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Martin Luther – ein deutscher Hassprediger

Eingereicht on 28. Dezember 2016 – 9:37

Marcus Hammerschmitt. Die Deutschen verehren gern, und nächstes Jahr ist wieder mal einer ihrer größten und ältesten Antisemiten dran.

Dass Martin Luther alles andere als eine Lichtgestalt der deutschen Geschichte war, sollte eigentlich niemanden mehr überraschen. Freilich dauern in Deutschland die Klärungen immer etwas länger. Luthers Karriere als Hassprediger hat weder die laufende „Lutherdekade“ verhindert, noch wird sie das „Reformationsjubiläum“ und die speziellen Festspiele zu seinen Ehren im kommenden Jahr beeinträchtigen.

Erstlich, daß man ihre Synagogen oder Schulen mit Feuer anstecke … daß man ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre … daß man ihnen alle Betbüchlein und Talmudisten nehme … daß man ihren Rabbinen bei Leib und Leben verbiete, hinfort zu lehren … daß man den Juden das Geleit und Straße ganz und gar aufhebe … daß man ihnen den Wucher verbiete und ihnen alle Barschaft und Kleinod an Silber und Gold nehme und zur Verwahrung beiseitelege … daß man den jungen starken Juden und Jüdinnen in die Hand gebe Flegel, Axt, Karst, Spaten, Rocken, Spindel und lasse sie ihr Brot verdienen im Schweiß der Nase. (Martin Luther)

Diese Empfehlungen Martin Luthers aus der Schrift Von den Juden und ihren Lügen (1543) ist gewöhnlich das eine Zitat, das angeführt wird, um seinen Judenhass zu belegen. Das ist kein Wunder, fanden sie doch ihre gründlichste Verwirklichung in den Novemberpogromen vom 9. auf den 10.11.1938, was von den zeitgenössischen Nachfolgern Luthers selbst hervorgehoben wurde. So schrieb zum Beispiel der evangelische Landesbischof von Thüringen, Martin Sasse:

Am 10. November 1938, an Luthers Geburtstag, brennen in Deutschland die Synagogen. Vom deutschen Volk wird zur Sühne für die Ermordung des Gesandtschaftsrates vom Rath durch Judenhand die Macht der Juden auf wirtschaftlichem Gebiete im neuen Deutschland endgültig gebrochen und damit der gottgesegnete Kampf des Führers zu völligen Befreiung unseres Volkes gekrönt. (…) In dieser Stunde muss die Stimme des Mannes gehört werden, der als der Deutschen Prophet im 16. Jahrhundert einst als Freund der Juden begann, der, getrieben von seinem Gewissen, getrieben von den Erfahrungen und der Wirklichkeit, der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist, der Warner seines Volkes wider die Juden. (Martin Sasse )

Das Problem mit der verständlichen Skandalisierung von Luthers Pogrom-Empfehlungen besteht darin, dass sie nicht nur die unfassbare Bösartigkeit der ganzen Schrift, aus der sie stammen, in den Hintergrund rückt. Auch die Tatsache, dass diese Schrift beileibe nicht die einzige ist, in der sich Luther gegen die Juden austobt, wird gern vergessen, und zu guter Letzt geschieht es mit schöner Regelmäßigkeit, dass die vielfältigen anderen Spielarten von mörderischem Hass, die dieser deutsche Held predigte, durch das eine Zitat unsichtbar gemacht werden. Dabei lohnt es sich durchaus, näher hinzusehen.

Hexenwahn und mörderische Destruktivität

So schürte Luther zum Beispiel mit großer Nachhaltigkeit den spätmittelalterlichen Hexenwahn. Es sind über 30 Hexenpredigten von ihm erhalten, die in von einer barbarischen Verfolgungslust sprechen und Musterbeispiele des erotisierten, abergläubischen Irrsinns darstellen, der im ausgehenden Mittelalter und in der frühen Neuzeit Zehntausende von Opfern forderte. In seinen Auslassungen wimmelt es nur so von Teufelshuren, Buhlteufeln, Wechselbälgern und Teufelskindern.

