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Rechtsruck in Tschechien – ein europäischer Trend

Eingereicht on 15. Dezember 2017 – 11:24

Die Višegrad-Staaten rücken nach rechts: Nach Ungarn, Polen und der Slowakei hat nun auch in Tschechien eine politische Rechtsverschiebung stattgefunden. Wieso werden in diesen Ländern, die in keiner tiefen Wirtschaftskrise stecken und auch von den Nahost-Migrationsströmen nur marginal betroffen sind, populistische und islamfeindliche Parteien gewählt? Ein Wahlbericht von Benjamin Roth.

Die Abgeordnetenhauswahlen in Tschechien vom 21.10.2017 endeten mit einem Wahlsieg der rechtspopulistischen „akce nespokojených občanů“ (ANO, 30%, +11%) und der rechtsradikalen „Svoboda a přímá demokracie“ (SPD, 11%, +11%) sowie einer Niederlage der „Česká strana sociálně demokratická“ (ČSSD, 7%, -13%) und der „Komunistická strana Čech a Moravy“ (KSČM, 8%, -7%). Auch die liberale „tradice, odpovědnost, prosperita“ (TOP09, 5%, -7%) und die christdemokratische „Křesťanská a demokratická unie“ (KDU, 6%, -1%) wurden abgestraft; von den etablierten Parteien gewann lediglich die konservative „Občanská demokratická strana“ ODS (11%, +4%) etwas dazu, während den Piratí (11%, +8%) und der antizentralistischen „Starostové a nezávislí“ STAN (5%, +5%) erstmalig der Einzug ins Parlament gelang.

Verluste für die Linke – Gewinne für Rechtspopulisten

Die KSČM, Nachfolgepartei der KSČ, erzielte ihr schlechtestes Ergebnis seit ihrer Gründung; bisher hatte sie stets über 10% erhalten und somit bei diesen Wahlen fast die Hälfte ihrer Wähler verloren. Damit setzt sich die 2016 in den Regionalwahlen erlittene Niederlage fort, bei der sie die Hälfte ihrer Sitze in den regionalen Parlamenten verlor. Sie hatte sich hier an Regierungen mit der ČSSD beteiligt. Milan Krajča, Mitglied des ZK der KSČM und früher Vorsitzender des Jugendverbandes KSM, führt dies zurück auf eine generelle Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der politischen und sozioökonomischen Gesamtsituation in Tschechien. So habe es zwar unter der ČSSD-ANO-Regierung von 2013 bis 2017 eine Anhebung des Mindestlohns von 9000 auf 11000 CZK (~360€ auf ~440€) gegeben, doch dieser sei damit immer noch einer der niedrigsten in der EU und zentrale Probleme wie Altersvorsorge und sozialer Wohnungsbau seien nicht angegangen worden. Im Wahlkampf selbst hätten soziale Themen leider keine große Rolle gespielt, da der Wahlkampf (mit kräftiger Mithilfe des Medienkonzerns AGF Media a.s., einer Tochtergesellschaft seiner Agrofert Holding) von einer personenzentrierten Kampagne um Andrej Babiš geprägt war, in welcher er sich – trotz Milliardenvermögen und Mitregierung seit 2013 – als Gegner des bösen Establishments darstellte. So entlud sich die Unzufriedenheit nicht in sozialen Protesten, sondern bei der Wahl –bezogen auf das „Establishment“ – und traf damit die historischen Parteien ČSSD, KSČM und KDU. ANO und SPD konnten viele ProtestwählerInnen anziehen, womit die KSČM eine wichtige Wählerklientel verlor.

Ein weiteres den Wahlkampf überschattendes Thema war die Immigrations-Frage. Tschechien ist von der Nahost-Migration kaum betroffen, sondern eher Ziel von Migrationsbewegungen aus Rumänien, der Ukraine und der Slowakei. Nichtsdestotrotz nahmen Chauvinismus, Anti-Islam-Haltung und Defense-Europe-Tendenzen zu, womit vor allem die SPD um den korrupten Geschäftsmann Tomio Okamura punkten konnte. Allerdings beteiligten sich (mit Ausnahme der KSČM) alle Parteien an der Hetze gegen Muslime; so titelte z.B. ein Wahlplakat der ANO „Keine Moslems, keine Anschläge“. Die KSČM drang mit ihrem Wahlslogan „Friede auf der Welt, Gerechtigkeit und Sicherheit zu Hause“ dagegen nicht durch, zumal ihre Wahlplakate teilweise von antikommunistischen Flugblättern u.ä. überklebt wurden. Antikommunistische Angriffe gab es auf die KSČM auch in diesem Wahlkampf, allerdings meinte Krajča, man habe schon Schlimmeres erlebt. Dieses Mal gab es vor allem persönliche Angriffe auf Marta Semelová, Spitzenkandidatin aus Prag, die selbst vom Präsidenten als „Gefahr für die demokratische Ordnung“ bezeichnet wurde, sowie die fortschreitende Demontage von antifaschistischen und sozialistischen Denkmälern in Prag. Die tschechische Politik, so Krajča, weiche der Gegenwartsbewältigung durch Vergangenheitsfokussierung aus.

