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Das arbeiterfeindliche Programm der neuen italienischen Regierung

Eingereicht on 2. Juni 2018 – 13:21

Marc Wells. Am 31. Mai kam in Italien die Bildung einer rechtsextremen Regierung zum Abschluss. Drei Monate lang hatte eine Pattsituation vorgeherrscht, die ihre Ursache in der angespannten sozialen und finanzpolitischen Instabilität hatte.

Nachdem Präsident Sergio Mattarella sich geweigert hatte, den eurokritischen Wirtschaftsprofessor Paolo Savona zum Wirtschafts- und Finanzminister zu ernennen, herrschte sowohl im Inland wie auf den Weltmärkten tagelang Unsicherheit vor. Schließlich legten die rechtsextreme Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) eine neue Ministerliste vor. Am Donnerstagabend stimmte Mattarella zu, und schon am gestrigen Freitag wurde das neue Kabinett unter Premierminister Giuseppe Conte vereidigt.

Drei Tage zuvor hatte die Finanzwelt sehr nervös darauf reagiert, dass der potentielle Wirtschaftsminister künftig die Eurozone in Frage stellen könnte. In den herrschenden Kreisen herrscht die Sorge vor, dass ein Austritt der drittgrößten EU-Wirtschaft zu einem Dominoeffekt in der ganzen Europäischen Union führen könnte, was einen Großteil der europäischen Banken in Mitleidenschaft ziehen würde.

Diese Unsicherheit hatte den italienischen Anleihen bereits ihren schlimmsten Tag beschert. Laut Analysten war es schlimmer als zur Zeit der Finanz- und Schuldenkrise von 2008–2011. Letzten Dienstag schoss die Zweijahresrendite von 0,3 auf 2,73 Prozent hoch, was eine mögliche Destabilisierung der Finanzmärkte ankündigte.

Der wichtigste Unterschied zwischen der neuen Regierung und der vorherigen, von Mattarella abgelehnten Ministerliste besteht in der Person des Wirtschafts- und Finanzministers. Savona wurde durch Giovanni Tria ersetzt. Das konnte die Befürchtungen des europäischen und internationalen Kapitals über sezessionistische Tendenzen innerhalb der EU beschwichtigen. Tria ist Wirtschaftsprofessor, Berater der Weltbank und ein verlässlicher Befürworter der Eurozone. Savona wird dagegen das Ministerium für EU-Angelegenheiten übernehmen.

Das hervorstechendste Merkmal der neuen Regierung ist ihr arbeiterfeindliches Programm. In seiner politischen Ausrichtung kommen der neofaschistische Charakter der Lega, wie auch das Law-and-Order-Konzept der M5S zum Ausdruck. Im Verlauf der letzten Verhandlungen hatte sich die M5S sogar bereit erklärt, Giorgia Meloni, die Führerin der faschistischen Fratelli d’Italia, zur Verteidigungsministerin zu machen. Der M5S-Abgeordnete Carlo Sibilia hatte erklärt: „Wenn wir uns an den [Koalitions-]Vertrag halten, dann ist die Diskussion für alle offen, und wir könnten auch Fratelli d’Italia in die Regierung aufnehmen.“

Das neue Kabinett wird von Conte angeführt, einem Juristen mit früheren Verbindungen zur bürgerlichen Linken, der heute die M5S unterstützt. Er weist ausdrücklich die sozialistische Perspektive zurück, für die Millionen Arbeiter im letzten Jahrhundert gekämpft haben, und erklärt: „Die ideologischen Systeme des zwanzigsten Jahrhunderts sind nicht mehr relevant.“

Dass der Jurist zum Kabinettschef gemacht wurde, unterstreicht die Bedeutung des repressiven Staatsrahmens, den die neue Regierung anstrebt. Sie befürwortet das Prinzip der „Gewissheit von Strafe“, welches das seit langem gültige demokratische Prinzip der Unschuldsvermutung ersetzen soll. Hier gibt es mehr als nur eine Parallele zum Prinzip nullem crimen sine poena [kein Verbrechen darf ohne Strafe bleiben] des Nazi-Juristen Carl Schmitt.

