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Trump: »Neoliberalismus mit nationalistischem Antlitz«

Eingereicht on 1. März 2017 – 11:25

Was ist von der Wirtschaftspolitik Donald Trumps zu erwarten? Dieser gibt sich gerne als Freund des »weißen«, männlichen Teils der US-Arbeiterklasse. Wie muss sich die US-amerikanische Linke ­aufstellen?

Ein Gespräch mit Leo Panitch, das im linken US-amerikanischen Polit-Magazin Jacobin erschienen ist. Die Ubersetzung aus dem Englischen besorgte Daniel Bratanovic.

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Gibt es etwas, was am Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen positiv zu bewerten ist? Ist der weltweite und ungehinderte Freihandel der Unternehmen jetzt nicht mehr länger sicher?

Die Transpazifische Partnerschaft (TPP) ist Geschichte, das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) wahrscheinlich auch. Ich gehe aber nicht davon aus, dass dies das Ende internationaler neoliberaler Abkommen bedeutet, die den freien Fluss des Kapitals und dessen Schutz in einem anderen Staat garantieren, was ja den Hauptaspekt solcher Freihandels- und Investitionsverträge ausmacht. Ebenso wenig erwarte ich, dass wir die Einführung strenger Importkontrollen erleben werden, die das momentan bestehende Netzwerk einer integrierten globalen Produktion beschädigen würden. Die Trump-Regierung hat ein ausgeprägtes Interesse daran, den Kapitalfluss und den Handel aufrechtzuerhalten. Nicht, dass auf die arbeitsrechtlichen und ökologischen Nebenabkommen, einschließlich jener, die Teil des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) sind, viel zu geben wäre – aber man kann erwarten, dass auch sie gekündigt werden.

Zumindest scheint das Ende des Clintonismus eingeläutet.

Ja, das stimmt. Ich schätze, das ist das definitive Ende des »dritten Weges«, also jener »sozialdemokratischen« Politik fortschreitender Wettbewerbsfähigkeit, Globalisierung und ungehinderter Kapitalströme, die Anfang der 90er Jahre von der Clinton-Regierung betrieben worden war, und die dann von Tony Blair und Anhängern in Großbritannien und Europa im Allgemeinen übernommen wurde. Mit dem »dritten Weg« verband sich das Versprechen, dass Arbeiter der Vereinigten Staaten durch Umschulung mit vietnamesischen Arbeitern, die einen Dollar pro Tag verdienen, konkurrieren könnten. Ich denke, das ist vorbei. Wir erleben die völlige Aushöhlung dieses »Projekts«.

Bisher scheint Trumps ökonomische Agenda aufgewärmte Angebotspolitik zu enthalten, zum Beispiel ersichtlich an den angekündigten massiven Steuersenkungen – Neoliberalismus mit nationalistisch-rassistischem Antlitz.

Was die gegenwärtige Phase kennzeichnet, und das begann mit der globalen Finanzkrise 2008, das ist die schwindende Legitimation der Institutionen – von den großen Parteien bis hin zur Europäischen Union –, die sich dem Neoliberalismus verschrieben haben. Der Behauptung dieser Institutionen, dass »die Nation« von der neoliberalen Globalisierung profitieren könne, schenkt heute kaum mehr jemand Glauben, auch wenn sie fortfahren, Austeritätsmaßnahmen zu verhängen, um das alte Gefüge zu erhalten. Vor diesem Hintergrund hat in den vergangenen Jahren auf Seiten der Linken eine auffällige Verschiebung vom Protest hin zur Politik stattgefunden. Der Fokus der Proteste wiederum verschob sich – von »Occupy Wall Street« bis zu den »Indignados« in Spanien – zur Betonung einer sich im Gefolge der Finanzkrise verschärfenden Klassenungleichheit. Seither hatte man erkannt, dass die Welt nicht zu verändern ist, ohne die Macht zu übernehmen. Die radikale Linke hat sich wieder an Wahlen beteiligt. Das geschah in Gestalt neuer Parteien, wie in Griechenland oder Spanien, oder alter Parteien, wie im Vereinigten Königreich und in den Vereinigten Staaten, was dort das alte und diskreditierte Establishment überraschte und ärgerte. Aber die schwindende Legitimität der Mainstreaminstitutionen brachte auch einen sehr viel mächtigeren Aufstieg der xenophoben Rechten mit sich, die behauptet, sie vertrete die nationalen Interessen in kultureller und ethnischer Hinsicht.

