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Palästinenser streiken gegen rassistisches Gesetz

Eingereicht on 11. Oktober 2018 – 15:02

Nick Everett. Palästinenser und Palästinenserinnen in den besetzten Gebieten und Israel befolgten am 1. Oktober einen Generalstreik aus Protest gegen das von der Knesset (israelisches Parlament) im Juli verabschiedete jüdischen Nationalstaatgesetz Israels.

Der Streik fiel zeitlich mit einem erbitterten Kampf im Widerstand gegen Israels geplantem Abriss des Beduinendorfes Khan al-Ahmar im Westjordanland zusammen und mit wachsendem Unmut über den «Deal des Jahrhunderts», in der US-Präsident Donald Trump die Annexion von großen Teilen des Westjordanlandes durch Israel unterstützt.

Laut der spanischen Medienagentur Agencia EFE wurden «Geschäfte blieben geschlossen, Regierungs- und Finanzinstitutionen öffneten nicht für den Publikumsverkehr  und Schulen und Universitäten stellten den Unterricht ein», und zwar in palästinensischen Stadtvierteln auf beiden Seiten der Grünen Linie (der Waffenstillstandslinie, die Israel von der besetzten Westbank trennt).

Das World Bulletin berichtete, dass israelische Streitkräfte Gummigeschosse und Tränengasbehälter abfeuerten, um steinwerfende Palästinenser in den Städten im Westjordanland, Ramallah und al-Bireh, zu zerstreuen. Ähnliche Zusammenstöße wurden im Dorf Nabi Saleh und in den Städten Nablus, Qalqilya und Hebron gemeldet. Der Knesset-Abgeordnet aus der Vereinigten Arabischen Liste, Yousef Jabareen, äusserte gegenüber der Ynet-Nachrichten-Website:

«Der Streik sendet eine Botschaft der Opposition gegen die anhaltende Diskriminierung und den Rassismus an die arabische Öffentlichkeit, die keinen minderwertigen Staatsbürgerschaftsstatus als Bürger zweiter oder dritter Klasse erhalten wird. Wir sind in diesem Land geboren und werden für die nationale Gleichstellung kämpfen. Volle und gleiche Staatsbürgerschaft für alle.»

Ausbruch der Proteste

Das jüdische Nationalstaatsgesetz verankert im israelischen Grundgesetz (die De-facto-Verfassung der Nation), dass das Land die «nationale Heimat des jüdischen Volkes» ist und dass «das Recht auf Ausübung der nationalen Selbstbestimmung im Staat Israel einzig für das jüdische Volk ist». Damit wird 1,5 Millionen palästinensischen Bürgern und Bürgerinnen Israels offiziell ein solches Recht verweigert. Das Gesetz verankert auch Hebräisch als einzige Amtssprache der Nation und beendet 70 Jahre nominell gleichwertigen Status für das Arabische.

In einem Interview, das im Juli auf der Website Arabs48 veröffentlicht wurde, argumentierte Hassan Jabareen, Generaldirektor von Adalah, dem Rechtszentrum für arabische Minderheitenrechte in Israel, dass das neue Gesetz Landnahmen für ausschließlich jüdische Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten legitimiert und versucht, die Apartheid zu rechtfertigen:

«Das Gesetz zeigt deutlich, dass das israelische Regime ein koloniales Apartheid-System ist, das gegen die Apartheid-Konvention verstößt, die die Apartheid als Verbrechen gegen die Menschheit betrachtet.»

Anfang August fanden auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv zwei getrennte Demonstrationen statt, um gegen das neue Apartheid-Gesetz zu protestieren. Beide wurden von nicht-jüdischen Minderheiten in Israel initiiert und von einer großen Anzahl jüdischer Israelis unterstützt.

Die drusische Gemeinschaft Israels – unterstützt von Oppositionsparteien wie der Zionistischen Union, Yesh Atid und der Mitte-Links-Partei Meretz – initiierte die erste Demonstration, an der 50.000 Menschen teilnahmen. Die zweite Demonstration wurde vom Arab Higher Monitoring Committee initiiert, einer Dachorganisation, die die palästinensische Minderheit Israels vertritt.

Letzterer Protest, der 30.000 Menschen anzog, wurde von den Parteien der Vereinigten Arabischen Liste unterstützt, die zusammen 13 Sitze in der Knesset innehaben. Laut einem Bericht vom 12. August in Haaretz, einer israelischen Tageszeitung, haben die zionistischen Oppositionsparteien den Protest jedoch weitgehend boykottiert.

Während das offen rassistische jüdische Nationalstaatsgesetz in einem breiten Spektrum des politischen Establishments Israels, einschließlich des israelischen Präsidenten Reuven Rivlin, Kritik erregt hat, haben zionistische politische Parteien versucht, eine solche Opposition innerhalb der Grenzen dessen zu kanalisieren, was im «nationalen Interesse» des Apartheidstaates liegt.

Die angeblich fortschrittliche zionistische Union (Israels Arbeitspartei) und Meretz (eine Koalition linker Parteien, die in Koalition mit der Arbeitspartei regierte, als die Regierung von Yitzhak Rabin das Oslo-Abkommen von 1992 einleitete) haben gemeinsame Aktionen mit der Vereinigten Liste und anderen palästinensisch geführten Organisationen vermieden. Zweifellos befürchten sie, von einer großen Zahl von Palästinensern befleckt zu werden, die ihre Nationalflagge tragen und auf Arabisch singen.

