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Jerusalem: Stellt die Entscheidung Trumps ein Bruch dar?

Eingereicht on 13. Dezember 2017 – 16:55

Julien Salingue. Am 6. Dezember 2017 hat Donald Trump in einer zehnminütigen Ansprache seinen Entschluss bekanntgegeben, Jerusalem offiziell als Hauptstadt des Staates Israel anzuerkennen und die US-amerikanische Botschaft, die bisher in Tel-Aviv residierte, nach Jerusalem zu verlegen.

Seit dieser Ankündigung häufen sich die negativen Urteile wie auch die Kommentare, die eine Katastrophe vorhersagen; all dies erlaubt jedoch nicht unbedingt, die Motive, die Gefahren und die wahrscheinlichen Folgen dieser Entscheidung von Trump zu erkennen.

Der Trumpismus in seinem vollen Triumph

Wie soll der Entscheid des US-Präsidenten verstanden werden? Bei den Analysten und Kommentatoren tauchen verschiedene Interpretationen auf: Symbolischer Bruch mit seinen Vorgängern Clinton und Obama, ein Zufriedenstellen der sehr zionistischen christlich-evangelikalen Rechten, persönliche Nähe zu Netanyahu, Gegenmittel gegen die Anklage seines ehemaligen nationalen Sicherheitsberaters Michael Flynn in der «Russlandaffäre»… Jede dieser Erklärungen hat etwas Richtiges an sich, sie zielen zum Teil am Wesentlichen vorbei.

Um es auf eine triviale Art zu sagen (und das Mindeste was man sagen kann ist, dass die Trivialität bei weitem nicht inkompatibel mit dem Handeln und den Taten des aktuellen US-Präsidenten ist), Donald Trump benimmt sich einfach wie Donald Trump. Das internationale Recht, die Meinung anderer Staaten – einschliesslich der arabischen Verbündeten – und die Ansichten seiner Umgebung (sein Staatssekretär und sein Verteidigungsminister waren gegen diesen Schiedsspruch) haben angesichts der innersten Überzeugung von Trump kein grosses Gewicht gehabt; für ihn war dieser Entscheid, nach seinen eigenen Worten, «die gute Sache, die getan werden musste».

So funktioniert die Welt gemäss Donald Trump: unabhängig der möglichen Konsequenzen trifft er Entscheidungen, die im Innersten «gut» sind, während andere «schlecht» sind, und die «mutigen Männer» müssen die «guten» Entscheidungen treffen. Eine mystische Vision von Politik, die an diejenige von George W. Bush erinnert, aber sich bei Trump – wegen seines Habitus des golden boy und seines Auftretens gegen das Establishment – verdoppelt mit einer Verachtung für den Realismus, der in der US-Diplomatie vorherrschte und den er als Wankelmut und damit als Feigheit versteht.

Ein hauptsächlich symbolischer « Bruch »

Mit seinem Hang zu pompösen Theaterauftritten, zu Täuschungsmanövern und zu rabiatem Durchgreifen ist Trump grossteils unkalkulierbar, seine politische Rationalität ist eben irrational. Zeitweilig jedoch hat er paradoxerweise das Verdienst, indem er sich dem scheinheiligen Getue verweigert und die nackten Wahrheiten offenlegt, die durch die Absichtserklärungen und Einstellungen von Barack Obama eher verdeckt wurden. Dies trifft in Hinsicht auf Jerusalem zu und, allgemeiner, auf die Politik der USA gegenüber Israel.

Viele behaupten, der Entscheid von Trump stelle einen «Bruch» hinsichtlich Jerusalem dar, vor allem da er dem «Friedensprozess» ein «falsches Signal», ja einen «tödlicher Schlag» versetze. Aber wenn es auch zutrifft, dass die Anerkennung Jerusalems als israelischer Hauptstadt und die Verlegung der Botschaft einen symbolischen Bruch bedeutet, so ist es übertrieben, um nicht zu sagen verfehlt, zu behaupten, Trump habe damit eine brutale Neuausrichtung der US-Diplomatie vollzogen.

Die Rede vom «Tod des Friedensprozesses» ist insofern scheinheilig, als dabei vorausgesetzt wird, es hätte bis zur Erklärung von Trump sowas wie einen «Friedensprozess» gegeben. Gleichfalls nimmt die These eines «Bruches des Gleichgewichtes» in der Behandlung des israelisch-palästinensischen Konfliktes durch die USA die Administration Obama aus der Verantwortung und schreibt ihr eine «ausgeglichene» Sicht auf den Konflikt zu. Wer immer mit sowenig Abstand und Informiertheit auf die Entwicklung der Dinge über die vergangenen zehn Jahre blickt, wird feststellen, dass mindestens zwei widersprechende Wahrheiten bestehen.

