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Viel in den Händen weniger

Eingereicht on 27. Januar 2018 – 10:20

Arno Kleinebeckel. Eine Studie zeigt, wie sich der Reichtum in Deutschland über 140 Jahre verteilt. Erstmals in Deutschland wird die Einkommensverteilung über einen Zeitraum von rund 140 Jahren präsentiert. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin hat einen entsprechenden Report vorgelegt.

Der Bericht basiert teilweise auf einem Diskussionspapier der World Wealth and Income Database 2017/18 („Top incomes in Germany, 1871-2013“), er bildet außerdem die Grundlage für das Deutschland-Kapitel des World Inequality Report (WIR) 2018.

Beständige Top-Ten

Das Ergebnis der Untersuchung zeugt von Beständigkeit, zumindest was die oft zitierten oberen Zehntausend betrifft: Die Entwicklung der Spitzeneinkommen in Deutschland zeigt sich während des untersuchten Zeitraums überraschend stabil. Über alle politischen und ökonomischen Krisen und Katastrophen des 20. Jahrhunderts hinweg hat sich der Einkommensanteil der Top-Ten-Prozent kaum verändert. Auf Basis von Steuerdaten lag er sowohl 1913 als auch 2013 bei rund 40 Prozent des Volkseinkommens.

Ausgewertet wurden Einkommensteuerdaten, die seit dem 19. Jahrhundert zur Verfügung stehen. Die Zahlen belegen unter anderem einen enormen Einkommenszuwachs von Spitzenverdienern während des 1. Weltkriegs (bis 1918). Die Situation im 2. Weltkrieg ist weniger gut dokumentierbar: Die Behörden stellten 1938 die Veröffentlichung von Einkommensteuerstatistiken ein und fingen erst 1949 wieder damit an. Die Aufbereitung der Zahlenreihe von gut 140 Jahren bietet offenbar aber auch sonst einige Probleme.

Zum einen werden jeweils unterschiedliche geographische Gebiete von der Zeitreihe abgedeckt. Zweitens, so gibt die Autorin Charlotte Bartels zu denken, waren bis zum Zweiten Weltkrieg nur Spitzenverdiener einkommensteuerpflichtig und somit in den Einkommensteuerstatistiken abgebildet.

Verlässliche Aussagen über die Einkommensanteile der unteren 50 Prozent seien daher erst ab der Nachkriegszeit möglich. Drittens benötige man bei der Darstellung administrativer Daten eine möglichst breite Kenntnis von Reformen während des Untersuchungszeitraums; nur so ließen sich Daten ggf. korrigieren und im Endeffekt dann überhaupt miteinander vergleichen.

Keine „Stunde Null“ für Spitzenverdiener

Angesichts der großen historischen Spanne und einiger handfester methodischer Probleme ist das Unterfangen doppelt zu würdigen. Und die Ergebnisse sind zum Teil überraschend. So gab es für die Spitzenverdiener nach dem Untergang des Nazistaats keine „Stunde Null“: Die Nachkriegszeit in Deutschland weist eine hohe Einkommenskonzentration am oberen Rand aus.

Dies widerspricht der geläufigen Annahme, dass die „Stunde Null“ eine Zeit der relativen Gleichheit, und zwar auch der Einkommen, gewesen sei. Die DIW-Daten zeigen für den obersten Rand der Verteilung genau das Gegenteil.

Der DIW-Report teilt den Zeitraum von 1871 bis 2013 in fünf Perioden ein. Grob gesagt, brachte die Industrialisierung eine klar ansteigende Einkommenskonzentration, gefolgt von explodierenden Spitzeneinkommen im Nationalsozialismus. Der Anteil des obersten Perzentils wuchs von 11 Prozent im Jahr 1933 auf 17 Prozent im Jahr 1938, was der Studie zufolge kaum zur Anti-Kapitalismus-Propaganda der Nationalsozialisten passt.

