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PDS/Die Linke in Berlin: Fatale Bilanz der Regierungsbeteiligung

Eingereicht on 7. September 2016 – 10:46

Zehn Jahre lang regierte die PDS/Die Linke in Berlin zusammen mit der SPD. Das Ergebnis: Personalabbau und Privatisierung. Mit einer rot-rot-grünen Koalition,

wie sie sich als Ergebnis der Berliner Wahlen am 18. September abzeichnet, könnte sich das wiederholen.

In diesen Tagen erscheint im Papyrossa Verlag der von Thies Gleiss, Inge Höger, Lucy Redler und Sascha Stanicic herausgegebene Sammelband »Nach Goldschätzen graben, Regenwürmer finden. Die Linke und das Regieren«. Wir veröffentlichen daraus im Folgenden, leicht gekürzt, den Beitrag »›Normale kapitalistische Entwicklung. Zehn Jahre Rot-Rot in Berlin« von Lucy Redler.

Der Staat ist kein Fahrrad, auf das man sich einfach setzen und in beliebiger Richtung losradeln kann«, meinte die ehemalige Grüne Verena Krieger im Jahr 1991. Er ist »Produkt und Ausdruck der kapitalistischen Vergesellschaftungsform und der mit ihr verbundenen materiellen Reproduktions- und Klassenverhältnisse«. Harald Wolf, ehemaliger Wirtschaftssenator der PDS in der ersten rot-roten Koalition und 2006 Spitzenkandidat der Linkspartei.PDS zitiert gern Verena Krieger und widmete der Idee im Mai 2014 einen ganzen Artikel.[i] Doch statt das Fahrrad auszutauschen, radelte die PDS/Die Linke Berlin (2005 nannte sich die »Partei des demokratischen Sozialismus« in »Die Linkspartei.PDS« um. 2007 erfolgte der Zusammenschluss mit der »Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit« zur »Linkspartei«, kurz: »Die Linke«, jW) in ihrer Regierungszeit 2002–2011 mit der SPD auf einem Tandem komplett in die falsche Richtung und fuhr die Interessen von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, Mietern und Erwerbslosen gegen die Wand. (…)

Die PDS Berlin trat in die Regierung ein auf dem Höhepunkt von Filz, Korruption, Vetternwirtschaft und des Berliner Bankenskandals unter der vorigen großen Koalition. Offen beschreibt Harald Wolf in seiner 2016 erschienenen Bilanz ›Rot-Rot in Berlin‹: »Rot-Rot vollzog eine Transformation von einem parasitär-klientelistischen Modell zu einem Modell ›normaler‹ kapitalistischer Entwicklung. Damit ist noch kein Ausbruch aus dem Neoliberalismus verbunden.«[ii]

Neoliberale Rotstiftpolitik

Unter Rot-Rot wurden Filz und Korruption eingedämmt, die Zeche für die »normale kapitalistische Entwicklung« und neoliberale Politik, an der sich die PDS nun eifrig beteiligte, zahlten jedoch die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, Erwerbslose und Mieter. Die damalige PDS verschrieb sich der Logik der Haushaltskonsolidierung: »Angesichts der dramatischen Haushaltslage war klar, dass an einer Politik der Haushaltskonsolidierung kein Weg vorbeiführt.«[iii] Klaus Wowereit sagte damals über die PDS in Berlin: »(…) Hier macht die PDS eine praktische Politik. Sie arbeitet mit an der Umsetzung von Hartz IV, entgegen dem, was ihre Bundespartei fordert. Da ist die PDS durchaus schizophren.«[iv] Oskar Lafontaine, damals noch SPD, lehnte Überlegungen der SPD-Bundeszentrale für eine Ampelkoalition in Berlin ab und brachte auf den Punkt, worum es aus SPD-Sicht bei der Einbeziehung der PDS ging: »Ein Senat, der der Bevölkerung Opfer abverlangt, darf nicht eine enttäuschte CDU und eine sozialpopulistisch agierende PDS zum Gegner haben. Wer sparen will, ist gut beraten, die PDS mit ins Boot zu holen.«[v]

