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Trump, Rassismus und das Proletariat

Eingereicht on 24. Dezember 2016 – 17:41

 Juan Cruz Ferre. Rassismus unter Arbeiter*innen darf nicht kaschiert oder verziehen werden. Die Einheit der Arbeiter*innenklasse beginnt damit, die Forderungen der am meisten unterdrückten Sektoren zu unterstützen.

Der unerwartete Sieg von Trump hat die Diskussion um Rassismus und White Supremacy wieder neu entfacht. Manche gelangen zu dem Schluss, die weiße Arbeiter*innenklasse hätte geschlossen für Trump gestimmt und wäre für seinen Sieg verantwortlich. Aber die Situation ist nicht so einfach. Diese falsche Interpretation unhinterfragt zu wiederholen, vertieft nur die Spaltung der Arbeiter*innenklasse und erschwert den gemeinsamen Kampf gegen Trump und die Bosse.

Haben weiße Arbeiter*innen Trump zum Sieg verholfen? Trump hätte ohne die Unterstützung von Millionen weißen Arbeiter*innen nicht gewinnen können. Diese Leute haben einen rassistischen Fanatiker gewählt, der Mexikaner*innen beleidigte, sich ständig sexistisch äußerte und andauernd Muslim*innen attackierte. Wir dürfen über die, die ihn wählten, nicht unschuldig sprechen, auch nicht die Arbeiter*innen unter ihnen.

Es ist jedoch ein Irrtum zu glauben, die Mehrheit der weißen Arbeiter*innen hätte ihn gewählt. Die Kategorie „Weiße ohne College-Abschluss“ ist nicht gleichzusetzen mit „weiße Arbeiter*innen“, ein häufiger Fehler bürgerlicher Medien und der Wähler*innenbefragung. Viele dieser Leute ohne College-Abschluss sind Kleinunternehmer*innen, gehören also zur Mittelklasse. Ein Zeichen des Einflusses der Mittelklasse auf den Sieg von Trump ist, dass Trump-Wähler*innen im Durchschnitt wohlhabender sind als diejenigen, die für Hillary Clinton gestimmt haben. Trump verlor besonders eindeutig bei Leuten, deren Jahreseinkommen unter 50.000 US-$ liegt. Das trifft auf die Hälfte der US-Bevölkerung zu, auch wenn sich nur 36 Prozent von ihnen überhaupt an der Wahl beteiligt haben.

Selbst unter den Wahlberechtigten stimmten lediglich 19,5% für Trump. Unter den weißen Wahlberechtigten, die 69 Prozent der Wahlberechtigten ausmachen, stimmten nur 35 Prozent für Donald Trump – 65 Prozent der weißen Wahlberechtigten gaben ihre Stimme Hillary Clinton oder einem*einer dritten Kandidat*in oder wählten gar nicht.

Da die meisten Wahlberechtigten aus den unteren Einkommensschichten gar nicht zur Wahl gingen, können wir mit Sicherheit sagen, dass die Unterstützung für Trump unter weißen Arbeiter*innen unter 35% lag.

Der Großteil der weißen Arbeiter*innen hat also nicht für Trump gestimmt. Wir müssen diese Tatsache betonen, denn wenn wir davon ausgehen, dass weiße Arbeiter*innen mehrheitlich Trump unterstützen, dann treffen wir womöglich die falschen Entscheidungen. Dabei ist die Nachricht, dass Millionen Arbeiter*innen für Trump gestimmt haben, schlimm genug.

Tatsächlich zeigen Wähler*innenbefragungen, dass Trumps Sieg in den Staaten der ältesten und größten Industrieregion der USA, dem sogenannten Rust Belt, also Ohio, Wisconsin, Michigan, Iowa und Pennsylvania, vor allem auf einem Rückgang der Wahlbeteiligung demokratischer Wähler*innen beruht und nicht so sehr auf einer gestiegenen Unterstützung für Trump. Die weitläufige Missgunst gegenüber Hillary Clinton und die tiefe Enttäuschung gegenüber Obama veranlasste viele nicht-weiße Wahlberechtigte dazu am Wahltag zu Hause bleiben. Dies erhöhte gleichzeitig die Motivation weißer Arbeiter*innen, die zuvor die Demokratische Partei gewählt hatten, nun für Trump zu stimmen.

Motivationen

Trotz der Tatsache, dass weiße Arbeiter*innen in der Mehrheit nicht hinter Trump stehen, ist es Fakt, dass Millionen Arbeiter*innen Trump wählten. Die große Frage ist nun: Haben die Unterstützer*innen von Trump ihn wegen seiner Anti-Establishment-Rhetorik gewählt oder wie groß war der Einfluss seiner fremdenfeindlichen Stimmungsmache?

