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Die radikale Linke Griechenlands nach SYRIZA

Eingereicht on 25. Februar 2017 – 18:37

Ende Januar 2015 wurde die Koalition der Radikalen Linken, SYRIZA, mit einem überwältigenden Wahlsieg bei den nationalen Wahlen in die Regierung gewählt. Dies in der grossen Hoffnung, dass die neue Regierung, angeführt

von einer Partei, die sich bis anhin konsequent gegen die Austeritätspolitik der EU stellte, dieser standhalten könne und den Lebensstandard der Arbeiterklasse verteidigen würde, der durch die Wirtschaftskrise und die Strafmassnahmen der Memoranden der Gläubiger zerstört wurde.

Recht schnell jedoch wurde sichtbar, dass die Regierung SYRIZA kapitulieren würde. Dies bestätigte sich Anfang Juli desselben Jahres, als der Premier-Minister Tsipras ein neues Memorandum unterzeichnete – wenige Tage, nachdem das Volk in einer Volksabstimmung mit sehr grosser Mehrheit die Sparpolitik abgelehnt hatte. Die Angriffe gegen die Arbeiterklasse, die Armen und die Migranten und Migrantinnen sind unvermindert weitergegangen. Im Anschluss an die Unterwerfung unter die Erpressung durch die EU haben linke Organisationen und Einzelpersonen SYRIZA verlassen und eine neue Formation gegründet, die Volkseinheit.

Wir haben uns bereits mehrfach geäussert zu der Strategie der sogenannten “Breiten Parteien” (siehe beispielsweise Neue Strategie, neue Partei?). Das Debakel um SYRIZA ist eine äusserst dramatische Bestätigung des Scheiterns dieser opportunistischen Strategie, die ihren Teil zu der Katastrophe beigetragen hat, der sich die radikale Linke weltweit gegenüber sieht; damit trägt sie auch einen Teil der Verantwortung für die anhaltende – hoffentlich nur vorläufige – Verwirrung um die Perspektive und die Strategie des Widerstandes gegen die immer weiterreichenden Angriffe auf die Arbeits- und Lebensbedingungen breiter Segmente der Bevölkerung, gerade auch in den imperialistischen Kernländern. Welche Lehren daraus gezogen werden müssen, diese Debatte ist bei weitem noch nicht abgeschlossen.

In einem Interview, das zuerst in der australischen Zeitschrift Red Flag publiziert wurde, sprach Antonis Davanellos, ein Mitglied der Internationalistischen Arbeiterlinken (DEA), mit Liz Walsh von Red Flag über die Bilanz der Teilnahme der DEA am Bündnis SYRIZA und die Herausforderungen der Entwicklung neuer Kämpfe gegen die Austeritätspolitik und den Rassismus; dabei geht es um den Aufbau einer radikalen Linken, die fortan auf solideren Grundlagen stehen sollte.

Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch

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Angesichts der Tatsache, dass SYRIZA die Aufgabe des Widerstandes gegen die Austeritätspolitik nicht erfüllt hat: war die Teilnahme am Projekt des Aufbaus einer “Breiten Partei” aus verschiedenen Strömungen der radikalen Linken aus revolutionären wie auch aus reformistischen Kräften gerechtfertigt? War der Kampf für eine linke Regierung der richtige Weg?

SYRIZA wurde im Frühjahr 2004 gegründet. Diese Gründung war das Ergebnis von vorher gesammelten Erfahrungen mit dem griechischen Sozialforum (GSF), das von einer Einheitsfront der sozialen Bewegungen getragen wurde. Es vereinte in der Aktion Kräfte mit unterschiedlichen ideologischen Traditionen und Grundlagen – wir würden sie als reformistische, zentristische und revolutionäre Marxisten bezeichnen.

Es war dies eine Periode scharfer kapitalistischer Angriffe, der Krise der traditionellen Linken, der Schwächung der Gewerkschaften und der sozialen Absicherungen. In dieser Situation gelang dem GSF im Rahmen der Anti-Kriegsbewegung und gegen den Neoliberalismus eine Folge grosser Mobilisierungen. Das GSF war die weitaus wichtigste Form, die die internationale Bewegung gegen die neoliberale Globalisierung in Griechenland annahm.

Gleichzeitig war das GSF eine Bestätigung der Bedeutung der Einheitsfront und löste so in der griechischen Linken, wo die stalinistische Tradition weiterhin stark ist, eine erfrischende Debatte aus.

