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Wählerbashing nach US-Präsidentschaftswahlen ist fehl am Platz

Eingereicht on 5. Dezember 2016 – 9:45

Angela Klein. Soviel Zerknirschung der liberalen Presse über ihre eigene «Abgehobenheit» war noch nie. Doch was bleibt davon hängen? Dass der «weiße Arbeiter» auch in den USA am Aufstieg des Rechtsextremismus schuld ist, nachdem er diese Suppe schon in Großbritannien eingebrockt hat.

Die Schelte ist nicht neu – es sei nur daran erinnert, dass bei der «Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit» in der westdeutschen Nachkriegszeit mit Vorliebe, und immer wieder falsch, darauf verwiesen wurde, es seien die deutschen Arbeiter gewesen, die Hitler gewählt hätten. Die Gleichsetzung «rot = braun» wird jetzt wieder aufgewärmt, wenn darauf verwiesen wird, dass Sanders-Wähler lieber Trump wählten als die Kandidatin der Demokraten.

Das war zweifellos der Fall. Ob es aber bedeutet, dass die «abgehängten, weißen Arbeiter aus den Vorstädten und den ländlichen Gebieten» deswegen alle Rassisten sind, wie gern unterstellt wird, das bleibt noch sehr dahingestellt.

So sei das Wahlergebnis noch einmal rekapituliert:

Trump hat gewonnen, weil Clinton verloren hat

In absoluten Zahlen hat Trump mit 61,57 Millionen Stimmen gegenüber Mitt Romney in 2012 640000 Stimmen dazugewonnen*, aber durchaus nicht das beste Wahlergebnis für die Republikaner erzielt (das tat George W. Bush 2004 mit 62 Mio.). Clinton hingegen hat mit knapp 63 Millionen Stimmen gegenüber Obama 2012 fast 3 Millionen Stimmen verloren – also das Fünffache von dem, was Trump gewonnen hat!

Obwohl Clinton in Prozentzahlen (47,7% zu 46,8%) und in absoluten Zahlen mehr Stimmen geholt hat als Trump, hat sie dennoch verloren, weil die Wahl eine indirekte ist (es werden nur Wahlmänner gewählt) und zudem in jedem Bundesstaat das einfache Mehrheitswahlrecht gilt, nach dem Prinzip: The winner takes it all.

Barack Obama hatte 2008 mit über 69,5 Mio. Stimmen das beste Wahlergebnis in der Geschichte der Demokratischen Partei eingefahren; während seiner Amtszeit hat er 8 Millionen davon wieder verloren. Die Wahlbeteiligung ist das dritte Mal in Folge (bei gleichzeitig steigender Wahlbevölkerung!) gesunken: von 59% im Jahr 2012 auf etwas über 55% in diesem Jahr.

Wer wählte Trump?

Waren die weißen Arbeiter schuld am Wahlsieg Trumps? Umfragen beim Wahlausgang (sog. Exit Polls), die die New York Times in Auftrag gegeben hat**, ergeben, dass die Trump-Wähler zum überwiegenden Teil weiß, männlich und über 45 Jahre waren, wobei der niedrigere Bildungsabschluss nur unter den weißen Wählern einen starken Ausschlag zugunsten von Trump gegeben hat.

Die Nichtweißen stimmten mit über 70% für Clinton, gleich welchen Abschluss sie hatten. Und Trump zog auch unter weißen Menschen mit Hochschulabschluss mehr Stimmen als Clinton.

Interessanter noch sind die Werte nach Einkommensklassen: In den beiden untersten Einkommensklassen (bis zu 50000 Dollar Jahreseinkommen) zog Clinton über 50% der Stimmen – mit deutlichem Abstand zu Trump, der hier durch die Bank 10 Prozentpunkte weniger holte; in den vier darüber liegenden Einkommensklassen (von 50000 bis 250000 und darüber) aber lag jedesmal Trump vorne. Soviel zum Mythos von Trump als neuem «Arbeiterführer».

