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Syngenta: Ein Beispiel des helvetischen Imperialismus

Eingereicht on 9. Mai 2016 – 10:11

Willi Eberle. Mitte April 2016 ist das Buch «Schwarzbuch Syngenta. Dem Basler Agromulti auf der Spur» erschienen. Syngentas zerstörerische Auswirkungen «reichen von Basel über Pakistan bis nach Brasilien». Was ist dagegen zu tun?

Seit 2005 führt die konzernkritische NGO Multiwatch Kampagnen gegen einige Schweizer Multis, darunter Nestlé, Glencore, Credit Suisse, Triumph, Holcim, Novartis. Das Beispiel Syngenta steht für viele unter ihnen, wie es in der Einleitung zum Schwarzbuch Syngenta heisst.

Die Natur des helvetischen Imperialismus beschäftigt die intelligente Öffentlichkeit schon lange, wenn auch noch nicht so lange, wie die wirtschaftliche und politische Realität dieses Landes beinahe oppositionslos auf die Schaffung von optimalen Bedingungen für das internationalisierte Kapital ausgerichtet ist.  So waren Schweizer Grosskonzerne bereits ab den 1870er Jahren Pioniere in der Auslagerung ihrer Aktivitäten. Die Basler Pharma- und Chemieindustrie gehört zu diesen Pionieren der «kapitalistischen Globalisierung» ab dem späten 19. Jahrhundert. So überrascht es nicht, dass gerade in der Basler Pharma- und Chemieindustrie ab den 1980er Jahren keine Anstrengungen gescheut wurden, um die Profitabilität der Unternehmen unter Ausnutzung ihrer internationalen Verankerung, ohne Rücksicht auf Kollateralschäden an Umwelt, Gesundheit, Lebens- und Arbeitsbedingungen und mit der Unterstützung von oft problematischen politischen Partnern, auszubauen. In diese Geschichte gehört die Geschichte von Syngenta, wie die Geschichte der Schweiz überhaupt seit dem Zeitalter des Imperialismus.

Das schöne und eindrückliche Buch geht auf eine lange Reihe dieser Kollateralschäden detailliert ein, klagt an, wo dies bitter nötig ist, lässt aber, leider, den grossen geschichtlichen und polit-ökonomischen Faden zu sehr unbelichtet.

Geld heckendes Geld

Hinter der «philantropischen Fassade von Syngenta» versteckt sich «ein knallhartes Geschäftsmodell …, das für Menschen, Tiere und Umwelt gravierende Auswirkungen hat und die Menschenrechte auf Leben, Gesundheit und Ernährung beeinträchtigt». Die philantropische Fassade wird hierzulande eifrig gepflegt, wie man auf der Syngenta Homepage und in den Prospekten der Syngenta Stiftung für nachhaltige Landwirtschaft sehen kann. Die politischen Behörden, darunter der Bundesrat und die rot-grüne Basler-Regierung tun alles, um diese Fassade propagandistisch abzustützen. Sie forcierten die Teilnahme von Syngenta (und Nestlé) an der Weltausstellung von 2015 unter dem Motto der Ernährungssicherheit mit einem Schweizer Pavillon. Dies war der Anlass für die Gruppe um das Schwarzbuch Syngenta, in Basel im Frühjahr 2015 eine erfolgreiche Tagung zu organisieren, die hinter die lügnerische Fassade der Konzern-Propaganda blicken liess.

Dabei traten Aktivistinnen und Aktivisten aus Pakistan, Indien, Brasilien, Paraguay, Hawaii, der Schweiz, den Niederlanden und anderswo auf, die ihren Kampf gegen die Macht der Agromultis, darunter vor allem gegen Syngenta schilderten. Und dabei oft mit schwerer Repression bedroht werden, die bis zur Ermordung führen kann, wie die Ermordung (2007) des Aktivisten der brasilianischen Landlosenbewegung Valmir Mota de Oliveira, genannt Keno, zeigt, dem das Buch gewidmet ist.