Nach den Ereignissen von 2001 in Genua begann in der gesamten europäischen Linken eine Debatte um die Frage, ob und wie wir die Einheit der Aktion in den politischen Kampf übertragen können, wie wir sie bereits in den Strassen entwickelt hatten. Es war klar, dass dies auch die Aussicht auf ein gemeinsames Auftreten bei den Wahlen beinhaltete. 2004 nahmen wir diese Herausforderung an, und wir beteiligten uns an der Gründung von SYRIZA.

SYRIZA war die griechische Form der generellen internationalen Debatte in der radikalen Linken um “Breite Parteien”. Obwohl DEA die Herausforderung annahm und sich an SYRIZA beteiligte, so hatten wir doch eine unterschiedliche Sicht auf “Breite Parteieen” im Vergleich zu den damals vorherrschenden Konzeptionen, z.B. gerade bei verschiedenen Sektionen der Vierten Internationale.

Erstens sahen wir “Breite Parteien” nicht als die “endgültige Antwort” auf die Frage der Partei an. Wir verstanden diese vielmehr als Übergangsprozess unter sehr spezifischen Bedingungen angesichts der Krise der Widerstandsbewegung und der Linken.

Zweitens sprachen wir uns aus eben diesen Gründen nie für eine Auflösung unserer Organisation aus und akzeptierten eine solche auch nie. Demzufolge stuften wir unsere eigenen und unabhängigen Instrumente zur Entwicklung und Aufrechterhaltung der politischen Beziehung zu unserem Umfeld – Zeitungen, Zeitschrift, Sitzungen, öffentliche Veranstaltungen, usw. – nie herunter.

Drittens traten wir von allem Anfang an in aller Öffentlichkeit für die Notwendigkeit eines organisierten linken Flügels innerhalb von SYRIZA ein. DEA trat, obwohl wir den Respekt und die Anerkennung eines grossen Teils von SYRIZA genossen, nie der führenden Mehrheit bei – selbst nicht während der “radikaleren” Phase von Alexis Tsipras.

Diese Haltung erwies sich in der Zeit der Krise als äusserst wertvoll. Dies erklärt – zumindest teilweise – die sehr schnelle Reaktion des linken Flügels von SYRIZA im Jahre 2015, zumindest im Vergleich zu dem was beispielsweise in Brasilien oder in Italien geschehen war.

In diesen 11 Jahren trug die Erfahrung von SYRIZA zur Herausbildung eines breiten Segmentes von politischen Aktivisten und Aktivistinnen in Griechenland bei. Dieses Segment ist umfangreicher als in vielen anderen europäischen Ländern. Es hat auch eine höhere politische Qualität: es ist im politischen Kampf erprobt und es hat die Kinderkrankheit des sich-Verzettelns in sozialen Bewegungen hinter sich gelassen.

Dies ist der Grund, dass wir – die wir nun die Politik der SYRIZA-Regierung entschlossen angreifen –  die Erfahrungen der ersten Periode von SYRIZA, die Periode der radikalen Aktion, verteidigen.

WIr sind der Auffassung, dass dieses Segment der politischen Aktivistinnen und Aktivisten sein letztes Wort nch nicht gesprochen hat. Wir denken, dass diese Leute die Kämpfe gegen die Regierung Tsipras anführen und in der Herausbildung der neuen Situation, der “Nach-SYRIZA-Periode” eine sehr wichtige Rolle spielen werden.

Die Regierung Tsipras setzt nun, nach der Unterzeichnung des dritten Memorandums, die typischen neoliberalen Massnahmen um. Sie beschneidet Löhne, Renten und Sozialversicherungen; sie treibt die Privatisierungen weiter voran und schafft ein flexibleres System der Arbeitsverhältnisse. Mit diesen reaktionären wirtschaftspolitischen Massnahmen ist die Regierung Tsipras nicht in der Lage, auch nur die elementarsten demokratischen Reformen anzugehen, die nicht einmal etwas kosten würden. Sie muss sich vielmehr auf die repressiven Apparate abstützen, um regieren zu können.

Die Frage der “Regierung der Linken” war schon immer eine dornige Angelegenheit für revolutionäre Marxistinnen und Marxisten. Als dies in SYRIZA 2008 zum ersten Male vorgeschlagen wurde, wiesen wir dies als parlamentarische, reformistische Strategie zurück und sie kam nicht durch. Alles änderte aber mit dem Ausbruch der Krise und vor allem mit den grossen Kämpfen von 2010-2011. Damals kämpften die Leute stark und zäh, um die Memoranden zu stürzen; sie verstanden, dass um dieses Ziel zu erreichen, die Regierung gestürzt werden musste.