Bei der ersten Demonstration war der politische Bankrott der offiziellen israelischen Opposition zu sehen. Israelische Flaggen wurden hochgehalten, und die Teilnehmer sangen die israelische Nationalhymne „Hatikvah“. Im zweiten Fall waren auch einige israelische Flaggen vorhanden, die jedoch den palästinensischen Flaggen zahlenmässig unterlegen waren.

Der Premierminister des Likud, Benjamin Netanyahu, nutzte vorhersehbar die Anwesenheit palästinensischer Flaggen, um die Opposition gegen das Gesetz des jüdischen Nationalstaates anzugreifen, und behauptete, dass die Demonstration versucht habe, Israel in einen palästinensischen Staat zu verwandeln. «Es gibt kein besseres Zeugnis für die Notwendigkeit dieses Gesetzes. Wir werden weiterhin die israelische Flagge schwenken und Hatikvah mit großem Stolz singen», tweete er.

Eine vereinigte palästinische Stimme

Im vergangenen September reisten Vertreter des Arabischen Höheren Überwachungsausschusses und der Parteien der Vereingten Liste mit Unterstützung der elf Fraktionen des Palästinensischen Nationalkomitees für die Leiter der lokalen arabischen Behörden nach Ramallah, um die Unterstützung aller palästinensischen Fraktionen für einen vereinigten Generalstreik am 1. Oktober zu suchen. Die gemeinsame Aktion ist ein wichtiger Schritt nach vorn.

Die Osloer Abkommen vertieften die Spaltung zwischen Palästinensern im Westjordanland und Gaza von den in Israel lebenden Palästinensern und Millionen weiterer palästinensischer Flüchtlinge, die zwangsweise aus ihrer Heimat vertrieben wurden, nachdem zionistische Milizen 1948 ihre Dörfer ethnisch gesäubert hatten.

Während die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) an den Verhandlungen beteiligt wurde, um über die Auslagerung der Besatzung an die unter ihrem Kommando stehenden Streitkräfte zu diskutieren, wurden die außerhalb des Westjordanlandes und des Gazastreifens, in Israel und in den arabischen Nachbarländern lebenden Palästinenser und Palästinenserinnen vom „Friedensprozess“ ausgeschlossen.

Seit die Hamas 2005 die Wahlen zum Palästinensischen Legislativrat gewonnen hat, sind die palästinenschen Bevölkerungen noch weiter zersplittert. Seitdem die Hamas die Fatah-Fraktion von Abbas von der Macht in Gaza verdrängt hat, ist das Gebiet einer Land-, See- und Luftblockade ausgesetzt.

Der gemeinsame Aufruf der palästinensischen Fraktionen zu einem Generalstreik könnte einen historischen Moment bei der Schaffung einer neuen, geeinten palästinensischen politischen Führung markieren.

Der Streik folgte auf die sechs Monate währenden Freitagprotesten am Grenzzaun des Gazastreifens, die von israelischen Truppen rücksichtslos unterdrückt wurden. Bis zum 5. Oktober wurden nach Angaben der Gesundheitsbehörden im Gazastreifen mindestens 183 Palästinenser getötet und mehr als 18’000 verletzt.

Der Streik war auch ein Zeichen der Solidarität mit Khan al-Ahmar in der Nähe Jerusalem’s. Die beduinischen Einwohner und Einwohnerinnen des Dorfes, der seit langem die offizielle israelische Wohnbaugenehmigung verweigert wird, steht vor dem Abriss ihrer Häuser durch israelische Besatzungstruppen, um Platz für neue jüdische Siedlungen zu schaffen.

Der Arabische Höhere Überwachungsausschuss wählte den 1. Oktober für den Streik anlässlich des 18. Jahrestages der Ermordung von 13 palästinensischen Bürgern und Bürgerinnen Israels und der Verletzung von Hunderten weiterer Personen, zwei Tage nach dem Ausbruch der zweiten Intifada. Dann, verärgert von Bildern israelischer Besatzungstruppen, die palästinensische Demonstranten im Westjordanland und im Gazastreifen töteten, gingen palästinensische Bürger und Bürgerinnen Israels massenhaft auf die Straße, blockierten Autobahnen und stiessen mit israelischen Sicherheitskräften zusammen.

Die Al-Aqsa-Intifada – ein weitgehend spontaner Aufstand, der durch den provokativen Besuch des ehemaligen israelischen Premierministers Ariel Sharon in der Al-Aqsa-Moschee ausgelöst wurde – wurde schließlich durch israelische Repressionen besiegt. Diese Unterdrückung erinnerte die in Israel lebenden Palästinenser daran, dass ihre Staatsbürgerschaft kein Schutz vor der von den USA finanzierten israelischen Militärmaschine war.

Noch einmal werden die Palästinenser in Israel daran erinnert. Das jüdische Nationalstaatgesetz Israels, das mit einer offeneren Unterstützung für die koloniale Expansion Israels durch Washington verabschiedet wurde, hat sich als Blitzableiter für die erneute Zusammenarbeit und Mobilisierung von Palästinensern erwiesen, die auf beiden Seiten der Grünen Linie leben.

Quelle: redflag.org.au… vom 11. Oktober 2018; übersetzt durch Redaktion maulwuerfe.ch

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