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Hände weg vom Gesundheitswesen – Gesundheit ist keine Ware!

Eingereicht on 28. April 2018 – 8:15

BFS Zürich. Der 1. Mai ist traditionell der Tag der Arbeit. Ein Tag für die grosse Mehrheit der Menschen – für alle, die von ihrer Arbeit leben müssen. Der 1. Mai ist damit unweigerlich ein Tag, an dem gesellschaftliche Konflikte und Probleme besonders deutlich sichtbar werden. In den letzten Jahren war das Gesundheitswesen ständig Gegenstand solcher Auseinandersetzungen. Das ist nicht zufällig, ist doch Gesundheit ein absolut zentrales politisches und soziales Thema in unserer Gesellschaft. Wenn wir an das Gesundheitssystem denken, dann geht es immer um die Frage, wie gut wir leben und wie lange. Das ist wichtig und auf den ersten Blick klar. Auf den zweiten Blick geht es aber auch noch um eine ganze Reihe weiterer, ebenso wichtiger Fragen: Was macht eine Gesellschaft mit alten, kranken, oder arbeitsunfähigen Personen? Wer pflegt wen und zu welchem Lohn? Und was soll das Ganze kosten?

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Die Gesundheit und die Wirtschaft

Die soziale Bedeutung des Gesundheitswesens schlägt sich in seiner wirtschaftlichen Bedeutung nieder. Die Gesamtkosten für Gesundheit in der Schweiz betrugen 2015 12% des Bruttoinlandproduktes. Oder in Zahlen: 77 Milliarden Franken. Und diese Zahl dürfte sich in den nächsten Jahren nochmals erheblich erhöhen. Allein im Spitalbereich spricht man von 15 Milliarden Franken, die in den nächsten 15 Jahren investiert werden müssen. Im Pflegebereich werden laut einer Studie bis 2040 53’000 zusätzliche Pflegebetten und 71’000 zusätzliche Angestellte benötigt. Schon heute arbeiten 120‘000 Lohnabhängige in der Langzeitpflege. Insgesamt beschäftigt das Gesundheitswesen 400‘000 Menschen in der Schweiz.

Es verwundert nicht, dass bei diesen Geldsummen das Interesse gross ist, von der „Gesundheit“ zu profitieren. Und tatsächlich sehen die Krankenkassen, die Pharmaindustrie sowie private Spital- und Pflegeinstitutionsverbände im Gesundheitssektor ein enormes Investitionsfeld. Dazu kommt die herausragende Vertretung dieser Verbände im Parlament.

Was kostet die Gesundheit und wer zahlt?

Seit Jahren hören wir davon, dass es eine Kostenexplosion im Gesundheitsbereich gäbe. Und tatsächlich steigen die Kosten des Gesundheitssystems Jahr für Jahr an. Nur: Gemessen an den Entwicklungen des BIP, also der gesamten Wirtschaftsleistung, ist der Anteil des Gesundheits­wesens seit Jahren ziemlich stabil.

Ausserdem: Die zentrale Frage in dieser Hinsicht sind nicht die Kosten, sondern die Finanzierung des Gesundheitswesens. Die Bevölkerung wird nun mal älter, es gibt bessere Behandlungsmethoden für eine Vielzahl von Krankheiten. Aber das ist eine gute Sache! Es geht den Menschen besser, sie können länger leben. Es stellt sich nur die Frage, wer für diesen Fortschritt bezahlen muss.

In der Schweiz ist der Anteil, den die Nutzer*innen für ihre Gesundheitsausgaben zahlen müssen, ausserordentlich hoch. Die Schweizer Bevölkerung zahlt im Vergleich zu ähnlich entwickelten Ländern wie Deutschland oder Frankreich gut das Doppelte für Medikamente, medizinische und pflegerische Leistungen. Absolut unsozial ist zudem das Pro-Kopf-Prämiensystem der Krankenkassen, weil eine reiche Person die gleiche Prämie zahlt, wie eine arme. Damit verbunden ist auch, dass es keine Arbeitgeberbeiträge für die Krankenkassen gibt (solche gibt es bei anderen Sozialversicherungssystemen wie der AHV oder der Arbeitslosenversicherung).

Die Schlussfolgerung ist also klar: Würde man die Gesundheitsabgaben an die Löhne und die Vermögen anpassen, würde ein grosser Teil der Bevölkerung entlastet. Die jährlichen Diskussionen über die explodierenden Prämien hätten rasch ein Ende. Und das, ohne auf Kosten unserer Gesundheit sparen zu müssen.