Die große Frage lautet, ob der Aufstieg dieser nationalistischen Rechten eine Abkehr von der transnationalen Kapitalakkumulation bedeutet. Diese Kräfte bezeichnen sich als Beschützer heimischer Fabrikarbeitsplätze. Das allerdings ist nicht ihr Hauptanliegen. Es dürfte vielmehr darin bestehen, die Nation erneut in xenophoben Begriffen zu bestimmen, kombiniert mit dem Schutz überkommener Werte. Das liefe auf eine Restauration der Hierarchien von Rasse, Geschlecht und sexueller Neigung hinaus.

Der schottische Politologe Peter Gowan pflegte von der von Sam Gindin und mir verfassten Analyse über die Führungsrolle der USA bei der Durchsetzung und Koordinierung des globalen Kapitalismus zu sagen, dass Washington diese Stellung möglicherweise verlieren könnte, wenn eine nationalistische Rechte in Deutschland die Macht übernähme. Erstaunlicherweise kamen solche Kräfte jedoch zuerst in den Vereinigten Staaten ans Ruder. Es bleibt abzuwarten, ob diese xenophobe Rechte, die sich ja nicht nur im Westen, sondern etwa auch in Indien, in der Türkei und den Philippinen im Aufschwung befindet, sich dagegen wehrt, in die Kapitalakkumulation auf Weltmaßstab einbezogen zu werden. Oder aber wir erleben, dass sie ein Modell fortgesetzter globaler Kapitalakkumulation etabliert, das allerdings insofern asymmetrisch wäre, als die grenzübergreifende Arbeitskräftemobilität an ihr Ende käme.

Das also ist die andere wichtige Frage. Ist die Beendigung dieser Mobilität überhaupt im Rahmen der herrschenden ökonomischen Globalisierung und der Kapitalbewegung möglich? Ich denke, das ist machbar, wäre aber tragisch. Denn das wäre nicht einfach nur eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, sondern könnte auch einen Infrastrukturkapitalismus nach sich ziehen, der gleichsam im »Braunhemd« daherkommt.

Sie beziehen sich hierbei auf rechtspopulistische Ansätze der Staatspolitik und des Deficit-Spending – Instrumente, die Leute wie der republikanische Kongressabgeordnete Paul Ryan niemals gebrauchen würden. Es gibt aber Leute, die nehmen das wörtlich. Sie sehen Typen wie Trumps Chefstrategen Stephen Bannon und sagen, der Präsident vertrete oder fördere zumindest neofaschistische Politikansätze. Finden Sie, es ist hilfreich, von Trump auf diese Weise zu sprechen?

Ich bin nicht der Meinung, dass Trump selbst für eine neofaschistische Bewegung mit bewaffneten Milizen oder Ähnlichem steht. Aber es lohnt sich, daran zu erinnern, dass faschistische Regimes immer auch kapitalistische waren. Es gibt die Neigung einiger Analysten, kapitalistische Regime mit freier Marktwirtschaft gleichzusetzen, aber der unter Hitler eingeführte Staatsinterventionismus war ebenfalls sehr kapitalistisch. Darauf wollte ich mit dem Hinweis auf die »Braunhemden« hinaus: Gut möglich, dass wir autoritäre, staatlich orchestrierte, aber unzweifelhaft kapitalistische Infrastrukturprogramme erleben werden.

