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Klassenkampf in China

Eingereicht on 6. November 2016 – 18:14

China war drei Jahrzehnte lang die schnellstwachsende Volkswirtschaft der Welt. China ist auch Schauplatz für einige der grössten, skandalösesten und über die am wenigsten berichteten Arbeitskämpfe unserer Zeit.

Hao Ren und Fan Gang sind zwei AktivistInnen in dieser aufkommenden Arbeiterbewegung. Hao Ren arbeitete bei einer Arbeits-Nichtregierungsorganisation (NGO), bevor sie anfing, in den Fabriken auf dem Perlfluss-Delta zu arbeiten. Fan Gang arbeitet in diesen Fabriken seit seinem Abschluss. Sie organisieren zusammen mit den ArbeiterInnen kollektive Aktionen für die Verteidigung deren Rechte und Einkommen.

Hao Ren editierte zusammen mit Eli Friedman und Zhongjin Li das neue Buch, „China streikt: Geschichten des Widerstandes der ArbeiterInnen“ (China on Strike: Narratives of Workers’ Resistance), veröffentlicht im Haymarket Books Verlag. Fan Gang trug ebenfalls zu diesem Projekt bei. Während ihrer von Labor Notes und Haymarket Books gesponserten Sprechtournee trafen sich Hao Ren und Fan Gang mit Dennis Kosuth, einem langjährigen Sozialisten und Arbeitsaktivisten, um über ihr Buch und ihre Erfahrungen in der chinesischen Arbeiterbewegung zu reden.

 

Erzählt uns etwas über euren Hintergrund. Wie seid ihre dazu gekommen, euch für Arbeitskämpfe zu engagieren und „China streikt“ (China on strike) zu schreiben?

Hao Ren: Als ich noch auf dem College war, begannen mich die Armut auf dem Land und die Bedingungen, die Arbeitsmigranten antrafen, wenn sie in den Städten Arbeit fanden, zu kümmern.  Ich bemerkte, dass ihre Lage schrecklich war. Die Bauern und Arbeitsmigranten wurden nicht gut bezahlt und sehr ungerecht behandelt. Deshalb wollte ich etwas tun, um ihnen zu helfen.

Ein Lehrer stellte mir eine Arbeits-Nichtregierungsorgansiation (Arbeits-NGO) vor, für die ich zu arbeiten begann, nachdem ich 2000 meinen Abschluss gemacht hatte. Ich ging nach Guangdong, wo es mein Job war, Bauern Besuche abzustatten,  sie über ihre Situation zu befragen und über ihre Rechte aufzuklären. Dies machte ich einige Jahre lang. Die Dinge, die die Nichtregierungsorganisation (NGO) tat, waren eingeschränkt und konnten wenig ändern. Aber es gab für mich zu dieser Zeit keinen besseren Weg, Hilfe zu leisten.

Gleichzeitig merkte ich, dass es viele Streiks gab. Als die Wirtschaft noch gut war, erwirtschafteten die Chefs noch viel Geld. Die ArbeiterInnen mussten mehr arbeiten, wurden aber nicht höher bezahlt. Sie verlangten nach einer Entlöhnung, die mit dem Gesetz in Einklang stand, aber die Chefs lehnten ab. So fingen die ArbeiterInnen an, zu streiken, vielleicht für einen halben oder ganzen Tag, und gewannen für sich auf diese Weise beträchtliche Lohnerhöhungen.

Eine Sache, die mir auffiel, war, dass die städtischen ArbeiterInnen die Kämpfe dieser Arbeitsmigranten nicht unterstützen. Zu sehr waren sie von diesen abgeschnitten und kannten deren Erfahrungen kaum. Die Zeitungen und die Medien erzählten deren Geschichten auch nie.  Ich entwickelte einen Plan, um ihre Streiks zu veröffentlichen.

Ich interviewte die Arbeitsmigranten über ihre Umstände, woher sie kamen, woraus ihre Arbeit bestand, die Beziehungen der ArbeiterInnen unter sich und ihr Verhältnis zu den Vorgesetzten. Ich fokussierte auf ihre Erfahrungen mit den Streiks. Durch diese Streiks bekamen die ArbeiterInnen ein Verständnis ihrer eigenen Macht, zu einem besseren Leben zu kommen. Ich trug all ihre Geschichten in unserem Buch, „China streikt“ (China on strike), zusammen.

Fan Gang: Ich komme vom Norden, wo es viele Fabriken gibt. Ich bin vertraut mit der Lage der FabrikarbeiterInnen. Ich bin sehr besorgt um das Wohl der ArbeiterInnen. Nach meinem Abschluss versuchten meine Freunde und ich, die Lage der ArbeiterInnen besser zu verstehen und darüber zu diskutieren, was wir tun könnten.

Ein Weg, etwas zu tun, bestand daraus, in Fabriken zu arbeiten. Mich interessierte die Produktionstechnik, deshalb holte ich mir einen Job und studierte die Situation der MitarbeiterInnen, um zu lernen, wie ArbeiterInnen ihre Rechte besser schützen können. Danach diskutierten wir, wie wir die ArbeiterInnen besuchen und mit ihnen reden konnten. Wie trugen all diesen Erfahrungen im Buch zusammen.