Mit dem Hexenwahn ging logischerweise bei Luther eine gesteigerte Frauenfeindlichkeit einher, waren ihm doch die phantasierten Hexen ein Beleg dafür, dass die Frauen dem phantasierten Teufel von Natur aus näher stünden.

Vor allem nach Luthers Tod gab es sehr wohl Geistliche, die versuchten, die Raserei einzudämmen, aber Luthers Reden von Tod und Teufel hatten ihre spezifische Wirkung bereits getan. Ein schönes Beispiel dafür ist Heinrich Julius (1564 – 1613), Herzog zu Braunschweig und Lüneburg und Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel. Inspiriert von Luther dirigierte er eine Verfolgungswelle, die noch über seinen Tod hinaus anhielt und bei 114 Prozessen wegen Zauberei zu 50 vollstreckten Todesurteilen führte.

Bauernmörder

Die Bauern, die Luthers frühe Schriften als Rechtfertigung für ihre Revolte missverstanden hatten, wurden von ihm verraten, als absehbar war, dass sie ihren Kampf um soziale Gerechtigkeit verlieren würden. Analog zu seinem Vorgehen gegen die „Hexen“ und die Juden verwendete er seine demagogischen Fähigkeiten dazu, die Aufständischen der obrigkeitlichen Verfolgung preiszugeben und ihre Niedermetzelung theologisch zu rechtfertigen.

In seiner Schrift „Ob Kriegsleute in seligem Stande sein können“ von 1526 schrieb er folgerichtig:

Ich möchte mich fast rühmen, dass seit der Zeit der Apostel das weltliche Schwert und die Obrigkeit noch nie so deutlich beschrieben und gerühmt worden ist wie durch mich.

Wer wissen will, wie man das Christentum auf mörderische Destruktivität trimmen kann – und das im Namen des Friedens – der kommt um diese Schrift nicht herum. Luthers Hassreden gegen Behinderte und gegen Türken können hier nur beiläufig erwähnt werden; die Existenz körperlicher und geistiger Behinderung und der expansive Erfolg des Islam waren für ihn selbstverständlich das Ergebnis von Teufelswerk.

Keine Verirrungen

Wie reagieren nun Lutherfans, wenn sie mit diesen Belegen für den Wahncharakter und die Bösartigkeit von Luthers Überzeugungen konfrontiert werden? Die Abwehrmechanismen sind vielfältig. In Bezug auf Luthers Antisemitismus wird gerne behauptet, Luther sei ursprünglich ein Freund der Juden gewesen und habe sich erst später gegen sie gewandt.

Dazu ist zu sagen, dass seine Ablehnung der Juden anfangs tatsächlich milder ausfiel, und zwar vor allem aus dem Grund, dass er zunächst glaubte, sie noch für sein Reformationsprojekt gewinnen zu können. Mit dem Fehlschlagen dieses Missionierungsprojekts schlug der Bekehrungseifer in offenen Hass um.

Dass die Juden belehrt und bekehrt werden mussten, stand für Luther nie in Frage. Der Kirchenhistoriker Klaus Wengst sagt dazu:

Die judenfeindlichen Äußerungen Luthers, wie sie sich etwa in seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ finden, sind nicht etwa bedauerliche Verirrungen eines enttäuschten und altgewordenen Mannes, sondern geradezu zwanghafte Folgerungen aus seinem theologischen Zentrum. Danach sind die Juden, solange sie Juden bleiben, Gottesleugner. Ihre Gotteslästerung besteht darin, dass sie Jesus nicht akzeptieren – also schlicht in ihrer Existenz als Juden. (Klaus Wengst)

Seine Aufforderung, die Synagogen niederzubrennen, hält der Kirchengeschichtler Thomas Kaufmann selbst im judenfeindlichen Gesamtklima von Luthers Zeit für einzigartig:

Was ich ansonsten nicht gefunden hab, ist Luthers wahnwitzige Vorstellung, Synagogen zu verbrennen. Was unter den sozusagen feuertechnischen Bedingungen des 16. Jahrhunderts ein nicht durchführbarer Vorschlag ist. Man hätte damit das Verbrennen mindestens der halben Stadt billigend in Kauf genommen. (Thomas Kaufmann)

Wie tief Luthers Judenhass mit persönlichen Mythologien verwoben war, lässt sich an der Tatsache ablesen, dass er den Juden selbst noch seinen eigenen Tod anlasten wollte. Dass sie ihm nach dem Leben trachteten, glaubte er über Jahrzehnte. Im Winter 1546 erlitt er einen Herzinfarkt – so interpretiert die moderne Medizin die Beschreibung der Symptome.

