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Hitzewellen machen Nordafrika und Nahen Osten unbewohnbar

Eingereicht on 9. September 2017 – 17:10

Klaus Meier. Der Sommer macht keinen Spaß mehr. Was Klimawandel bedeutet und wie stark er uns schon auf den Pelz rückt, erlebten in diesem Sommer die Länder Südeuropas: Die Hitzewelle Luzifer produzierte Dauertemperaturen über 40 °C und kaum nächtliche ­Abkühlung. In Süditalien wurden zeitweise Temperaturen von 50 °C gemessen, die Bürgermeister haben die Bevölkerung aufgefordert, zu Hause zu bleiben. In Portugal leidet fast das gesamte Land unter der Hitze, das Wasser wird knapp. In Bosnien droht ein großflächiger Stromausfall, in allen südeuropäischen Ländern wüten ausgedehnte Waldbrände. Auch die Landwirtschaft leidet: Bei Soja und Mais werden in Serbien Einbußen bis zu 60 Prozent vorhergesagt. Und die Aussichten werden schlimmer.

Im April 2016 hat es eine Veröffentlichung von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts in Mainz auf die ersten Seiten der Tageszeitungen geschafft. Die Wissenschaftler hatten mit kalibrierten Klimamodellen ermittelt, wie sich die Temperaturen in der sog. MENA-Region (Mittlerer Osten und Nordafrika) bis zum Ende des 21.Jahrhunderts entwickeln werden.

Die Ergebnisse sind erschreckend: Selbst wenn sich die Erde im Verhältnis zur vorindustriellen Zeit nur um 2 °C erwärmt, wird die Durchschnittstemperatur in der genannten Region doppelt so hoch steigen. Schon Mitte dieses Jahrhunderts wird in den heißesten Zeiten nachts das Thermometer nicht mehr unter 30 °C fallen und am Tag sogar auf 46 °C steigen. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnte dann die Mittagstemperatur sogar bei 50 °C liegen, Hitzewellen könnten zehnmal häufiger auftreten als heute.

Hinzu kommt, dass sich die Dauer der Hitzeperioden in den besonders betroffenen Gebieten Nordafrikas und des Nahen Ostens deutlich verlängern wird. In der Zeit von 1986 bis 2005 lag sie im Durchschnitt noch bei 16 Tagen. Mitte des Jahrhunderts werden die sehr heißen Phasen bereits über 80 Tage und am Ende des Jahrhunderts sogar 118 Tage dauern.

Dies gelte selbst dann, wenn ab 2040 die CO2-Emissionen wieder sinken würden. Wenn die Freisetzung von Kohlendioxid ungebremst fortgesetzt wird, müssen die Menschen in den MENA-Ländern sogar mit etwa 200 extrem heißen Tagen rechnen. Der Mainzer Atmosphärenforscher Lelieveld schlussfolgert: «Der Klimawandel wird die Lebensumstände im Nahen Osten und in Nordafrika weiter deutlich verschlechtern. Lang andauernde Hitzewellen und Sandstürme werden viele Gebiete unbewohnbar machen, was sicher zum Migrationsdruck beitragen wird.»[i] In den MENA-Ländern leben 550 Millionen Menschen.

Der Syrien-Konflikt und der Klimawandel

Wie eine durch den Klimawandel hervorgerufene Krise der Landwirtschaft zum Auslöser für schwere politische Erschütterungen eines ganzen Staates werden kann, haben schwedische Wissenschaftler für Syrien untersucht.[ii] Ihre Daten zeigen, dass es in den letzten drei Jahrzehnten in Syrien und im Irak einen Rückgang des Niederschlags und erhöhte Temperaturen gegeben hat. Auch die Zahl und die Länge der Hitzeperioden ist in der Region östlich des Mittelmeers gestiegen. Besonders betroffen ist Syrien, das in einer Region liegt, in der auch früher Wasser ein knappes Gut war. Zwischen 2006 und 2009 kam es zu einer schweren Trockenheit, von der insbesondere der Osten des Landes betroffen war.

