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Die AfD, Partei der Faschisten

Eingereicht on 5. September 2018 – 9:27

Trotz des Aufstiegs der neuen Nazis gibt es das Potenzial, die AfD zu schlagen. Doch dafür braucht es die richtigen Strukturen und die richtige Strategie, meint Nora Berneis vom Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus«.

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marx21: Bei einem Blick in den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung kann man den Eindruck bekommen, die AfD sei bereits an der Regierung…

Nora Berneis: Stimmt. Das Heimatministerium der weißen Männer könnte eine Erfindung der AfD sein. Obergrenzen für Geflüchtete, Abschaffung des Familiennachzugs, Deutschpflicht für Imame: Die AfD bestimmt die politische Agenda. Teile der Unionsparteien, insbesondere die CSU, verfolgen nach wie vor das Ziel, AfD-Wähler mit rassistischen Forderungen zurückzugewinnen. Dabei ist diese Strategie eindeutig gescheitert. Die SPD macht mit -Hauptsache sie kann regieren.

Du glaubst nicht, dass der Rechtsruck der Bundesregierung einige rechte Merkel-Kritiker mit der Union versöhnen kann?

Nein, im Gegenteil. Dass die Regierungsparteien der AfD nach dem Mund reden, ist gefährlich. Die AfD gewinnt dadurch an Zustimmung und Legitimität und kann sich gleichzeitig immer weiter aus dem Nazi-Fenster lehnen. Je mehr rassistische und menschenverachtende Forderungen als legitim wahrgenommen werden, desto krassere Provokationen kann sich die AfD leisten.

Klingt nach einem Teufelskreis.

Ja, aber das soll nicht bedeuten, dass der Kampf schon verloren ist. Innerhalb von SPD und CDU/CSU finden Richtungskämpfe statt. Wir können diese beeinflussen, indem wir gesellschaftlich spürbar und öffentlich sichtbar machen, dass die Mehrheit der Gesellschaft gegen Rassismus, gegen Nazis und gegen die AfD ist.

Wo steht die AfD heute? Ihre Radikalisierung geht immer weiter. Kann man mittlerweile von einer faschistischen Partei sprechen?

Ich würde nicht sagen, dass die AfD insgesamt eine faschistische Partei ist. Aber man kann sagen: Die AfD ist die Partei der Faschisten. Nicht weil alle in der AfD Faschisten sind -die Weidels, Pasterskis oder Meuthens sind zwar rechte Hetzer, aber keine Nazis -sondern weil die AfD für Neofaschisten wie Höcke, Gauland, Brandner oder Poggenburg der Weg ist, staatliche Institutionen zu infiltrieren, rassistische Protestbewegungen aufzubauen und dafür Verbündete zu gewinnen.

Wie äußert sich das Erstarken der Neofaschisten in der AfD?

Am deutlichsten zeigt sich das beim Schulterschluss mit Pegida: Die Neofaschisten in der AfD wollen die Bevölkerung mit Propaganda und Massenmobilisierungen für sich gewinnen. Dafür brauchen sie ein scheinbar soziales Profil, klare Feindbilder und gesellschaftlich akzeptierte Bündnispartner, die keine Berührungsängste mit Nazis haben.

Und dafür ist Pegida ein Paradebeispiel.

Ja, genau. Von außen werden sie noch viel zu oft als »Besorgte Bürger« verharmlost, deren »Ängste« ernst genommen werden müssten. Mit dem Feindbild Islam ist Pegida nicht isoliert, sondern anschlussfähig: Antimuslimischer Rassismus wird von konservativen Kreisen bis weit in die Mitte der Gesellschaft und sogar von Teilen der Linken mitgetragen.

Tatsächlich vereinen sich bei Pegida aber Neonazi-Organisationen mit unorganisierten rassistischen Konservativen und ziehen diese immer weiter nach rechts. Auf den Bühnen inszenieren sich Faschisten erfolgreich als Retter des Volkes vor der angeblichen Bedrohung durch Muslime und Geflüchtete. Soziale Probleme beantworten sie mit Rassismus. Pegida ist also das Erfolgsprojekt der extremen Rechten -eng verknüpft und nun auch endlich vereint mit den Neofaschisten in der AfD.