Die PDS Berlin beteiligte sich nicht nur am Sparen, sie verzichtete auch darauf, gewisse Maßnahmen zur Einnahmesteigerung wie die Anhebung der Gewerbesteuer zu ergreifen. Harald Wolf bekannte sich »zum Vorsatz«. Die Berliner Morgenpost kommentierte Wolfs Haltung 2004: »Strukturreformen wie der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes, die Neuordnung der Hochschulmedizin, das neue Schulgesetz, die Opernstiftung, die neue Struktur der Wirtschaftsförderung oder die Hochschulverträge mit abgesenkten Zuschüssen seien unabhängig von der Haushaltslage notwendig und sinnvoll. ›Wir haben zu oft auf mildernde Umstände plädiert, statt uns zum Vorsatz zu bekennen‹, sagt Wolf.«[vi]

Mit der Einbeziehung der PDS in die rot-rote Koalition gelang das, was durch eine Fortsetzung der großen Koalition nicht möglich gewesen wäre. Die PDS wurde als vorige Opposition in die Koalition integriert und schwächte mit ihrem Kurs den außerparlamentarischen Widerstand – ein ähnliches Phänomen wurde bei der Einführung der Agenda 2010 durch die rot-grüne Bundesregierung deutlich: Schröder setzte durch, was Kohl nicht gewagt hätte.

Langes Sündenregister

Im Wahlprogramm der Linken Berlin für die Abgeordnetenhauswahlen 2016 heißt es: »Rot-Rot hat von 2002 bis 2011 den Landeshaushalt saniert. Diese Sanierungspolitik war hart und ging zuweilen über das Vertretbare hinaus. Sie sorgte jedoch dafür, dass politische Handlungsspielräume zurückgewonnen wurden.«[vii] Im Programm wird die Politik unter Rot-Rot gerechtfertigt und verklärt – mit dem Ziel, 2016 erneut in eine Regierung mit SPD und nun auch den Grünen einzutreten. Man fragt sich, wessen Handlungsspielräume hier gemeint sind. Für Mieter, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, Lehrer und arme Menschen wurden unter Rot-Rot keine »Handlungsspielräume gewonnen«, sondern ihre Lage hat sich verschlechtert. Was passiert ist:

– Privatisierung von über 100.000 Wohnungen, die Mietsteigerungen und Verdrängung zur Folge hatte: Die Wohnungsbaugesellschaft GSW mit über 65.000 Wohnungen wurde 2004 an ein Konsortium der Finanzinvestoren Goldman Sachs und Cerberus verkauft. Außerdem veräußerten die landeseigenen Gesellschaften 2005 über 30.000 Wohnungen; 5.000 Wohnungen der landeseigenen BVG wurden ebenfalls verkauft. Den enormen Mietsteigerungen der landeseigenen Unternehmen wurde nicht Einhalt geboten.

– Stellenabbau von 35.000 Stellen im öffentlichen Dienst: Seit Amtsantritt von Rot-Rot bis Ende 2010 wurde der öffentliche Dienst von 151.165 auf 115.885 Stellen verkleinert. Laut Harald Wolf waren es am Ende von Rot-Rot noch 105.000 Beschäftigte (berechnet nach Vollzeitäquivalenten). Die Linke Berlin setzte sich noch im Wahlkampf 2011 für eine Mindeststellenzahl von 100.000 ein und hätte damit noch weiteren Stellenabbau hingenommen. Der Abbau traf vor allem die Bezirke: Hier wurde die Zahl der Stellen laut Senatsverwaltung für Finanzen von 48.587 auf 24.117 halbiert. Das Ergebnis ist, dass man in manchen Bezirksämtern heute ein halbes Jahr auf einen Termin wartet oder dass das Wohngeld mehrere Monate verspätet ausgezahlt wird.