Über die „untere Hälfte“ nach dem Zweiten Weltkrieg bietet der Report wenig, weil nur ein Teil der Bevölkerung einkommenssteuerpflichtig war. Die Einkommenskonzentration am oberen Rand blieb bestehen. Die weniger Privilegierten jedoch büßten in der Folge ein.

1960 erhielt die untere Hälfte der Bevölkerung – nach einem zunächst starken Zuwachs der Einkommensanteile – mehr als 30 Prozent des Volkseinkommens, 2017 hingegen waren es noch gerade mal 17 Prozent (vor Steuern und staatlichen Transferleistungen). Mit der deutschen Wiedervereinigung ist die Schere definitiv weiter auseinander gegangen.

„Zunehmende Spreizung“

Trotz der Krise nach der Wiedervereinigung und der weltweiten Turbulenzen im Jahr 2009 stieg der Einkommensanteil des obersten Perzentils deutlich. Der Anteil dieser Gruppe wuchs zwischen 1983 und 2013 um gut ein Drittel.

Geringe und mittlere Einkommen sind (…) durch Erhöhungen der indirekten Steuern belastet worden, insbesondere bei Mehrwertsteuer und Energiesteuern. Vermutlich wird die Einkommenskonzentration in Deutschland sogar noch unterschätzt, da Unternehmen zunehmend ihre Gewinne einbehalten und somit in den vergangenen Jahren vom Kreditnehmer zum Kreditgeber gegenüber den anderen Sektoren der Volkswirtschaft (private Haushalte, Staat, Rest der Welt) geworden sind.

Bartels, Charlotte: Einkommensverteilung in Deutschland von 1871 bis 2013: Erneut steigende Polarisierung seit der Wiedervereinigung

Der Einkommensanteil des obersten Perzentils in Deutschland ist heute ähnlich hoch wie in Großbritannien. „Wir wissen“, so die Autorin, „dass Unternehmens- und Vermögenseinkommen denjenigen am oberen Rand der Verteilung zufließen. Daher kann man spekulieren, dass wir eine zunehmende Spreizung zu erwarten haben, wenn wir nicht politisch auf irgendeine Art und Weise dagegen vorgehen.“

Teilhabe als Illusion

Anders ausgedrückt: Ein Großteil des Vermögens in Deutschland ist in den Händen von wenigen Superreichen. So drückt es eines der sogenannten Diskussionspapiere des DIW aus, das ebenfalls gerade erschienen ist. Die 45 reichsten deutschen Haushalte besaßen demzufolge 2014 so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung.

Die Rede ist von jeweils 214 Milliarden Euro Vermögen. Unter ihnen besitzt das reichste 1 Prozent aller Haushalte fast ein Viertel (rund 24 Prozent) Prozent des Gesamtvermögens, basierend auf der Haushalts- und Verbrauchserhebung des Eurosystems (HFCS).

Allerdings, so wenden Kritiker ein, sind die Befunde auch immer wieder zu hinterfragen. Das gilt vor allem in methodischer Hinsicht. So dürfte Vermögen in privaten Renten- und Lebensversicherungen über die gesamte Bevölkerung breit verteilt sein, zudem erfassten die Befragungen zum Beispiel die gesetzlichen Rentenansprüche der Arbeitnehmer nicht, stellte das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) fest.

Während sich die Schere zwischen der oberen und unteren Hälfte der Einkommen weiter öffnet, heißt das für das untere Drittel der Gesellschaft auch: Sozialer Aufstieg und Teilhabe erweisen sich oftmals als Illusion. Zunehmend trifft es auch Leute aus der Mittelschicht.

Und der Druck nimmt zu: Den Lebensstandard durch Arbeit zu sichern, ist für viele problematisch geworden. Auch wer ein Leben lang gearbeitet hat, ist vor der Armutsfalle nicht sicher. Und die Geldpolitik und explodierende Immobilienpreise verschärfen das Problem noch.

Quelle: telepolis… vom 27. Januar 2018

 

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