Aber trotz des Ausmasses der Kämpfe und der Hartnäckigkeit der Leute gab es (bislang zumindest) noch keine revolutionäre Situation in Griechenland: die Auseinandersetzung erreichte noch nicht das Ausmass eines “Kampfes auf Leben und Tod”, die Konfrontation hatte noch nicht die klaren Umrisse des “Kampfes einer Klasse gegen die andere”, und der Arbeiterklasse fehlten ihre eigenen unabhängigen Organisationen, die die wirkliche Machtfrage stellen konnten. Diese Beschränkungen lenkten den Willen des Umsturzes ab in Richtung einer Regierung der Linken, sollte dies auch nur durch einen Wahlsieg möglich sein.

Wir sahen uns verpflichtet, diesen Kontext anzuerkennen und nach der radikalsten Line in diesem Rahmen zu suchen. So führten wir in der öffentlichen Debatte die Diskussion um die Regierungen der Linken ein, gemäss dem Vierten Kongress der Kommunistischen Internationale; damals wurde dies als Übergangspolitik in Richtung einer sozialistischen Befreiung verstanden.

Wir fochten für diese Orientierung und entwickelten unsere gesamten taktischen Massnahmen entlang dieser Linie. Dies erlaubte uns, unsere Orientierung auf die Arbeiterklasse und den Respekt unserer Organisation bei einem grossen Teil der Basis von SYRIZA wie auch bei Aktivistinnen und Aktivisten ausserhalb von SYRIZA aufrechtzuerhalten.

Heute besteht unsere Selbstkritik bezüglich der Losung der Regierung der Linken hauptsächlich in zwei Punkten.

Der erste handelt um objektive Faktoren. Es zeigte sich, dass eine Übergangspolitik mit einer Regierung der Linken einen höheren Grad von direkten politischen Interventionen der Massen, mit ihren eigenen gesellschaftlichen Organen, erfordert, als dies in Griechenland 2015 der Fall war.

Im zweiten Punkt get es um subjektive Faktoren: das Kräfteverhältnis zwischen Reformisten und Revolutionären in der Partei und in den sozialen Bewegungen. Das Projekt einer “Regierung der Linken” setzt eine viel höhere politische Bereitschaft zur Konfrontation voraus, als dies bei der gesamten SYRIZA 2015 der Fall war.

Wichtig dabei ist, dass die DEA nie öffentlich behauptete, dass SYRIZA tatsächlich in der Lage sei, das Projekt einer “Regierung der Linken” erfolgreich zu verwrklichen. Für uns stellte diese Losung eher einen ideologischen Rahmen für unser politisches Handeln dar – ein Handeln, das die Konfrontation mit der Führungsgruppe um Tsipras innerhalb von SYRIZA einbezog – , als denn eine Einschätzung darüber, was letztendlich geschehen würde.

Inmitten von grösseren Ereignissen sind Ideen immer wichtig, selbst wenn sie unterhalb der Oberfläche liegen. Anlässlich der entscheidenden Tests brachte die Führungsmehrheit von SYRIZA ihre eurokommunistischen Wurzeln an die Oberfläche und orientierte sich fortan an diesen Ideen.

Die Regierung Tsipras kapitulierte so schnell, weil sie sich in den entscheidenden ersten sechs Monaten weigerte, sich mit der einheimischen herrschenden Klasse zu konfrontieren, und weil sie sich in der Illusion wiegte, eine konsensuelle Lösung mit der EU über den Verhandlungsweg zu erreichen; sie kehrte dabei die vorhergehende Position von SYRIZA auf den Kopf, indem sie trotz allen Kosten in der Eurozone verbleiben wollte. Das Ergebnis dieser beiden Rückzieher war dann die Unterzeichnung des dritten Memorandums durch Tsipras.

Während der ersten SYRIZA-Regierung spielte eure Organisation eine zentrale Rolle in der Festigung der Entschlossenheit der Linken in SYRIZA, wie etwa der Linken Stömung, der Kapitulation etwas entgegenzusetzen. Aus dem Scheitern von SYRIZA heraus wurde eine neue Partei, die Volkseinheit (LAE), aufgebaut; dies, um die Hoffnung weiterleben zu lassen, dass eine Alternative zum Weg von SYRIZA möglich sei.

