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 Griechenland: „Demokratisierung der Goldenen Morgenröte“?

Eingereicht on 18. Dezember 2016 – 17:01

Ehemaliger Justizminister von Tsipras möchte die faschistische Partei salonfähig machen. Tsipras, gestern noch mit der von ihm angeführten Regierungspartei Syriza der umjubelte Held eines angeblich „erfolgreichen“ Modells

zur „Neuzusamensetzung der Linken“, machte spätestens nach seinem Regierungsantritt vorbald zwei Jahren alle geforderten Zugeständnisse an die nationale und internationale Bourgeoisie, nur um an der Macht zu bleiben. Die Regierung um Syriza setzt heute die harten, von der Troïka geforderten Angriffe auf die Einkommen, die Arbeits- und Lebensbedingungen der griechischen Arbeiterklasse gnadenlos durch. Und nun spielen führende Funktionäre von Syriza den Vorfall um den ehemaligen Justizminister herunter. Wir berichteten und intervenierten mehrfach im Rahmen der Debatte um die „Breiten Parteien“. [Redaktion maulwuerfe.ch]

Wassilis Aswestopoulos. Der ehemalige Justizminister der ersten beiden Regierungen von Premierminister Alexis Tsipras, Nikos Paraskevopoulos, hat am Sonntag mit einem Interview in der Zeitung Vradini für erheblichen Wirbel in der griechischen politischen Welt gesorgt. Er empfiehlt eine Annäherung an die Goldene Morgenröte (Chrysi Avgi), um die neonazistische Partei zu demokratisieren.

Die Äußerungen stellen den Premier, der gerade in der Nacht von Samstag auf Sonntag mit 152 von 300 Stimmen sein Budget durchs Parlament bekam, vor ein ernsthaftes Dilemma. Kann er Paraskevopoulos in die Schranken weisen?

Paraskevopoulos, ein emeritierter Juraprofessor, war im Januar 2015 von Tsipras als außerparlamentarischer Experte ohne Parteizugehörigkeit zum Justizminister ernannt worden. Bei den vorgezogenen Neuwahlen im September 2015 bekam er einen sicheren Listenplatz vor vielen alteingesessenen Parteimitgliedern. Jetzt, als einfacher Abgeordneter, gab er der Zeitung Vradini ein Interview. In diesem wurde er gefragt, wie er zu der Tatsache stünde, dass Verteidigungsminister Panos Kammenos, Vizeverteidigungsminister Dimitris Vitsas und eine Gruppe von Abgeordneten der Regierungskoalition zusammen mit drei Abgeordneten der Goldenen Morgenröte demonstrativ zu griechischen Grenzinseln flogen. Das sollte dazu dienen, gegenüber den immer aggressiver auftretenden und die Grenzen anzweifelnden türkischen Politikern Einigkeit und Entschiedenheit zu demonstrieren. Das Ganze wurde mit einem militärischen Touch garniert. Die Reise zu den Inseln fand per Militärhubschrauber statt.

Dort wurde die Delegation jeweils von einer Abordnung der auf Ro, Megisti (Strogyli) und Kastelorizo stationierten Truppen mit allen Ehren begrüßt. Das seit 2013 laufende Ermittlungs- und Gerichtsverfahren gegen die Goldene Morgenröte, in der die Parteiführung wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt und in der über politisch und rassistisch motivierte Morde, wie an dem Rapper KillahP verhandelt wird, ist immer noch nicht abgeschlossen.

Für die Verzögerung des unter Tsipras Vorgänger Antonis Samaras begonnenen Verfahrens wird von zahlreichen Kritikern die SYRIZA-Unabhängige Griechen-Koalition verantwortlich gemacht. Tatsächlich wurden Prozesstage wegen eines lange anhaltenden Streits um einen passenden Gerichtssaal für mehrere Monate verschoben.

