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Stopp TiSA! – Weder Freihandel noch Protektionismus!

Eingereicht on 27. April 2018 – 10:21

Willi Eberle. Es ist ruhig geworden um das multilaterale Freihandelsabkommen für Dienstleistungen (TiSA). Dessen Protagonisten haben ihre Strategie geändert, die Kräfte, die den Widerstand dagegen tragen, sind seit dem Februar 2012, der Lancierung des Projektes, schwächer geworden. Die bisher über 25 geheimen Verhandlungsrunden haben das Projekt nicht wesentlich weitergebracht. Der Druck aber in Richtung Privatisierung des Gesundheitswesens, der Altersvorsorge, des Verkehrs, der Bildung und weiterer Pfeiler des öffentlichen Sektors, aber insbesondere der Garantie des kapitalistischen Privateigentums, dem Kern von TiSA und weiterer Freihandelsoffensiven, hat weiter zugenommen; das heisst, die Angriffe gegen die Errungenschaften der Arbeiterbewegung, die hinter TiSA und weiteren neoliberalen Projekten stehen, werden verschärft. Der Widerstand dagegen ist zumindest in der Schweiz kaum mehr sichtbar. Was steckt hinter diesen Entwicklungen? Wie müsste ein Widerstand aufgebaut werden?

Freihandel, Protektionismus und Widerstand

Spätestens seit der US-Präsident Donald Trump die Kündigung der Freihandelsabkommen Nafta und TTP in Aussicht gestellt hat, geistert die Gefahr des Protektionismus herum. Und damit die Gefahr eines Handelskrieges, der leicht in einen globalen Krieg ausufern könnte. Doch wie sieht es mit der Weiterführung des Projektes TiSA aus?

Das Zentralstück von TiSA ist die Aushebelung demokratischer Rechte zur Durchsetzung der kapitalistischen Eigentumsrechte insbesondere im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen. Dazu ist die Einrichtung von ausserstaatlichen Sondergerichten vorgesehen, vor denen die Konzerne ihre Rechte gegenüber allfälligen Regulierungen zum Schutz der Umwelt, der Gesundheit, der Arbeitsbedingungen usw. einklagen können. Diese Regulierungen waren häufig das Ergebnis von sozialen Kämpfen. Das erste weitreichende Projekt dieser Art wurde 1995 im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO als Multilaterale Vereinbarung für den Dienstleistungsbereich GATS lanciert; später wurde eine Vereinbarung über Investitionen MAI versucht. Dieses scheiterte jedoch recht bald, unter anderem auch am Widerstand der Arbeiterklasse und der Antiglobalisierungsbewegung.

Der Freihandel wuchs seit den 1970er Jahren bis ca 2008 weltweit stärker als das Bruttosozialprodukt; dies weist auf einen strukturellen Wandel im Imperialismus hin. Der Freihandel wird vom Kapital benutzt, um die Produktionsketten über den Erdball entlang von optimalen Verwertungsbedingungen, das heisst möglichst guten Bedingungen für die Profitabilität auszudehnen. Dies bedeutet – unter anderem – neben möglichst tiefen Steuern, gut ausgebauter und leicht zugänglicher Infrastruktur, politischer Stabilität und Nähe zu den relevanten Märkten möglichst folgsame, richtig qualifizierte und vor allem billige und flexible Arbeitskräfte. Das heisst, die Globalisierung und der Freihandel richtet sich gegen die Arbeiterklasse, insbesondere gegen deren kämpferischen Segmente.

Dies verleitete die Führungen der Gewerkschaften und der Regierungsparteien, auch der linken unter ihnen, sich auf eine Politik der Standortkonkurrenz zu orientieren. Sie hoffen, im Einvernehmen mit den Unternehmern gute Verwertungsbedingungen für das Kapital zu schaffen. Sie opferten dabei auch zentrale Pfeiler der Errungenschaften vergangener Kämpfe wie Kündigungsschutz, Altersvorsorge, soziale Sicherheit, die egalitären Elemente der Besteuerung u.a.m. Die Folge ist eine wachsende politische und soziale Marginalisierung weiter Teile der Bevölkerung und ein Zerfall von deren politischen Orientierungspunkten. Die Krise der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften einerseits und der Aufstieg der Neuen Rechten andererseits hängen innerlich damit zusammen. Dies führte zu einer wachsenden politischen Orientierung auf Identitäten, unter anderem auf den Nationalismus, gepaart mit Rassismus, autoritären politischen Ansätzen und mit dem Protektionismus. Solche Perioden gibt es im Imperialismus immer wieder, am dramatischsten in den 1930er Jahren mit den bekannten Begleit- und Folgeerscheinungen.