Aber eine Zusammenarbeit mit Pegida gibt es vielerorts doch schon lange.

Ja, der Unvereinbarkeitsbeschluss des Parteivorstands wurde von Teilen der AfD von Anfang an unterlaufen. Nun ist er aber auch offiziell vom Tisch. Der Höcke-Flügel hat sich also an einer entscheidenden Frage durchgesetzt. Damit sind Tür und Tor geöffnet für eine enge Zusammenarbeit mit der gesamten rechtsradikalen Szene -von den Identitären bis zum offen agierenden Stiefelnazi. Das betrifft längst nicht nur Pegida: In Cottbus, Kandel oder Bottrop baut die AfD gemeinsam mit rechten »Bürgerbündnissen« und der lokalen Naziszene Straßenproteste auf. Und das sind nur einige Beispiele.

Warum ist für den neofaschistischen AfD-Flügel der Kampf um die Straße so wichtig?

Im Gegensatz zu bürgerlichen Rassistinnen und Rassisten, die allein auf parlamentarische Mehrheiten abzielen, wollen die Nazis den Staat von innen und von der Straße aus übernehmen und in ein faschistisches Regime umbauen. Ihre Strategie in den Parlamenten muss sich nicht immer von der Strategie der bürgerlichen Rassisten und Rechtskonservativen unterscheiden. Aber für letztere ist die Straße nicht besonders wichtig, für die Neofaschisten ist sie der Schlüssel: Dort wollen sie eine eigene, unabhängige Machtbasis außerhalb des Staatsapparats aufbauen. Hitler hatte gegen Ende der Weimarer Republik zwar auch hohe Wahlergebnisse, aber vor allem hatte er die SA mit ihren mehr als 400.000 Mitgliedern, die in der Lage waren, das Programm des Faschismus gegen seine Gegner durchzuprügeln.

Aber davon sind wir doch weit entfernt.

Klar, aber nicht umsonst lautet eine der wichtigsten antifaschistischen Parolen »Wehret den Anfängen«. Ende der 1920er Jahre hat sich auch keiner vorstellen können, dass die faschistische Diktatur vor der Tür steht. Noch bis kurz vor der Machtergreifung wurde Hitler von vielen belächelt. Natürlich haben wir heute eine andere Zeit, aber es wäre naiv zu glauben, dass sich so etwas nicht wiederholen könnte.

Die AfD wirkt auch schon jetzt als geistige Brandstifterin. Der Zusammenhang zwischen Tausenden Angriffen auf Muslime und Geflüchtete und dem Aufstieg der AfD ist kaum zu übersehen. Und das Wiedererstarken eines völkischen Nationalismus wirkt auch als Brandbeschleuniger für den Anstieg antisemitischer Straftaten, die zu 95 Prozent auf das Konto von deutschen Rechtsradikalen gehen.

Inwiefern steht dem Umbau der AfD in eine faschistische Partei ihr neoliberales Parteiprogramm im Weg?

Für Akzeptanz auf der Straße braucht es andere Forderungen als für Akzeptanz im Parlament. Während neoliberale Positionen im Parteiprogramm dominieren, treten die Neofaschisten der AfD mit klassisch »national-sozialen« Positionen auf. Leute wie André Poggenburg, Jürgen Pohl, Jens Maier oder Andreas Kalbitz arbeiten aktiv am sozialen Profil der AfD. Für ihre Kundgebungen und Demos zum 1. Mai verwenden sie Slogans wie »Sozial ohne rot zu werden« oder »Andere sind links, wir sind sozial«. Ihre Forderungen sind »Wohlstandslohn statt Mindestlohn«, »Alterswürde statt Altersarmut« und »Kein Raubbau am Sozialstaat«. Diese Kräfte als Neoliberale zu brandmarken, funktioniert einfach nicht.