– Ausstieg aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband und Absenkung der Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst: Dem Austritt aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband folgte der sogenannte Anwendungstarifvertrag im Jahr 2003, in dessen Folge Löhne und Gehälter um acht bis zwölf Prozent gesenkt und von der bundesweiten Lohnsteigerung abgekoppelt wurden. Gleichzeitig wurden die Arbeitszeiten verkürzt. Das führte für viele Menschen zur Arbeitsverdichtung, da sie nun ein ähnlich hohes Arbeitsvolumen bei kürzerer Arbeitszeit leisten mussten. Die Angleichung an das bundesweite Lohnniveau erfolgt 2017. Im Osten Berlins wurden die Löhne und Gehälter zudem um 1,41 Prozent VBL-Beitrag (Zusatzversorgungsleistung der betrieblichen Altersversorgung im öffentlichen Dienst) gekürzt. Den Beamten wurde u. a. das Urlaubsgeld gestrichen.

– Lohn- und Gehaltskürzungen und Ausgründungen in öffentlichen Betrieben: Bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) setzte der rot-rote Senat 2004 Gehaltskürzungen von zehn Prozent durch. Den Kollegen des öffentlichen Krankenhauskonzerns Vivantes wurde im Zuge eines ›Notlagentarifvertrags‹ das Urlaubs- und Weihnachtsgeld für mehrere Jahre gestrichen, und Personal wurde abgebaut. Die Argumentation: In beiden Fällen sei das Kostenniveau zu hoch, und nur Kürzungen könnten eine Privatisierung verhindern. Harald Wolf meinte gar, dass öffentliche Unternehmen, für die die Linkspartei.PDS die Verantwortung habe, so gut wirtschaften müssten wie private Unternehmen.[viii] Den Beschäftigten der Charité wurde angedroht, Hunderten Kollegen betriebsbedingt zu kündigen, wenn sie nicht ebenfalls Lohnkürzungen hinnehmen würden. Außerdem erlaubte der Aufsichtsrat der Charité unter dem damaligen PDS-Senator Thomas Flierl die Ausgründung der Charité Facility Management (CFM). Die Kollegen in der CFM haben bis heute keinen Tarifvertrag.

– Aushöhlung des Ladenschlussgesetzes: Das Berliner Ladenschlussgesetz wurde unter Rot-Rot zu einem der schlechtesten Ladenschlussgesetze bundesweit. Eine weitere Verschlechterung wurde durch das Bundesverfassungsgericht gestoppt.

– Reduzierung der Personalausstattung an Schulen und Abschaffung der Lernmittelfreiheit: Die Reduzierung der Personalausstattung auf 100 Prozent führt bei Krankheit, Schwangerschaft, Fortbildung oder Personalratstätigkeit zu sofortigem Unterrichtsausfall und hat unfreiwillige Stellenverlagerungen zur Folge. Die GEW Berlin fordert eine Personalausstattung von 110 Prozent. Außerdem wurde die Arbeitszeit für verbeamtete Lehrer um zwei Jahre erhöht. Die Lernmittelfreiheit wurde unter Rot-Rot abgeschafft.

– Ausbau von Überwachung: Rot-Rot erleichterte die Möglichkeit, in allen U-Bahnhöfen und Zügen die Bevölkerung per Video zu überwachen oder bei Verkehrskontrollen zu filmen. Das ging mit der Zustimmung von Rot-Rot zum Abbau von Aufsichtspersonal auf den S-Bahnsteigen und U-Bahnhöfen durch BVG und S-Bahn einher.

