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BDS ist unser einziger Hebel gegen die israelische Besatzung und Apartheid

Eingereicht on 13. Oktober 2017 – 8:27

Zu glauben, Israel könne seine koloniale Apartheidsherrschaft ohne Hilfe von außen abschaffen, ist eine gefährliche Illusion und basiert auf israelischer Machomentalität.

In einem Haaretz-Artikel antwortete Uri Avnery auf meine Worte, die ich auf der Party zu meinem 80. Geburtstag an meine Freunde gerichtet hatte. Er schrieb:

„Einige meiner Freunde glauben, dass der Kampf verloren ist, dass es nicht länger möglich ist, Israel >von innen< zu verändern, dass nur Außendruck noch helfen kann und dass genau dazu die BDS-Bewegung (boycott, divestment and sanctions) fähig ist. Eine meiner Freundinnen, die so denken, ist Dr. Ruchama Marton“.

Avnery setzt fort: „Zunächst einmal möchte ich ganz entschieden die Behauptung zurückweisen, dass wir nichts tun könnten, um den Staat zu retten und dass wir Fremden diese Aufgabe anvertrauen müssen. Wir sind dafür verantwortlich“.

Hier nun meine Antwort an ihn.

Ich habe niemals und an keinem Ort je gesagt, dass ich- oder allgemeiner formuliert: die nicht-zionistische Linke, die als radikal bezeichnet wird- von jemandem erwartet unsere Arbeit für uns zu machen, noch, dass wir dies wollen würden. Das wäre nicht nur nicht moralisch- es wäre auch dumm und impraktikabel.

Vom Bürgerkrieg in Spanien – einem Krieg, den wir verloren haben- bis zum Fall Südafrika -einem Krieg, den wir gewonnen haben- und in allen anderen Befreiungskämpfen, haben die Einheimischen immer gemeinsam mit ihren internationalen Unterstützern gekämpft und sind gemeinsam mit ihnen getötet worden, niemals getrennt. In dieser Hinsicht ist die Linke in Israel in sehr guter Gesellschaft. Avnery hat nicht das Recht, über mich oder uns zu sagen, dass wir von jemandem außerhalb Israels erwarten würden, den Kampf für uns zu kämpfen. Das ist wirklich falsch.

Der wahre Kampf ist meiner Meinung nach der antikoloniale und Anti-Apartheidskampf. Wer auch immer ernsthaft glaubt, er können diesen Kampf ohne Hilfe von außen gewinnen, hängt einer falschen, gefährlichen Illusion an, die auf zionistisch-israelischem Machotum beruht. „Ich und nur ich!“ lautet dessen Motto.

Die Friedensfrage ist heutzutage nicht relevant. Sie ist eine zu bequeme Frage, zu hübsch und zu impraktikabel. Die Unterstützung des Friedens ist heute keine politische Position, sondern eine hohle Phrase. Kennt Avnery jemand im rechten oder linken politischen Spektrum, der sich als Gegner des Friedens outen würde? Die gegenwärtige Frage ist die nach Besatzung und Apartheid.

Der antikoloniale Befreiuungskampf hat eine respektierte Tradition und der Kampf gegen Apartheid kann eine Strategie vorweisen, die sich bereits erfolgreich bewiesen hat. Diejenigen, die für echten politischen Wandel kämpfen -statt nur für die Rettung des Landes- müssen die Privilegien aufgeben, die ihnen vom Apartheidsregime zugestanden werden.

Das Recht auf ein politisches Leben ist das wichtigste Recht. Ohne das Anrecht auf ein politisches Leben, landet man in einer „Lasst die Tiere doch leben“-Situation. Für das Recht auf ein Krankenhaus in den besetzten Gebieten zu kämpfen ähnelt dem Kampf für einen Trog für ein Pferd. Das totalitäre Regime reduziert die Bürger darauf, „Rechte zu haben“- das Recht auf Nahrung, eine Behausung, Ausbildung und Gesundheit.

Wenn jedoch das Recht auf ein politisches Leben verleugnet wird, wird die betroffene Person auf den Status eines Tieres reduziert. Derjenige, der nicht bereit ist für politische Rechte für alle zu kämpfen, kämpft faktisch nur für das eigene Wohlergehen. Wir sollten uns die entscheidende Frage stellen- sind wir nur Aspirin für den Besatzer? Ein Pflaster für die Apartheidszustände?