Aber Weidel, Meuthen oder von Storch sind doch stramme Marktradikale.

Stimmt, die AfD ist in dieser Frage gespalten. Doch sie kann mit diesem Widerspruch bislang ganz gut leben, eben weil der Kitt der Partei nicht eine bestimmte Wirtschafts- und Sozialpolitik ist, sondern Rassismus.

Vor einem Jahr hat Björn Höckes »Denkmal der Schande«-Rede noch einen großen öffentlichen Aufschrei hervorgerufen. Doch bei zahlreichen weiteren Naziskandalen blieb dieser weitgehend aus. Hat sich die Gesellschaft bereits an die neuen Nazis gewöhnt?

Ja, es scheint tatsächlich eine gewisse Gewöhnung an Naziskandale stattgefunden zu haben. Diese Normalisierung ist hochgefährlich. Die Zahl der Skandale hat in den letzten Monaten sogar deutlich zugenommen. Das liegt auch daran, dass die Nazis in der AfD kaum noch internen Widerspruch oder gar Sanktionen erwarten, wenn sie sich aus der Deckung wagen. Seit im Dezember der neue Parteivorstand gewählt wurde, können hohe Funktionäre sich als Nazis outen oder geoutet werden, ohne viel befürchten zu müssen.

Was meinst Du mit outen?

Vom AfD-Bundestagsabgeordneten Siegbert Dröhse ging ein Foto durch die Presse, auf dem er mit der Hand auf dem Herzen vor dem »Führerbunker« steht. Nikolaus Kramer, Vorsitzender der AfD-Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern, hat ein Foto von Hitlers SS-Leibstandarte mit der Aufschrift »Schwarzer Block ist nicht immer scheiße« in einem AfD-Chat geteilt. Das meine ich mit outen.

André Poggenburg scheint sich etwas zu weit aus der Deckung gewagt zu haben, als er Deutschtürken als »Kümmelhändler« und »Kameltreiber« beschimpfte und daraufhin als Fraktionsvorsitzender in Sachsen-Anhalt abgesägt wurde. Ist das ein Zeichen dafür, dass Teile der AfD sich doch noch gegen die Radikalisierung stemmen?

Ganz ehrlich: Was Poggenburg gesagt hat, ist übel, aber für AfD-Verhältnisse ist es nicht krass genug, um abgesägt zu werden. Mit seinen rassistischen Beschimpfungen ist er dort in guter Gesellschaft: Weidel hat zu Neujahr getwittert »Unsere Behörden unterwerfen sich importierten, marodierenden, grapschenden, prügelnden, Messer stechenden Migrantenmobs«. Gauland will die damalige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, »in Anatolien entsorgen«.

Warum musste Poggenburg dann zurücktreten?

Bei Poggenburgs Rücktritt ging es wohl eher um Rangeleien und Eifersüchteleien in der Fraktion: Sein herrischer Führungsstil, seine chronische Unerreichbarkeit und zuletzt die augenscheinliche Vetternwirtschaft zugunsten seiner Lebensgefährtin, waren das Problem.

Gerade die AfD in Sachsen-Anhalt will keinen »gemäßigten« Vorsitzenden: Der Nachfolger von Poggenburg, Oliver Kirchner, ist wieder ein strammer Rechtsaußen: Er steht für die Zusammenarbeit mit Pegida, für eine national-soziale Ausrichtung der Partei und er ist Mitglied der »Patriotischen Plattform«.

Was bedeutet die fortschreitende Radikalisierung der AfD für den Widerstand gegen die Partei?

Die Radikalisierung bringt uns Argumente und Beweise, die wir für den Kampf gegen die AfD nutzen können. Rassisten unterstützen ist eine Sache, Möchtegern-Hitlers unterstützen, ist eine andere. Wir müssen jede Gelegenheit nutzen, bei der die Faschisten in der AfD ihr wahres Gesicht zeigen. Einerseits, um Menschen mit Antirassismus im Herzen davon zu überzeugen, dass es jetzt höchste Zeit ist aufzustehen. Andererseits, um öffentlich klar zu machen, dass alle, die mit der AfD kooperieren, sich zum Steigbügelhalter der neuen Nazis machen.