– Wasserbetriebe: Novellierung des Teilprivatisierungsgesetzes: Die Berliner Wasserbetriebe wurden unter der großen Koalition vor Rot-Rot teilprivatisiert. Den damaligen privaten Investoren Veolia und RWE wurden skandalös hohe Renditen von acht Prozent garantiert. Unter Rot-Rot wurde 2003 – trotz voriger Kritik der PDS an diesen Gewinngarantien – das Gesetz zur Teilprivatisierung der Wasserbetriebe novelliert, und damit wurden die Gewinngarantien für RWE und Veolia erneut festgeschrieben. Die Linke Berlin trägt dadurch Mitverantwortung für die Geheimhaltung der Verträge zur Absicherung der Profitinteressen. Die Führung der Linke Berlin fiel dann der außerparlamentarischen Initiative des Wasservolksentscheids zur Offenlegung der Verträge in den Rücken und rief (nach eigenen Angaben aus juristischen Gründen) dazu auf, beim Volksentscheid nicht mit Ja zu stimmen, sondern sich zu enthalten – obwohl es einen anderslautenden Beschluss des Landesparteitags gab. Einige haben sogar öffentlich erklärt, warum man mit Nein stimmen sollte. Der Wasservolksentscheid war trotzdem erfolgreich und brachte das Misstrauen gegenüber dem Senat zum Ausdruck.

– Risikoübernahme für die Fondszeichner der Bankgesellschaft: Gerlinde Schermer von der SPD-Linken, schrieb im Neuen Deutschland im Februar 2005 zu Bankenskandal und Risikoabschirmung: »Der Beschluss des Abgeordnetenhauses zur Risikoübernahme war das Eingeständnis des demokratischen Rechtsstaates, der größenwahnsinnige und kriminelle Geschäfte gewissenloser Banker nachvollzieht, den Raum öffentlichen Vermögens zugunsten Reicher legalisiert.«[ix]

Diese Liste lässt sich fortsetzen: Zustimmung im Bundesrat zum Bankenrettungspaket und zur neoliberalen EU-Verfassung, Polizeieinsätze gegen Antifaschisten, Übergabe von zwei Dritteln der Kitas in kommunalem Eigentum an freie Träger, Abschiebungen von Geflüchteten und die Fortführung des Abschiebeknasts Grünau, Räumung alternativer Wohnprojekte, Streichungen im Kulturbereich, Kürzungen der Hilfen zur Erziehung, Reduzierung des Blindengeldes um 20 Prozent, Kürzungen von 75 Millionen Euro im Universitätsbereich, Verbot des Volksbegehrens zum Bankenskandal, Umsetzung von Hartz IV und Ein-Euro-Jobs, Abschaffung des BVG-Sozialtickets und nach erheblichem Protest seine Wiedereinführung zu einem doppelt so hohen Preis, Schließung von neun Schwimmbädern.

Die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) Berlin kommentierte damals zu Recht in ihrem Wahlprogramm 2006: »Eine Politik, die Umverteilung von unten nach oben brav akzeptiert und umsetzt, leistet keinen Beitrag zum Aufbau gesellschaftlicher Gegenmacht und zur Veränderung der Kräfteverhältnisse auf Bundesebene. (…) Das ist nicht links, das ist nicht sozial – sondern neoliberale Sachzwangpolitik.«[x]

Die Linke Berlin bzw. einige ihrer Protagonisten wie Harald Wolf bilanzieren heute die Privatisierung der Wohnungsbaugesellschaft GSW, die Kürzung des Blindengeldes, den zwischenzeitlichen Versuch des damaligen PDS-Wissenschaftssenators Flierl, Studienkontenmodelle einzuführen (die durch Studierendenproteste verhindert wurden), und einige andere Maßnahmen als Fehler. Der Großteil der Maßnahmen wird jedoch mit dem Verweis auf die Haushaltsnotlage und die »notwendigen Eigenanstrengungen« im Zuge der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht auf Bundeshilfen gerechtfertigt. Mit dem Scheitern der Klage vor Gericht scheiterte die gesamte Argumentation.