Im Buch beleuchtet ihr die Probleme der Arbeitsmigranten. Welche Probleme haben sie, die sich von den Problemen anderer ArbeiterInnen unterscheiden oder ähneln?

Hao Ren: Die Gegend, die wir in dem Buch behandeln, liegt in der Nähe von Hong Kong in Guangdongs Perlfluss-Delta. Konzerne haben sich rapide in dieser Gegend ausgebreitet. Sie haben massive Industriezonen gebaut. Viele Einheimische sind darauf angewiesen, der Hong Kong Industrie Land zu verpachten, um Geld zu verdienen. Sie arbeiten nicht in den Fabriken. Stattdessen stellen die Konzerne Arbeitsmigranten aus umliegenden Gebieten wie Dongguan und Guangzhou an.

Vor dieser ganzen Expansionsgeschichte bestand diese Gegend aus vielen kleinen Dörfern. Mit dem Bauboom rissen der Staat und die Konzerne viele dörfliche Strukturen ab, ohne die einheimische Bevölkerung angemessen für ihr Land zu entschädigen. Mit dem Verlust ihres Landes verloren einheimische Bauern auch ihre Jobs. Sie fanden Arbeit in Haushalten oder als Hauswarte, oft in den neuen Universitäten.

Diese Leute sind grundsätzlich konservativ. Sie verlassen sich auf die Dorfoberhaupte und die Dorfräte, um Geburtsurkunden und offizielle Niederlassungspapiere zu erhalten, deshalb machen sie sich sorgen, dass es ihnen nicht möglich sein würde, zu bekommen, was sie brauchen, wenn sie ihnen widersprechen würden. Deshalb riskieren sie auch auf ihren Arbeitsplätzen nicht, Militanten zu sein.

Also sind die Aktivisten Migranten. Warum sind sie so militant? Weil sie keine Wurzeln in dieser Gegend haben. Sie können jederzeit wegziehen. Wenn zum Beispiel eine Person aus Hunan nach Guangdong zur Arbeit kommt, kann sie irgendwo anders hinziehen, falls der Streik fehlschlägt und sie ihren Job verlieren. Das ist der Hauptgrund, warum sich Migranten stärker in Streiks involvieren und die Einheimischen konservativer sind.

Die Konzerne wollen nicht, dass die Militanz der Arbeitsmigranten Verbreitung findet. Deshalb trennen sie einheimische und zugezogene ArbeiterInnen voneinander, um zu verhindern, dass sie miteinander kooperieren. Am meisten Angst jagt ihnen die Möglichkeit eines vereinigten Streiks aus einheimsichen und zugezogenen ArbeiterInnen ein. Dann wären sie nämlich in grossen Schwierigkeiten.

Was sind denn einige Gründe für die Streiks in China?

Hao Ren: 2008 geriet der grösste Teil der Welt in eine Rezession. Um zu verhindern, dass sich diese auf China auswirkt, gab der Staat viel Geld aus, um die chinesische Wirtschaft zu stimulieren. Das erhielt den Boom aufrecht. 2009 und 2010 traten viele ArbeiterInnen der Automobilindustrie in den Streik. Sie meinten, dass die Wirtschaft sich erholt habe, sich die Firmen die Gewinne aber nicht angemessen mit den ArbeiterInnen teilten.

Das ist der erste Grund, warum die Arbeiter anfingen, zu streiken. Der zweite Grund war die Altersversorgung. Falls eine Firma wegzog oder den Betrieb einstellte, würden die ArbeiterInnen ihre Altersvorsorge verlieren. Dies motivierte mehr ArbeiterInnen dazu, sich zu empören und für ihre Altersvorsorge in den Streik zu treten.

Jetzt da die chinesische Wirtschaft angefangen hat, sich zu verlangsamen, hat es viele Entlassungen gegeben, besonders in der Kohle- und Stahlindustrie. Wie hat sich dies auf die Kämpfe der ArbeiterInnen ausgewirkt?

Fan Gang: Die Wirtschaft hat sich dramatisch verlangsamt, und es gibt keine Anzeichen darauf, dass der Boom der vergangenen paar Jahrzehnte zurückkehren wird. In den letzten fünf bis zehn Jahren gab es Lohnerhöhungen für ArbeiterInnen, aber jetzt haben Massenentlassungen begonnen. Die Kohleminen wurden von der Verlangsamung und den Entlassungen am härtesten getroffen. Und wahrscheinlich wird es im kommenden Jahr noch mehr davon geben. Für die übriggebliebenen ArbeiterInnen gab es Lohnkürzungen. All dies hat eine neue Welle an Streiks heraufbeschworen.

Chinas Welle an Streiks über die Boomjahre und jetzt während der Verlangsamung ist bemerkenswert. Verallgemeinern die ArbeiterInnen ihre Erfahrungen in das Bedürfnis, landesweit einen Kampf auszutragen?