Die Taktik scheint bislang aber nicht aufzugehen.

Da muss ich widersprechen: Ohne den engagierten antirassistischen Kampf von Zehntausenden wäre die AfD heute noch deutlich stärker. Aber es stimmt, dass wir noch nicht stark genug sind, um die AfD endgültig zurückzuschlagen.

Was ist das Haupthindernis?

Die Sichtweise, wir müssten in einer Demokratie alle Meinungen zulassen, anhören und diskutieren, sitzt leider sehr tief. Deshalb sind die Nazi-Outings auch so hilfreich, um für eine klare rote Linie gegenüber der AfD zu argumentieren: Mit Nazis will fast keiner diskutieren. Es gibt keine Diskussionsgrundlage und es ist gefährlich, ihnen eine Bühne zu bieten, denn die nutzen sie nur für ihre Hetze. Gleiches gilt für ihre Aufmärsche.

Glaubst Du eine Blockade-Strategie gegenüber der AfD kann massentauglich werden?

Ja. Es ist relativ breit akzeptiert, dass Naziaufmärsche blockiert werden müssen. Wenn klar ist, dass die AfD die Partei der Nazis ist, müssen wir auch die AfD blockieren.

Mit »Dresden Nazifrei« haben wir ein beeindruckendes Beispiel, wie solche Blockaden gelingen können. Dort fand jahrelang der größte Naziaufmarsch Europas statt -bis sich ein breites Bündnis gegründet hat, das zehntausende Menschen zu Massenblockaden auf die Straße brachte. Das lässt sich auch auf die Proteste gegen die AfD übertragen. Ob es klappt, hängt aber davon ab, wie wir Blockaden aufziehen.

Was meinst Du damit?

Oft ist es ja so: Die AfD oder andere rechte Gruppen und Nazi-Organisationen rufen zu einer Kundgebung oder Demo auf und es formieren sich lokale Gegenproteste. Doch statt mit vereinten Kräften vorzugehen, spaltet sich die Bewegung anhand inhaltlicher und taktischer Fragen. Das Ergebnis ist dann allzu oft, dass die radikale Linke zu Blockaden mit Kleingruppentaktik aufruft, die aufgrund mangelnder Größe scheitern, während Parteien und Gewerkschaften Gegenkundgebungen abhalten, jedoch ohne direkte Konfrontation und oft außerhalb der Hör- und Sichtweite der Rechten.

Kann diese Spaltung überwunden werden? Das sind nun einmal auch sehr verschiedene Akteure mit sehr verschiedenen Strategien.

Wenn in einem Bündnis kein Konsens über Blockaden hergestellt werden kann, sollten wir zumindest zu breiten Kundgebungen in Sichtweite der AfD aufrufen. Dann können sich die Leute auch erst vor Ort entscheiden, ob sie sich auf die Straße setzen oder daneben stehen bleiben. So können wir letztlich auch zu Massenblockaden kommen. Bei den Gegenprotesten zum sogenannten Frauenmarsch in Berlin hat das geklappt und etwa 3000 Menschen haben die AfD blockiert. Sie haben gezeigt, wie es gehen kann.

In manchen Regionen Ostdeutschlands ist die AfD Umfragen zufolge mittlerweile stärkste Partei und nächstes Jahr finden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg statt. Ist der Osten noch zu retten?

Es besteht die Gefahr, dass die AfD in Teilen Ostdeutschlands die politische Hegemonie erobert. Das ist brandgefährlich, weil es dazu führt, dass Linke, Antifaschistinnen und Antirassisten sich zunehmend nicht mehr trauen, aufzustehen und Farbe zu bekennen. Aber wir sollten auch keine Untergangsszenarien heraufbeschwören. Die Lage ist schlimm, doch der Kampf ist längst noch nicht verloren.

