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Neue Streikstrategie in Frankreich und Faschisten greifen an

Eingereicht on 26. März 2018 – 16:57

Bernard Schmid. Öfters mal einen (durch)fahren lassen: So lässt sich die, am 15. März beim einem Kompromiss zwischen mehreren Gewerkschaften beschlossene Streikstrategie bei der französischen Bahngesellschaft SNCF kurz zusammengefasst charakterisieren. Aus ihr resultiert ein festgezurrter offizieller Streikkalender, mit folgenden Daten für die Niederlegung der Arbeit: 03. und 04. April, 08. und 09. April d.J., 13. und 14. April, 18. und 19. April, 23. und 24. April, 28. und 29. April, genau dieselben Tage im Mai, 02. und 03. Juni, 07. und 08. Juni usw., bis einschließlich zum 27. und 28. Juni 2018. Zwischendurch wird der Verkehr jeweils für fünf Tage wiederaufgenommen, respektive 4,5 Tage, da ein Streikaufruf vom Vorabend des Streikbeginns bis zum auf den Arbeitskampf folgenden Tag um 09.00 Uhr früh Wirkung entfaltet.

Sicherlich sind die damit verbundenen Absichten innerhalb der beteiligten Gewerkschaften doppeldeutig. So ist seitens der CGT zu vernehmen, dass zumindest einige Untergliederungen der Auffassung sind, durch eine geschickte Streikstrategie den Verkehr derart desorganisieren zu können, dass er auch während der Zwischenperioden (denen der Wiederaufnahme des Verkehrs) de facto beeinträchtigt bleibt. Allerdings gilt: Ein Streik, welcher durchschlagende Wirkung ohne jegliche Zweideutigkeiten entfaltet und in den Augen der gesamten Öffentlichkeit die Regierung ins Schwitzen bringt, kann Sympathien auf seine Seiten ziehen. (Vgl. dazu auch die interessanten Ausführungen eines Historikers: francesoir.fr…) Umgekehrt jedoch gilt ebenfalls: Ein kompliziert verlaufender Streik, dessen genaue Wirkung regional unterschiedlich ausfällt oder für die Öffentlichkeit schwer nachvollziehbar ist, kann schnell zur Zielscheibe des – durch bürgerlich Medien dann selbstverständlich ins Gigantische aufgeblasenen – Unmuts der Bahnnutzer/innen und von Teilen der öffentlichen Meinung werden. Je chaotischer die Front verläuft, desto schwerer fällt im Allgemeinen die Identifikation. Erschwerend kommt hinzu, dass die teilnehmenden Gewerkschaften sich offenkundig untereinander akut uneinig sind. (Vgl. sudradio.fr…)

Allerdings gibt es einen Hoffnungsschimmer, von dem zur Stunde unklar bleibt, wie weit er trägt.

Um rechtlich durch das – in Frankreich durch die Verfassung garantierte – Streikrecht “gedeckt” zu sein, müssen Arbeitskämpfe in öffentlichen Diensten fünf Tage zuvor angemeldet werden. Sonst fallen sie in die Illegalität, und ihre Teilnehmer/innen können sanktioniert wird. So sind die Dinge seit einem Bahnstreik im Jahr 1963 für die öffentlichen Dienste/Unternehme gesetzlich geregelt, “im Interesse der Öffentlichkeit”; in privaten Unternehmen gilt unterdessen keine Vorwarnpflicht.

Neben dem “offiziellen” Streikkalender der vier als “repräsentativ” (ungefähr: tariffähig) eingestuften Gewerkschaften bei der SNCF – früher waren es einmal acht – hat nun Ende voriger Woche jedoch die linke Schienenverkehrs-Gewerkschaft SUD Rail in ihrem eigenen Namen eine Streikvorwarnung auch für die “Tage dazwischen” hinterlegt. (Vgl. huffingtonpost.fr…) Diese Streikwarnung vom Freitag, den 23. März d .J. läuft ab dem 02. April 18 und sorgt dafür, dass auch Streikteilnehmer/innen rechtlich abgesichert sind, die nach der offiziellen Wiederaufnahme der Arbeit – etwa am Vormittag des Donnerstags, 05. April – weiterhin streiken.

Die näheren Auswirkungen bleiben natürlich abzuwarten. Dem Vernehmen nach gibt es auch örtliche CGT-Gruppen, die sich auf die Streikvorwarnung der (konkurrierenden) Gewerkschaft SUD Rail berufen könnten.

Auch Teile der Studierendenschaft geraten in Bewegung, es geht um die Neueinführung von Aufnahmehürden für Universitäten, die bislang mit dem Abitur – als allgemeiner Hochschulreife – jedenfalls im ersten Studienjahr für Alle zugänglich waren. (Ein Gesetzentwurf im Spätherbst 1986, welcher dem ein Ende setzen wollte, die << Loi Devaquet >> – der gleichnamige Minister verstarb kürzlich – musste im Dezember jenes Jahres infolge aufflammender Proteste und nach dem spektakulären Tod des Demonstranten Malik Oussekine ersatzlos zurückgenommen werden.)