Obwohl es unmöglich ist, dies mit absoluter Sicherheit zu beantworten, sind einige Anhaltspunkte klar vorhanden. Diejenigen, die Trump wählten, waren entweder mit seinen rassistischen Äußerungen einverstanden oder haben sie als einen kleinen Makel toleriert – etwas, das nicht so bedeutend war, als dass es sie von ihrer Unterstützung abhalten könnte. Ein Teil hat Trumps rassistische Äußerungen mehr als bloß toleriert. Wir haben gesehen, dass Rassist*innen und nationalistische Fanatiker*innen an seinen Kundgebungen teilgenommen haben. Der Aufstieg der sogenannten Alt Right mit ihrer Präsenz in den sozialen Netzen und der Anstieg der Straftaten mit einem fremdenfeindlichen Hintergrund seit der Wahl von Trump sind ein Ausdruck davon.

Es ist falsch zu glauben, alle Unterstützer*innen von Trump wären rassistische Fanatiker*innen, die meinen, weiße Menschen seien nicht-weißen Menschen von Natur aus überlegen. Es gibt mit großer Sicherheit einige Schichten verarmter Arbeiter*innen und Kleinbürger*innen, die von Trumps Anti-Establishment-Rhetorik angelockt wurden und seinen Rassismus lediglich tolerieren. Es gibt einige Gründe dies zu glauben: Einmal die angebliche Wähler*innenwanderung von Obama zu Donald Trump, den außergewöhnlichen Wahlerfolg von Trump in Staaten, in denen Bernie Sanders die Vorwahlen gewann, sowie Anekdoten hier und da, die die Vermutung bestätigen. Unter denen, die sagten, dass sich ihre Lebensbedingungen in den letzten vier Jahren verschlechterten, wählten 78 Prozent Trump und bloß 19 Prozent Hillary Clinton.

Das zeigt, dass es andere Gründe als Rassismus gab, für Trump zu stimmen. Allerdings müssen wir uns von den Trump-Wähler*innen klar abgrenzen, welche Gründe sie auch gehabt haben. Diejenigen, die aus wirtschaftlichen Gründen für Trump gestimmt haben, anstatt auf die Solidarität der Arbeiter*innenklasse zu setzen, wählen die falsche Richtung und stellen ein Hindernis für das Erlangen der Einheit der Arbeiter*innenklasse dar. Aus diesem Grund ist es falsch, sie zu entschuldigen, ihnen Sympathie zu zeigen oder ihre Wahl zu rechtfertigen. Wenn wir einen Widerstand gegen die Regierung und den Aufstieg der Rechten aufbauen wollen, dann brauchen wir dazu die Einheit unserer Klasse und die beginnt mit dem Schulterschluss unabhängig von Sexualität, Geschlecht, Hautfarbe, Kultur oder Ethnie.

Proletariat, Ideologie und Wettbewerb

Die Fragmentierung der Arbeiter*innenklasse aufgrund ethnischer oder rassistischer Maßstäbe ist eine Tragödie. Sie untergräbt die Stärke unserer Klasse, schwächt die gesamte Arbeiter*innenbewegung und bremst den Kampf gegen den Kapitalismus.

Rassistische Vorurteile unter Arbeiter*innen sind real. Wir können nicht die Einheit der Klasse herstellen, wenn wir diesen Umstand leugnen oder ignorieren. Nachdem wir das erkannt haben, besteht die Aufgabe darin, die Kräfte, die rassistische Vorurteile befeuern, zu identifizieren und zu erklären.

Es ist kein Geheimnis, dass in Zeiten wirtschaftlicher Krisen migrantische Arbeiter*innen und andere Minderheiten nützliche Sündenböcke sind. Trumps Äußerungen gegen Latino*as und Muslim*innen sind ein Beispiel wie aus dem Lehrbuch.

Unterzog Trump Millionen Menschen einer Gehirnwäsche? Die Wahrheit ist, rassistische Vorurteile werden nicht allein von Trump und der herrschenden Klasse im Allgemeinen angetrieben, um zu spalten und zu herrschen. Das falsche Bewusstsein ist als Erklärung völlig unzureichend. Mit anderen Worten: Um die Realität zu verstehen, reicht es nicht aus, eine Theorie zu verwenden, in der die Bosse die Einzigen sind, die Kultur und Ideologie prägen und in der die Arbeiter*innen lediglich Marionetten sind, die darauf programmiert werden, nicht-weiße Menschen zu hassen.

Leider haben Arbeiter*innen in verschiedenen historischen Situationen den Rassismus bewusst angenommen und konnten in einigen Fällen von der rassistischen Spaltung profitieren, selbst wenn die Arbeiter*innenbewegung in ihrer Gesamtheit dadurch Schaden nahm und so letztendlich auch weiße Arbeiter*innen darunter litten.