Wie ist die Stimmung in der Arbeiterklasse und wie sieht die Orientierung von LAE aus, um den Widerstand gegen die Austeritätspolitik zu stärken und die politischen Kräfte der Linken aufzubauen? Und was ist die Position der LAE bezüglich der EU-Mitgliedschaft? In der Zeit von SYRIZA war die Losung von DEA “Keine Opfer für den Euro, keine Illusionen in die Drachme”. Hat dies nun nach der Erfahrung mit SYRIZA geändert?

Im Jahr 2013 gründete die DEA zusammen mit der Linken Strömung (die linke Tendenz der Partei Synaspismos), die Linke Plattform (LP) in SYRIZA. Die LP bildete das Zentrum des Widerstandes gegen Tsipras und war das Zentrum der schnellen und massiven Abspaltung im Sommer 2015, als ungefähr 50 % der Mitglieder und Kader der Partei uns auf dem Weg aus SYRIZA folgten.

Die LP war Mitbegründerin der Volkseinheit (LAE in ihrer griechischen Abkürzung), zusammen mit zwei Formationen aus dem antikapitalistischen Bündnis ANTARSYA. In den Wahlen vom September 2015 gelang es der LAE nicht, eine parlamentarische Gruppe zu bilden: sie erreichte nur 2,9 Prozent der Stimmen anstelle der notwendigen Schwelle von 3 Prozent für einen Eintritt ins Parlament. Dieses Scheitern kann der äusserst knappen Zeit zugeschrieben werden, die für den Wahlkampf zur Verfügung stand – 20 Tage für das Organisieren einer neuen Partei und des Wahlkampfes). Insbesondere aber waren die einhelligen Verleumdungen in den Massenmedien gegen den “linken Flügel von SYRIZA” verantwortlich, wobei wir als “gefährliche Abenteuerer” abgetan wurden.

Wenige Monate später nahmen etwa 5´000 organisierte Aktivistinnen und Aktivisten an der Gründungskonferenz der LAE teil. Es ist klar, dass die LAE den grössten Teil der Anti-Memorandum-Linken in Griechenland umfasst, abgesehen von den Reihen der Kommunistischen Partei.

Es lohnt sich, ein paar Worte über die Entwicklung der Kommunistischen Partei zu verlieren. Ihre Führung scheint auf der Ebene der Ideen eine Linkswende zu vollführen – sie spricht über Sozialismus, sie verwirft die Strategie der abfolgenden Stadien, sie entwickelt eine kritische Sicht auf die Geschichte der Partei, indem sie die Debatte über ihre Strategie während des Widerstandes 1940-44 und dem anschliessenden Bürgerkrieg neu eröffnet. Dies jedoch geschieht nur aus dem Grunde, jede Zusammenareit mit anderen linken Kräften, jede gemeinsame Aktion in noch so kleinen Dingen zu verhindern. Dies macht eher den Anschein einer Neuauflage der stalinistischen Politik der Dritten Periode, denn einer echten marxistischen Politik.

Innerhalb der LAE tritt die DEA für eine demokratische Form der Organisation ein, die den Anschluss  anderer Kräfte ermöglichen soll, einschliesslich von ANTARSYA und von Kräften, die aus SYRIZA ausgetreten sind. Wir versuchen erneut, eine gemeinsame Strömung der Anti-Memorandum-Kräfte in der radikalen Linken aufzubauen.

Aber wir versuchen dies in einer unterschiedlichen politischen Situation.

Die Schnelligkeit, mit der SYRIZA kapitulierte (die schnelle Wende vom NEIN des Referendums zum JA wenige Tage später) und der Zynismus der folgenden Regierungspolitik haben in weiten Teilen der Bevölkerung eine Demoralisierung ausgelöst. Das Vertrauen in SYRIZA ist schnell zusammengebrochen, vorläufig aber ist die Lage ruhig; es gibt keine höhere Teilnahme an Mobilisierungen, die Bevölkerung ist vollauf damit beschäftigt, sich individuell inmitten Krise durchzuschlagen.

Selbst um die kleinste Mobilisierung auf die Beine zu stellen, ist eine viel grössere Anstrengung der linken politischen Kräfte erforderlich. Der Beitrag dazu von LAE ist offensichtlich. Von unseren vorhergehenden Aktionen haben wir ein gemeinsames Programm gegen die Austeritätspolitik übernommen: Verteidigung der Löhne und der Renten, Kampf gegen die Arbeitsmarktflexilisierung, gegen die Privatisierungen, gegen die Vertreibung der verschuldeten Armen aus ihren Wohnungen, usw.

