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Zum Stand der Polizeigewalt in Deutschland

Eingereicht on 12. Mai 2018 – 7:47

Marcus Hammerschmitt. Korruption? Ja. Prügel? Sicher. Aber die bandenmäßige Einschüchterung von Opfern und Zeugen nach Mafia-Art? Folter? Und Mord? Selbst nach dem Fall Oury Jalloh fällt es schwer zu glauben, dass es das bei der deutschen Polizei gibt. Aber warum eigentlich?

Polizeigewalt ist kein beliebtes Thema im deutschen Journalismus; vor allem bei den Zeitungsredaktionen stößt man damit nicht auf viel Interesse. Die Gründe dafür sind vielfältig; dass der wichtigste das „symbiotische Verhältnis“ von Journalisten zur Polizei sein soll, die Wohlwollen gegen Informationen austauschen, kann man glauben oder nicht.

Es besteht jedenfalls kein Zweifel daran, dass die deutsche Presse sich im Allgemeinen zum Jagen tragen lässt, wenn es um Polizisten geht, die mehr und andere Gewalt anwenden, als sie dürften. In erstaunlich vielen Fällen schließt man sich der Basisstrategie der Polizei selbst an: verleugnen, was das Zeug hält. Artikel wie Schläger in Uniform oder gar Insiderberichte, die ein düsteres Bild von der Lage auf den deutschen Polizeirevieren zeichnen, sind selten.

„Polizisten als Täter“

Umso bemerkenswerter ist es, wenn sich das Radio um das Thema kümmert und eine Dokumentation erstellt, die anhand von Beispielfällen sehr deutlich macht, dass es da ein dickes Problem gibt. „Polizisten als Täter“, vom SWR am 18.4.2018 ausgestrahlt und in der Mediathek zu finden, hat daher für ein gewisses Aufsehen gesorgt. Zu Recht. Denn was die Autorin Marie von Kuck zusammengetragen hat, ist auch für Kenner der Materie nicht leicht in das Fach „business as usual“ einzusortieren.

Vier Beispielfälle werden dokumentiert, dazu die Aussagen von Experten und Polizisten selbst. Da wäre zum Beispiel der Marokkaner „Jamal O.“ (vom SWR verliehener Deckname), der 2014 auf einer Wache der Bundespolizei in Hannover schwerst misshandelt wurde. Oder „Clara“, die 2013 auf einer Kölner Polizeiwache körperlich misshandelt und nackt über die Gänge des Polizeireviers gezerrt wurde.

Oder ein türkischstämmiger Taxifahrer, krankenhausreif geschlagen beim Versuch, Anzeige zu erstatten, weil sein vierzehnjähriger Sohn auf der Straße geschlagen worden war. Oder der afghanische Flüchtling Hussam Fadl, der eine Intervention der Berliner Polizei im Jahr 2016 nicht überlebte. Angeblich ist er in Anwesenheit von Polizisten mit einem Messer auf einen Mann losgegangen, der seine (Hussans) Tochter mutmaßlich missbraucht hatte. Wobei selbst „zentrale Polizeizeugen“, so der Anwalt der Witwe Hussans, nie ein Messer gesehen haben.

Der Ausgang der juristischen Verfahren

Alle diese Fälle hatten juristische Verfahren zur Folge. Die Ergebnisse sind nicht ermutigend: Jamal O., dessen Qual sein Peiniger Torsten S. selbst in höhnischen Handyfotos und Chatbotschaften festgehalten und verbreitet hat, wartet bis heute auf einen Hauch von Gerechtigkeit. Torsten S., man höre und staune, wurde für seine Taten wegen des Kunsturhebergesetzes verurteilt: Er hätte die Fotos von Jamal O. nicht ohne dessen Einwilligung verbreiten dürfen.

Die beiden Bundespolizisten, die Torsten S. angezeigt haben, sind nach Recherchen von Marie von Kuck immer noch vom Dienst freigestellt und von Disziplinarverfahren bedroht. Der türkischstämmige Taxifahrer klagte sich fünf Jahre lang durch alle Instanzen und verlor dabei seinen eigenen Angaben nach 60.000 – 70.000 Euro, Verdienstausfall inklusive.

Eine Verurteilung seiner Peiniger erreichte er nicht. Den Fall von Hussam Fadl hätte die Justiz eigentlich schon lange zu den Akten gelegt, wäre da nicht der Anwalt Ulrich von Klinggräff, der per Klageerzwingungsverfahren doch noch aufklären will, wie und warum der Ehemann seiner Mandantin eigentlich zu Tode kam.

Den „glücklichsten“ Verfahrensausgang erlebte Clara, die für die körperlichen Schmerzen und sexuell konnotierten Demütigungen, die ihr zugefügt wurden, ein Schmerzensgeld von 600 Euro zugesprochen bekam. Das gelang nur deswegen, weil Clara zusammen mit anderen Betroffenen Videos auftreiben und als Beweismittel vorlegen konnte, die die Polizei klar der Lüge überführten. Die Verfahren gegen die betroffenen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt und wegen Falschaussagen vor Gericht wurden dennoch eingestellt.