Die autoritären populistischen Momente dieser Angelegenheit werden wir uns sehr genau anschauen müssen. Das heißt nicht notwendigerweise, dass Trump von einer Art Braunhemdenmiliz Gebrauch machen wird (die sich im Übrigen im Umfeld der extremen Rechten in den USA bereits konstituiert hat) oder dass er so etwas wie den Reichstagsbrand plant, um auf diese Weise die Demokratie abzuschaffen. Aber wie schon zu anderen dunkleren Zeiten in der US-amerikanischen Geschichte – wie etwa der Unterdrückung abweichender Meinungen an der Heimatfront während des Ersten Weltkriegs, die auch in den Jahren unmittelbar danach fortdauerte, um gar nicht erst von den antikommunistischen Repressionen im Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg zu sprechen – sollten wir neue Formen eines unethischen autoritären politischen Opportunismus, der sich vor allem gegen die fortschrittlichen und linken Kräfte richten würde, sehr genau im Blick behalten.

Trump spricht von einem Infrastrukturprogramm in Billionenhöhe. Doch dabei handelt es sich nicht um ein traditionelles Vorhaben, das die Regierung direkt finanziert. Er beabsichtigt, mittels Steuervergünstigungen Anreize im Bausektor zu schaffen.

Das könnte ein wirklich großes Infrastrukturprogramm werden. Es wird wahrscheinlich Public-Private-Partnerships (PPP) umfassen und Steuersenkungen, Subventionen sowie eine Kirchturmpolitik zugunsten der Bauwirtschaft beinhalten. Schließlich ist Trump Bauunternehmer, und die Branche prägt oftmals quer durchs Land die Basis der Republikanischen Partei. Der Modus operandi lautet, sich auf Staatskosten zu bereichern, während ideologisch die Hand gebissen wird, die einen füttert. Gegenwärtig beauftragt die öffentliche Hand private Bauunternehmen mit Infrastrukturmaßnahmen anstelle einer direkten öffentlichen Beschäftigung.

PPP werden wahrscheinlich die Staatsschulden weit mehr erhöhen, als das jetzt schon der Fall ist – unter der Voraussetzung, dass der Staat die Garantie dafür übernimmt. Das wird mehr Geld kosten, weil die Firmensubventionierung zu einem höheren Zinssatz erfolgt als bei der Ausgabe von Staatsanleihen. Das Kapital freut sich vor allem darüber, öffentliche Infrastruktur zu bauen und zu betreiben, solange die Regierung die Geschäftsanleihen bis zum Ende bezuschusst, sei es durch Steuererlass oder gar dadurch, dass sie für die Finanzierung privater Geschäftsinteressen aufkommt, während die betreffenden Unternehmen jahrzehntelang die Profite einstreichen, die sie aus den Nutzungsgebühren beziehen.

Trump beschränkt sich bei seinen Infrastrukturvorhaben auf die Transportwirtschaft, er plant den Bau von Straßen, Häfen, Eisenbahnstrecken, Brücken und Flughäfen. Kann das funktionieren?

Was heißt, kann das funktionieren? Die Pläne könnten jedenfalls Massenbeschäftigung nach sich ziehen. Wir müssen uns immer wieder vor Augen führen, dass Trump ein Bauunternehmer ist, der Betriebe aus seiner Branche beauftragt, und ich vermute, das wird auf spezifische Weise geschehen. Es könnte Arbeiter der Fertigungswirtschaft oder Staatsangestellte aus ihren alten Jobs herausdrängen, die dann im Brücken- und Straßenbau arbeiten. Das wiederum brächte eine ganze Menge Leute in Bewegung und würde die Kommunen belasten.

