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Flexibilisierung der Arbeit: Ein Segen für die Unternehmer

Eingereicht on 12. Januar 2018 – 11:06

Therese Wüthrich. Gerade jetzt, in der Zeit der Festtage ist eine grosse Anzahl von verfügbaren Teilzeitbeschäftigten im Einzelhandel für Unternehmer ein Segen. Getreu dem Motto: Bei viel Kundschaft soll viel Personal im Verkaufsladen stehen, bei wenig Kundschaft reicht eine reduzierte Belegschaft. Es sind aber nicht nur die Festtage mit ihrem Kaufrausch, mit denen flexibilisierte Arbeitszeiten gerechtfertigt werden – es sind auch der zunehmende Onlinehandel, der Einkaufstourismus, der beschleunigte Produktetrend, die den traditionellen Einzelhandel unter Druck setzen. Darauf reagieren Unternehmen unter anderem mit erweiterten Ladenöffnungszeiten, Abbau und flexibilisierten Arbeitsbedingungen beim Personal.

Wie die Studie «Der Strukturwandel im Detailhandel und seine Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in der Branche»[1] aufzeigt, sind die Folgen von flexibilisierten Arbeitsbedingungen im Einzelhandel markant. Sie wirken sich auf den Lebenszusammenhang, auf die Alltagsplanung und die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienarbeit aus. Wie wir wissen, ist der Einzelhandel eine Branche, in der vorwiegend Frauen beschäftigt sind. Der Trend geht ganz klar in Richtung mehr und flexibler Teilzeitarbeit, mit Beschäftigten über die in grossem Ausmass verfügt werden kann. Diesbezüglich sind aktuelle Stellenausschreibungen bezeichnend – wie beispielsweise «50prozentige Anstellung an fünf Tagen verfügbar» oder «Anstellung zwischen 40 bis 60 Prozent». Das heisst konkret, Beschäftigte haben bei einem Teilzeitpensum über eine bestimmte Zeitspanne (bspw. während einer Arbeitswoche oder an sieben Tagen) verfügbar zu sein.

Das Gleiche gilt für Vollzeitbeschäftigte. Sie sind den gleichen Mechanismen unterworfen: Oft wird von ihnen verlangt, dass sie an sechs Tagen die Woche ihrem Betrieb zur Verfügung zu stehen haben. Bei Öffnungszeiten, welche vielerorts längst bis in die späten Abendstunden und in die Wochenenden hineinreichen, beträgt die eingeforderte Verfügbarkeit daher deutlich über 120 Prozent. Noch problematischer wird es für Beschäftigte mit Jahresarbeitszeit, die sie oft nicht selbst regulieren können. Flaue Zeiten bringen Minusstunden hervor, die in der Hochsaison nachgearbeitet werden müssen. Minusstunden müssen oft durch die Annahme von Anfragen auf Abruf ausgeglichen werden. Zusammengefasst kann zum Thema Jahresarbeitszeit gesagt werden, dass diese in der Branche Einzelhandel für eine optimale Ausnutzung der Arbeitskräfte instrumentalisiert wird. Mit anderen Worten, die Beschäftigten können kaum von flexibilisierten Arbeitszeiten profitieren.

Eine solche Arbeitsorganisation lässt bezüglich Einsatzplanung bei den Beschäftigten oft zu wünschen übrig. Wie die oben genannte Studie zeigt, werden je nach Betrieb die Einsatzpläne zwei bis vier Wochen im Voraus erstellt. Wie auf Wünsche der Beschäftigten eingegangen wird, hängt stark von der Unternehmenskultur und von den Vorgesetzten ab. So gibt es Betriebe, die beispielsweise einen fixen freien Wochentag für eine Weiterbildung gewähren oder auf Wünsche von spezifischen Schichteinteilungen eingehen. Es gibt aber auch Berichte von Angestellten, die aussagen, dass in ihren Betrieben bei der Arbeitsplanung ungleiche Behandlung in Bezug auf Einsätze an Randzeiten und Wochenenden oder Freitagen gang und gäbe sind. Da sind geradezu Unzufriedenheit und Konflikte innerhalb des Arbeitsteams und zwischen Mitarbeitenden und Vorgesetzten vorprogrammiert. Grosse Zufriedenheit in Bezug auf die Einsatzplanung gibt es unter den Studierenden. Sie schätzen den Arbeitsplatz Einzelhandel, da er ihnen neben dem Studium Verdienstmöglichkeiten bietet. In der Regel wird ihre Verfügbarkeit bei der Arbeitsplanung berücksichtigt.

Zudem kommt es in der Umsetzung der Einsatzpläne häufig bis meistens zu kurz- bis kürzest-fristigen Änderungen. Sie sind in der Regel auf die Zirkulationsfrequenz der Kundschaft zurückzuführen, die sich nur schwer einschätzen lässt oder auf den knapp bemessenen Personalbestand, der durch Krankheit und andere Verhinderungsgründe äusserst anfällig für Ausfälle ist. Umgekehrt werden Beschäftigte häufig auch vorzeitig heimgeschickt, wenn sich wenig Kundschaft im Verkaufslokal aufhält. Anfragen erfolgen oft am Tag vor dem Arbeitseinsatz oder gar am selben Tag («Kannst du noch ein bisschen bleiben?»; «Du kannst gehen»). Dabei werden unterschiedliche Angestelltengruppen teilweise massiv ungleich behandelt, insbesondere studentische Aushilfen und Festangestellte in Grossverteilern, wie ein interviewter Student berichtete. Fazit der Studie, Arbeit auf Abruf wird in allen der untersuchten Betriebe äusserst systematisch und flächendeckend eingesetzt.

Die Folgen solcher Arbeitsorganisationen sind für die Beschäftigten fatal. Einerseits wird die freie Zeit ausserhalb der Erwerbstätigkeit in hohem Mass beeinträchtigt. Soziale Kontakte, Freundschaften, Familienleben sind kaum mehr plan- und lebbar. Grossem Druck sind vor allem Frauen ausgesetzt, die neben ihrer Erwerbstätigkeit mit Kindern leben, für sie sorgen oder kranke Angehörige pflegen.

Quelle: lunapark21.net… vom 12. Januar 2018


[1] Studie des Interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung (IZFG) der Universität Bern in Kooperation mit der Stiftung für Erforschung der Frauenarbeit, 2017, www.izfg.unibe.ch / www.stiftung-frauenarbeit.ch.

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