Diese unheilvolle Dynamik kann nur gebrochen werden, wenn sich für die Arbeiterklasse ein politischer Weg eröffnet, der über die Pole von Freihandel und Protektionismus hinausführen würde. Das heisst, eine Überwindung der kapitalistischen Ausbeutung und der Bedrohung der Arbeits- und Lebensbedingungen. Dafür müsste eine politische und soziale Perspektive der Überwindung der verhängnisvollen Standortpolitik entwickelt werden. Dies ist nur über den Aufbau von sozialen Kämpfen mit einer revolutionären Perspektive möglich.

Kämpfen statt Standortpolitik

In dieser Situation ist es umso wichtiger, dass sich die Arbeiterklasse nicht vor den Karren der «eigenen» herrschenden Klasse spannen lässt. Die Versprechungen Trumps und anderer Vertreter der Neuen Rechten an die Lohnabhängigen, mittels protektionistischer Massnahmen und einer fremdenfeindlichen Politik Jobs für «Einheimische» zu schaffen, ist kaum mehr als heisse und verdorbene Luft.  Allenfalls können sie vorübergehend auf Jobs hoffen – allerdings zu weitaus schlechteren Arbeitsbedingungen und geringeren Löhnen.

In der Schweiz setzte die Kampagne gegen TiSA gegen Ende 2013 mit Mobilisierungen in Genf ein, wo die Verhandlungen geführt wurden. Anfang 2014 wurde ein gesamtschweizerisches Komitee «Stopp TiSA!» gegründet, an dem verschiedene kleinere linke Parteien und politische Organisationen und einige linke NGOs beteiligt waren; später trat die Gewerkschaft VPOD-SSP dazu. In relativ kurzer Zeit konnten ca 20’000 Unterschriften für eine entsprechende Petition gesammelt werden und es fanden Veranstaltungen statt. Dann trat der VPOD unter Umgehung des Komitees in geheime Gespräche mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft (seco), das das Schweizer Verhandlungsmandat für TiSA innehat; halt das übliche Vorgehen der Gewerkschaftsführungen, das wir von den GAV-Verhandlungen her kennen. Es kam auch zu mehreren parlamentarischen Interventionen zum Thema, deren letzte datiert vom Herbst 2016.

Über die vergangenen Jahre kam es hierzulande zwar zu einzelnen Kämpfen zur Verteidigung des Service public. Wir möchten hier nur auf drei hinweisen: Einerseits auf den erfolgreichsten: Die Besetzung der SBB-Werkstätten in Bellinzona vom April 2008, wo die etwa 400 Arbeiter und Arbeiterinnen die Schliessung – vorläufig – verhinderten; mittlerweile jedoch zeichnet sich ab, dass die SBB-Führung in Zusammenarbeit mit den politischen Behörden einen erfolgreichen Gegenschlag führen wird. Andererseits endeten die Kämpfe bei dem Spital La Providence in Neuchâtel (2013) und bei Gate Gourmet am Flughafen Genf (2014) in einer vernichtenden Niederlage. Dies weist auf grundsätzliche Verschiebungen im Kräfteverhältnis der Klassen hin, die künftige Kämpfe noch schwieriger machen werden.

Die aktuellen Mobilisierungen zur Verteidigung der öffentlichen Dienste laufen in Europa zwar – vorläufig – nicht mehr spezifisch als Kampagnen gegen TiSA. Beispielsweise entwickelt das Europäische Netzwerk gegen Privatisierung und Kommerzialisierung des Gesundheitswesens und der Sozialen Sicherheit seit einigen Jahren Kampagnen in mehreren Ländern, unter anderem in Frankreich, Spanien, Italien, Kroatien, Irland, Holland, Grossbritannien. Leider sind die Schweizer Gewerkschaften nicht daran beteiligt. So fanden am 7. April 2018 europaweite Aktionen zur Verteidigung des Gesundheitswesens statt (Siehe http://europe-health-network.net/). In den vergangenen Jahren kam es in Europa – ausser in der Schweiz – zu ungewöhnlich starken Mobilisierungen gegen die Freihandelsabkommen TiSA, CETA und TTIP. Die aktuellen Streiks in Frankreich zur Verteidigung der Staatsbahnen, der Müllabfuhr, der Studienbedingungen und anderer Sektoren sind gegen die gleichen Absichten gerichtet, wie sie hinter den Freihandelsverträgen à la TiSA stehen: Gegen die Zerschlagung des öffentlichen Sektors und der Sozialversicherungen und gegen die Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiterklasse.

Erschienen im vorwärts vom 26. April 2018

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