Sollte Trump drei Millionen mexikanische Immigranten abschieben, von denen viele in der Bauwirtschaft beschäftigt sind, – werden seine Anhänger aus der weißen Arbeiterklasse deren Jobs dann übernehmen? Nicht doch, die werden dann gebraucht werden, um den Rasen auf den Golfplätzen von Palm Beach oder Palm Springs zu mähen. Aber im Ernst, die Logik, das Infrastrukturprogramm mit einer xenophoben Bedrohung der »Fremdarbeiter« zu verknüpfen, ist folgende: hieß zuvor der einzige Ausweg für entlassene Beschäftigte McDonald’s oder Walmart, könnten diese nun Hilfsjobs auf dem Bau annehmen, was zur Folge hätte, dass die Binnenmigration dieser Arbeiter innerhalb der USA erheblich stärker würde. Das wäre nicht einfach nur die alte angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, bei der den Wohlhabenden die Steuern erlassen werden in der Hoffnung, sie würden dann ganz ohne staatliche Vorgaben investieren. Investitionen des Staates sind rational. Solange aber die fortschrittlichen Kräfte nicht an der Macht sind, wird dies natürlich nie etwas Anderes sein als ein Mittel, die Kapitalakkumulation zu fördern. Kann aber diese Form der Investitionen umgesetzt werden, ohne direkte öffentliche Beschäftigung und ohne staatlich kontrollierte Arbeitsmigration? Ich weiß es nicht.

Was nun den internationalen Kontext und den Aufstieg einer neuen Rechten anbelangt, fragt sich, ob wir Staaten, angeführt vom US-amerikanischen, erleben werden, die Importkontrollen und Ähnliches durchführen werden. Ich bin mir da nicht so sicher. Wir kennen keine Kapitalisten, die lediglich auf ihrem eigenen Territorium akkumulieren wollen. Lässt sich die Globalisierung vermöge der Kooperation rechter, migrationsfeindlicher Regierungen aufrechterhalten? Stephen Bannon drückt sich, wie viele andere auf Seiten der neuen Rechten in Europa, so aus: »Wir sind nicht gegen die Kultur der anderen, aber wir glauben an die kulturelle Apartheid. Die gehören dorthin, und wir hierher.« Kann es so etwas geben wie eine asymmetrische Globalisierung, bei der die Kapitalakkumulation weiterläuft, aber die Arbeitsmigration beendet wird?

Zwischen dem Aufstieg Trumps und dem des Rechtspopulismus auf der ganzen Welt sind eine Reihe von Parallelen gezogen worden. Passt Trump in dieses Schema? Was ist ähnlich, was ist anders?

Mir ist kürzlich die Ironie am Nationalismus von Trump oder von Nigel Farage aufgegangen. Das sind Leute, ganz besonders im Falle Trumps und der Kapitalisten, mit denen er sich trifft, die international umfangreiche Investitionen getätigt haben und enge Kontakte zu ihresgleichen pflegen. Trump ist mit Investoren auf der ganzen Welt verbunden, sei es mit einem wichtigen Player wie der Deutschen Bank, sei es mit Gangsterkapitalisten aus dem russischen Staatsapparat. Farage wiederum war ein Broker in der Londoner City. Es gibt keinen stärker internationalisierten kapitalistischen Ort als die Finanzbranche des britischen Kapitalismus. Dennoch spielen beide die nationalistische Karte, und das zeigt die Bedeutung, die der Nationalstaat für die globalen Akkumulationsprojekte so vieler Kapitalisten noch immer hat. Diese Leute finden, dass eine fortgesetzte Akkumulation im Weltmaßstab als Legitimation die Verknüpfung mit einem xenophoben Nationalismus benötigt.

Wie passt das zusammen mit den nationalistischen und rechtsextremen Kräften, die andernorts zu beobachten sind? Diese haben bisweilen einen ausgeprägteren globalisierungsfeindlichen Standpunkt. Das lässt sich am deutlichsten für den Front National in Frankreich und die Goldene Morgendämmerung in Griechenland sagen. Diese Kräfte sind nicht nur rassistische Migrantenhasser, sondern gegenüber dem transnationalen Projekt der EU explizit feindlich eingestellt. Andererseits gibt es in Polen und Ungarn weit rechts stehende nationalistische Regierungen, die in der EU bleiben wollen.

Wir werden sehen müssen, ob das Anzeichen für einen Bruch mit der Globalisierung sind. Es ist allerdings nach wie vor meine Auffassung, dass es, anders als in den 1930er Jahren, nicht genügend maßgebliche Teile der kapitalistischen Klasse gibt, die ein Interesse daran haben, exklusiv auf eigenem Territorium zu akkumulieren. Und insofern gehe ich nicht davon aus, dass wir die Rückkehr einer Art territorialbasierten Kapitalismus erleben werden, der hinter geschlossenen Grenzen operiert. Doch das bleibt alles selbstverständlich abzuwarten.