Die LAE unterstützt auch einmütig die Verstaatlichung-Vergesellschaftung der Banken und die Einstellung der Schuldendienste mit dem Ziel der Schuldenstreichung. Dies sind zentrale Knoten für ein notwendiges Übergangsprogramm zur Umkehr der Austeritätspolitik in Richtung Sozialismus.

Aber es stellen sich andauernd neue Probleme. So hast du nach unserer Losung von früher gefragt “Keine Opfer für den Euro – keine Illusionen in die Drachme”. Es handelte sich um eine “algebraische” Losung zur Zeit des Aufstiegs von SYRIZA. Als wir mit der beinharten Position der Gläubiger und der Führung der EU konfrontiert wurden, die immer mehr Opfer verlangten, mussten wir die Losung radikaler fassen und offen und klar für einen Austritt aus Euro-Zone eintreten, als notwendige Vorbedingung für eine Einstellung der Austeritätspolitik und eine Kündigung der Memoranden. Die LAE steht einhellig hinter dieser Position.

Aber obschon der Austritt aus der Eurozone eine notwendige Vorbedingung ist, so bedeutet dies keinesfalls, dass dies für ein linkes, auf die Arbeiterklasse orientiertes Programm ausreicht. Wir behaupten, dass ein Austritt aus der Eurozone und eine Konfrontation mit der EU-Führung nur dann einen befreienden Gehalt haben kann, sofern dies mit einem breiteren Programm von antikapitalistischen Massnahmen kombiniert wird, die den Weg in Richtung Sozialismus bereiten. Andere Genossinnen und Genossen in LAE denken, dass ein Austritt aus der Eurozone eine an-sich fortschrittliche Orientierung ist, da dadurch die Möglichkeiten für ein Wachstum der griechischen Wirtschaft geschaffen werden, was objektiv wiederum grössere Möglichkeiten für die Arbeiterklasse und die breite Bevölkerung schafft.

Dabei wird die alte Kontroverse zwischen den Verfechtern einer revolutionären sozialistischen Strategie und den Verfechtern einer Strategie der “nationalen Unabhängigkeit” wieder aufgewärmt, einer “Strategie von Zwischenstadien”, die in der Linken in den 1960er- und 1970er-Jahren geführt wurde. Diese Debatte wird momentan in der LAE geführt.

Diese Debatte gewinnt mit dem Brexit eine neue Brisanz, mit dem Aufstieg von Le Pen in Frankreich und dem Referendum in Italien. Gewisse Fraktionen der herrschenden Klasse in Europa scheint das Vertrauen in die Eurozone zu verlieren und sich dem Protektionismus und einer Politik der “nationalen Präferenz” zuzuwenden. Diese Tendenz wird durch den Wahlsieg von Donald Trump in den USA zweifellos gestärkt.

In Griechenland gibt es keine ernstzunehmende Fraktion der Bourgeoisie, die sich bessere Bedingungen ausserhalb der Eurozone ausrechnen kann oder die für eine Wiedereinführung der Drachme eintritt. Dies könnte sich aber ändern, da die Krise des griechischen Kapitalismus extrem tiefgreifend ist, da alle wissen, dass das dritte Memorandum in eine Sackgasse führen wird, und weil viele Kapitalisten sich davor fürchten, dass der Weg der “internen Abwertung” innerhalb der Eurozone nicht zu einer Belohnung der Gläubiger führt, sondern in einem Bankrott und einem Ausschluss aus der Eurozone endet. Die ersten Stimmen aus dem tiefsten Inneren des Establishments über Notwendigkeit, sich auf all diese Eventualitäten vorzubereiten, lassen sich derzeit in der Presse vernehmen.

SYRIZA hat sich ebenfalls verpflichtet, sich an den Versuchen der EU zu beteiligen, eine Festung Europa zu errichten, indem Flüchtlinge in Lagern zusammengetrieben und ein Teil von ihnen in die Türkei zurückgeschickt wird. Kannst du die Lage der Flüchtlinge in Griechenland beschreiben, insbesondere auf den Inseln? In ganz Europa sehen wir den Aufstieg von Parteien der extremen Rechten. Konnte die Goldene Morgenröte von der Flüchtlingskrise und der Enttäuschung wegen SYRIZA profitieren?