Richtig ist, dass es ein Stadt-Land-Gefälle gab, mit allen kulturellen Verschiedenheiten, die damit einhergehen: familiäre Bindung, Religiosität, sexuelle Orientierung, Patriotismus.

Eine Breitbandanalyse des führenden Meinungsforschungsinstitut der USA, Gallup, legt eine etwas andere Sicht nahe:

«Die meisten Trump-Unterstützer sind Teil der traditionellen Mittelschicht (Selbständige) und jener Teile der neuen Mittelschicht, die keinen College-Abschluss benötigt. Sie leben bevorzugt in ‹weißen Enklaven›, isoliert von Einwanderern und Menschen anderer Hautfarbe; ihr Gesundheitszustand ist schlechter als der der Durchschnittsamerikaner und ihre Aufstiegschancen gering. Sie sind nicht direkt vom Niedergang der Industrie im Mittleren Westen oder von Einwanderung betroffen, doch haben sie einen Niedergang ihres Lebensstandards erfahren und haben Angst, dass ihre Kinder einmal aus der Mittelschicht absteigen werden.»

Die «weißen, ungebildeten Arbeiter» bildeten nicht die Mehrheit der Trump-Wähler, aber sie haben – vor dem Hintergrund des Mehrheitswahlrechts in den USA – in den vom industriellen Niedergang betroffenen Staaten des Mittleren Westens den Ausschlag gegeben: In Michigan verfehlte Clinton die Mehrheit um nicht mal 6000 Stimmen, in Wisconsin um 14000 Stimmen. Rein rechnerisch haben Pennsylvania (33000 Stimmen Abstand) und Florida (60000) die Wahl entschieden. Clinton hat ihren Wahlkampf darauf konzentriert, im republikanischen Lager zu fischen, um die traditionellen Hochburgen der Demokraten glaubte sie, sich nicht bemühen zu müssen.

Es wäre auch falsch, aus der Zustimmung für Trump zu folgern, seine Wählerschaft bestehe nur aus Rassisten und Islamophoben. Viele von denen, die am Ende Trump gewählt haben, waren vorher begeisterte Anhänger von Bernie Sanders gewesen. Und sie haben nicht über Nacht ihre Überzeugungen gewechselt: Ihre Alltagssorgen waren ihnen schlicht wichtiger als Trumps rassistische und frauenfeindliche Rhetorik.

Die liberale Öffentlichkeit hat den Kopf geschüttelt, dass jemand wie Trump, der bei seinen Hetztiraden notorisch – und provokatorisch – mit falschen Behauptungen jongliert, ernst genommen werden kann. Sie hat gemeint, wenn sie ihn in die Ecke des tumben, unwissenden Brüllers steckt, würde er sich selbst disqualifizieren. Mehr noch: Sie hat gehofft, die Angst vor Trump werde Clinton die Wähler von selbst zuspülen.

Die Rechnung ist nicht aufgegangen. Und nicht deshalb, weil die Leute so dumm gewesen wären, Lügen nicht als Lügen zu erkennen. Sondern weil sie Clinton auch nichts mehr glauben können und Trump im Gegensatz zu ihr als jemanden empfanden, der «sagt, wie es ist».

Immerhin gaben bei den Exit Polls 49% der Trump-Wählenden an, sie hätten Vorbehalte gegenüber ihrem Kandidaten, nur 42% standen «voll hinter ihm».

Obamas Bilanz

Die Große Rezession 2007/2008 hat Amerikas Mittelschicht hart gebeutelt. Millionen Menschen haben darin ihre Wohnung, ihre Ersparnisse und ihre Altersversorgung verloren. Viele mussten einen auskömmlichen und sicheren Jobs gegen einen schlecht bezahlten und prekären eintauschen, mussten vielleicht obendrein noch ihr Haus verkaufen, weil sie die Kreditraten nicht mehr bezahlen konnten, und sind auf einem Berg Schulden sitzen geblieben. Den größten Absturz erlitten Menschen ohne Hochschulabschluss.