Zurück zur US-Politik. Halten Sie eine Verschiebung der Mehrheitspositionen in der Demokratischen Partei in Richtung der Auffassungen von Bernard Sanders und Elizabeth Warren für möglich?

Nun, wenn wir uns anschauen, was mit der Wahl Jeremy Corbyns zum Chef der Labour Party in Großbritannien geschehen ist, dann zeigt dies auch die Möglichkeit für ähnliche Entwicklungen in der Demokratischen Partei an. Es ist allerdings klar, dass die Auflehnung, für die Corbyn steht, keinen Erfolg haben wird ohne eine Neukalibrierung dessen, wofür die Labour Party organisatorisch steht. Das schließt die Trennung von solchen Parlamentariern ein, deren Loyalitäten der NATO, der Monarchie und den gegenwärtigen Institutionen des britischen Staates gelten, und müsste außerdem das Ende einer Politik der Klassenversöhnung mit den Finanzkapitalisten in der City of London nach sich ziehen.

Wesentlicher noch wäre die Wiederherstellung des Parteiapparats außerhalb des Parlaments als eines Vehikels zur Umwandlung der Parteigliederungen zu Zentren der Arbeiterklasse. Die hätten sich dann auf eine Weise mit Fragen der Organisation, der Bildung und der Klassenformierung zu beschäftigen, wie es das für lange Zeit nicht mehr und vielleicht innerhalb dieser Partei in weiten Teilen des Landes noch nie gab.

Für den Fall der US-Demokraten gilt Ähnliches. Eine organisatorische und ideologische Neuausrichtung wird sich gegen die Parteiführung zu richten haben, die dem bestehenden Staat und dessen inniger Verbundenheit mit der Wall Street, dem Silicon Valley und dem Militärisch-Industriellen-Komplex treu ergeben sind. Doch dabei gibt es ein weiteres Hindernis. Die organisatorische Struktur der Demokratischen Partei ist sehr diffus, und ihre Verbindungen zur Arbeiterklasse oder zumindest zu deren aktivem Teil sind weitaus weniger organisch, als das bei der Labour Party der Fall ist. Bei Labour gingen die Beziehungen zur Arbeiterklasse immer schon über die zur politischen Führung der Gewerkschaftsbürokratie hinaus. Und selbst diese Partei zu verändern ist schon hart genug, aber die Demokratische Partei von einem Esel in eine Gazelle zu verwandeln, dürfte noch viel schwieriger sein. Nach meinem Dafürhalten geht das nur, wenn eine fundamentale Umwandlung des bisherigen Charakters der Partei erfolgt. Versuche einer Neuausrichtung wird es geben, kein Zweifel. Schauen wir uns an, was passiert.

Wie sollte die US-Linke jetzt nach den Wahlen weiterarbeiten, auf welche Weise auf der Unterstützung für Sanders Positionen aufbauen? In Jacobin war über die neue Politik von Sanders und Corbyn zu lesen, sie sei vielmehr klassenorientiert als klassenbasiert. Das klingt plausibel. Je weiter wir uns zeitlich von Sanders Wahlkampagne wegbewegen, desto mehr scheint sich alles aufzulösen, was an ihr konkret greifbar war. Welche Rolle werden Arbeiterorganisationen für eine linke Opposition spielen? Eine zentrale, wie das in der Vergangenheit der Fall war? Oder gibt es eine plausible Alternative?