Das klingt überraschend zuversichtlich. Woher kommt dein Optimismus?

Selbst wenn, wie bei der Bundestagswahl in Sachsen, ein Viertel der Wählerinnen und Wähler der AfD ihre Stimme geben, sind daserstens nicht alles überzeugte Nazisund zweitens bedeutet das auch, dass drei Viertel nicht die AfD gewählt haben -allein die Zahl der Nichtwählerinnen und -wähler war auch in Sachsen größer als die der AfD.

Klingt für mich nach Schönreden.

Ich will nichts schönreden, aber das sollten wir immer im Hinterkopf behalten, wenn Wessis den Osten pauschal für verloren erklären. Auch in Ostdeutschland gibt es dutzende ermutigende Beispiele für Solidarität und Widerstand.

Außerdem ist die AfD alles andere als ein reines Ost-Phänomen. Absolut betrachtet, kamen bei der Bundestagswahl die meisten AfD-Stimmen aus Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg. Hier hat die AfD durchaus auch lokale Hochburgen -etwa entlang der bayerisch-tschechischen Grenze, im Ruhrgebiet und auch im wohlhabenden Pforzheim oder Heilbronn.

Du hast von »ermutigenden Beispielen« im Osten gesprochen. Kannst Du uns welche nennen?

Ich denke etwa an die Kolleginnen und Kollegen von Opel in Eisenach, die Björn Höcke und seine Entourage von ihrer Protestkundgebung verjagten. Das ist bedeutender als es auf den ersten Blick aussieht: Den Beschäftigten droht die Werksschließung und in solch einer Situation könnte man dazu neigen, jede »Hilfe« anzunehmen, egal woher sie kommt. Dass sie Höcke dennoch aus dem Werkstor gejagt haben, zeugt von politischem Bewusstsein. Viele wesentlich weniger verzweifelte Menschen gehen den Nazis auf den Leim.

Das entschlossene Vorgehen der Opel-Beschäftigten in Eisenach war beeindruckend. Aber ist so etwas im Osten nicht eher die Ausnahme?

Auch das stimmt so nicht. In Chemnitz etwa haben wir eine sehr aktive Gruppe von unserem Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus«. Die Aktivistinnen und Aktivisten machen jede Menge Infostände und Veranstaltungen, zuletzt zum Feindbild Islam. Außerdem begleiten sie die Aktivitäten der AfD mit Gegenprotesten. Sie erhalten dabei viel Zuspruch, haben einen großen Kreis von Interessierten und gewinnen neue Aktive. Anlässlich des europaweiten Aktionstags gegen Rassismus haben sie eine Demo gemacht, bei der Gewerkschaften, Parteien und muslimische Verbände gemeinsam auf der Straße waren. Aktuell sammeln sie Unterschriften gegen jede Zusammenarbeit mit der AfD. Damit machen sie erfolgreich auf die drohende schwarz-blaue Koalition in Sachsen aufmerksam, diskutieren über den Umgang mit der AfD und bringen die Leute dazu, sich klar zu positionieren.

Gibt es das Potenzial für eine große antirassistische Bewegung? 

Ja. Überall im Land -auch im Osten -gibt es Millionen Menschen, die keinen Bock auf Nazis und Rassismus haben und die bereit wären, sich der AfD entgegenzustellen. Oft fehlt es nur an den richtigen Strukturen. Deshalb sind Aktivengruppen wie AgR Chemnitz so wichtig.

Was ist mit der LINKEN? Ist sie kein guter Ort für Menschen, die gegen die AfD aktiv werden wollen?

Doch, auf jeden Fall! Aber leider ist unsere Partei an manchen Orten nicht attraktiv für Leute, die sich gegen Rassismus und gegen Kapitalismus engagieren wollen -und das fatalerweise gerade im Osten.

Warum das?

