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Lettische Waffen-SS unter dem Schutz des Staates

Eingereicht on 23. November 2017 – 9:54

Frank Brendle. In Lettland können Nazi-AnhägerInnen problemlos Aufmärsche durchführen, AntifaschistInnen sind hingegen der Repression ausgesetzt. Ein lettisches Gericht hat nun sogar geurteilt: Wer Verbrechen der Nazis dokumentiert, ruft zur Gewalt auf.

Ein Gericht in der lettischen Hauptstadt Riga hat einen Antifaschisten verurteilt, weil er am Rande des jährlichen Aufmarsches zu Ehren der Waffen-SS ein Bild gezeigt hatte, das ein Kriegsverbrechen von Nazis und lettischen KollaborateurInnen dokumentiert. Wie die Internetseite «Defending History» in der vergangenen Woche berichtete, werteten die RichterInnen in dem schon am 22. September ergangenen Urteil den Protest als «Aufruf zur Gewalt».

Anzeige wegen Anstiftung zu Gewalt

Jedes Jahr marschieren am 16. März bis zu 2000 Menschen durch Riga, um den Angehörigen der sogenannten Lettischen Legion, einer Division der Waffen-SS, zu gedenken. Unterstützt wird der Marsch von der ultrarechten Partei «Alles für Lettland», die auch der Regierungskoalition angehört und die HelferInnen der Nazis als KämpferInnen für die Unabhängigkeit Lettlands verherrlicht.

Eduards Goncarovs, Angehöriger des Lettischen Anti-Nazi-Komitees, hielt den SS-AnhängerInnen im vergangenen Frühjahr ein stark vergrössertes Foto entgegen, das ein Massaker von Nazis und einheimischen KollaborateurInnen an Kriegsgefangenen zeigt. Dafür wurde er zunächst wegen Verstosses gegen das Versammlungsgesetz angezeigt. Die Strafkammer des Rigaer Regionalgerichts erweiterte den Vorwurf dann auf Anstiftung zur Gewalt.

Das Ansehen Lettlands

Die Begründung des Gerichts spiegelt ziemlich genau wider, wie im offiziösen Lettland die Geschichte betrachtet wird: Es stellt zunächst fest, die Abbildung des Kriegsverbrechens könne in den Augen von ZuschauerInnen den Eindruck erwecken, Angehörige der SS-Einheiten seien daran beteiligt gewesen. «Das öffentliche Verbreiten eines solchen Bildes steht in engem Zusammenhang mit Bestrebungen, das internationale Ansehen Lettlands zu schädigen», konstatierten die RichterInnen weiter. In Hinblick auf die innenpolitische Situation wurde Goncarovs vorgehalten, durch die «feindlichen und gewalttätigen Abbildungen» ethnischen Hass innerhalb der Gesellschaft zu fördern, welcher geeignet sei, die Stabilität des Landes zu gefährden. Gemeint ist: Die russischstämmigen EinwohnerInnen könnten sich in ihrer Ablehnung der offiziösen SS-Verherrlichung bestätigt sehen und sich womöglich stärker als bisher dagegen wehren. Eine Verurteilung Goncarovs sei «zur Verteidigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, des demokratischen Staatswesens und zur Abwehr vorsätzlicher Konfrontationen» unabdingbar, so die RichterInnen.

Das Strafmass selbst ist kaum der Rede wert – es blieb bei einer blossen Verwarnung. Das Urteil kann aber die Grundlage bieten, den Protest gegen die Verherrlichung des Nazifaschismus in Zukunft noch stärker zu unterdrücken. Ohnehin müssen sich dessen GegnerInnen gefallen lassen, als «fünfte Kolonne Moskaus» abgetan zu werden.

Seit Jahren stehen zudem AntifaschistInnen aus dem Ausland auf schwarzen Listen des lettischen Geheimdienstes, um zu verhindern, dass sie die Proteste unterstützen. 2016 wurde eine Delegation der deutschen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) am Flughafen von Riga abgefangen und ausgewiesen. Dass nun auch Abbildungen, die eine Beteiligung lettischer KollaborateurInnen an den Verbrechen dokumentieren, kriminalisiert werden, bezeichnete Markus Tervooren, Sprecher der Berliner VVN-BdA, im Gespräch mit der Tageszeitung «junge Welt» als «haarsträubend». Es sei «Zeit, dass sich die lettische Gesellschaft ihrer Geschichte der Nazi-Kollaboration stellt, statt die Mahner zu kriminalisieren».

Gegen das Urteil ist in Lettland keine Berufung möglich. Goncarovs’ Rechtsanwalt Aleksandr Kuzmin teilte mit, er prüfe eine Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Quelle: Vorwaerts.ch… vom 23. November 2017

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