Wie geht es weiter?

Die ANO-Regierung braucht Koalitionspartner oder Toleranz für eine Minderheitsregierung. Die KSČM hat die Koalition öffentlich verweigert, bietet jedoch die Toleranz einer Minderheitsregierung an, wenn dafür Referenden legalisiert, der Mindestlohn und die Renten signifikant angehoben, die natürlichen Ressourcen beim Bergbau besser geschützt und die Lithium-Förderung und -Verarbeitung verstaatlicht würden.

Auf nationaler Ebene muss die KSČM nun ihr Verhältnis zu ČSSD und Piraten ausloten. Mit der ČSSD hatte es auf regionaler und städtischer Ebene bereits Kooperationen gegeben, allerdings ist das Verhältnis zueinander eher kritisch als brüderlich und die ČSSD beharrt nach wie vor auf Anti-Kooperations-Dokumenten aus den 1990er-Jahren. Die Piraten sind neu auf dem politischen Parkett und ihre Intentionen sind noch unklar. Die Partei ist sich nicht einig und arbeitet eher an Teilproblemen als an einem Gesamtprogramm. Fraglich ist laut Krajča unter anderem ihre Haltung zur NATO. Generell kritisiert er, dass die Piraten und vor allem ihre Führung fast täglich ihre Meinungen änderten. Intern muss sich die KSČM auf Debatten über die Zukunft ihrer Partei einstellen. Dazu wird es einen Parteikongress im Frühling 2018 geben. Ein großes Problem für die KSČM ist die Rekrutierung von Neumitgliedern. Zwar ist sie nach wie vor die mitgliederstärkste Partei Tschechiens, doch die meisten Mitglieder sind sehr alt und an die Jugend kann die Partei nur schwer anknüpfen. Das liegt einerseits an einer generell wachsenden Abneigung der Tschechen gegen traditionelle Politik, andererseits an der Illegalisierung des Jugendverbandes KSM zwischen 2006 und 2010, von dem jener sich nur langsam erholt. Auch Fragen zur Haltung zum Sozialismus im 20. Jahrhundert, zur ČSSR und zur UDSSR werden diskutiert, was die weite ideologische Spannbreite hinter dem Namen „Kommunistische Partei“ offenbart. Zudem spielen außenpolitische Fragen, vor allem zur EU und NATO, eine Rolle. Die Zunahme von Manövern und propagandistisch ausgeschlachteten Militärtransporten durch tschechisches Gebiet in Richtung Russland stellen eine Herausforderung für die Friedensbewegung České mírové hnutí dar, welche in ihrem Friedensstreben als russischer Kollaborant diskreditiert wird. Auch die Verteidigung antifaschistischer Institutionen und Denkmäler bleibt eine wichtige Angelegenheit in Zeiten des politischen Rechtsrucks. Schließlich strebt die KSČM nach wie vor die Legalisierung von Referenden dar, um die politische Mitbestimmung an den verkrusteten Institutionen vorbei zu stärken.

Die Betrachtung der politischen Lage in Tschechien zeigt einige Parallelen zur Lage in Deutschland und anderswo: Entpolitisierte, personalisierte, antisoziale, emotionalisierte, chauvinistisch-defätistisch geprägte Wahlkämpfe; eine erstarkende Rechte mit stinkreichen, korrupten Gallionsfiguren, die für ihr asoziales Verhalten auch noch bewundert werden; eine streitende Linke, die beim Versuch der Gegenwartsbewältigung ständig mit den Geistern der Vergangenheit konfrontiert und diskreditiert wird; eine sich allgemein verschlechternde soziale Lage, deren daraus resultierende Wut auf Scheindebatten und Sündenböcke abgeleitet wird. Unsere GenossInnen in Tschechien kämpfen an denselben Fronten wie wir.

Quelle: linke-sds.org… vom 15. Dezember 2017

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