Es sind nicht nur die unmittelbaren Fall- und Verfahrensdetails, die Beklemmung auslösen. Zum Kontext der vier präsentierten Beispielfälle gehört ein immer wieder auftauchendes Muster an institutioneller und handfester Brutalität.

Damit ist nicht nur die sattsam bekannte Masche gemeint, mit der Polizisten routinemäßig reagieren, wenn sie von ihren Opfern angezeigt werden: Sie zeigen ihrerseits diese Opfer wegen Widerstand und Beleidigung an und machen sie so zu Tätern und sich selbst zu Opfern. Es geht dabei nicht nur um die Absprachen, die Polizisten treffen, um vor Gericht zu lügen und sich gegenseitig zu decken.

Es geht auch um Dinge wie diese: Der türkischstämmige Taxifahrer erzählt, dass er während seiner Prozesse ständig von Kollegen seiner Peiniger heimgesucht wurde: „Hausbesuche“, Warten vor der Haustür undsoweiter. Clara hat ihrer Aussage nach Ähnliches erlebt. Als Marie von Kuck ungläubig bei der Anwältin Beate Böhler nachfragt, die öfter Opfer von Poizeigewalt vertritt , bekommt sie zu hören, dass von einem solchen Verhalten immer wieder berichtet wird.

Herrschaftsinstrument Polizei und Kontrollinstanzen

Der Polizei-Experte Martin Herrnkind berichtet, dass Polizisten, die Kollegen wegen Übergriffen und Gewalttaten angezeigt haben, Personenschutz gestellt werden musste; dass bei einem Beamten Vorkehrungen gegen Autobomben getroffen wurden; dass dem Kind eben dieses Beamten per Post vergiftete Süßigkeiten geschickt wurden.

„Robert“, seit zwanzig Jahren Polizist, berichtet in dem Radiofeature, das Rassismus in der deutschen Polizei eher die Regel als die Ausnahme sei; sogar Kollegen mit Migrationshintergrund bekämen das zu spüren.

Solche Zustände, so hört man oft, könnten nur ernsthaft bekämpft werden, wenn in Deutschland endlich polizeiunabhängige Kontrollinstanzen geschaffen würden, wie es sie in anderen Ländern bereits gibt. Martin Herrnkind erwähnt zum Beispiel Großbritannien und Irland.

Dazu ist zu erwähnen, dass erst im Januar 2018 die britische „Independent Police Complaints Commission“ durch eine ähnliche Institution mit ähnlichem Namen (IOPC) ersetzt wurde, weil ihre Nutzlosigkeit allzu offensichtlich geworden war. Die irische Parallelinstitution GSOC wirkt ebenfalls gelähmt und ineffektiv.

Nicht einmal milde Kontrolle …

Aber in Deutschland möchte man nicht einmal eine solch milde Kontrolle der Polizei von außen ermöglichen. Im Gegenteil. Durch neue Polizeigesetze in Bayern, (siehe „Obacht Söder, mir san grantig!“) in Nordrhein-Westfalen und NIedersachsen sollen die Möglichkeiten der dortigen Polizeien erheblich erweitert werden.

Der schon letztes Jahr neu in den Strafrechtskatalog aufgenommene Paragraf 114 StGB führt dazu, dass sich Betroffene noch schwerer mit Anzeigen gegen Polizisten tun, weil die Konsequenzen noch gravierender sein können, wenn „Racheanzeigen“ der betreffenden Polizisten vor Gericht Erfolg haben. Es gibt Widerstand dagegen, aber nicht in der Breite der Gesellschaft.

Besonders in Deutschland ist es schwer zu vermitteln, dass die Polizei immer hauptsächlich zwei Aufgaben hat. Sie erbringt einerseits soziale Dienstleistungen; andererseits ist sie ein Herrschaftsinstrument. Wenn diese beiden Aufgaben miteinander in Konflikt kommen, setzt sich in Deutschland der Herrschaftsaspekt nahezu immer durch.

Dazu kommen die Verbrechen, die aus der Lust individueller Polizisten am Herrschen und Beherrschen entstehen, und die regelmäßig geleugnet werden, um dem „Ruf der Polizei nicht zu schaden“. Eine Kontrolle der Polizei von außen wird in diesem Zusammenhang fast als Sakrileg betrachtet. Der Abwehrreflex ist so stark, dass man auch sagen könnte: Deutschland ändert sich erst, wenn die Polizei nicht mehr heilig ist.

Erst wenn Polizisten genauso kritisiert werden können wie jeder andere, und den Gesetzen selbst wirklich unterworfen sind, deren Einhaltung sie garantieren sollen, könnten sie behaupten, im Interesse der gesamten Öffentlichkeit zu handeln. Ob das überhaupt möglich ist in einer kapitalistischen Klassengesellschaft wie der unseren, die Herrschaftsinstrumente so dringend nötig hat, kann bezweifelt werden.

Quelle: Telepolis… vom 12. Mai 2018

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