Das Schicksal der Flüchtlinge wurde durch das reaktionäre, rassistische Abkommen zwischen der EU, der Türkei und Griechenland festgelegt. Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass für die Überwachung der Einhaltung des Abkommens – vor allem aufgrund des Beharrens von Tsipras – eine Kriegsflotte der NATO in der Ägäis patroulliert; diese Flotte hat auch ein Auge auf die Situation in Syrien und auf die russischen Kriegsschiffe, die im östlichen Mittelmeer stationiert sind.

Das Abkommen überträgt der Türkei die Verantwortung, dass die Mehrheit der Flüchtlinge innerhalb ihrer Grenzen bleiben. Einige Flüchtlinge – über 60´000 – werden in Griechenland eingepfercht, um ihre Weitereise nach Zentral- und letztendlich nach Westeuropa beinahe unmöglich zu machen. Um die Flüchtlinge von einem Eintritt in Griechenland abzuhalten, wird ein abschreckender Empfang organisiert: sie werden in isolierte Lager zusammengetrieben, vornehmlich auf Inseln, ohne Hoffnung und ohne Perspektiven.

Während den grimmigsten Wintertagen wurde die Lage in den Lagern vollends unerträglich. Es kam zu Revolten gegen die fürchterlichen Bedingungen und gegen rassistische Angriffe der extremen Rechten.

In einem Land, das jeden Sommer 21 Millionen Touristen beherbergt, behauptet die Regierung, dass es kaum möglich sei, für 60´000 Leute eine anständige Unterkunft zu finden! Die positive Seite ist, dass trotz alldem die griechische Bevölkerung eine entschlossene Solidarität an den Tag legt.

Heute bestehen die wichtigsten Aufgaben der organisierten Antirassismus-Bewegung in folgendem: Erstens, die Lage in den Lagern zu ändern, indem eine demokratisch-soziale Kontrolle der Verhältnisse durchgesetzt wird und die Überführung der Flüchtlinge in offene, zumutbare Unterkünfte in den Städten zu fordern. Zweitens, zu verlangen, dass die Flüchtlingskinder mit vollen Rechten in die öffentlichen Schulen aufgenommen werden, und dass die Flüchtlinge vollen Zugang zum Gesundheitssystem haben. Drittens, sich den Anstrengungen der Goldenen Morgenröte und der extremen Rechten zu widersetzen, einen rassistischen Gegenschlag zu organisieren.

Die Führung der Goldenen Morgenröte und viele ihrer Basisaktivistinnen und -aktivisten stehen unter der Anklage, einer kriminellen Organisation anzugehören. Als Folge davon haben sie sich vorsichtig zurückgezogen: Ihre Sturmtruppen wurden von den Strassen abgezogen und es gab einen deutlichen Rückgang der rassistischen Gewalt

Aber die massive Ernüchterung über SYRIZA verschafft der Goldenen Morgenröte neue Aussichten. Sie kommt in den politischen Umfragen mit einem geschätzten Stimmenanteil von 8 % weiterhin auf Platz drei. Die Führung versucht, diese Chance mit einer parlamentaristischen Wende auszunutzen: sie geben sich ein “ehrbares” Profil, sie sprechen meistens als “Nationalisten” und nicht als Neo-Nazis und versuchen so, bei ihren Unterstützern die Aussicht auf eine wichtige Rolle in einer zukünftigen Regierung zu erwecken. Diese Wende jedoch erzeugt innerhalb der Goldenen Morgenröte selbst Spannungen.

Zur gleichen Zeit entstehen bei weiten Teilen der rechten Politiker Initiativen für eine breite nationalistische Partei, die imstande sein soll, mit der Nea Democratia zusammenzuarbeiten sollte sich die Krise in Griechenland soweit entwickeln, dass eine Regierung der “harten Rechten” erforderlich sein sollte.

Unsere Aufgabe besteht nicht darin, zuzuwarten und Vorhersagen über die die Entwicklung der Neo-Nazis und der extremen Rechten zu machen. Wir müssen fortfahren, für die Ausschaltung der Goldenen Morgenröte zu mobilisieren, einer Organisation, die für die Areiterbewegung und die radikale Linke eine ernsthafte Bedrohung darstellt. Und der beste Weg dazu ist die Verbindung des antifaschistischen Kampfes mit dem Kampf gegen die Austeritätspolitik, um die Memoranden zu kündigen.

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