Von einer aktiven Mitgliederpartei sind wir hier oft meilenweit entfernt. Die Logik der Parteispitzen im Osten ist meist eine rein parlamentarische: »Wählt uns, dann machen wir gute Politik für euch«. Selbst in der Oppositionverhält sich DIE LINKE im Osten eher als »Regierung im Wartestand« denn als kämpferische Protestpartei. Und auch im Kampf gegen Rassismus wirkt sie oft hilflos.

Mit ihrer Fixierung auf die Parlamente und ihrem staatstragenden Auftreten hat DIE LINKE im Osten tatsächlich ein Problem, aber im Kampf gegen Rassismus hat sie sich doch immer klar positioniert.

Ja, aber sie behandelt Rassismus als nahezu zwangsläufige Folge von sozialem Abstieg und wachsender Unsicherheit. Es stimmt, dass die sozialen Verwerfungen der letzten dreißig Jahre den Nährboden für Rassismus und den Aufstieg der AfD bereitet haben. Dass die Saat aufgeht, hat allerdings einen anderen Grund: Rassismus wird gezielt von oben geschürt. Daher muss er auch gezielt von unten bekämpft werden.

DIE LINKE hat einen »Aktionsplan Ost« aufgestellt. Macht der Hoffnung auf eine bessere Strategie gegen die AfD? 

Nein. Der Aktionsplan macht mir eher Bauchschmerzen.

Warum?

Rate mal, wie oft das Wort »Rassismus« darin vorkommt?

Keine Ahnung.

Genau einmal und selbst da nur verpackt in die nichtssagende Floskel: »Rassismus ist kein neues Phänomen«. Statt sich dem offensichtlich drängenden Problem einer erstarkenden neofaschistischen Rechten zu stellen, die die gesamte Gesellschaft nach rechts zu ziehen droht, preist sich DIE LINKE in dem Papier für ihre »Ostkompetenz«.

Wie könnte sie es besser machen?

Ihre Aufgabe ist es in erster Linie Menschen in Aktion zu bringen. Dafür muss sie einerseits die Speerspitze des Widerstands gegen den neoliberalen Kapitalismus und die ihn tragenden Parteien sein, statt sich für ihre Regierungsarbeit zu loben, die offensichtlich bei der Bevölkerung weniger gut ankommt als in den eigenen Reihen. Andererseits muss sie die treibende Kraft im Aufbau einer breiten und entschlossenen antirassistischen Bewegung werden. Dafür ist es zentral, dass DIE LINKE »Aufstehen gegen Rassismus« mit aufbaut.

Aber ist es nicht ein Widerspruch, einerseits im Bündnis mit SPD und Grünen gegen die AfD zu kämpfen und sie anderseits scharf für ihre neoliberale und unsoziale Politik anzugreifen?

Der Aufstieg von Faschisten ist eine unmittelbare Gefahr für uns alle. Deshalb müssen wir ihn auch alle gemeinsam bekämpfen. Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass DIE LINKE ihren Antikapitalismus und ihre Kritik an der herrschenden Politik verstecken müsste.

Aber ist die SPD überhaupt eine antirassistische Partei?

Ja und nein. Das Verhältnis der SPD zu Rassismus ist widersprüchlich. Einerseits trägt sie in der Bundesregierung mit ihrer menschenverachtenden Flüchtlingspolitik zur Umsetzung der Forderungen der AfD bei. Andererseits hat sie an der Basis Tausende Anhängerinnen und Anhänger, die wir für den antirassistischen Kampf gewinnen können oder die bereits Teil davon sind.

Reicht Antirassismus als politische Grundlage für ein Bündnis gegen die AfD? Müssten nicht auch soziale und antikapitalistische Forderungen aufgestellt werden, gerade um der sozialen Rhetorik der Nazis in der AfD zu begegnen?