Ein besonders markanter und aufschlussreicher Punkt im Programm der neuen Regierung ist ihre Pauschalsteuer von 15 Prozent (bzw. 20 Prozent für Jahreseinkommen über 80.000 Euro). Diese „Flat Tax“ wird eine zweifache Wirkung haben: Erstens wird sie gewaltige Summen von unten nach oben transferieren, und zweitens wird sie das Steuereinkommen mindern, wodurch zwangsläufig wichtigen sozialen Programmen und öffentlichen Bereichen wie dem Gesundheits- und dem Bildungswesen die Mittel entzogen werden.

Besonders beunruhigend sind die Pläne zur Verteidigungspolitik. Das Regierungsprogramm setzt Prioritäten im Vorgriff auf neue militärische Interventionen. Im Zentrum steht der Mittelmeerraum: Die Regierung will unter dem Vorwand des Kampfs gegen islamistischen Terrorismus und gegen unkontrollierte Zuwanderung „die Aufmerksamkeit wieder auf den Süden lenken“.

Insbesondere die Flüchtlingspolitik des Programms folgt der fanatisch fremdenfeindlichen Ausrichtung der Lega (und in großem Maße auch der M5S). Sie wird die schwächsten Teile der Arbeiterklasse treffen. Das Programm ebnet ausdrücklich den Weg für etwa 500.000 Abschiebungen.

Alle politischen Kräfte haben dazu beigetragen, ein Klima chauvinistischer Hysterie zu schaffen, wofür die vorherige Regierung der Demokratischen Partei (PD) mit ihren fremdenfeindlichen Maßnahmen den Weg bereitete. Heute fühlt sich die rechtsextreme Conte-Regierung ermutigt, Flüchtlinge offen anzugreifen. Sie schiebt den Flüchtlingen die Verantwortung für die Krise des Weltkapitalismus zu und versucht, die Arbeiterklasse nach Nationalitäten zu spalten.

Geplant sind auch eine massive Aufstockung und Bewaffnung der Polizeikräfte. Das ist ein weiteres Anzeichen dafür, dass die Conte-Regierung sich darauf vorbereitet, die ganze italienische Gesellschaft zu militarisieren, weil sie Massenaufstände und Widerstand gegen ihr reaktionäres Programm erwartet.

Unter dem Programmpunkt „Verteidigung“ macht das Bündnis aus Lega und M5S außerdem deutlich, dass es eine Ausweitung der italienischen Beteiligung an internationalen Missionen plant, wobei „das nationale Interesse“ an erster Stelle stehen soll.

Die neue Verteidigungsministerin Elisabetta Trenta, Mitglied der M5S, ist Militär- und Geheimdienstexpertin und blickt auf eine Kriegskarriere zurück. Ihre Äußerung zur Beteiligung Italiens an Verbrechen im Irak, speziell in Nasiriya, passt perfekt zum imperialistischen Programm der Hauptbeteiligten an diesem Krieg unter dem Banner der „humanitären Intervention“. Sie lobte die italienischen Soldaten, weil diese einigen irakischen Opfern geholfen hätten, und erklärte: „Das sind unsere Soldaten: Professionalität und Herz!“

In der Außenpolitik wird das Programm zwangsläufig zu Konflikten mit anderen imperialistischen Ländern führen, speziell den USA. Es bestätigt zwar die vorrangige Beziehung zu den USA im Rahmen der Nato, verweist aber besonders auf Moskau als Partner hin und fordert eine Rücknahme der internationalen Sanktionen gegen Russland.

In den letzten Jahren ist das Nato-Bündnis durch wachsende internationale Spannungen erheblich gelockert worden. Unter dem Druck der scharfen Widersprüche bricht heute der gesamte Rahmen auseinander, der in der Nachkriegszeit geschaffen wurde, um den Weltkapitalismus wieder zu stabilisieren. Italiens russlandfreundliche Politik wird diese Spaltungen noch verschärfen.