Diese Brotkorb-Region, die gewöhnlich zwei Drittel der syrischen Ernte produzierte, brach landwirtschaftlich zusammen. Die Weizenerträge sanken um 47 Prozent, die Baumwollernten um 67 Prozent, und auch der Viehbestand verringerte sich massiv. Etwa 800´000 Menschen verloren ihre Lebensgrundlage. Ein Großteil der Landbevölkerung flüchtete in die Städte. Diese Migration addierte sich zu den irakischen Flüchtlingen, die bereits seit dem Irakkrieg von 2003 im Land lebten. Die Arbeitslosigkeit stieg, und 2010 kam es zum Aufstand breiter Bevölkerungsschichten gegen das Assad-Regime.

Sicher hat nicht nur die klimatische Verschlechterung die syrische Krise ausgelöst. Ein Element waren auch die marktwirtschaftlichen Öffnungen, die die syrische Regierung nach 2000 einführte. Trotzdem war der heute noch verhältnismäßig milde Klimawandel ein wichtiges Element bei der Auslösung der folgenden politischen Erschütterungen.

Hitzewellen und ihre Folgen

Es drohen nicht nur heiße Tage, sondern auch Hitzewellen, die lebensgefährlich sein können. Die australischen Wissenschaftler Sherwood und Huber haben 2009 erstmalig auf diese Gefahr hingewiesen.[iii] Im Zentrum ihrer Arbeit steht der Begriff der «Kühlgrenztemperatur» (wet bulb temperature). Das ist die Temperatur, die von einem Quecksilberthermometer gemessen wird, das in ein feuchtes Tuch eingewickelt ist. Die Kühlgrenztemperatur bestimmt sich nicht nur aus der Temperatur, sondern auch aus der relativen Luftfeuchtigkeit. Damit liefert sie einen Maßstab, ob Menschen mögliche Hitzewellen noch überleben können.

So kann in trockenen Wüsten unsere Haut auch noch bei Außentemperaturen von 45 °C oder mehr effektiv gekühlt werden: durch Schwitzen. Aber wenn die Luft außerdem mit Feuchtigkeit gesättigt ist, zeigt das Schwitzen keine Wirkung mehr. Die Temperaturhöhe allein ist also kein zuverlässiger Maßstab dafür, welche Temperaturen ein Mensch ertragen kann.

Ein besserer Indikator ist die Kühlgrenztemperatur. Sogar gesunde und sportliche Menschen können eine Kühlgrenztemperatur von 35 °C nicht länger als 6 Stunden überleben. Kranke, Alte und Kinder sterben schon viel früher. Eine Kühlgrenztemperatur von 35 °C bildet damit eine Überlebensgrenze.

Sherwood und Huber haben berechnet, dass bei einer globalen mittleren Temperaturerhöhung von 7 °C, wie sie bei einem weiteren ungebremsten CO2-Ausstoß erreicht wird, auch die Kühlgrenztemperatur steigen wird. Ein Überleben auf einem großen Teil der irdischen Landmasse wird dann nicht mehr möglich sein. Dazu gehören die Amazonas-Region, Indien, große Teile Afrikas, Australien und der gesamte Südwesten der USA.

Lebensgefahr am Persischen Golf

Aufbauend auf der Arbeit von Sherwood und Huber haben die MIT-Wissenschaftler Pal und Eltahir mit neuen und verfeinerten Klimamodellen die Entwicklung des Mittleren Ostens untersucht.[iv] Sie haben festgestellt, dass bis zum Ende des Jahrhunderts in der Region des Persischen Golfs ein regionaler Hitzehotspot entstehen wird, wenn der Klimawandel nicht gestoppt wird. Es wird dort dann extreme Hitzewellen geben, die alles überschreiten, was es in der menschlichen Geschichte bisher gegeben hat. Nach den Rechenmodellen von Pal und Etahier wird diese Situation bereits nach 2070 auftreten.

