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Die politische Krise der venezolanischen PSUV als Fanal und als Wegweiser

Eingereicht on 10. August 2014 – 18:14

Die aktuelle Entwicklung in Venzuela, nach 14 Jahren Regierung von Chávez und seines Nachfolgers Maduro, hat den Schleier über vielen Illusionen gerade auch in der europäischen Linken  weggezogen. Nachdem die sich vertiefende wirtschaftliche, soziale und politische Krise gerade auch die Unterschichten erfasst hat, beginnen sich diese gegen die Folgen der Krise und die Angriffe der Regierung zur Wehr zu setzen. So haben in der ersten Hälfte 2014 die sozialen Konflikte, häufig mit politischem Inhalt, um über 270% gegenüber dem ersten Halbjahr 2013 zugenommen. Gelegentlich lassen sich die unzufriedenen Armen und Arbeiter, mangels anderer Möglichkeiten, durch die Rechte, wie sie vor allem im MUD politisch organisiert ist, mobilisieren. Die über ihre Mitarbeit in der PSUV indirekte Beteiligung linker Parteien an der Regierung wirkt sich oft lähmend auf die Entwicklung einer politischen Kraft aus, die die Ansprüche der Massen mit entsprechenden Mobilisierungen verbinden könnte. Sie mögen sich innerhalb der PSUV noch so kritisch gebärden; diesen linken Parteien fehlt letztendlich das politische Instrumentarium, um politisch wirksam eingreifen zu können.

Die im Januar2008, nach dem Wahlsieg von Chávez von 2006, gegründete chavistische PSUV, das politische Instrument der Abstützung und Sicherung der politischen Macht des Chávismus und seiner Klientele, stellt sich den Ansprüchen der breiten Bevölkerung und der Arbeiterklasse immer offener entgegen. Eine Erfahrung, die über das ganze 20. Jahrhundert hinweg weltweit mit politischen Strukturen gemacht wurde, die ihre Legitimation nicht primär aus sozialen Kämpfen und vor allem aus den diese tragenden Segmenten der arbeitenden Bevölkerung beziehen, sondern mehr oder weniger ausschliesslich aus ihrer Verankerung in staatlichen Institutionen. Wie dies für die Sozialdemokratie, die Kommunistischen Parteien und auf ähnlichen strategischen Ausrichtungen beruhende politische Organisationen, wie beispielsweise die PSUV gilt.

Diese Problematik zieht sich natürlich auch bis in die Debatte um die sogenannten Breiten Parteien, wie sie seit einigen Jahren erneut vor allem die europäische Linke durchzieht. Im Gegensatz aber zu der PSUV steht dahinter nur in den seltensten Fällen eine Massenbewegung – abgesehen von Syriza in Griechenland und Podemos in Spanien. Es handelt sich  in Europa eher um wahltaktische Zusammenschlüsse oder dann um Produkte schierer Verzweiflung ob der seit Jahrzehnten andauernden Stagnation oder gar dem Niedergang von politisch-organisatorischen Projekten, die sich auf einer klassenkämpferischen Position entwickeln wollen.  Bei Syriza ist die elektoralistische Entwicklung nach rechts mittlerweile deutlich erkennbar; bei Podemos zeichnet sich ähnliches ab.

Wir publizieren nachfolgend einen Beitrag zu dieser Debatte aus dem Kontext der Krise der PSUV. Er bezieht sich auf eine entsprechende Intervention von Nicmer Evans, eines Aktivisten aus Marea Socialista, die ihrerseits selbst in die PSUV integriert ist. Der Autor ist Führungsmitglied der PSL, die ihrerseits eine Integration in die PSUV immer abgelehnt hat. Die PSL und Marea Socialista waren bis zur Gründung der PSUV die wichtigsten politischen Organisationen, die in der linken Gewerkschaftsströmung C-CURA zusammenarbeiteten; mittlerweile hat Marea Socialista zur Central Bolivariana Socialista de los Trabajadores gewechselt, einer regierungsnahen Gewerkschaft. Sie haben sich seinerzeit aufgrund der Differenzen um die PSUV gespalten. Die PSL ist immer wieder Repressionen durch den Staatsapparat und durch die Unternehmer ausgesetzt. Bei Sidor etwa wurden deren Gewerkschaftsaktivisten mit anderen kämpfenden Arbeitern von der Nationalgarde kürzlich brutal zusammengeschlagen.

Die Übersetzung aus dem Spanischen wurde durch die Redaktion maulwuerfe.ch besorgt.

