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Arbeiterwiderstand gegen den Anschluss 1938

Eingereicht on 18. April 2018 – 9:28

Manfred Ecker. Der „Anschluss“ Österreichs an Deutschland am 12. März 1938 ist eines der historisch prägendsten Ereignisse der Geschichte. Faschismus wurde damals und wird bis heute von den politischen Eliten verharmlost – ein wichtiger Grund für die Erfolge der FPÖ. Linke müssen sich mit dem Widerstand von 1938 auseinandersetzen.

Österreich steht nicht umsonst als ein Land der Täter und Mitläufer da, in dem sich praktisch kein Widerstand regte, als die Truppen Nazideutschlands die Grenzen passierten und Hitler das Land annektierte. So gut wie unbekannt ist die Tatsache, dass die illegalen Organisationen der Arbeiterschaft Bundeskanzler Kurt Schuschnigg angeboten hatten, den Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu organisieren. Aber, wie Florian Wenninger in der Sendereihe Zeituhr 1938 auf Radio Ö1 am 12. März 2018 erklärte: „Anders als man meinen könnte, war für Kurt Schuschnigg die Bedrohung aus dem Norden, die Bedrohung durch den Nationalsozialismus, immer noch das kleinere Übel, verglichen mit einem Ausgleich mit der heimischen Linken“, die zu diesem Zeitpunkt im Untergrund ist.

Geschichtlicher Abriss

Der christlich-soziale Bundeskanzler Engelbert Dollfuß löste im März 1933 das Parlament auf, verbot die politische Opposition und zerschlug so die Demokratie in Österreich. Sozialdemokraten, Kommunisten und Nationalsozialisten wurden in den Untergrund gedrängt, der Austrofaschismus genannte, klerikale Faschismus österreichischer Prägung kam an die Macht. Als paramilitärischen Unterdrückungsapparat setzte das Regime die Vaterländische Front (zum Teil aus der Heimwehr hervorgegangen) ein, um jegliche Opposition zu unterdrücken. Dollfuß provozierte ein Jahr lang gezielt einen Bürgerkrieg – mit dem sich im Untergrund weiter aktiven Schutzbund der sozialdemokratischen Partei – um die Arbeiterschaft endgültig zu entwaffnen.

Seit der österreichischen Revolution vom November 1918 hatten die Überbleibsel der Arbeiter- und Soldatenräte eine bewaffnete Organisation zur Hand, die den Eliten ein Dorn im Auge waren und beseitigt werden sollten. Als am 12. Februar 1934 die Linzer Parteizentrale der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei nach Waffen durchsucht werden sollte, setzten sich die Schutzbündler bewaffnet zur Wehr. Die Folge war der kurze und grausame österreichische Bürgerkrieg – auf Seiten der Arbeiterbewegung dürfte es mindestens 800, vielleicht sogar über 1.000 Tote gegeben haben.

Während der Februarkämpfe wurde der Karl-Marx Hof von Armee und Polizei beschossen. Der Gemeindebau war ein Symbol des Roten Wiens. Foto: Verein zur Geschichte der Arbeiterbewegung

Die illegale Bewegung der österreichischen Nazis (die anstelle des Hakenkreuzes die blaue Kornblume als Symbol verwendeten) ermordete im Juli 1934 den Diktator Dollfuß bei einem ansonsten missglückten Putschversuch. Der Nachfolger wurde einer der Architekten des Austrofaschismus, Kurt Schuschnigg. Schuschnigg orientierte sich wie Dollfuß am italienischen Faschismus, und versuchte sich dem Druck aus dem deutschen Reich mit Zugeständnissen zu entziehen. 1936 schloss die österreichische Regierung mit dem deutschen Reich das Juliabkommen ab, verpflichtete sich, Nationalsozialisten in die Regierung zu integrieren und lieferte schließlich den Sicherheitsapparat im Februar 1938 an den Nationalsozialisten Arthur Seyß-Inquart aus.

Ab diesem Moment konnten überall in Österreich die Nazis wieder aufmarschieren, obwohl sie offiziell noch immer illegal waren. Die Kommunisten und Sozialdemokraten wurden weiterhin unterdrückt. Am 9. März rief Schuschnigg für den 13. März zu einer Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Österreichs auf – wohl der einzige Akt des Widerstands gegen Hitler. Er wich allerdings bald vor dem Druck aus Deutschland zurück, sagte die Volksabstimmung ab und trat schließlich, kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen, als Kanzler zurück. Die deutsche Wehrmacht traf auf keinerlei Widerstand, die österreichischen Truppen wurden extra von den Grenzen abgezogen. Schuschnigg wollte kein „deutsches Blut“ vergießen.

Die Revolutionären Sozialisten

Die Führung der Sozialdemokratie (SDAP) war nach dem Februar 1934 in den Augen der Basis so völlig diskreditiert, dass ein Führungszirkel die Partei offiziell auflöste, um sie als Revolutionäre Sozialisten neu zu gründen. Sie hatten mehr als zehn Jahre lang ihre Basis von radikalen Aktivitäten zurückhalten können – mit einer Mischung aus radikaler Rhetorik und permanentem Zurückweichen in der Praxis. Die Selbstauflösung erfolgte, nachdem bei Ausbruch des Bürgerkriegs im Februar 1934 den Schutzbündlern die Waffen nicht wie versprochen ausgehändigt wurden und das völlige Scheitern der Hinhaltetaktik der sozialdemokratischen Führung offenbar wurde. Die sozialdemokratischen „Freien Gewerkschaften“ mussten fortan aus dem Untergrund agieren, während das faschistische Regime einen Gewerkschaftsersatz mit von oben ernannten Vertrauensleuten installierte.

