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Stadtentwicklung: Den öffentlichen Raum zurückerobern!

Eingereicht on 18. November 2017 – 17:15

BFS Jugend Zürich. Die Entwicklung der Städte unter kapitalistischen Vorzeichen ist weltweit ein Skandal. Für die lohnabhängigen BewohnerInnen bedeutet Stadtaufwertung nicht mehr Wohn- und Lebensqualität, sondern ins Unermessliche steigende Mieten, die Vertreibung aus den Quartieren, Repression gegen alles Unliebsame und die Privatisierung des öffentlichen Raumes. Begleitet wird diese «Entwicklung» von der Entstehung toter Büroquartieren oder unnützen «hippen» Einkaufsläden. Diese Entwicklungen kennen wir in Zürich nur allzu gut. Es ist an der Zeit Rezepte für eine andere Stadtentwicklung zu denken. Solche Rezepte können nur erfolgreich sein, wenn die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse radikal in Frage gestellt werden.

Gemeinsam gegen kapitalistische Stadtaufwertung!

Städte verändern sich ständig. Sie sind heute nicht mehr nur Wohn- und Arbeitszentren, sondern auch Kultur-, Freizeit- und immer mehr auch Konsumorte. Die vielen verschiedenen Bedürfnisse und Konflikte, die auf engem Raum entstehen, rufen immer neue Dynamiken hervor. Veränderungen müssen dabei nicht zwingend schlecht sein. Eine Stadtentwicklung unter Einbezug aller hier lebenden Menschen könnte die Lebensqualität für alle verbessern. Niemand hätte etwas gegen mehr Begegnungsorte, tiefere Mieten, mehr Grünflächen oder gute und erschwingliche Freizeit- und Kulturangebote. Was hingegen in Zürich und in vielen anderen Städten weltweit in den letzten Jahren zu beobachten ist, ist eine kapitalistische Stadtaufwertung, die von den staatlichen Institutionen (Regierung, Polizei, etc.) und privaten Unternehmen Hand in Hand durchgedrückt wird und dabei die Profitmaximierung ins Zentrum stellt: die Profite von Immobilienfirmen, Grossunternehmen, Banken und von «Start-Ups» mit ihren hippen Zwischennutzungskonzepten. Diese globalen Dynamiken wurden durch die Krise seit 2007, die das Kapital in noch extremerem Ausmass zwingt sich stets neue Anlage- und Verwertungsmöglichkeiten zu suchen, sogar noch beschleunigt. Als Folge werden seit Jahren Menschen aus den (ehemaligen) Arbeiter*innenquartieren der Stadt Zürich, vor allem den Kreisen 3, 4 und 5, vertrieben. Sie können sich die steigenden Mieten, die trendigen Burgerrestaurants oder den veganen Bio-Laden nicht mehr leisten. Offensichtlich werden diese Entwicklungen, wenn man heute die Langstrasse runterfährt oder sich sogar einen Besuch an der Europaallee zumutet. Sie sind aber vor allem auch für die vielen Anwohner*innen tagtäglich spürbar, die bereits weggezogen sind und hippen Jungunternehmer*innen in ihren teuren Loftwohnungen platzgemacht haben, oder die seit Jahren mit steigenden Mietpreisen zu kämpfen haben und sich nach neuen Wohnungen umsehen müssen.

Nein zur Privatisierung des öffentlichen Raums!

Etwas subtiler, aber genauso spürbar, entwickelt sich auch der öffentliche Raum in diesen Gebieten hin zu einer sterilen, überwachten und sauberen, sprich toten Umgebung. Beginnen wir beim Offensichtlichsten: Es gibt Strassen in dieser Stadt, an denen man nicht entlanglaufen kann, ohne zumindest einem Polizeikastenwagen zu begegnen, egal zu welcher Tageszeit. Die Polizei ist derart omnipräsent, dass viele Menschen das schon gar nicht mehr wahrnehmen. In benachbarten Ländern müsste man lange suchen, um eine ähnliche Dichte der Polizeipräsenz zu finden wie in Zürich. Neuster Wurf wird das PJZ (Polizei- und Justizzentrum) sein, ein Repressionsprunkbau inmitten des Arbeiter*innenviertels und die architektonische Aufhebung der Gewaltenteilung (Polizei (Exekutive) und Justiz (Judikative) im gleichen Gebäude). Die Militarisierung der Stadt, die in den letzten Jahren von scheinbar linken Regierungen, von Maurer (SP) über Leupi (Grüne) bis Wolff (Alternative Liste) weiter ausgebaut wurde, auch sie ist Teil der Stadtaufwertung von Oben, welche die noch nicht komplett gezähmten Gebiete der Stadt ständig kontrolliert, überwacht und – wenn es sein muss – von störenden Elementen «säubert». Erlaubt sei schliesslich das, was nicht stört, und störend sind all die Elemente, welche dem Profitdenken mit teureren Mieten und Investitionen in Gebäude als Anlagewerte etwas entgegenzusetzen haben. Die kapitalistische Stadtaufwertung ist dabei ein widersprüchlicher Prozess, da es zumindest in einer ersten Phase der Aufwertung gerade das «Belebte», das «Multikulturelle», das «Urbane» ist, welches Stadtteile auch für reichere Mieter*innen interessant macht und die Nähe zur «Szene» sogar als Verkaufsargument dienen kann. Doch sobald das Kapital einzieht, sobald es darum geht, möglichst viel Profit aus ganzen Stadtgebieten zu ziehen, bleibt kein Platz mehr für eben dieses «Leben». Kapital braucht Anlagesicherheit, und deshalb gibt es zu den teureren Wohnungen mehr Kameras, mehr Polizei und mehr Kontrollen dazu.

Die Dystopie Zürich-West: Nicht mit uns!

Zu spüren bekamen diese Entwicklungen in Zürich in den 1990er-Jahren als einige der ersten die Drogenkonsument*innen. Die damals entwickelten Diskurse und Zwangsmassnahmen, wie etwa Wegweisungen, wurden mittlerweile schon längst auf andere Bevölkerungsgruppen wie Migrant*innen oder Geflüchtete übertragen. So werden immer weitere Gruppen definiert, die nicht ins Bild einer profitgetriebenen Stadtentwicklung passen. Es sind auch oft diese Gruppen, welche sich die teureren Mieten nicht mehr leisten können. Das Ideal dieser Entwicklung ist eine tote Stadt mit leeren Strassen und leeren, luxussanierten Wohnungen mit denen auf höhere Preise spekuliert werden kann. Wer sich Teile von Zürich-West anschaut, kann diesen kapitalistischen Alptraum bereits in der Realität begutachten.

Aber warum sollten Immobilienfirmen, Grossunternehmen oder abgehobene Stadträte entscheiden, wie wir in unseren Quartieren, Strassen und Häusern zu leben haben? Wir wollen keine Luxuswohnungen, die sich niemand leisten kann, kein Hiltl an der Langstrasse und keine Kameras an jeder Tramhaltestelle. Wir wollen einen öffentlichen Raum, der für Alle offen steht, Begegnungsorte für die Menschen und bezahlbare Wohnungen für Alle. Eine ganze Stadt, wie die toten Retortenbauten in Zürich-West oder die Europaallee: eine dystopische Zukunft gegen die es sich zu wehren lohnt!

Der Text wurde als Flyer an der Demo gegen kapitalistische Stadtaufwertung und Vertreibung in Zürich am 18. November 2017 verteilt.

Quelle: sozialismus.ch… vom 18. November 2017

 

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