Der falsche Gegner, der falsche Verbündete

Nach der Wahl von Ronald Reagan 1981 schrieben Johanna und Robert Brenner einen Artikel, der heute wieder unglaublich aktuell geworden ist.

Verwirrt vom Wahlerfolg von Ronald Reagan versuchten sich die beiden, einen Reim darauf zu machen, wie er so viel Zuspruch unter den Arbeiter*innen erhalten konnte. Ihren Aufsatz begannen die Brenners damit, den gesellschaftlichen Rechtsruck zu beschreiben, dessen Ausdruck die weitläufige Unterstützung für Reagan in der Arbeiter*innenklasse war. Auf der Suche nach einer Erklärung fanden sie eine eindrucksvolle Argumentation: Nach einem Rückgang der Organisierung und der Handlungsfähigkeit der Arbeiter*innenklasse und nach Jahren beständiger Niederlagen – mittlerweile sind es Jahrzehnte – neigen die Arbeiter*innen zu individuellen Lösungen ihrer sozialen Probleme, anstatt einen Kampf mit zweifelhaftem Ausgang gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner zu führen. Auch wenn Arbeiter*innen ein Kollektiv mit gemeinsamen Interessen darstellen, so sind sie doch gleichzeitig Verkäufer*innen ihrer Arbeitskraft, die miteinander konkurrieren.

Das bildet die materielle Grundlage zur Spaltung der Klasse in unterschiedliche Gruppen, Kulturen und Ethnien. Die privilegierten Sektoren der arbeitenden Klasse verteidigen ihre Position auf Kosten der weniger privilegierten Schichten des Proletariats. Dazu verbünden sie sich, sei es ausdrücklich oder unterschwellig, mit der herrschenden Klasse oder mit einem Teil davon.

Die Falle des Weißseins

Noel Ignatiev schrieb in seinem berühmten Werk „How The Irish Became White“ am Ende: “Die Tendenz einiger Arbeiter*innen, sich auf Grund ihrer gemeinsamen Hautfarbe mit dem Kapital zu verbinden, war und ist weiterhin das größte Hindernis für einen großen antikapitalistischen Diskurs innerhalb der Arbeiter*innenklasse.“

Sein Buch baut auf einer gründlichen historischen Analyse der Stellung irischer Migrant*innen in den USA auf. Diese waren zuvor im Vereinigten Königreich von einer starken Trennung von der britischen Arbeiter*innenklasse betroffen. In abgeschwächter Form setzte sich diese Trennung in den USA fort. Sie konnten ihre Position allerdings stärken, indem sie ihren Kampf strikt vom Kampf der afroamerikanischen Bevölkerung trennten. Es war damals nicht eindeutig, ob irische Migrant*innen zur privilegierten Gruppe der Weißen zählen oder nicht. Als sie sich entscheiden mussten, gemeinsam mit afroamerikanischen Arbeiter*innen gegen Ausbeutung und Unterdrückung zu kämpfen oder ihren Kampf alleine zu führen, entschieden sie sich für letzteres. Ihr Kampf für volle Bürger*innenrechte ging einher mit der fortlaufenden Unterdrückung nicht-weißer Arbeiter*innen. Während irische Migrant*innen vorher dazu gezwungen waren, die gefährlichsten und dreckigsten Arbeiten zu erledigen, hielten sie nun afroamerikanische Arbeiter*innen aus den Fabrikhallen fern, indem sie Arbeitsniederlegungen organisierten, sobald die Bosse nicht-weiße Arbeiter*innen anstellten.

Die irischen Migrant*innen lernten, sich von der afroamerikanischen Bevölkerung zu trennen und sie zu verachten, um ihre Anerkennung als Weiße zu erreichen.

David Roedinger berichtet, wie italienische Migrant*innen in den USA während des Zweiten Weltkriegs Afroamerikaner*innen im New Yorker Stadtteil Harlem verprügelten, um ihre Position als Weiße zu manifestieren. Eine*r der Italoamerikaner*innen, der*die an solchen Aktion gegen afroamerikanische Menschen teilgenommen hat, sagte später: “Es war wunderbar, es war etwas völlig Neues. Die Italoamerikaner*innen hörten auf italienisch zu sein und waren plötzlich amerikanisch.“ Generation nach Generation von Migrant*innen fiel auf die Lüge des Weißseins herein.