Eine Temperatur von 45 °C würde dann in der Golfregion einem normalen Sommermaximum entsprechen. Die Golfregion ist deshalb besonders gefährdet, weil die wolkenlosen Sommertage dazu führen, dass sich das Wasser des flachen Schelfmeeres stark aufheizen kann. Die heißen Winde, die von der Türkei und vom Irak aus über den Golf blasen, können große Feuchtigkeiten aufnehmen und tragen dann hohe Kühlgrenztemperaturen zu den meisten Städten am Golf.

Das wird lebensbedrohlich. Die Kühlgrenztemperatur wird nach den Berechnungen ab 2070 sehr oft oberhalb von 35 °C liegen. Davon betroffen sein werden u.a. Abu Dhabi, Dubai, Doha, Dhahran und Bandar Abbas. Kuwait liegt am nördlichen Ende des Golfs und ist daher gegen hohe Kühlgrenztemperaturen etwas geschützter. Gleichwohl werden die maximalen Temperaturen hier bei unerträglichen 60 °C liegen. Am Roten Meer werden die Temperaturen etwas niedriger liegen als im Golfbereich. Doch auch im Jemen, in Jeddah und in Mekka werden die Kühlgrenztemperaturen noch gefährliche Werte bis zu 33 °C erreichen. Die jährlichen maximalen Temperaturwerte in dieser Region werden sogar 55 °C überschreiten.

Die sommerliche moslemische Pilgerreise nach Mekka könnte lebensgefährlich werden. Die Reichen in den Golfstaaten könnten sich in klimatisierten Räumen vielleicht gegen kritische Werte der Kühlgrenztemperatur schützen. Die Armen müssten die Sommerzeit vermutlich in tiefen Erdbunkern verbringen. Wenn es aber zu Stromausfällen kommt, würde das Leben aller bedroht sein. Auch das Nahrungsproblem wäre ungeklärt. Und wie würden es sich ökonomisch auswirken, wenn körperliche Arbeit außerhalb von klimatisierten Gebäuden zunehmend schwierig wird?

Frühere Klimaszenarien haben für die Zukunft durchaus gefährliche Temperaturen vorhergesagt. Aber die Information, dass wichtige Weltmetropolen schon im 21.Jahrhundert unbewohnbar werden, hat selbst Klimaexperten überrascht. Dass das realistisch werden kann, zeigen jüngste Temperaturentwicklungen in der Golfregion. So gab es hier 2015 eine Hitzewelle, die Temperaturen von 50 °C erreichte und zu einer großen Zahl von Toten führte. Im Juli 2015 lag die Kühlgrenztemperatur im persischen Küstenort Bandar Mah­shahr vorübergehend schon fast bei 35 °C.

Noch bleibt Zeit, die beschriebenen Klimaextreme zu verhindern. Dafür muss der Widerstand gegen die Verbrennung fossiler Energieträger heute vor allem in Europa, Amerika und China geführt werden. Es ist das zentrale Thema, das alle anderen überschattet. Aber auch der Gegner sollte klar sein: Es ist der Kapitalismus, der sich an die Profite aus den fossilen Energien klammert. Hoffnung macht eine sich radikalisierende Klimabewegung, die im Wachstum begriffen ist.

(Quelle: Ökosozialistische Flugschriften, Nr.32, 2016.)

Quelle: sozonline.de… vom 9. September 2017


[i] «Dem Orient droht ein Klima-Exodus». Max-Planck-Institut für Chemie, Mainz 2016.

[ii] U.Åkesson, K.Falk: Climatic change in Syria – trends, projections and implications. Göteborg University, Mai 2015.

[iii] S.Sherwood, M.Huber: An adaptabili­ty limit to climate change due to heat stress. PNAS, 25 May 2010.

[iv] J.S.Pal, E.A.B.Eltahir: Future temperature in southwest Asia projected to exceed a threshold for human adaptability. Nature Climate Change 6 (2016).

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