Es wird in unseren Bündniszusammenhängen immer wieder gefordert, dass die Anti-AfD-Bewegung antikapitalistische Forderungen aufstellen müsste. Als Marxistin bin ich davon überzeugt, dass wir den Kapitalismus überwinden müssen, wenn wir Rassismus wirklich loswerden wollen. Trotzdem bin ich absolut dagegen Antikapitalismus zur Bedingung für den Kampf gegen die AfD zu machen.

Warum?

In unseren Bündnissen finden sich Marxistinnen und Sozialdemokraten, Autonome und Gewerkschafterinnen, Antikapitalisten und Befürworterinnen eines grünen Kapitalismus, EU-Anhänger und Brexit-Befürworterinnen. Dazu kommen viele unorganisierte Aktivistinnen und Aktivisten, die sich in diesen Fragen teils noch gar nicht klar sind. Wer fordert, dass wir uns in »Aufstehen gegen Rassismus« auf konkrete, soziale Forderungen festlegen, ist entweder total naiv oder möchte das Bündnis spalten.

Wenn wir den Kampf gegen Rassismus an die Bedingung der antikapitalistischen Forderungen knüpfen, isolieren und verkleinern wir uns. Wenn wir zulassen, dass unsere Bündnisse in weichgespülte Wahlkampagnen für Rot-Rot-Grün transformiert werden, schneiden wir uns von den Linken und Antifa-Gruppen ab, die am zuverlässigsten gegen die Nazis kämpfen.

Aber vernachlässigen wir dann nicht ein wichtiges Element im Kampf gegen die AfD und die neuen Nazis?

Ich bin überzeugt: Die Organisation, die das Zeug dazu hat, als Motor von Bewegungen für soziale Verbesserungen zu wirken, ist DIE LINKE. Wir müssen aber klar trennen, zwischen Positionen, um die wir in unserer eigenen Organisation kämpfen, und Positionen, um die wir innerhalb der Bündnisse kämpfen.

Natürlich passiert es immer wieder, dass Mitstreiterinnen die Sisyphusarbeit des Kampfs gegen Rassismus nicht ausreicht und sie nach nachhaltigen Strategien suchen. Diese Aktivistinnen können wir einladen sich mit uns in der LINKEN zu organisieren. Andere Bündnisorganisationen tun das auch. Debatten um langfristige politische Strategien für eine Gesellschaft ohne Rassismus und Ausbeutung gehören in die einzelnen Bündnisorganisationen. Aber die AfD können wir nur gemeinsam schlagen.

Wo wollt ihr hin mit AgR?

Der Name und das Logo von Aufstehen gegen Rassismus sind mittlerweile ziemlich bekannt. Wir wollen die bestehenden Bündnisse zusammenbringen und damit größer und sichtbarer machen. Nur so werden die Kämpfe gegen die AfD an verschiedenen Orten als gemeinsame Bewegung wahrgenommen. Dadurch können wir bundesweite Ausstrahlungskraft entwickeln und gegenseitig von Erfolgen profitieren. Und wir wollen dazu beitragen, dass sich die Aktivistinnen gegen die AfD auf die wichtigsten strategischen Grundsätze einigen.

Welche sind das?

Erstens brauchen wir breite Bündnisse, in denen auch SPDler oder Pfarrerinnen mitmachen können und zu denen Muslime und Migrantenorganisationen eingeladen werden. Zweitens brauchen wir eine klare Konfrontation der AfD. In der Praxis bedeutet das, dass zumindest Gegenproteste in Sichtweite stattfinden. In Zukunft wollen wir Massenblockaden gegen die AfD über die gesellschaftliche Linke hinaus als legitime und notwendige politische Praxis etablieren. Drittens wollen wir mehr Menschen in Aktivität bringen und die Neugründung von Bündnissen unterstützen. Dafür entwickeln wir Materialien und Aktionsanleitungen, mit denen jede und jeder aktiv werden kann. Wir haben bundesweit mittlerweile 41 Aktivengruppen und jede Menge Ideen für Menschen, die allein, mit Freundinnen oder mit Kollegen aktiv werden möchten.

Quelle: marx21.de… vom 5. September 2018

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