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Syrien: Der Kampismus als Totengräber der internationalen Solidarität

Eingereicht on 14. August 2016 – 10:17

Leila Nachawati e Joey Ayoub*. In Friedenskonferenzen, internationalen Treffen und Ländernalysen wird über Syrien gesprochen, ohne dass das syrische Volk angehört wird. Ebenso ist dieses abwesend, wenn der Teil der Linken über Syrien spricht, der sich als «anti-imperialistisch» bezeichnet. Am 11. Juli wurde bekannt, dass Javier Couso Permuy von der spanischen Izqiuerda Unida sich nach Damaskus begeben hat, zusammen mit Tatiana Ždanoka, lettische Europa-Delegierte der Gruppe der Grünen und der Allianz Freies Europa und mit Yana Toom, der estnischen Zentrumspartei. Sie wollten sich mit dem syrischen Dikatator Bashar al-Assad treffen.

Die drei haben dies stolz via Twitter angekündigt und haben dabei die Erzählung von Assad «des Kampfes gegen den Terrorismus» hervorgestrichen. Kurz danach haben Flugzeuge von Assads Armee, unterstützt durch die russische Luftwaffe, verschiedene Quartiere von Aleppo bomardiert und Dutzende von zivilen Opfern zurückgelassen, darunter viele Kinder, in einer Stadt, die sich in den letzten Tagen für die Bevölkerung – sofern sie nicht bereits hat fliehen können – in eine Mausefalle verwandelt hat.

Der Besuch dieser Abgeordneten linker Parteien schliesst sich denjenigen von anderen Europa-Delegierten an, die mehrheitlich Parteien der Rechten oder der extremen Rechten angehören. So etwa «Les Républicains» aus Frankreich, die vom Besuch in Damaskus profitiert haben und gleich noch Selfies mit der extrem rechten Gruppierung «SOS Chrétiens d’Orient» oder mit Mitgliedern des Front National geschossen haben, der bereits wiederholt seine Unterstützung für das Regime von Assad ausgedrückt hat.

Die neuesten Schätzungen der UNO gehen von über 2´500 Ertrunkenen im Mittelmeer aus, zur Mehrheit syrische Männer, Frauen, Kinder. Diese sind angesichts eines dermassen zerstörerischen Konfliktes geflohen, dass seit 2014 auch die UNO aufgehört hat, die Toten zu zählen. Zur gleichen Zeit als die EU angekündigt hat, dass sie Kriegsschiffe der NATO benutzt, um zu verhindern, dass die Flüchtlinge aus der Türkei hinausgelangen und sich der Küste der Festung Europa nähern, steuern die Europa-Delegierten auf Damaskus zu, um sich mit den Verantwortlichen der Massaker, vor denen die Mehrheit der Flüchtigen flieht, zusammenzutun.

Ein Syrien ohne Syrer

Der Besuch der europäischen Abgeordneten ist für die Syrer keine Überraschung. Sie sind sich gewohnt, dass ihr Land international eine polarisierte Wahrnehmung geniesst, dass der Konflikt im Westen reaktionäre Diskurse ausgelöst hat. Sie haben sich an die Tatsache gewöhnt, dass die Zukunft ihres Landes ohne sie entschieden wird.

In Friedenskonferenzen wird unter Ausschluss der Syrer diskutiert, wie sie auch an internationalen Zusammenkünften und in den Analysen ihres Landes nicht um ihre Meinung und Absichten gefragt werden. Die Syrer existieren auch nicht im Diskurs des Teiles der Linken, der sich selbst als «anti-imperialistisch» definiert, obschon sie sich mit den imperialistischen Interessen von Mächten wie Russland oder Iran verbünden. Es genügt, irgendwelche Artikel über Syrien zu überfliegen, die von irgendwelchen Analytikern verfasst worden sind, um festzustellen, dass der Text keinerlei Bezug nimmt auf syrische Aktivisten, Aktivistinnen oder Intellektuelle.

Eine dermassen starke Weigerung, mit Syrern oder Syrerinnen zu sprechen, ist die Ursache, wie es die palästinensische Intellektuelle Lama Abu Odeh formuliert, dass diese kampistische Linke «unterhalb den Grenzen des Denkens gräbt, die zu durchwühlen ihr vertrauter ist, um es so auszudrücken, sie stochert in alten politischen Arsenalen herum und klammert sich an seit langem eingelagerte Positionen, um sie dann zu vertreten und so ihre Unterstützung für ihr verehrtes politisches Vaterland auszudrücken….» Diese Linke hat sosehr ihren Kurs verloren, dass es welche gibt, die sich Aleppo wie ein neues Guernica vorstellen.

In diesem Zusammenhang erstaunt nicht, dass Couso von der IU von der Notwendigkeit des syrischen Regimes spricht, um «gegen den Terrorismus zu kämpfen», eine Bezeichnung, die in Damaskus für alle verwendet wird, die sich gegen die Diktatur wenden. Währenddessen ergiesst sich eine Lawine von Dynamit ohne Unterlass auf die Zivilbevölkerung. Ebenso wenig erstaunen die Äusserungen von Izquierda Unida über die türkische, saudische, [US-amerikanische, Anm. d.Ü] oder katarische Einmischung und die Weglassung der russischen oder iranischen, die Erwähnung der sektiererischen sunnitischen Milizen und das Schweigen über die schiitischen, die über die Opfer unter den von Iran zwangsweise rekrutierten Flüchtigen aus Afghanistan, dem Irak bis zum Libanon hinweggehen. Es erstaunt auch nicht, dass sich Couso mit dem Gross-Muftì Syriens zusammensetzt, der vor einem Jahr zu einer Vernichtung all derer aufrief, die sich dem Regime in Aleppo widersetzten. Der Muftì wandte sich nach alldem mit dieser Botschaft an die Weihnachtsmesse in Syrien, und dies war dann das immer wiederholte Mantra dieser linken Parteien, um ihre Gespräche mit ihm zu rechtfertigen.