Ostjerusalem wurde ungestraft annektiert und kolonisiert

Mehrere Resolutionen des UN-Sicherheitsrates (die also kein Veto der USA hervorgerufen haben) beziehen sich spezifisch auf Jerusalem. 1968, also ein Jahr nach der Eroberung des Ostteils der Stadt, fordert die Resolution 252 von Israel «sich sofort aller neuen Massnahmen zu enthalten, die auf eine Änderung des Status von Jerusalem hinauslaufen». 1980, nach der «offiziellen» Annexion von Ostjerusalem, stellt die Resolution 476 «eine Verletzung des internationalen Rechtes fest» und fordert «die Staaten auf, die in Jerusalem ihre diplomatischen Missionen errichtet haben, diese zurückzuziehen».

Wenn diese letzte Resolution durch die USA bis jetzt auch respektiert wurde, so hat dies Israel nicht daran gehindert, eine Politik der Judaisierung der Stadt einzuleiten: nach 1967 haben die Stadtbehörden lediglich 13 % von Ostjerusalem als «Bauzone» für die Palästinenser klassiert, gegenüber 35 % für die Kolonisierung. Die Siedlungen haben sich mit grosser Geschwindigkeit entwickelt (über 200’000 Siedler heute), während für die Palästinenser die Baubewilligungen nur mit dem Tropfenzähler erteilt wurden. Mehr als 80’000 (auf 300’000) von ihnen leben heute in Wohnungen, die von Israel als «illegal» deklariert hat und ständig durch einen Abbruchbefehl bedroht sind.

Diese Nichtbeachtung der Jerusalem betreffenden – wie auch der anderen – UNO-Resolutionen durch Israel hat jedoch keinerlei Sanktionen weder durch die USA noch durch die Länder der EU zur Folge. Wenn es also auch keine formelle Anerkennung als Hauptstadt gab, so konnte Israel in aller Unbehelligtkeit vorgehen und weiterhin auf die Unterstützung durch die meisten Länder des Westens zählen; die USA standen dabei an der Spitze und Obama hat gegen ende seiner Amtszeit ein schönes «Geschenk» vermacht: 38 Milliarden Dollar Militärhilfe, verteilt auf das Jahrzehnt 2019 bis 2018, eine Rekordsumme.

Sanktionen sind dringend, ein Aufstand ist unwahrscheinlich

Zu behaupten, die Entscheidung von Trump stelle einen «Buch» dar, oder sogar eine «Wende», dient nur dazu, die Lage zu verdunkeln, statt sie zu erhellen. Die aktive oder passive Komplizenschaft der USA mit Israel ist, entgegen dem Märchen eines «Friedensprozesse» ist nicht neu; ohne einer Politik des Schlimmsten folgen zu wollen, hat der Entscheid von Trump paradoxerweise zumindest das Verdienst, einen Beitrag zu leisten zur Vertreibung gewisser hartnäckiger Illusionen.

Dies läuft aber nicht auf die Aussage hinaus, dass das sehr symbolische Vorgehen von Trump in den besetzten Gebieten keine Spannungen und Gewaltausbrüche erzeugen würde und – in kleinerem Ausmass – in anderen Ländern der Region. Diese zusätzliche Provokation, zu der sich die von Zynismus triefende Befriedigung der israelischen Verantwortlichen gesellt, könnte neue Zornausbrüche der palästinensischen Bevölkerung hervorrufen, oder sogar bewaffnete Operationen, die zweifelsohne durch Israel instrumentalisiert werden würden.

Die Zeit ist jedoch nicht günstig für eine breite Volkserhebung; die Palästinenser sind sich der verschlechterten Kräfteverhältnisse bewusst, wie auch die nationale Bewegung geschwächt, delegitimiert, gespalten und unterminiert ist aufgrund von Machtrivalitäten, die nichts mit der Förderung der nationalen Rechte der Palästinenser zu tun haben. Diese können nicht länger auf irgendwelche Unterstützung zählen, trotz der formellen Verurteilung seitens der autoritären arabischen Staaten, die durch den kalten Krieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran besessen sind und eine Annäherung an Israel und die USA bevorzugen.

Die Palästinenser bleiben isoliert und in den kommenden Tagen wird sich dies nicht zum Besseren wenden, umso mehr als ihre Demonstrationen der Repression durch ein Israel ausgesetzt sein werden, welches in seinen maximalistischen Positionen bestärkt worden ist. Die Solidarität ist deshalb dringend notwendig und ohne sich anzumassen, anstelle der Palästinenser zu sprechen, muss betont werden, dass der Diskurs einer «Verhandlungslösung unter der Ägide der USA» ohne einen möglichen Widerstand eine Fiktion ist, die endlich in den Abfalleimer der Geschichte gehört. Vielmehr kann es heute nurmehr um Sanktionen gegenüber Israel gehen.

Quelle: alencontre.org… vom 13. Dezember 2017

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