Vermeintliche Erfolge

Den weitgehenden Verschlechterungen unter Rot-Rot, die vor allem in der ersten Legislaturperiode durchgesetzt wurden, stehen Maßnahmen gegenüber, die von der Linken heute als Erfolg verteidigt werden. Dazu ist zweierlei festzuhalten: Erstens wäre selbst dies kein Argument für das Mittragen der Verschlechterungen. Zweitens lohnt es sich, einen genaueren Blick auf die – oftmals vermeintlichen – Erfolge zu werfen:

– Gemeinschaftsschule: In Wirklichkeit wurde in Berlin nicht eine Schule für alle geschaffen, sondern mit Sekundarschulen neben Gymnasien die Zweigliedrigkeit des Schulwesens eingeführt. Da die Schulreform unzureichend ausfinanziert wurde, führte sie an einigen Stellen zu einer Verschlechterung für Schüler und Lehrer und einer Zusammenlegung und Schließung von Schulen. Positiv war die Abschaffung des Sitzenbleibens.

– Öffentlicher Beschäftigungssektor (ÖBS): Der Stellenabbau im öffentlichen Dienst ging einher mit der Schaffung von ca. 7.000 Stellen im ÖBS. Im ÖBS werden zwei Drittel der Beschäftigten jedoch lediglich mit monatlich 1.300 Euro brutto entlohnt. Durch eine ÖBS-Tätigkeit wird kein Anspruch auf ALG I erworben, ÖBS-Beschäftigte müssen eine Wiedereingliederungsvereinbarung mit dem Jobcenter abschließen und können bei einer Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses mit Sanktionen bestraft werden.

– Kennzeichnungspflicht für Polizisten: Nach zehn Jahren(!) hatte Rot-Rot endlich die Einführung der individuellen Kennzeichnungspflicht beschlossen.

– Bürgerhaushalte: In einigen Bezirken gibt es Bürgerhaushalte, das heißt, Bürger haben die Möglichkeit, über einen Teil der Verwendung von Geldern mitzubestimmen. Nur: Solange es nicht mehr Geld für die Bezirke gibt, führt ein Bürgerhaushalt unter diesen Bedingungen dazu, dass die Bürger lediglich entscheiden, wo mehr und wo weniger gekürzt wird.

– Einführung des Berlin-Passes: Dieser ermöglicht den Beziehern von Transferleistungen, den vergünstigten Eintritt bei einigen Kultur-, Bildungs- und Freizeitangeboten. In bezug auf Kulturangebote wird jedoch deutlich, dass es sich eher um bürgerliche Almosenpolitik handelt. So können Inhaber des Berlin-Passes, Restkarten für Theatervorstellungen für drei Euro erwerben. Der ver.di-Erwerbslosenrat forderte schon damals die Einführung eines Anrechts auf verbilligte Tickets anstatt das Zugeständnis von Resttickets.

Daraus folgt, dass die meisten der genannten Erfolge sich bei näherer Betrachtung nicht als grundlegende Verbesserung entpuppen.

An real positiven, spürbaren Verbesserungen bzw. der Verteidigung des Bestehenden bleiben (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): die Beitragsfreiheit der ersten drei Kitajahre (auf Druck des Kitavolksbegehrens und nachdem Rot-Rot die Kitagebühren zuerst angehoben hatte), die Verhinderung der Privatisierung der Berliner Sparkasse (auf Druck der Bundespartei Die Linke), die Öffnung des Flugfelds Tempelhof, Bargeld statt Chipkarten für Geflüchtete und vorübergehend eigene Wohnungen statt Massenunterkünfte und Erleichterungen zur Durchführung von Volksentscheiden. Als positiv verbucht Die Linke Berlin ebenfalls für sich, dass mit dem Vergabegesetz öffentliche Aufträge nur noch an Firmen vergeben werden, die einen Stundenlohn von 7,50 Euro (seit 2010 8,50 Euro, jW) brutto zahlen. Das ist ein Fortschritt im Vergleich zur ersten Legislaturperiode, in der der Senat seine eigene Post per PIN-AG verschickte, die Dumpinglöhne von 5,86 Euro brutto zahlte.