In den letzten Jahren hat sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt zwar wieder verbessert. Doch bietet Arbeit inzwischen auch den Weißen in den USA nicht mehr notwendig eine Existenzsicherung, viele kommen schlicht nicht mehr auf die Beine. Es sind auch viele immer noch von Zwangsräumungen bedroht. Die Summe der Kreditkartenschulden liegt derzeit bei 1 Billion Dollar. Die Selbstmordrate ist die höchste seit 30 Jahren.

Trump hat diese Menschen angesprochen. Er hat nicht nur gegen das politische Establishment, Schwule und Ausländer gehetzt, er hat auch von den «vergessenen Männern und Frauen in unserem Land» gesprochen, «Menschen, die hart arbeiten, aber keine Stimme mehr haben», von den «entlassenen Arbeitern und den Gemeinden, die von schrecklichen und ungerechten Freihandelsabkommen erdrückt werden». Diesen Menschen hat er drei Dinge versprochen: dass Jobs wieder in die USA zurückkehren und die Freihandelsabkommen neu verhandelt werden; dass Migranten nach Hause geschickt werden; dass es ein gigantisches Investitionsprogramm in die marode Infrastruktur geben wird.

Diese Versprechen, sofern sie denn eingelöst werden, haben allerdings einen grauenhaften Preis, denn Trumps Antimigrantenhysterie spült einen rechtsextremen Bodensatz an die Fleischtöpfe, der die elementaren demokratischen Freiheiten in Frage stellt.

Gespaltenes Land

Die Umfrage der New York Times zeigt noch etwas anderes: nämlich ein tief gespaltenes Land mit stark polarisierten (Selbst-)Einschätzungen und Erwartungen. 83% der Clinton-Wählenden fanden die wirtschaftliche Lage Amerikas «exzellent», 79% der Trump-Wählenden fanden sie «schlecht». Für 72% der Clinton-Wählenden hatte sich die Lage ihrer Familie «verbessert», für 78% der Trump-Wählenden hat sie sich «verschlechtert». 59% der Clinton-Wählenden erwarten, dass es der nächsten Generation besser geht, 63% der Trump-Wählenden, dass es ihr schlechter geht.

Bei einer solchen Polarisierung der Wahrheiten ist es leicht, die jeweils andere Seite nur als Lügenbeutel wahrzunehmen. Wo Trump sagte: «It’s all hell», antwortete Clinton: «It’s all well». Obama hatte die Wahlen von 2008 noch mit dem Versprechen, einen Wandel herbeizuführen, gewonnen. Clinton aber versprach ein «Weiter so!» – und das Versprechen auf eine bessere Zukunft, einschließlich sozialer Verbesserungen, rollte ins Lager von Trump.

Der einzige, der Trump hätte Paroli bieten können, wäre Bernie Sanders gewesen. Auch er hat die Nöte der arbeitenden Bevölkerung angesprochen, ihre Verzweiflung aber nicht gegen Migranten und Muslime gewendet, sondern gegen die Banken und Konzerne – die 1%, die Amerika ausbluten. Sanders aber rief am Ende zur Wahl Clintons auf und hat damit mit dem Arsch eingerissen, was er zuvor mit den Händen aufgebaut hat. Hätte er seine Abmachung mit dem demokratischen Establishment gebrochen – dass er als Nichtparteimitglied auf der Liste der Demokraten kandidiert, dann aber loyal zur Siegerin der Nominierung steht –, hätte er «den vergessenen Männern und Frauen» eine Stimme gegeben – Menschen, zu denen die Kandidatin der Grünen, Jill Stein, trotz ihres Achtungserfolgs von einer Million Stimmen keinen Zugang fand. Er hätte einen Schritt gemacht zu einer vom großen Geld unabhängigen politischen Vertretung der Arbeiterklasse.

*Stand vom 16. November 2016.

**www.nytimes.com/interactive/2016/11/08/us/politics/election-exit-polls.html?_r=0.

Quelle: sozonline.de… vom 5. Dezember 2016

 

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