Miguel Angel Hernández, Caracas, 9 de agosto de 2014. Wir haben mit Interesse den Artikel von Nicmer Evans auf Apporea.org gelesen. Darin erläutert Evans die Gründe für seinen Verbleib in Marea Socialista, der linken Strömung in der Sozialistischen Einheitspartei Venezuelas (PSUV), die gegenüber der Regierung von Nicolás Maduro und der Führung der PSUV eine gewisse Kritik geäussert hat. Das Interessante daran ist, dass Evans die Rempeleien und Irrwege der bürokratischen Führung  der PSUV klar beschreibt und letztendlich bestätigt, dass die Aufrechterhaltung eines kohärenten Engagements innerhalb der Partei schwierig ist.

Evans listet schwarz auf weiss die Gründe auf,  weswegen man nicht länger in der PSUV verbleiben darf, obwohl sich deren Sprecher gegen aussen als Sozialisten bezeichnen. Und trotzdem argumentiert er für einen Verbleib in der Partei, da die MUD [Bewegung der Vereinigten Opposition, ein Bündnis aus rechten Parteien] keine Option für den kritischen linken Chávismus sei.

Auf diesem Punkt sind wir von der PSL [Partei Sozialismus und Freiheit] klar und bestimmt. Die PSUV ist kein politisch-organisatorisches Instrument, um der MUD und seinen pro-imperialistischen Parteien entgegenzutreten. Vielmehr liegt es im Interesse der Boliburgesía und der korrupten Bürokratie, mit der MUD und mit der Fedecameras [nationaler Unternehmerverband]  zu Vereinbarungen zu kommen, um die Regierbarkeit Venezuelas unter kapitalistischen Bedingungen wieder herzustellen, genau so wie wir dies über die vergangene Periode sehen konnten. Auch ist es durchaus nicht klar, dass die einzige Option für die linken Aktivistinnen und Aktivisten des Chávismus, die mit der Regierungspartei unzufrieden sind, darin besteht, sich in die Arme der bürgerlichen Opposition zu werfen.  Weshalb sollte man die Linie akzeptieren, dass der einzige Weg, um aus einer linken Position  gegen die MUD zu sein, nur aus aus einem Verbleib in der PSUV und aus dem Chávismus heraus möglich sein sollte? Weshalb sollt man sich einem solchen eisernen Dilemma unterwerfen? immer wieder benutzt die Regierung diese Erpressung gegen ihre Basis.

Klassenkampf gegen die Sparprogramme 

Wir müssen ehrlich sein. Die Übel, die das Land heimsuchen, sind nicht plötzlich während der kurzen Amtszeit von Nicolás Maduro aufgetreten. Die Versorgungsknappheit, die Geldentwertung, die schlechten öffentlichen Dienstleistungen, die Verletzung der Gesamtarbeitsverträge, die tiefen Löhne, das Fehlen von Demokratie in der Regierungspartei, das Aufzwingen von Kandidaten von oben,  das die Vizepräsidenten daran hindert, genügend Stimmen für den Verbleib in der Führung zu erhalten, die Kriminalisierung von Protesten, all dies hat sich über viele Jahre entwickelt. Maduro hat den bereits vorhandenen fürchterlichen Fehlentwicklungen der Regierung  und der PSUV lediglich Kontinuität verliehen.

Heute liegt auf der Hand, dass es eine ernste und tiefe Krise in der Basis der PSUV und den Parteien des Patriotischen Poles gibt. Der Diskurs, der uns eine sozialistische Zukunft verhiess, besitzt keinerlei Grundlage in der Realität. Die wirtschaftliche Krise und deren Folgen werden auf die Arbeiterklasse und die breiten Bevölkerungsschichten abgewälzt, und diese reagieren mit Protesten und mit Mobilisierungen. Der harte Kampf der Arbeiter und Arbeiterinnen von Sidor für ihren Arbeitsvertrag und gegen die Drohungen von Diosdado Cabello [Präsident der PSUV; ein wegen schamloser Korruption ins Rampenlicht geratener Politiker; Anm. maulwuerfe.ch] ist von daher kein Zufall; dieser hat die Arbeiter und Arbeiterinnen als Mafiosi beschimpft, die in ihrer Mehrheit immer noch Chávisten sind, obwohl viele von ihnen neulich die roten T-Shirts des PSUV aus Protest gegen solche Anpöbelungen verbrannten. Auch die Volkserhebungen in Boconó, die eine bessere öffentliche Versorgung forderten, oder die Strassensperren in Choroni sind kein Zufall.

