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AV2020 – Wer hat da wen verraten?

Eingereicht on 20. Oktober 2017 – 8:46

Siro Torresan. Der Frust über das Nein zur Altersvorsorge 2020 sitzt bei der Gewerkschaftsführung tief. Man beklagt sich über «linke NeinsagerInnen», die entscheidend zum Nein beigetragen haben. Etwas Selbstkritik wäre angebracht.

«Die Ablehnung der Altersvorsorge 2020 ist in einer sozialen Perspektive ein schmerzhafter Rückschlag. Oder genauer: Eine verpasste grosse Chance für soziale Fortschritte», schreibt Paul Rechsteiner, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), in seiner Stellungnahme gleich nach dem doppelten Nein am 24. September zur AV2020-Reform. Rechsteiner gilt allgemein als einer der Väter der Reform. Er hat sich im Parlament mit Leib und Seele für sie eingesetzt. Seine Enttäuschung ist daher nachvollziehbar. Wenige Tage später beklagt er sich in einem Interview in der Gewerkschaftszeitung «work»: «Ohne linke Neinsager hätten wir gewonnen.» Er gibt weiter zu Protokoll: «So viel steht fest: Die Wirtschaftsverbände und die Rechtsparteien hätten ohne das linke Nein gegen das Frauenrentenalter 65 und ohne die Massenversände des ‹K-Tipps› nicht gewonnen.»

Offensichtliche Gründe des Neins

Rechsteiner geht in seiner Stellungnahme auf die Gründe des Neins ein: «Schaut man genauer hin, so waren es allerdings schwergewichtig sozialpolitische Argumente, die zu einem Nein führten», hält er fest. Und weiter: «Auch viele Frauen stimmten Nein, weil sie die Heraufsetzung des Rentenalters nicht akzeptieren konnten. (…) Die auch Jahrzehnte nach Annahme des entsprechenden Verfassungsartikels nicht realisierte Lohngleichheit war und bleibt auch in der Rentenfrage ein wichtiger Faktor bei der Meinungsbildung.» Und in Sachen BVG-Rente schreibt der SGB-Präsident: «Für grossen Unmut sorgten in Diskussionen regelmässig auch die sich unabhängig von der gesetzlichen Regelung ständig verschlechternden Pensionskassenrenten. Sie bewogen nicht wenige, aus Protest ein Nein in die Urne zu legen.» Genau, Kollege Rechsteiner: Die Erhöhung des Frauenrentenalters und Senkung der BVG-Rente waren zwei Hauptgründe für das Ergreifen des Referendums der «linken NeinsagerInnen»! Etwas frech könnte man jetzt anmerken, dass es zum Glück politische AktivistInnen im linken Lager gibt, die näher bei den Leuten sind als die KollegInnen an der Spitze des SGB. Es ist offensichtlich – und Rechsteiner schreibt es ja selber! –, dass «schwergewichtig sozialpolitische Argumente» wie eben die Erhöhung des Frauenrentenalters sowie die Senkung der BVG-Rente die Waage zum Nein kippen liessen. Daher: Wie kann man aus gewerkschaftlicher Sicht von «einer verpassten, grossen Chance für den sozialen Fortschritt» sprechen? Kollege Rechsteiner, seit wann ist ein höheres Frauenrentenalter und eine Rentensenkung ein sozialer Fortschritt? Vielleicht wäre es ehrlicher und entsprechend sinnvoller zuzugeben, dass das Ja ein Fehler war, weil der Preis dafür einfach zu hoch war. Denn genau dies ist die Botschaft an die Gewerkschaften von vielen ArbeiterInnen, die zu Recht Nein zur Reform gesagt haben.

Das Ja hingebogen

Wobei, von «den Gewerkschaften» zu reden, ist falsch. Es gilt eine wichtige Differenzierung zu machen: Es war die Gewerkschaftsführung, die auf ein Ja zur Reform gedrängt hat. Bestes Beispiel dafür ist, wie das Ja bei der Gewerkschaft Unia zustande kam. Am Kongress im Oktober 2016 sprach sich die Basis klar gegen die Reform aus. Auf der Website ist zu lesen: «Die Delegierten am Unia-Kongress im Oktober 2016 haben eine Kampagne gegen Sozialabbau, Sparpolitik und Steuergeschenke für Reiche und Unternehmen beschlossen. Gegen die geplanten Verschlechterungen bei der Altersreform 2020 wollen sie das Referendum ergreifen.» Es brauchte dann zwei auf Biegen und Brechen einberufene Konferenzen, um den Entscheid so hinzubiegen, wie es der Führung passte. Genützt hat es nicht. Ob die richtigen Lehren daraus gezogen werden, muss sich zeigen.

Quelle: Vorwärts vom 12. Oktober 2017…

 

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