Blankes Entsetzen über den Vorschlag

Der Vorfall hat in Griechenland für einen offenen Schlagabtausch auch innerhalb der Regierungsparteien gesorgt. Die Parteizeitung von SYRIZA, die Avgi, schloss sich der Kritik von Nea Dimokratia, PASOK, KKE, To Potami und außerparlamentarischen Oppositionsparteien an. Sie verurteilte die Gruppenfotos von SYRIZA-Abgeordneten mit Nazigrößen als ungeheuerlichen Akt. Es sei beschämend, meinte Chefkommentator Thanassis Karteros. Im Wiederholungsfall, schloss er, müsse man über eine Scheidung nachdenken.

Ganz anders Paraskevopoulos. Als er im Interview gefragt wurde, wie er zu dem Vorfall stünde, reagierte er überraschend. Man müsse, meinte der frühere Justizminister, die Ausgrenzung der Goldenen Morgenröte überdenken, und stattdessen die Partei demokratisieren, sagte er.

„Das Bild des Zusammenseins auf Kastelorizo und Ro hat vielen von uns nicht gefallen“, führte er aus, „andererseits müssen wir uns entscheiden, was wir wollen, die Goldene Morgenröte ins Klima der Demokratie einzuführen oder ständig einen Riss zu provozieren.“ Dem Satz folgte seine eigene, eindeutige Einstellung zum Thema: „Meiner Meinung nach muss es zunächst einen ernsthaften Annäherungsversuch geben.“ Paraskevopoulos ist der Ansicht, dass die Frage, ob die Goldene Morgenröte sich an die demokratischen Werte annähern will davon abhängt, wie die anderen Parteien zu ihr stehen. Wenn also die Goldene Morgenröte sich nun anschicken würde, demokratische Strukturen zu akzeptieren, dann müsse sie dabei, so betonte Paraskevopoulos, von den anderen Parteien unterstützt werden.

Die Äußerungen des von Tsipras persönlich ausgewählten Politikers sorgten in Griechenland bei den angesprochenen übrigen Parteien für blankes Entsetzen. Schließlich gilt die Goldene Morgenröte hier wegen zahlreicher gewalttätiger Übergriffe aber auch wegen ihrer Rassenideologie als inakzeptabler Gesprächspartner.

Als es unter der Regierung von Tsipras Vorgänger Antonis Samaras einen ähnlichen, nicht öffentlichen Vorstoß von Samaras damaligem Kabinettschef Takis Baltakos gab, musste dieser seinen Hut nehmen. Baltakos hatte in informellen Gesprächen mit dem prominenten Pressesprecher und Abgeordneten der Goldenen Morgenröte Ilias Kasidiaris das versucht, was Paraskevopoulos nun vorschlägt. Kasidiaris nutzte heimliche Gesprächsmitschnitte zu seiner Verteidigung, als er wegen „Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation“ angeklagt wurde. Pikanterweise hatte Kasidiaris seinerzeit auch die Gespräche mit dem hochrangigen Politiker Baltakos als Beleg herangezogen, dass seine Partei eben keine kriminelle Organisation, sondern schlicht eine nationalistische Partei sei.

Damals hatte SYRIZA als größte Oppositionspartei am lautesten nach der sofortigen Ablösung Baltakos geschrien. Samaras selbst hatte Baltakos, der nach eigenem Bekunden auf eigene Initiative handelte, den Stuhl vor die Tür gesetzt, bevor Baltakos sich rechtfertigen konnte. Die gesamte Führungsspitze von SYRIZA hatte dennoch dem ehemaligen Premier Samaras die Verantwortung für die Affäre angelastet.

Im aktuellen Fall klingen die Verlautbarungen dagegen anders. Nun sehen führende Mitglieder von SYRIZA, wie der Vizepräsident des Europaparlaments Dimitris Papadimoulis in den strittigen Äußerungen Paraskevopoulos lediglich dessen persönliche Meinung, die „nicht im Einklang mit der Parteilinie steht“.

Direkt nach Bekanntwerden des Interviews rumorte es selbst in der Parteibasis von SYRIZA über die fehlende Reaktion der Führungsspitze. In sozialen Netzwerken riefen SYRIZA-Anhänger Premierminister Tsipras auf, Paraskevopoulos umgehend aus der Fraktion zu werfen und dessen Rücktritt vom Abgeordnetenmandat zu verlangen.

Quelle: heise.de… vom 12. Dezember 2016

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