Sparprogramme und Privatisierungen er­höhen den Druck

Die Realität sieht aber anders aus. Die aktuelle Politik zielt in die entgegengesetzte Richtung. Seit Jahren reihen sich Steuererleichterungen für Reiche und Unternehmen an neue Sparpakete. Diese bürgerliche Sparpolitik betrifft den Gesundheitssektor und seine Angestellten massiv.

Gleichzeitig wird ständig versucht den Wettbewerb im Gesundheitswesen zu erhöhen. Zuletzt zu beobachten bei der Einführung eines neuen Finanzierungsmodells, der so genannten Fallpauschalen. Dabei geht es, kurz gesagt, darum, dass ein Spital für einen bestimmten Fall, sagen wir eine Blinddarmentzündung, eine vorgegebene Summe von der Krankenkasse erhält. Das Spital wird gezwungen, möglichst effizient zu behandeln. Als Ansporn dient nicht die Gesundheit des Patienten, sondern das Geld, dass nach den effektiven Behandlungskosten für die Spitäler übrigbleibt. Damit ist aber niemandem gedient. Als Patient*in besteht die Gefahr, so schnell als möglich wieder aus dem Spital geworfen zu werden, ohne Rücksicht auf das eigene Wohl. Und als Angestellte*r im Gesundheitsbereich steigt damit der Druck und die Belastung – ganz oft ins Unermessliche. Nur die Krankenkassen und die privaten Investor*innen profitieren von dieser Logik.

Mittlerweile werden ganze Bereiche des Gesundheitswesens, z.B. die Alters- und Pflegeheime, privaten Unternehmen überlassen. In der Schweiz gibt es knapp 1600 Alters- und Pflegeheime. 2015 waren bereits 72 Prozent aller Altersheime in privater Hand. Neben Stiftungen und gemeinnützigen Vereinen spielen vor allem internationale Unternehmensverbände und grosse Investorengruppen eine zentrale Rolle.

Rund die Hälfte der Alters- und Pflegeheime in der Schweiz ist defizitär. Da in der Pflege 60% der Kosten auf die Arbeitskosten entfallen, greifen die Unternehmen konstant die Löhne der Angestellten an. Aufgrund der zunehmenden Konkurrenz sind diese Angriffe auf die Löhne und die Arbeitsbedingungen quasi «zwangsläufig».

Gesundheit und Geschlecht

Es ist auffallend, dass in Gesundheitsberufen – Ärzt*innen einmal ausgenommen – überwiegend Frauen arbeiten. Dies, weil Frauen aufgrund tieferer Löhne schlicht und einfach billiger sind. Diese feminisierten Berufe erfordern oftmals anspruchsvolle Qualifikationen, bieten aber kaum Aufstiegsmöglichkeiten. Zudem werden „typisch weibliche“ Eigenschaften ver­langt: bei der Pflege kranker Menschen also Einfühlungsvermögen, Geduld und so weiter.

Gerade diese emotionale Komponente vieler Gesundheitsberufe, dass man sich also mit den Patient*innen verbunden fühlt, ihnen helfen will und die eigene Arbeit als zentral für ihr Wohlergehen wahrnimmt, macht es so schwierig, dem gesteigerten Druck durch Sparvorgaben, weniger Personal oder verkürzte Behandlungszeiten zu widerstehen. Oftmals kommt es zu Abwärtsspiralen aus Sparmassnahmen, steigender Arbeitsintensität, daraus folgende Ausfälle von Personen und wiederum mehr Druck auf die restlichen Verbliebenen.

Sich wehren und solidarisch sein!

Es wird also deutlich, dass das Gesundheitssystem gerade inmitten einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung steht. Einer Auseinandersetzung darum, wie wir leben können und ob der gesellschaftliche Reichtum uns allen zugutekommen soll, oder nur einigen Wenigen. Einer Auseinandersetzung darum, ob Gesundheit eine wirtschaftlich messbare Ware ist, und ob die Gesundheitsversorgung und die Care-Arbeit tatsächlich rationalisiert werden kann und soll.

Auch wird deutlich, dass wir uns nur gemeinsam wehren können. Nutzer*innen des Gesundheitssystems haben mehr­heitlich dieselben Interessen, wie die darin Beschäftigten. Gemeinsam können wir klarmachen, dass die Gesundheit nicht eine Frage der Kosten ist. Es kommt vielmehr darauf an, wer zur Kasse gebeten wird. Und das sind bislang hauptsächlich die Nutzer*innen und die Angestellten im Gesundheitswesen. Es wird Zeit, dies umzukehren und die Macht der Profiteure zu brechen.

Nutzer*innen und Pfleger*innen unite!

Für ein kostenloses Gesundheitswesen mit guten Arbeitsbedingungen!

Dieser Text an der 1. Mai-Demo 2018 in Zürich als Flyer verteilt.

Quelle: sozialismus.ch… vom 28. April 2018

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