Noch schlimmer ohne Die Linke?

Wäre es ohne Die Linke noch schlimmer gekommen? Das kann heute niemand sagen. Sicher hat Die Linke in der Regierung auch die ein oder andere Verschlechterung abgewendet. Aber das kann nicht die Tatsache aufwiegen, dass die Beteiligung der PDS/Die Linke dazu geführt hat, dass die einzige im Parlament vertretene linke Opposition massive Verschlechterungen mittrug, ihre Glaubwürdigkeit verlor und den außerparlamentarischen Widerstand schwächte. Sie bekam bei den Wahlen 2006 die Quittung und verlor absolut mit 180.000 Stimmen die Hälfte ihrer Stimmen und 9,2 Prozentpunkte. 2011 verlor sie erneut 1,7 Prozentpunkte im Vergleich zu 2006.

Die Feststellung von Ellen Brombacher und Carsten Schulz von der Kommunistischen Plattform in der Partei Die Linke von 2006 ist zutreffend: »Wir tragen und ›gestalten‹ an der Seite der Berliner SPD einen Kurs mit, der letztlich die Hasardeure des Kapitalismus auf Kosten jener schützt, die wenig besitzen oder zumindest nicht zu den wirklich Begüterten zu zählen sind. Dass wir diesen Kurs hier und da abmildern, ist in den Augen vieler, die Hoffnungen in uns setzen, viel unbedeutender, als es für sie bedeutend ist, dass wir ihn mit ermöglichen.«[xi]

Gegen die Politik von Rot-Rot gab es vor allem in der ersten Legislaturperiode starken Widerstand von Studierenden, Lehrern, den Charité-Kollegen und Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Vor diesem Hintergrund gründete sich die WASG Berlin in Opposition zum rot-roten Senat. Viele Entwicklungen wie z. B. die Privatisierung von über 100.000 Wohnungen führten genau zu dem, was die WASG Berlin damals befürchtete und vorhersah: »Hier werden die Mieten zukünftig steigen. Wohnungen in guten Wohnlagen werden privatisiert, die räumliche Spaltung der Stadt nimmt dramatisch zu. Einkommensschwache Mieter werden in die Randlagen verdrängt.«[xii] Der Sozialatlas Berlin 2016 hat genau diese Vorhersage erneut bestätigt.

Die WASG Berlin warb damals »für einen gesellschaftlichen Aufbruch gegen Sozialabbau, Privatisierungen und Tarifflucht«, ohne die »eine andere Politik nicht möglich« ist. »Wir setzen auf Proteste, Demonstrationen und Streiks als Mittel von sozialen Bewegungen, allen voran der Gewerkschaften, um gegen die Interessen der Kapitalbesitzer, die Bedürfnisse von Beschäftigten, Erwerbslosen, Jugendlichen und Rentnern zu verteidigen.«[xiii]

An verschiedenen Stellen hätte die PDS und später Die Linke die Möglichkeit gehabt, die Koalition zu verlassen, der SPD die Verantwortung für den Sozialabbau zu geben und gemeinsam mit außerparlamentarischen Akteuren an den Aufbau einer Gegenbewegung zu gehen.

2016: »Weiter so«?

Geschichte wiederholt sich nicht eins zu eins. Heute gibt es eine gesellschaftliche Ablehnung von neoliberaler Politik und Privatisierung. Die Linke Berlin ist auch aus eigener Sicht an einigen Stellen zu weit gegangen. Dies hat sich in Teilen bereits in einem unterschiedlichen Herangehen in der ersten und zweiten Legislaturperiode gezeigt. Doch: Die grundlegende Politik von 2002 und 2011 wird noch heute gerechtfertigt, und eine erneute Regierungsbeteiligung in ähnlich staatstragender Manier wird angestrebt. Im Wahlprogramm 2016 kommt die Idee von gesellschaftlichen Protesten und Widerstand nahezu nicht vor. Dabei wurden 2015 und 2016 drei Erfolge gerade außerparlamentarisch erreicht:

  1. Der bundesweit erste Tarifvertrag für mehr Personal im Krankenhaus wurde durch Streiks an der Charité durchgesetzt.
  2. Verbesserungen im Bereich der sozialen Wohnraumversorgung wurden durch den Druck des Mietenvolksentscheids herbeigeführt.
  3. Die Offenhaltung des Tempelhofer Feldes (Flugfeld des ehemaligen Westberliner Flughafens Tempelhofs) wurde in einer Kampagne der Initiative 100 % Tempelhofer Feld erstritten.

Verbesserungen wurden in der Vergangenheit und werden in Zukunft nicht durch geschicktes Regierungshandeln, sondern durch Druck von unten durchgesetzt. Die Antikapitalistische Linke Berlin kommentierte am 11. März 2016: »Die These, dass Die Linke den Kapitalismus besser verwalten könne als andere neoliberale Parteien, ist falsch. (…) Die Linke würde, wenn sie nur mitspielt, statt die Bedingungen der Ausbeutung anzugreifen, überflüssig, und sie würde das Vertrauen derer verlieren, die heute noch Die Linke unterstützen. Wir müssen uns fortan von dem Gedanken lösen, dass der demokratische Sozialismus zu erreichen sei mit Anträgen und Beschlüssen im Parlament ohne gesellschaftliche Brüche und ohne eine wirkungsvolle Gegenmacht.«[xiv]

Quelle: Junge Welt vom 7. September 2016 

 

 

[i] Harald Wolf: »Der Staat ist kein Fahrrad. Problematiken linker Regierungsbeteiligung«, in: Luxemburg (2014), Nr. 1, S. 94–103

[ii] Harald Wolf: Rot-Rot in Berlin. 2002 bis 2011. Eine (selbst)kritische Bilanz. Hamburg: VSA-Verlag 2016, S. 317

[iii] Ebd., S. 31

[iv] Zitiert nach: Landesarbeitsgemeinschaft Berlinpolitik der WASG: Bilanz einer Schieflage, Fehlentscheidungen des Berliner SPD-Linkspartei.PDS-Senats, Berlin 2006, S. 2

[v] Oskar Lafontaine: »Alle für eine«, Tagesspiegel vom 20.6.2001

[vi] Joachim Fahrun: »Harald Wolf schwört Berliner PDS-Fraktion auf neuen Kurs ein«, Berliner Morgenpost vom 26.9.2004

[vii] Die Linke Berlin: Unser Plan für ein soziales und ökologisches Berlin, Landeswahlprogramm, www.die-linke-berlin.de/die_linke/parteitage/5_ landesparteitag/4_tagung/beschluss/02

[viii] Harald Wolf: Rede auf der 4. Tagung des 10. Landesparteitags der Linkspartei.PDS, 10.6.2006

[ix] Gerlinde Schermer: »Offenbar nichts gelernt«, Neues Deutschland vom 7.2.2005

[x] Programm der WASG Berlin zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses am 17.9.2006, S. 54

[xi] Ellen Brombacher/Carsten Schulz: 2006 erneut Rot-Rot in Berlin?, in: Edeltraut Felfe/Erwin Kischel/Peter Kroh: Warum? Für wen? Wohin? Sieben Jahre PDS Mecklenburg-Vorpommern in der Regierung. Schkeuditz: GNN Verlag 2005, S. 274

[xii] Bilanz einer Schieflage, a. a. O., S. 7

[xiii] Wahlprogramm WASG Berlin, a. a. O., S. 6

[xiv] Wir widersprechen! Erklärung der AKL Berlin zum Landesparteitag von Die Linke Berlin, 11.–13.3.2016, www.antikapitalistische-linke.de/?p= 1219#more-1219

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