Bevor er drei Wochen später an den Folgen starb, konnte er seine Frau noch brieflich darüber informieren, dass die Juden an seiner Erkrankung schuld seien.

Lange Nachwirkungen

Die Lutherbegeisterten, die das nicht leugnen, möchten sich oft in die Behauptung retten, die antisemitische Hetze Luthers sei bald nach seinem Tod vergessen worden und habe historisch kaum noch eine Rolle gespielt. Das ist erwiesenermaßen falsch, wie nicht nur die Bezugnahme Martin Sasses auf Luther im Zusammenhang mit den Novemberpogromen von 1938 belegt.

Christian Pfeiffer führt in einem Artikel von 2014 den evangelischen Theologen Hermann Steinlein an, der schon 1932 die bruchlose Wirkungsgeschichte des Lutherschen Antisemitismus belegt hatte:

Steinlein konnte aufzeigen, dass sämtliche bis dahin erschienenen Gesamtausgaben Luthers dessen zweite Judenschrift enthielten und dass es ferner vier gesonderte Nachdrucke gab, mit denen das Werk im 16. bis 19. Jahrhundert vollständig oder in Auszügen erneut publiziert worden war. (…) Steinlein führte ergänzend eindrucksvolle Beispiele für volkstümliche Schriften an, in denen mit scharf antisemitisch orientierter Grundhaltung Luthers Thesen verbreitet wurden. (Cicero)

Pfeiffers eigenes Fazit:

Luthers späte Schriften erfuhren, gerade weil ihr Autor der große Reformator war, immer wieder starke Beachtung. Sie konnten so über Jahrhunderte hinweg bei der Begründung und Fortentwicklung judenfeindlicher Einstellungen und Verhaltensweisen eine wichtige Rolle spielen.

Auch was den Hexenwahn anging, verschärfte Luther die handelsübliche Rhetorik auf eigene Rechnung. Hartmut Hegeler schreibt unter Bezugnahme auf den Religionswissenschaftler Jörg Haustein:

Luther forderte nicht nur die Tötung der Hexen, sondern auch mehrfach deren Folter und Feuertod, und das nicht nur für Schadenszauber, sondern auch, weil sie Umgang mit dem Teufel haben, ohne jeglichen Schaden anzurichten. Haustein erwähnt „die enorme Vergrößerung des Kreises der potentiellen Angeklagten durch die Kriminalisierung des Aberglaubens“, was „ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu den epidemischen Hexenverfolgungen der kommenden Jahrzehnte“ sei.

Luther war eben nicht nur „Kind seiner Zeit“, sondern prägte seine Zeit ganz entscheidend ideologisch mit, und zwar in einer Weise, die in verschiedenen Kontexten auf Massenmord hinauslief. Selbst wenn aber seine Hassreden nur zeittypische Phänomene gewesen wären, fragt sich doch, warum man ihn und sein Gedankengut heute noch feiern sollte.

Der Aufklärer Luther?

Die Antwort der unverbesserlichen Lutherfans auf diese Frage lautet oft, er sei doch immerhin so etwas wie ein Aufklärer gewesen. Habe doch seine Übersetzung der Bibel ins Deutsche dafür gesorgt, dass die Gläubigen ab da immerhin gewusst hätten, was ihr heiliges Buch überhaupt enthielt.

Dazu ist zu sagen, dass der Unsinn, der in der Bibel steht, in allen Sprachen gleich unsinnig ist, und dass das Bedenkenswerte, was sie enthält, noch nie vom Missbrauch durch Kirchen gleich welcher Art profitiert hat. (Vielleicht sollte am Rand erwähnt werden, dass Luther die Bibel keineswegs als Erster ins Deutsche übersetzt hat.)