Ein bemerkenswerter Programmpunkt, den die M5S als ihr Aushängeschild für Arbeiter nutzt, ist das sogenannte Reddito di Cittadinanza [bedingungsloses Grundeinkommen]. Es ist alles andere als „bedingungslos“ und gilt nur für italienische Staatsangehörige. Es soll im Wesentlichen Niedriglohnjobs (780 Euro im Monat) für Arbeitslose schaffen, denen drei Jobs zur Auswahl angeboten werden. Lehnt ein Bewerber sie ab, verliert er oder sie den Anspruch auf jede Unterstützung.

Dieser Plan ist ein Geschenk an die Konzerne, denen man billige Arbeitskräfte zur Verfügung stellt. Tatsächlich wird für eine ganze Generation von Jugendlichen das magere Grundeinkommen zur neuen Normalität werden. In Italien liegt die Arbeitslosenrate für Jugendliche immer noch bei 33,1 Prozent. Das Grundeinkommen ähnelt den deutschen Hartz-IV-Gesetzen, mit denen ein riesiger Niedriglohnsektor geschaffen wurde.

Der M5S-Vorsitzende Luigi Di Maio wird Minister für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung. In dieser Funktion obliegen ihm die Arbeitsmarktpolitik und sämtliche weiteren Maßnahmen, welche die Beschäftigung von Arbeitern betreffen. Die Richtung gab M5S-Gründer Beppe Grillo schon 2013 vor, als er vorschlug: „Wir sollten die Gewerkschaften abschaffen, sie sind genauso alt wie die politischen Parteien.“

In den letzten Monaten hat Di Maio selbst einen Einblick in sein Konzept gewährt, als er drohte, die Gewerkschaften „müssen sich entweder reformieren, oder wir kümmern uns darum, wenn wir an der Macht sind“.

Die Ähnlichkeit dieser Regierung, an der sich neofaschistische Kräfte beteiligen, mit den Faschisten der 1920er- und 1930er-Jahre ist kein Zufall. Damals haben die Faschisten mit ähnlichen Parolen die Gewerkschaften gewaltsam zerschlagen.

Dennoch liegen die Dinge heute anders. Nach dem Ende des Faschismus haben die Gewerkschaften im Verlauf der Geschichte ihre Rolle verändert, und heute arbeiten sie offen mit dem Staat und den großen Konzernen zusammen. Der Bourgeoisie ist es jedoch nicht mehr möglich, die Widersprüche des Kapitalismus zu lösen, und so brechen die gesellschaftlichen Beziehungen auseinander.

Von besonderer Bedeutung ist die Ernennung Matteo Salvinis zum Innenminister. Salvini ist der Führer der neofaschistischen Lega und mit Di Maio zusammen Hauptstütze der neuen Regierung. Er wird die typischen Unterdrückungsmaßnahmen eines Polizeistaats durchsetzen. Seine europäischen Verbündeten sind Marine Le Pen vom französischen Front National, Geert Wilders, Führer der holländischen Freiheitspartei, und die ultrarechte Alternative für Deutschland (AfD).

Im Koalitionsvertrag von Lega und M5S gibt es keinen einzigen progressiven Punkt. Diese Politik ist das Ergebnis einer jahrelangen Geschichte von Verrat und Niederlagen der sogenannten Mitte-Links-Kräfte. 73 Jahre nach dem Zusammenbruch des Faschismus haben sie dem Einzug von neofaschistischen Kräften in die Regierung Tür und Tor geöffnet.

Eins ist sicher: Die herrschenden Klassen Europas bereiten sich auf eine Situation vor, in der es zu Massenaufständen kommt, und so werden sie keinen Einspruch erheben, wenn die Conte-Regierung drastische arbeiterfeindliche Maßnahmen durchsetzt. Sie werden im Gegenteil das Beispiel der italienischen Arbeiterklasse anführen, um die Notwendigkeit ihrer Unterdrückung für das Überleben des Kapitalismus nachzuweisen.

Italienische Arbeiter müssen eine unabhängige Partei aufbauen, die mit einer sozialistischen Perspektive bewaffnet ist. Sie müssen sich auf die internationale Einheit der Arbeiterklasse stützen, alle Formen des Nationalismus und Imperialismus zurückweisen und den Kampf für die internationale Arbeitermacht aufnehmen.

Quelle: wsws.org… vom 2. Juni 2018

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