Vergiftung und Auslaugung der Böden, Verarmung der Kleinbauern, Vergiftung von Kleinproduzentinnen und von Konsumenten, Zerstörung der Wasserreserven und des biologischen Gleichgewichtes, Stärkung von korrupten und repressiven politischen Systemen, Förderung der Verarmung der Landbevölkerung und der Mangelernährung: dies das Resultat der zerstörerischen Aktivitäten des agroindustriellen Komplexes, wovon Syngenta als weltgrösster Pestizid und drittgrösster Saatgutfabrikant ein massgeblicher Faktor ist. Resultate, die im dialmetralen Widerspruch stehen zu den frechen Behauptungen in der Konzernpropaganda und der Basler Behörden und des Bundesrates. Das Schwarzbuch Syngenta zeigt hier mannigfaltig und gut recherchiert auf, was wirklich Sache ist.

In der längere Zeit dauernden Diskussion um eine Übernahme von Syngenta durch Monsanto oder die ChemChina Gruppe ging es vordergründig «vornehmlich um den Preis bzw. die Prämie für die Syngenta-Aktionäre. Niemand schien sich für die Landwirtschaft und die Produkte von Syngenta zu interessieren, geschweige denn für die Welternährung oder die Syngenta-Belegschaft» oder die Opfer der Machenschaften des Konzerns. Geld heckendes Geld eben, wie Marx die innere Logik der kapitalistischen Produktionsweise beschreibt, der der Nutzen der erzeugten Produkte für die menschliche Entwicklung bestenfalls gleichgültig, oft aber geradezu lästig ist. Wie beispielsweise im agroindustriellen Komplex.

Was tun?

«Eine sozial gerechte, wirtschaftlich tragbare und umweltverträgliche Landwirtschaft gelingt nur über koordiniertes Handeln von sozialen Landbewegungen im Bündnis mit engagierten Bewegungen aus der Zivilgesellschaft, welche die Ziele der Kleinbauernbewegungen unterstützen. … Wenn wir die Hauptursachen von Hunger, Armut, Ungleichheit und Ungerechtigkeit nicht an der Wurzel packen und das von den Konzernen kontrollierte Nahrungssystem abschaffen, bleibt jeder Fortschritt begrenzt», schreiben die Autorinnen und Autoren auf Seite 21.

Das Buch enthält Beiträge von Aktivistinnen und Aktivisten im internationalen Kampf gegen den agroindustriellen Komplex und versteht sich selbst als Teil dieses Kampfes. Richtig so! Aber welche politischen Antworten sind in der Schweiz, einer zentralen Operationsbasis, einer wichtigen Kommandozentrale für die multinationalen Konzerne, nötig? Immerhin gibt es seit über zwanzig Jahren in vielen wichtigen Kantonen und Städten – darunter in Basel – sogenannte links-grüne Mehrheiten in der Regierung und gelegentlich auch im Parlament, die diesen Konzernen mit einer sogenannten Standortpolitik speichelleckend zu Diensten stehen. Hierzu fehlen im Buch Hinweise für eine überzeugende politische Antwort. Vielmehr scheint es, dass dem Buch ein anti-politischer Grundton zugrunde liegt. Ist es keiner Rede wert, dass alle linken Organisationen in Basel, inklusive der Gewerkschaften, die Kandidaturen von SP und Grünen – Guy Morin ist grüner Stadtpräsident, Anita Fetz, einzige Ständerätin vom Kanton Basel-Stadt, ist in der SP – vorbehaltlos unterstützen?

Dem Buch ist hoch anzurechnen, dass es sich mit den kleinbäuerlichen Widerstandsbewegungen, insbesondere von La via campesina solidarisiert und dadurch eine internationalistische Perspektive eröffnet. Allerdings bleibt es dabei auf halbem Weg stecken. Die Internationalisierung des politischen Widerstandes gegen die brutale Durchsetzung der internationalen Arbeitsteilung nach dem Gesichte der Warenform, der Profitlogik, deren wichtigsten Exekutoren die multinationalen Konzerne sind, ist zugegebenermassen kaum mehr existent. Aber die pragmatische Rückwendung zum Lokalen, wie er im Buch empfohlen wird, ist eher eine Orientierung aus Verzweiflung und hat gerade heute eine politisch eher rechte, nationalistische Note. Hier wären weiterreichende Überlegungen angebracht gewesen.

Erscheint im Vorwärts vom 20. Mai 2016

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