Schon gar nicht aufklärerisch kann eine Strategie genannt werden, die die Übersetzungarbeit an einer religiösen Schrift mit einer Hetzkampagne gegen Minderheiten und einer unkritischen Verherrlichung staatlicher Macht flankiert. Das ist das genaue Gegenteil von Aufklärung. Versteht man Aufklärung enger, nämlich nur als die Förderung wissenschaftlichen Denkens, dann sollte man sich einmal Luthers Haltung zu einem Zeitgenossen vor Augen halten, der wirklich um Aufklärung bemüht war: Nikolaus Kopernikus.

Von Martin Luther ist eine kritische Äußerung über die zentrale These des Kopernikus überliefert: „Der Narr will mir die ganze Kunst Astronomia umkehren! Aber wie die Heilige Schrift zeigt, hieß Josua die Sonne stillstehen und nicht die Erde!“ (M. Luther) unter Berufung auf Jos 10,12-13 LUT, die aus Luthers wörtlichem Verständnis des Bibeltextes resultiert. Nach dieser Bibelstelle ließ Gott die Sonne für einen Tag stillstehen, woraus Luther folgerte, dass sie normalerweise in Bewegung sein müsse. (Aus dem Wikipedia-Eintrag zu Kopernikus)

Zwei große Talente

Luther benutzte seine reformierte Religion und ihre zentrale religiöse Schrift in militanter Weise als Zuchtrute gegen andere. Grundsätzlich favorisierte er eine wörtliche Auslegung der Bibel, aber wenn es gerade opportun war, fabulierte er ganz nach eigenem Gusto hinzu, oft im Sinne einer Steigerung der eifernden Aggression.

Laut Thomas Kaufmann speist sich Luthers Judenbild „aus antijüdischen christlichen Traditionen, die bereits im Neuen Testament zu finden seien – aber eben nicht nur. Luther unterstellt Juden auch ‚verdorbenes Blut'“. Für Kaufmann ist das eine Frühform des Antisemitismus:

Die Vorstellung, dass Juden ein eigener Menschentypus sind, dem nicht zu trauen ist, der verschlagen ist, der alles darauf anlegt, Christen zu übervorteilen oder noch Schlimmeres. Das sind Vorstellungen, die auch bei Luther immer wieder anzutreffen sind und die ich nicht ohne weiteres auf eine biblische Grundlage zurückführen kann. (Thomas Kaufmann)

Genau darum ist es völlig korrekt, Martin Luthers Reformation als den Islamismus des Christentums zu bezeichnen, wie Arno Widmann das jüngst getan hat.

Luther hatte zwei wesentliche Talente: ein taktisches und ein demagogisches. Mithilfe des taktischen sorgte dafür, dass er sich durch geschickte politische Allianzen und herrschaftlichen Rückenwind in der Auseinandersetzung mit einem bösartigen und mächtigen Gegner durchsetzen konnte, der nichts weniger wollte, als sich „reformieren“ zu lassen: die katholische Kirche.

Sein demagogisches Talent benutzte Luther, um der Reformation in seinem Namen eine militante Massenbasis zu verschaffen und zu erhalten. Genau durch die Wechselwirkung seiner Persönlichkeit und seiner beiden Haupttalente mit der historischen Situation entstand die Wucht, die die Reformation auszeichnete.

Am Ende hatte er ein althergebrachtes, teilweise morsch gewordenes Unterdrückungssystem durch ein ideologisch modernisiertes Modell ergänzt, welches es im Verlauf seiner Geschichte mit allem aufnehmen konnte, was sein parallel fortexistierendes Vorbild an Schrecken zu bieten hatte.

Aber die Deutschen verehren gern. Deutsche Verehrung und deutscher Hass wirken lange. Martin Luther, als Objekt der spezifisch ihm geltenden Verehrung und als Subjekt des spezifisch von ihm ausgehenden Hasses ist ein gutes Beispiel dafür.

Quelle: heise.de… vom 28. Dezember 2016

 

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