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Zur Volksabstimmung in Griechenland vom 5. Juli

Eingereicht on 29. Juni 2015 – 18:03

Manuel Kellner. Mit 178 Jastimmen und 120 Neinstimmen hat das griechische Parlament dem Vorschlag von Alexis Tsipras zugestimmt, am 5. Juli eine Volksabstimmung über die Bedingungen der Eurogruppe durchzuführen. Dafür haben die Abgeordneten von SYRIZA und ihres rechten Koalitionspartners Anel sowie die Neonazi-Partei Goldene Morgenröte gestimmt, dagegen die Abgeordneten der konservativen Neuen Demokratie, der sozialdemokratischen PASOK und der vorgeblich „sozial“liberalen Partei To Potami sowie der KKE.

Alexis Tsipras hat dazu aufgerufen, beim Referendum ein „großes Nein zum Ultimatum“ der Gläubiger zu sagen und zugleich „ein großes Ja“ zu Europa und zur Solidarität“. Der Ausgang des Referendums ist ungewiss. Eine Mehrheit für „Ja“ müsste zu Neuwahlen führen. Eine Mehrheit für das „Nein“ würde es der Ex-Troïka schwerer machen, die Haltung der griechischen Regierung weiterhin als Verrücktheit politikunfähiger Linksradikaler darzustellen. Vom Ausgang des Referendums hängt viel ab, alleine schon deshalb, weil niemand voraussehen kann, wie Neuwahlen ausgehen würden – ein wahlpolitischer Aufschwung der Neonazis kann für diesen Fall nicht ausgeschlossen werden.

In der Zwischenzeit hängt über Griechenland das Damoklesschwert, dass die Eurogruppe das sogenannte Hilfsprogramm nicht über Ende Juni hinaus verlängert. Damit droht der Staatsbankrott. Die ELA-Nothilfe für die griechischen Banken läuft aber wie bislang weiter, bis zu einem Volumen von 90 Milliarden Euro. Die griechische Regierung hat erklärt, dass Montag Banken schließen könnten – Unmengen Bargeld sind abgehoben worden, hinzu kommen „Hamsterkäufe“, weil die Menschen natürlich versuchen, sich so weit wie möglich gegen die drohende drastische Verknappung ihrer Konsumressourcen abzusichern.

Die griechische Regierung erwägt die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen. Die Beschimpfungen seitens offizieller EU-Politiker und vor allem deutscher Medien gegen die Regierung Tsipras sind heftig, aber von Lagarde und dem IWF kommen moderatere Töne: man will die Türen nicht endgültig verschließen und stellt neue Verhandlungsrunden zumindest implizit in Aussicht. Es beginnt die Sorge um die „Stabilität des Euro“ und das Projekt EU. Wie Angela Klein in der Printausgabe der neuesten SoZ geschrieben hat, deren Artikel am 1. Juli online gestellt werden, könnte sich Griechenland durch Vermittlung von Putin vielleicht Zugang zur Entwicklungsbank der BRICS-Staaten beschaffen. Die Erdölpipeline durch Griechenland ist mit der russischen Regierung bereits vereinbart. Die großkotzigen Herrenmenschen in Berlin und anderswo gehen ein hohes Risiko ein – die EU war schon lange nicht mehr so angeschlagen im Konzert der Weltmächte wie heute.

Natürlich ist die Frage berechtigt, warum die Regierung Tsipras die Verhandlungen nicht schon früher beendet und das Referendum ausgerufen hat, anstatt sich gefährlich weit in Richtung der Aufgabe der Inhalte zu bewegen, für die sie gewählt worden ist. Das hat der linke Flügel in SYRIZA deutlich und vernehmlich kritisiert. Vieles spricht dafür, dass Tsipras und seine engeren Mistreiter sich zu viel Kompromissbereitschaft von Seiten der Eurogruppe versprochen hatten. Wenn man sich überlegt, dass die Verhandlungsseiten zuletzt nur noch um 450 Millionen Euro „auseinander“ waren, dann erstaunt tatsächlich die Betonhaltung der Eurogruppe. Es kann nicht um die Volumina gegangen sein, das wäre ein Witz: Die Wirtschaftskraft Griechenlands entspricht derjenigen des Bundeslands Hessen (womit ich nichts gegen Hessen gesagt haben will). Offenbar ist es „ums Prinzip“ gegangen, um die neoliberalen Dogmen und die Behauptung der Austeritätspolitik, so sehr diese sich objektiv als kontraproduktiv erwiesen und die Wirtschaft Griechenlands noch mehr abgewürgt hat. Die Fetischisierung der globalen Kennziffern (wie die 10% des Haushalts für Rentenzahlungen, wobei gerne vergessen wird, dass Griechenland eben nicht einmal annähernd über ein soziales Netz verfügt wie das, was davon in Deutschland übriggeblieben ist) gehören zum neoliberalen Dogma, dahinter steckt aber das Interesse, dass auf jeden Fall die Masse der bereits verarmten Bevölkerung geschröpft werden muss (Renten runter, Mehrwertsteuer rauf) – sich dagegen aufzulehnen ist eben „Linksradikalismus“ und „pubertäre Unreife“.