Ich will den jungen Leuten, die bereit sind zu kämpfen, die Werkzeuge zu kritischem Denken geben. Mit anderen Worten: eben nicht auf der Spielwiese der Regierung nach den von ihr festgelegten Spielregeln zu spielen. Wir müssen lernen zu sagen, dass wir nicht mehr die Regeln der Regierung akzeptieren. Das bedeutet Risiken auf sich zu nehmen und Privilegien aufzugeben, die nur innerhalb der vom Regime gesetzten Grenzen Geltung haben. Wie Ralph Waldo Emerson es sagte: „Gute Menschen dürfen den Gesetzen nicht zu gut gehorchen.“

Solange jüdische Israelis, die BDS nicht unterstützen, denken, dass es möglich ist, den Wandel von innen heraus zu bewerkstelligen, ähneln sie dem Hasen aus der Fabel, der den Löwen von innen heraus ändern wollte. Der Hase fand zwar Eingang in den Löwen, aber da hört die Geschichte auch schon auf. Der Wandel von innen ist heute eine Illusion, die radikale Linke kann nicht so denken und handeln.

Die zionistische Linke hat Angst vor dem Radikalismus, weil sie Angst davor hat alleine zu bleiben, ohne eine Gruppe, der man zugehören könnte- ohne eine „Stammeszugehörigkeit“. Das Problem daran ist- es gibt einen solchen anderen, größeren Stamm- und dieser politische Stamm ist da draußen. Die wachsende internationale BDS-Bewegung ist Teil dieses Stammes. Sie ist unser Verbündeter, weil wir keine Verbündeten innerhalb unseres lokalen Stammes haben. Wir müssten das von innen heraus wissen, denn wir sind zu wenige und zu schwach. Wir können nicht allzuviel tun ohne unsere Verbündeten von außen. Die Verräter von heute sind die Helden von morgen.

Avnery sagt: „Ich glaube, dass es ein Fehler wäre, Israel selbst zu boykottieren. Dies würde die ganze israelische Öffentlichkeit in die Arme der Siedler treiben, während es unsere Aufgabe wäre, die Siedler in den besetzten Gebieten zu isolieren und sie von der israelischen Öffentlichkeit zu separieren. Unsere Aufgabe ist es, uns neu zu organisieren, umzugruppieren und unsere Bemühungen zu verdoppeln, die jetzige Regierung zu stürzen und das Friedenslager an die Macht zu bringen.“

Ich sage ihm: Sie gehen von unbegründeten Annahmen über die Zukunft aus, die sich letztlich aus der Angst speisen allein zu bleiben, wenn die ganze israelische Öffentlichkeit sich den Siedlern anschließt. Faktisch ist genau das mit großen Teilen der Öffentlichkeit bereits geschehen. BDS ist der einzige gewaltfreie Hebel, der in der Lage ist, die jüdisch-israelische Gesellschaft das Joch und den Schmerz der Besatzung spüren zu lassen indem sie den Preis dafür zahlt.

Wenn die Boykott-Bewegung dazu führt, dass die Besatzung und Apartheid in einem wirtschaftlichen, kulturellen und diplomatischen leidvoll hohen Preis resultieren, dann ist es sehr wohl möglich, dass sich ein Wandel in Israels Weltsicht vollzieht. Diese Sicht ist bisher einerseits durch die enormen Vorteile geprägt, die das Land und die jüdischen Bürger aus Besatzung und Abgrenzung ziehen und auf der anderen durch die Feigheit derer, die als israelische Linke oder Friedenslager bezeichnet werden.

Dr. Ruchama Marton ist Psychoanalytikerin sowie Gründerin und Präsidentin der israelischen Abteilung von „Ärzte für Menschenrechte“ (PHRI). PHRI hat 2010 den „Right Livelihood Award“ erhalten, den „alternativen Nobelpreis“. Ihre Ansichten präsentieren nicht die Ansichten der Organisation.

Auf eine gegenderte Schreibweise wurde bei dieser Übersetzung aus dem Englischen verzichtet.

Übersetzer und Einleitung: Christoph Glanz, BDS Initiative Oldenburg.

Quelle: diefreiheitsliebe.de… vom 13. Oktober 2017

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