrechen begangen. Gegen mich liegt keine Anzeige wegen Korruption oder Veruntreuung von öffentlichen Geldern vor. Mein Name steht auf keiner Bestechungsliste. Es handelt sich um den größten juristischen und politischen Betrug in der Geschichte unseres Landes.“

Während des gesamten gestrigen Tages sowie am Vortag fanden in mehr als 70 Städten Brasiliens Demonstrationen zugunsten und gegen die Amtsenthebung statt. In Rio de Janeiro demonstrierten am Morgen an der Strandpromenade von Copacabana unter dem Titel „Funk gegen das Impeachment“ nach Angaben der Veranstalter mehr als 50.000 Menschen. Am Nachmittag protesterten die Befürworter der Amtsenthebung an derselben Stelle. In São Paulo gingen laut der konservativen Zeitung Folha de S. Paulo rund 21.000 Menschen unter dem Motto „Es wird keinen Putsch geben“ auf die Straße, 62.000 Menschen demonstrierten gegen die Regierung. Große Demonstrationen gab es auch in Recife und Salvador da Bahia. In Salvador hatte die Landlosenbewegung MST bereits am Samstag Zelte unter dem Wahrzeichen der Stadt, dem Leuchtturm von Barra, aufgeschlagen. Laut der Gewerkschaft CUT nahmen bis zum Sonntagnachmittag 100.000 Menschen an den Protesten gegen die Amtsenthebung der Präsidentin teil, die Militärpolizei sprach von 8.000 Demonstranten. In der Hauptstadt Brasília protestierten laut Angaben der Militärpolizei 7.000 gegen das Verfahren, 18.000 demonstrierten dafür.

Quelle: amerika21.de… vom 18. April 2016

 

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