Die Bevölkrung hat aus der jahrelangen Erfahrung mit einer Regierung gelernt, die sich selbst als sozialistisch und arbeiterfreundlich qualifiziert hat, die in Wirklichkeit jedoch mit den Unternehmern der Fedecamaras paktiert hat, um die Versorgung mit Gütern des Alltagbedarfs zu verbessern. Ein Beispiel hierfür ist die neueste Preiserhöhung für vorgekochtes Mehl, nach der Lorenzo Mendoza [ein Unternehmer der Nahrungsmittelbranche]  und der Präsident des Unternehmerverbandes der Nahrungsmittelhersteller sich mit Regierungsvertretern getroffen haben. Und Arbeiterinnen und Arbeiter entlassen wurden, wie beispielsweise die 800 Entlassenen der Zuckerfabriken, oder diejenigen der Automobilfabriken, nebst anderen. Angesichts dieser konkreten Tatsachen, was für eine Position müssen diejenigen einnehmen, die sich als Revolutionäre und als Sozialisten bezeichnen? Dies ist die wichtigste Frage, um damit beginnen zu können, diejenigen auf neuer Grundlage zu gruppieren, die ehrlich für den Aufbau des Sozialismus kämpfen möchten.

In Tat und Wahrheit zieht die Regierung ein ökonomisches Sparprogramm durch, um die Kosten der  Krise auf die Schultern der Arbeiterinnen und Arbeiter zu laden. So hat sie eine Preiserhöhung auf Treibstoff,  eine bevorstehende Abwertung, eine Erhöhung der Preise für öffentliche Dienstleistungen und für Produkte unter der staatlichen Preiskontrolle angekündigt. Um das Volk aber zu täuschen, haben sie die Formel erfunden, es handle sich dabei um eine Massnahme im Übergang zum «produktiven Sozialismus», das heisst, dass wir bis anhin wohl einen «unproduktiven Sozialismus» hatten. Genau genommen, ein Wirtschaftsmodell, das vor allem den multinationalen Konzernen, der Boliburguesía und den Unternehmern zugute kam und die die Versorgungsknappheit, Inflation und Arbeitslosigkeit erzeugt hat.

Wir halten weiterhin ganz klar an der Auffassung fest, dass Venezuela nie aus dem Rahmen des Kapitalismus herausgetreten ist. Eine Partei und eine Regierung, die von korrupten Neureichen und Bürokraten angeführt wird, kann uns nie und nimmer in den Sozialismus führen. Wir müssen für eine Regierung der Arbeiterklasse und der breiten Bevölkerung streiten. Organisationen wie etwa Marea Socialista haben die Aufgabe, Interventionen wie etwa diejenige von Evans zu kanalisieren, um den unzufriedenen Chávismus in die Perspektive des Aufbaus einer Tendenz innerhalb der PSUV zu integrieren. Wir respektieren diese Entscheidung und die Aktivistinnen und Aktivisten, die mit ihrer Unzufriedenheit mit der PSUV diese Erfahrung machen. Trotzdem sagen wir dem  Chávismus an der Basis, der in den Fabriken, in den Universitäten und in den Basisorganisationen kämpft, dass die Grundvoraussetzung darin besteht, dass wir die Arbeiterinnen und Arbeiter und die breite Bevölkerung in gemeinsamen Aktionen gegen die Sparprogramme der Regierung  und von Fedecameras vereinen können, wie auch alle politischen Aktivistinnen und Aktivisten, die sich als Revolutionäre oder als Linke betrachten. Dieses Ziel muss die aktuellen politischen Kämpfe anleiten und nicht die elende Orientierung, innerhalb der PSUV die Unzufriedenheit zu steigern, um höhere Quoten bei der Zuteilung der Posten und der Zuwendungen durch die Regierung zu erreichen.

Der notwendige Aufbau einer revolutionären Partei

Wir in der PSL sind der Auffassung, dass diese Aufgaben, wie sie in den Kampf gegen die Abbaumassnahmen und gegen die Kriminalisierung des sozialen Protestes eingelassen sind, nicht zu trennen sind vom Aufbau einer wirklich revolutionären sozialistischen Partei, ohne autoritäre Führer und ohne Messias. Wie Evans feststellt, gibt es Hoffnung. Aber diese Hoffnung lässt sich nicht innerhalb der PSUV verwirklichen. Sind 14 Jahre an Betrügereien, Bürokratismus, falschen Versprechungen nicht genug? Wir brauchen ein politisch-organisatorisches Instrument der Arbeiterklasse und der breiten Bevölkerung, ohne Kapitalisten und ohne Korruption.

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