Ein illegales Flugblatt der Revolutionären Sozialisten kurz nach dem Anschluss. Foto: Verein zur Geschichte der Arbeiterbewegung

Die Führung der Revolutionären Sozialisten (RS) rissen 1935 zwei gestandene Radikale aus der Basis an sich, Joseph Buttinger und Josef Podlipnig. Sie sorgten dafür, dass die illegale Arbeit professionalisiert wurde, dass im Untergrund die Arbeiterzeitung weiter produziert und unter Mitgliedern verteilt wurde und schufen ein Netzwerk von Untergrundaktivist_innen. Sie beendeten auch die Versöhnlerei zwischen ehemaligen Gewerkschaftsleuten und der gelben Gewerkschaft des Regimes. Buttinger schrieb in Das Ende der Massenpartei: „Wenn die Einsetzung eines Gewerkschaftssekretärs nicht durch Druck von unten zustande kam, dann hingen diese Funktionäre trotz der schönsten Vereinbarungen mit dem Regime politisch in der Luft.“

Schuschniggs Wahl

Der Rückhalt für die RS unter den Arbeitern war so stark, dass Schuschnigg nur die Wahl hatte, entweder den Parteien der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaft ihre Freiheit zurückzugeben und mit ihrer Hilfe die Nazis zu bekämpfen, oder vor Hitler zu kapitulieren. Buttinger hatte keinerlei Zweifel daran, wie sich Schuschnigg entscheiden würde, war doch der ideologische Kern seines Regimes die unversöhnliche Feindschaft gegen die Arbeiter_innenbewegung. Er hatte nicht nur keine Illusionen in Schuschnigg, er war sich auch sicher, dass die Volksabstimmung – von der erwartet wurde, dass sie für die Unabhängigkeit ausgegangen wäre – Hitler nicht von einem Einmarsch abgehalten hätte. Die Annexion Österreichs war längst beschlossene Sache, umso mehr als die Westmächte Großbritannien und Frankreich deutlich gemacht hatten, dass sie Österreich nicht beistehen würden.

Schuschnigg dagegen verhinderte, dass die illegalen Gewerkschaften den Belegschaften eine Resolution zur Unterschrift vorlegten, die sich vehement gegen einen Anschluss stemmte. Offenbar schrie er Bundespräsident Miklas an: „Haben sie nicht gehört, was für ein Unfug mit der Resolution des Gewerkschaftsbundes getrieben wird? Die einen streichen ‚christlich‘, die anderen ‚ständisch‘, die dritten ‚deutsch‘. Was die eigentlich glauben, sich herausnehmen zu können? Da haben sie doch den Beweis, dass mit diesen Leuten nichts zu machen ist!“

(Bundespräsident Miklas meinte, so wie der Wiener Bürgermeister Schmitz, dass ohne Arbeiter_innen Österreich nicht zu verteidigen sei.)

Echter Antifaschismus

Natürlich hätte es für das Selbstverständnis Österreichs und für die Nachkriegspolitik einen Unterschied gemacht, wenn die Volksabstimmung nicht abgesagt worden wäre, aber die Nazis hätten wohl nur aufgehalten werden können, hätten die Arbeiter_innen die österreichische Nazibewegung auf der Straße und in den Betrieben zerschlagen. Die Nazis marschierten seit dem Berchtesgadener Treffen zwischen Hitler und Schuschnigg praktisch täglich auf. Buttinger schrieb: Nicht die Abstimmung, die Schuschnigg mit Hilfe der Arbeiter gewinnen werde, „sondern nur ein radikaler freiheitlicher Vernichtungskampf gegen den Nationalfaschismus kann die Unabhängigkeit Österreichs retten.“ Das ständige Zurückweichen vor den Nazis gab ihren Anhängern Siegesgewissheit und trieb ihnen täglich neue Anhänger zu.

Man hätte deshalb die Nazidemonstrationen auf den Straßen zerschlagen müssen, ihre Mitglieder in den Betrieben bloßstellen und isolieren, das hätte Hitlers österreichische Basis zerstört. Dieser antifaschistische Abwehrkampf wäre nur möglich gewesen, wenn die Arbeiterbewegung wieder ihre Bewegungsfreiheit gehabt hätte. Noch einmal Buttinger: Es hätte in Österreich eine große Mehrheit gegen den Nationalsozialismus gegeben, aber Schuschnigg konnte „von den politischen Möglichkeiten, die in dieser Tatsache liegen, keinen Gebrauch machen“. Er musste die „Massenmobilisierung verhindern, weil er in einem wahren Freiheitskampf selbst unvermeidlich unter die Räder kommt.“

Quelle: linkswende.org… vom 18. April 2018

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