Die Fragen stehen in einer Beziehung zueinander. Ohne einen fundamentalen organisatorischen Wandel in der Demokratischen Partei und noch grundsätzlicher bei den Gewerkschaften wird sich alles, was da kommen mag, kaum unterscheiden von dem, was wir von der NGO MoveOn.org kennen oder bei der Fundraising-Kampagne zugunsten von Sanders erlebt haben. Schwer vorstellbar, dass es mit der Absicht, eine Linke innerhalb der Demokratischen Partei aufzubauen, sonderlich weit her sein wird, wenn diese nicht mit dem Versuch verknüpft wird, die bisherige, langjährige Allianz zwischen Arbeiterorganisationen und Partei zu ändern. Die Erneuerung der Parteibasis müsste dazu führen, den Trade-Unionism in den USA bzw. das Politikverständnis der Gewerkschaften herauszufordern. Diese haben in der Vergangenheit stets nur sehr eingeschränkt mobilisiert, sich dabei immer für einen demokratischen Kandidaten ausgesprochen und einen Teil der Mitgliedsbeiträge der Partei zukommen lassen – all das jedoch ohne eine gezielte Politisierung der Arbeiterklasse.

In diesen Tagen, in denen die US-amerikanische Politik eine klare Neuausrichtung erfährt, kommt es nach meiner Auffassung auf zwei wesentliche Aspekte an. Erstens, wie gelingt es, den losen Protest, der seit Occupy in gewissem Maße eine Klassenorientierung aufwies, organisatorisch in einen klassenbasierten zu transformieren? Der seit der Wahl vorgebrachte Hinweis der Linken, man habe nicht genügend auf die Klasse orientiert und sei vor allem nicht genügend in der Klasse verwurzelt gewesen, hat zu negativen Reaktionen vieler Aktivisten – bei Black Lives Matter und anderen Bewegungen – geführt, bis hin zu dem Vorwurf, das sei auch nichts Anderes als »weißes Vormachtsdenken und männlicher Chauvinismus in anderer Gestalt«. Ich fürchte, die Linke wird sich von derlei Vorhaltungen einschüchtern lassen. Doch das sollte nicht sein. Wir müssen auf der Wichtigkeit der Organisierung von Frauen und Männern in den farbigen Milieus der Arbeiterklasse bestehen; die sollte allerdings auf praktische und pragmatische Weise erfolgen, so dass die Bedürfnisse dieser Communities mit denen der arbeitenden Menschen insgesamt übereinstimmen und nicht mehr bloß Ausdruck der Partikularinteressen der Schwarzen allein sind. Genau so haben nämlich Rassisten und Opportunisten wie Trump die sozialstaatlichen Errungenschaften, insbesondere jene der 60er Jahre, immer dargestellt, was selbstredend absurd ist.

Andererseits muss die ausschließliche Konzentration auf eine Reform der Demokratischen Partei unbedingt vermieden werden. Es werden auch Anstrengungen nötig sein, Struktur und Strategie der Gewerkschaften zu ändern. Außerdem sollten Sozialisten es nicht versäumen, nebenher Genossen zu organisieren, sozialistische Bildungsarbeit zu leisten, sozialistischen Wahlkampf zu machen und sozialistische Kader auszubilden. Damit bliebe ein Kern übrig für den Fall, dass die Arbeit in den Gewerkschaften und in der Demokratischen Partei an deren jeweiliger Veränderung auf zuviel Widerstand stoßen sollte.

Darüber hinaus müssen angesichts der ökologischen und der kapitalistischen Krise die Arbeiter in das Nachdenken darüber eingebunden werden, wie es gelingen kann, alternative Formen der Produktion und Konsumtion zu entwickeln – im eigenen Milieu, auf nationaler, aber auch auf internationaler Ebene. Dabei müsste gezeigt werden, dass dies nur auf Grundlage einer demokratischen Wirtschaftsplanung funktioniert. Neu aufzubauende sozialistische Parteien werden dies ins Zentrum ihrer Agenda rücken müssen. Diese Parteien werden nicht aus dem Nichts kommen. Sie werden aus der Wiederherstellung der Kräfte inner- und außerhalb der alten Parteien hervorgehen. Schwer vorauszusagen, welche tatsächliche organisatorische Form das annehmen wird, aber ich denke, dass die Möglichkeiten durch den Übergang vom Protest zur Politik, den wir bereits erlebt haben, gegeben sind.

Quelle: jungewelt.de… vom 1. März 2017

 

 

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