Die hausgemachten Probleme in Griechenland will ich damit nicht leugnen. Bloß sind die ganz überwiegend eine Mitgift der Vorgängerregierungen der beiden Klans, die so viele Jahre in die eigene Tasche gewirtschaftet und öffentliche Strukturen verkommen lassen haben. Die Versäumnisse der links geführten Tsipras-Regierung mögen eine Rolle spielen, aber die ist gerade mal fünf Monate im Amt und hat – sei es noch so unzureichende – Anstrengungen unternommen, Steuern gerade von den Reicheren einzutreiben. Grotesk wirkt es, wenn ausgerechnet solche Leute in Deutschland, die Steuern normalerweise zu den „sozialistischen Folterinstrumenten“ zählen, der von SYRIZA geführten Regierung vorhalten, hier zu wenig getan zu haben.

Merkel, Schäuble und ihre Nachbeter in den Medien konzentrieren derzeit das Feuer auf die links geführte griechische Regierung und auf Griechenland. Seit Wochen, wenn nicht Monaten wird dafür die Lage in Portugal, Spanien und osteuropäischen ärmeren und armen Ländern systematisch schön geredet, um behaupten zu können, denen würde es sehr viel besser gehen, weil sie ihre neoliberalen und austeritären Hausaufgaben gemacht hätten. So etwas kann man nur behaupten, wenn man großzügig über katastrophale massenhafte Erwerbslosigkeit und Verarmung großer Bevölkerungsteile hinwegsieht.

Zu diesem sozialen Zynismus gesellt sich die skrupellose Demontage elementarer demokratischer Grundsätze. In der „marktkonformen Demokratie“ entscheiden die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger nichts mehr, vielmehr entscheiden die Kapitalmärkte alles. Der liebe Gott selbst ist dagegen eine Marginalie, und das hat sogar der Papst inzwischen kritisch angemerkt. Die Breitseiten, die gegen das griechische Referendum am 5. Juli abgefeuert werden, sprechen in dieser Hinsicht Bände.

Aber im spanischen Staat werden politische Kräfte um Podemos derzeit immer stärker, die diese ganze Richtung radikal in Frage stellen und sich dafür einsetzen, dass die Bürgerinnen und Bürger immer dann gefragt werden, wenn politische Entscheidungen ihre Geschicke maßgeblich beeinflussen. Das Feindbild Griechenland wird in absehbarer Zeit mit weiteren Feindbildern ergänzt werden müssen.

Auf mittlere Sicht entscheidend ist die Entwicklung einer grenzüberschreitenden Bewegung für ein anderes, ein solidarisches Europa. Nur so kann die griechische Linke nachhaltig entlastet werden, nur so können die wirklichen Frontstellungen klarer sichtbar werden, nur so kann – bei allen Differenzierungen nach Ländern und Regionen– das gemeinsame Interesse der Enterbten, Gelackmeierten und Ausgegrenzten, der abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen aller Ländern zur Geltung gebracht werden. Die große europäische Schuldenkonferenz am 22. und 23. November dieses Jahres ist hierfür ein herausragend wichtiger Termin – zu wünschen ist natürlich, dass bereits lange vorher internationale Protest- und Widerstandsbewegungen den Erfüllungsgehilfen des großen Kapitals in Berlin, Brüssel und anderswo in den Arm fallen.

Quelle: sozonline.de

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