Was für ein Friede wird gesucht, wenn die Verfolgung der Pazifisten und der Verteidiger der Menschenrechte ignoriert wird?

Sind diese Abgeordneten etwa beunruhigt über die Tatsache, dass all diejenigen als «Sympathisanten der al-Qaida» etikettiert werden, die sich dem Regime widersetzen, einschliesslich derjenigen mit arabisch-christlichen Wurzeln, wie etwa ich, Joey Ayoub? Ist es für sie wichtig, dass christliche syrische Revolutionäre wie Marcell Shehwaro, Tochter eines Priesters, über Jahre sowohl von extremistischen Gruppen wie Daesh, als auch durch das Regime Assads verfolgt wurden? Haben sie etwa ihre Solidarität mit Shehwaro gezeigt, als sie sich entschied, als Akt des Widerstandes Weihnachten zu feiern, obwohl sie im Visier des IS war? Nein, diese Linke nimmt die arabischen Christen nur zur Kenntnis, sofern sie sich in ihre Erzählung einordnen.

In diesem Klima der selektiven Solidarität hören wir Cousa von «Frieden» reden, während er mit dem syrischen Regime zusammensitzt und über die anderen Akteure hinwegsieht, wie etwa die lokalen Koordinationskomitees, die in den Kampfgebieten arbeiten. Welchen Frieden sucht man, wenn man von den Verfolgungen der Verfechter der Menschenrechte wegsieht, wie beispielsweise von Bassel Khartabil, den bekannten Erfinder des palästinensisch-syrischen Open Source Kodexes, der seit 2012 in den Kerkern Assads einsitzt? Khartabil, den das Regime im Oktober 2015 verschwinden liess, und dessen Aufenthaltsort unbekannt ist, wurde als Schlüsselfigur für die Zukunft Syriens angesehen. Es ist genau seine Art der freien Denkungsart und des pazifistischen Engagements, den sowohl das syrische Regime wie auch Gruppen wie Daesh in ihr Hauptziel verwandelt haben. Was sagt denn diese Linke zur Ehefrau von Bassel, Noura Ghazi, die ihm am Valentinstag 2015 einen Brief geschrieben hat, wo steht: «Habe Angst, Bassel! Ich fürchte mich um dieses Land, das massakriert, geteilt, ausgeblutet, zerstört wird…. Ach, Bassel. Ich fürchte, dass sich unser Traum, die Generation zu sein, die die Freiheit in dieses Land bringen kann, in den Albtraum verwandelt, nun beobachten zu müssen, wie es zerstört wird. Bassel, ich habe grosse Angst». Kann diese Linke Noura in die Augen blicken und ihr sagen, dass sie für das internationalistische Erbe und für alle unterdrückten Völker kämpft, wo immer dies auch sei?

Wie der Philosoph Santiago Alba Rico ausführt: «Der wirkliche Schaden, den [Couso und andere] anrichten, gilt der Linken und dem Internationalismus im Allgemeinen». Dazu genügt nur schon ein Blick in die Reaktionen auf die Kommentare von Alba Rico, um die Konvergenz dieser Linken mit der extremen europäischen Rechten, dieses «Bündnis der Roten und Braunen» zu bemerken.

Das vermutlich ohrenbetäubendste Todesurteil für den europäischen Internationalismus ergeht jedoch dann, wenn bekannte linke syrische Persönlichkeiten durch das Regime von Assad verurteilt, gefoltert und/oder ermordet werden, ohne dass irgendeine Reaktion seitens derjenigen erfolgt, die die dafür Verantwortlichen unterstützen. Persönlichkeiten wie die sehr bekannten Yassin Haj-Saleh und Riad Al-Turk, der 18 Jahre in den Kerkern von Assad zugebracht hat, da er der Kommunistischen Partei – Opposition angehört (also nicht diejenige, die von Assad zugelassen ist und mit der sich Couso in Libanon getroffen hat), der heutigen Demokratischen Syrischen Volkspartei, die sich von der Kommunistischen Partei abgespalten hat, da diese den Baathismus unterstützt. Haj-Saleh hat ebenfalls 16 Jahre in Gefängnissen verbracht, da er der gleichen Partei angehört. Beide wurden gefoltert, beide haben Freunde und geliebte Menschen verloren, und beide leben heute im Exil und hoffen nicht auf Rückkehr. So ohrenbetäubend ist das Schweigen dieser Linken, die «beim Anblick des bei einem Bombenangriff in Homs zusammengestürzten Hauses schweigt, das mit seinen Trümmern den Kopf eines Syrers zermalmt hat, zu arm, um noch rechtzeitig fliehen zu können».

Wie Alba Rico sagt, ist es immer schwieriger geworden, zwischen der Rechten, die die Invasion in den Irak von 2003 feierte und der Linken, die sich heute jeden Sieg Russlands oder des Irans freut zu unterscheiden. Dieser zweiachsigen Weltsicht steht diejenige gegenüber, die den dogmatischen Visionen misstraut und solidarisch auf das legitime Recht der Selbstbestimmung der Völker und deren Freiheit gegenüber der Unterdrückung setzt, komme diese nun von ausländischen Invasoren oder von nationalen Tyrannen her.

Leila Nachawati, Spanisch-Syrerin, ist Dozention für Kommunikation und Joey Ayoub ist libanesischer Schriftsteller, Autor von „Global Voices“ und „Hummus for Thought“

Quelle: mps-ti.ch… vom 12. August 2016. Übersetzung aus dem Italienischen: Redaktion maulwuerfe.ch

 

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