Hao Ren: Nicht wirklich. ArbeiterInnen sind von einander recht isoliert in den unterschiedlichen Arbeitsorten und Regionen. Zwar kommunizieren die ArbeiterInnen in einzelnen Fabriken, aber es kommt zu keiner fabrikübergreifenden Kommunikation. Also gibt es Streiks in einzelnen Fabriken, aber keine Streiks, die eine ganze Industrie erfassen könnten. Wir haben zwar eine Streikbewegung, aber keine generalisierte Gewerkschaftsbewegung.

Fan Gang: Es gibt keine breit angelegte, kollektive Organisation von ArbeiterInnen, und die Tradition der kollektiven Aktion ist noch nicht entwickelt. Deshalb ist es schwierig für die ArbeiterInnen, sich in einem breiter angelegten Kampf zu vereinen.

Was halten Sie von der staatsgeleiteten „Chinaweiten Föderation der Handelsgewerkschaften“ (All-China Federation of Trade Unions (ACFTU)?

Fan Gang: Sie ist eine merkwürdige Institution. Sie spielt eine grössere Rolle als Vermittlerin zwischen ArbeiterInnen und ihren Chefs als der einer Gewerkschaft. Auf der einen Seite hat sie, als sie unter Druck stand, ArbeiterInnen geholfen, sich ihrer Rechte bewusst zu werden. Aber sie hat wenige positive Resultate erzielt. Sie unterstützt die Streiks kleiner, lokaler Gewerkschaften nicht offen. Auf der anderen Seite versucht die Regierung, die ACFTU dahingehend zu benutzen, ArbeiterInnen zu kontrollieren und Streiks zu beenden.

Hao Ren: Die Regierung möchte die ACFTU dazu benutzen, Konflikte zwischen Konzernen und ArbeiterInnen zu schlichten. Also unterstützt sie manche Streiks, jedoch nicht die meisten. ArbeiterInnen sehen die ACFTU mehr als Repräsentatin der Regierung, wie das Arbeitsdepartement oder die Nachbarschaftsvereinigung, als ihre eigene Organisation.

Sie hoffen, dass sie ihnen dabei helfen wird, ihre Probleme zu lösen. Aber das wird sie nicht. Wenn die Gewerkschaft die ArbeiterInnen unterstützen würde bei ihren Streiks, was selten vorkommt, bekämen sie das Gefühl, dass die Gewerkschaft gute Arbeit leistet. Aber im Allgemeinen fungiert sie mehr als Vermittlerin denn als Repräsentantin der ArbeiterInnen. Als solche ist sie recht nutzlos.

China nennt sich eine sozialistische Regierung, aber ihre ArbeiterInnen werden ausgebeutet. Was denken Sie? Lügt die Regierung?

Fan Gang: Darüber habe ich wenig nachgedacht und die meisten um mich herum genauso wenig. Jeder versucht sich einfach nur, durchzubringen. Deshalb haben wir noch nie über diese Sache nachgedacht. Vielleicht reden die Leute im kleinen Kreis drüber.

Hao Ren: Chinesische ArbeiterInnen reden in der Regel nicht über Politik. Das liegt nicht im Rahmen ihrer Vorstellungen. ArbeiterInnen können die Spannung zwischen sich und den KapitalistInnen und deren Unterdrückung spüren. Aber es wird sehr wenig über solch grosse Fragen diskutiert.

Wie steht es mit dem Verhältnis zwischen StudentInnen und ArbeiterInnen? ArbeiterInnen waren an den Tiananmen-Protesten ebenfalls beteiligt. Gibt es irgend eine Studentenbeteiligung oder die Beteiligung anderer Organisationen an diesen Arbeitskämpfen?

Fan Gang: Es ist viel Zeit vergangen seit den Tiananmen-Kämpfen. Heutzutage konzentrieren sich StudentInnen auf ihr Studium; sie wollen erfolgreich sein und ihre Reaktion auf die Streikenden ist sehr kalt. Es gibt ausser einzelnen Individuen fast keine Studentengruppen, die sich beteiligen. Die Vermögenden, die Mittelklasse und die Manager sind vereint in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber den ArbeiterInnen und deren Streiks.

Wie, glaubt ihr, wird euer Buch zur internationalen Solidarität zwischen amerikanischen und chinesischen ArbeiterInnen beitragen?

Hao Ren: Wir hoffen, dass dieses Buch einen kleinen Teil zum Schlagen von Brücken zwischen ArbeiterInnen in China und dem Rest der Welt beiträgt. In China selbst konnten wir dieses Buch nicht veröffentlichen; die Regierung verbot es. Also haben wir es in den USA veröffentlicht. Wir hoffen, dass es ein Fenster öffnet, um die Welt sehen zu lassen, was in China geschieht. Einer der Beweggründe unseres Besuchs hier (in den USA) ist es, zu verstehen, wie amerikanische ArbeiterInnen ihre Streiks gewinnen, sodass wir diese Lehren zurück mit uns nach China nehmen können.

Quelle: International Socialist Review; Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch

 

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