Das brachte ernste Konsequenzen mit sich. James Baldwin brachte es wie folgt auf den Punkt: “Weil sie sich vor allem als Weiße identifizierten, konnten sie mit nicht-weißen Arbeiter*innen keine gemeinsamen Kämpfe führen, aber so auch stärkere Repressionen abwenden. […] Es ist ein schrecklicher Widerspruch, aber jene, die glaubten definieren zu können, wer weiß und wer nicht weiß ist, entzogen sich so selbst die Möglichkeit zu entscheiden, wer sie sind.“

Solidarität zwischen Weißen und Nicht-Weißen ist möglich

Auf der anderen Seite festigen gemeinsame Kämpfe von nicht-weißen und weißen Arbeiter*innen das Band der Solidarität untereinander und stärken den Kampf der Arbeiter*innen gegen das Kapital. Ein Beispiel dafür findet sich im Buch von Brian Kelly „Race, Class and Power in the Alabama Coalfields; 1908-1921“. Vor dem Hintergrund des nach Hautfarbe getrennten Südens der USA, inmitten unzähliger Demonstrationen von Rassismus durch weiße Arbeiter*innen gegen Nicht-Weiße, war der Bergarbeiter*innen-Streik von Birmingham in Alabama ein hervorragendes Beispiel der Solidarität zwischen Arbeiter*innen unterschiedlicher Hautfarbe.

Im Jahre 1920 folgten 13.000 Bergarbeiter*innen einem Streikaufruf der örtlichen Bergarbeiter*innengewerkschaft in Birmingham, Alabama. Die Arbeitsniederlegung eskalierte dermaßen, dass es zum bewaffneten Widerstand der Arbeiter*innen kam, der nur durch die Entsendung bewaffneter Einheiten niedergeschlagen werden konnte und der Gewerkschaft eine langanhaltende Niederlage zufügte.

Das Ausmaß und der Charakter dieser Zusammenarbeit zwischen Arbeiter*innen unterschiedlicher Hautfarbe wurde unter Historiker*innen der Arbeiter*innenbewegung stets diskutiert und ist als Gutman-Hill–Debatte bekannt. Diese Debatte ist bis heute nicht abgeschlossen.

Der Autor Brian Kelly beschreibt die große Begrenztheit der Solidarität zwischen den Arbeiter*innen unterschiedlicher Hautfarbe und das Fortbestehen rassistischer Vorurteile unter den weißen Bergarbeiter*innen, selbst während der Streiks zwischen 1908 und 1920. In seinem Buch werden aber auch die großen Bemühungen der Minen-Besitzer*innen hervorgehoben, rassische Vorurteile zu schüren und die Belegschaft zu spalten.

So wurden Streikbrecher*innen ausschließlich aus der nicht-weißen Bevölkerung rekrutiert. Es wurde eine Zeitung mit rassistischer Propaganda und erfundenen Geschichten, in denen nicht-weiße Arbeiter*innen als Feinde und Verräter*innen dargestellt wurden, herausgegeben. Die Minen-Besitzer*innen zwangen die Regierung, weitere rassistische Gesetze zu erlassen und vieles mehr. Weil sie dem Druck des Gouverneurs und dem Vorwurf, einen rassistischen Umsturz zu planen, ausgesetzt war, verweigerte die Gewerkschaftsführung jeden Versuch, für die Angleichung der Löhne und Arbeitsbedingungen von weißen und nicht-weißen Arbeiter*innen zu kämpfen. „Die größten Profiteure der Unterdrückung der nicht-weißen Bevölkerung waren die großen Arbeitgeber*innen in der Stahl-, Eisen- und Kohleindustrie.“

Ein anderer – nicht weniger bedeutsamer – Aspekt im Buch von Brian Kelly ist, dass es zu einem solidarischen Bündnis unter Arbeiter*innen unterschiedlicher Hautfarbe kam, auch wenn es klein, begrenzt und zerbrechlich blieb. Trotz der unbestreitbaren rassistischen Vorurteile, des allgegenwärtigen Rassismus und der Spaltung aufgrund rassistischer Gesetze kämpften die Bergarbeiter*innen gemeinsam und bauten ein gemeinsames solidarisches Bündnis zwischen Arbeiter*innen unterschiedlicher Hautfarbe.

Die beiden wichtigsten Erkenntnisse aus Brian Kelly’s Buch sind A) dass die herrschende Klasse die Hauptkraft zur Aufrechterhaltung rassistischer Unterdrückung ist und den größten Nutzen daraus zieht, und B) dass das Potential eines gemeinsamen Kampfes von Arbeiter*innen unterschiedlicher Hautfarbe aufgrund gemeinsamer materieller Interessen vorhanden ist.

Aus der Kapitulation der Gewerkschaft, nachdem diese rassistisch angegriffen wurde, müssen wir Schlüsse ziehen. Wenn wir erfolgreich Einheitsfronten der Arbeiter*innen aufbauen wollen, dann muss die gesamte Arbeiter*innenklasse geschlossen die Forderungen der Unterdrücktesten vorantreiben, ohne Kompromisse.

Ursprünglich bei Left Voice erschienen

Quelle: klassegegenklasse.org… vom 24. Dezember 2016

 

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