Dies ändert sich nun durch die Einführung des neuen Einschreibportals “Parcourssup”, wobei – je nach Studiengang – neben dem Abitur zusätzliche Anforderungen eingeführt werden.

Auf nationaler Ebene, wo es erstmals im Januar d.J. Demonstrationen dazu gab, die jedoch zunächst schwach besucht waren (unter 2.000 in Paris), kommt eine Bewegung dazu bislang nur schleppend in Gang. Bei der gemeinsamen Demo von Eisenbahner/inne/n und öffentlichen Diensten am Donnerstag, den 22. März 18 war jedoch die studentische Komponente etwa in Paris relativ stark vertreten. Diese Demonstrationen vereinigten laut Medienangaben in Parys insgesamt 47.800 Menschen, frankreichweit gut 200.000. Die nationale Beteiligung ist damit für eine soziale Protestbewegung nicht überdurchschnittlich stark, auf örtlicher Ebene jedoch schon. Aus dem südostfranzösischen Draguignan wurde dem Verf. dieser Zeilen etwa berichtet, die Demo dort seit die stärkste seit rund zehn Jahren gewesen (also über jene gegen das “Arbeitsgesetz” vom Frühjahr und Sommer 2016 hinaus gegangen). Auch in Paris war die Mobilisierung vergleichsweise stark, allerdings hatten hierhin die Eisenbahner/innen zentral mobilisiert – woran viele von ihnen jedoch dadurch faktisch gehindert wurden, dass die SNCF-Direktion Züge ausfallen ließ, die nicht streikbedingt wegfielen und unter anderem auch die Demo-Teilnehmer/innen hätten transportieren sollen.. Dies erfolgte für die Gewerkschaften wohl überraschend. (Vgl. auch francetvinfo.fr…)

Örtlich hat die Streikbewegung der Studierenden jedoch begonnen, mittlerweile Fuß zu fassen. In Montpellier besetzten mehrere Hundert von Ihnen am vorigen Donnerstagabend (22. März) einen Hörsaal, zum Abschluss einer Vollversammlung zum Streik. Es ging dabei zunächst darum, zu verhindern, bei einer für den folgenden Tag ab 08 Uhr geplante nächsten Vollversammlung ausgesperrt zu bleiben.

Gegen Mitternacht in der Nacht vom 22. zum 23. März (von Donnerstag auf Freitag) wurden die rund fünfzig, zu dieser nächtlichen Stunde anwesenden Studierenden durch ein Dutzend vermummter, mit Knüppeln, von Nägeln durchsetzten Brettern und Elektroschockern attackiert und vertrieben. Sicherheitspersonal soll ihnen applaudiert haben. Mehrere Personen (Studierende) wurden ernsthaft verletzt. Der Dekan der – an der Universität Montpellier-1 mit soliden reaktionären Traditionen ausgestatteten – juristischen Fakultät, Philippe Pétel, soll ihnen Zeugenaussagen zufolge Zugang zum Hörsaal verschafft (vgl. ausführlich etwa: https://liberation.checknews.fr/question/51951/le-doyen-de-la-fac-de-droit-de-montpellier-a-t-il-fait-rentrer-des-militants-cagoules-pour-tabasser-les-bloqueurs ) sowie ihnen applaudiert haben. In einem Interview hatte Pétel selbst angegeben, seine anständigen Jurastudierenden sei es, die sich gegen die Besetzung “gewehrt” hätten, und er sei “unzweideutig stolz” auf diese seine Studierenden. Als Eindringlinge stellte er nicht die militanten Faschisten – mutmaßlich aus dem Umfeld der gewalttätigen und v.a. aus Studierenden bestehenden Organisation GUD, Groupe Union Défense, gegründet 1969 – dar, sondern die “fakultätsfremden” Studierenden von der sozialwissenschaftlichen Universität Montpelliers. Auch wollte explizit “nicht ausgeschlossen (wissen), dass ein Lehrer der Hochschule” sich unter den Angreifern befunden habe… Am Samstag, den 24. März musste er daraufhin zurücktreten (vgl. huffingtonpost.fr… ), das Dekanat der Gesamtuniversität hat Strafanzeige gegen die faschistischen Angreifer erstattet.

Am Sonntag, den 25. März 18 kam es daraufhin zu einem angespannten Gegenüber zwischen mehreren Hundert antifaschistischen Demonstrant/inn/en in Montpellier und rund dreißig Aktivisten der zur “identitären Bewegung” zählenden Ligue du Midi (“Liga des Südens”) unter Richard Toudier, die ebenfalls beschuldigt wird, an dem Kommandoangriff beteiligt gewesen zu sein. ( Vgl. france3-regions.francetvinfo.fr… )

Unterdessen riefen Studierende aus dem nordfranzösischen Lille, auch auf dem Hintergrund der Vorfälle in Montpellier, ihre Mitstudierenden nun für diesen Mittwoch, den 28. März zu einem frankreichweiten Aktionstag auf. ( Vgl. auch eine AFP-meldung dazu: lefigaro.fr…)

Quelle: labournet.de… vom 26. März 2018

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