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Die Linke Plattform angesichts des Scheiterns der Strategie von Syriza

Eingereicht on 31. Juli 2015 – 17:31

Ntavanellos Antonis. Vielen Dank an Iskra[1] für die Einberufung dieser Konferenz. Ich möchte Euch und der gesamten radikalen Linken in und ausserhalb von Syriza wünschen, die Energie und die Entschlossenheit zu finden, um sich einer Herausforderung von historischem Ausmasse zu stellen.

Wir stehen einem Abkommen gegenüber, das alle Militanten der Arbeiterbewegung, alle politischen Aktivistinnen und Aktivisten der breiten sozialen Bewegungen, alle Militanten der politischen Linken nicht umhin kommen, als drittes Memorandum zu charakterisieren; dieses beinhaltet eine Vereinbarung der Europäischen Kommission mit der griechischen Republik.

Es handelt sich um das bislang härteste Memorandum und legt unter anderem folgende Massnahmen fest:

  1. Ein Turbo-TAIPED [TAIPED: Hellenic Republic Asset Development Fund; ein Fonds mit dem Auftrag, die öffentlichen Güter im Rahmen des Privatisierungsprogramms [2] zu «bewerten und zu verkaufen».
  2. Einen Turbo-Überwachungsmechanismus der sogenannten Institutionen: Die neue Troika ist eigentlich ein Quartett: Die Europäische Kommission, der IWF, die EZB, der Europäische Stabilitätsfonds; die ersten 12 «Technokraten», die auf alle Ministerien Zugriff haben werden, sind am 28. Juli eingetroffen. Die dem Vouli, dem Parlament, zur Abstimmung unterbreiteten Gesetze müssen vorab durch die Delegierten des Quartetts überprüft werden, um sicherzustellen, dass sie dem «Abkommen» entsprechen.
  3. Einen Turbo-Mechanismus, der sicherstellen soll, dass jedes ökonomische Versagen automatisch durch eine Beschneidung der Sozialausgaben ausgeglichen werden soll: In dem Masse, wie die Budgetziele der vorausgegangenen und der neuen Austeritätsvorgaben nicht erreicht werden können, kommt es zu Ausgabenkürzungen.

Es handelt sich um ein Memorandum, das fortfährt mit der gierigen Jagd auf die Steuern und mit einer brutalen Sparpolitik und weiterhin mit einer gnadenlosen Grausamkeit gegen die Schwachen und die Armen vorgeht. Ein Memorandum, das wie die vorhergehenden nur mit einem Sieg der antidemokratischen Kräfte der herrschenden Klasse Griechenlands und ihrer europäischen Verbündeten über die gesellschaftliche Mehrheit der arbeitenden breiten Bevölkerung durchgesetzt werden kann.

Diese Mal aber – im Vergleich zu 2010 und 2012 – mit einem grossen Unterschied: Das dritte Memorandum mit seiner strengen Austeritätspolitik geht auf einen Vorschlag (vom 11. Juli 2015) von Syriza zurück, der politischen Führung von Syriza, die auch wir, mit einem sehr grossen Teil der Sektoren, die mit der Arbeitswelt in Verbindung stehen, in der Periode des Kampfes gegen die Rechte aktiv unterstützt haben, gegen die sozialliberale Sozialdemokratie, gegen die «Grosse Koalition» von A. Samaras (Neue Demokraten) und Venizelos (Pasok).

Sicherlich haben wir von der Linken Plattform, zusammen mit anderen Genossinnen und Genossen innerhalb von Syriza mit unterschiedlichen politischen Wahrnehmungen, kritische Positionen und Gegenvorschläge entwickelt, sowohl vor den Wahlen vom 25. Januar wie auch während des kritischen Halbjahres der ersten Periode der Syriza-Regierung. Unsere Opposition zur Vereinbarung vom 20. Februar [Verzicht auf einseitige Massnahmen, «Ausdehneung» der Vereinbarung zur «Finanzhilfe», Überwachung durch den IWF, der EZB und der Europäischen Kommission], war dabei ein Höhepunkt.

Unsere Geschichte beauftragt uns nun mit zusätzlichen Verpflichtungen. Denn jede Debatte über die Zukunft von Syriza, jede Debatte über die Zukunft einer radikalen Linken mit Massencharakter in Griechenland ebenso wie die verbindliche Anstrengung, eine Katastrophe wie in Italien zu verhindern setzen voraus, dass wir uns an im Kampf gegen die Vereinbarung, zum Sturz dieses dritten Memorandums an vorderster Front beteiligen. [AN bezieht sich hier auf die Beziehungen zwischen der Regierung Prodi und der Führung der Rifondazione comunista – PRC- ab 2006 unter Fausto Bertinotti.] Dieses Memorandum, daran hege ich keinen Zweifel, wird auf den Widerstand der Arbeiterinnen und Arbeiter, der Rentnerinnen und Rentner und der Armen treffen. In diesem Moment muss unser Platz dort sein, wo er immer war: An der Seite unseres Volkes, um zu versuchen, unseren Beitrag an einen siegreichen Ausgang dieser Mobilisierungen zu leisten. Dies macht den Aufbau einer politischen Strömung notwendig, die in der Lage ist, die Austeritätspolitik vom Sessel zu kippen, um den Weg für eine breitere sozialistische Befreiung frei zu machen. Denn genau dafür stand die radikale Linke bis heute und wird dies auf immer tun….

Genossinnen und Genossen

Eine andere Frage aber treibt uns um: Wie konnten wir nur soweit kommen? Die Antwort wird in erster Linie in den kommenden Wochen im Rahmen eines internen Kampfes in Syriza entwickelt werden müssen; aber auch, allgemeiner, in der gesamten radikalen Linken.

Nichtsdestotrotz ist bereits jetzt klar, dass wir in einer schweren Niederlage stecken; ja, man könnte sogar von einem Zusammenbruch einer spezifischen Strategie sprechen. Die Auffassung, dass wir das Versprechen einlösen könnten, die Austeritätspolitik über Verhandlungen mit den europäischen Führungsgremien bekämpfen und umkehren könnten, hat sich von Grund auf als fatal erwiesen; diese Strategie setzte auf ein Einvernehmen mit diesen und wollte unter allen Umständen einen Zusammenstoss mit den Grenzen des Toleranzrahmens der Eurozone vermeiden. Diese Grenzen haben sich nun als absolut identisch mit der neoliberalen Austeritätspolitik erwiesen, die gegenwärtig in ganz Europa die Oberhand hat.

Zusammen mit dieser zentralen Schlussfolgerung müssen wir auch das Scheitern eines spezifischen Elektoralismus bedenken, so wie er durch die Öffnungen und die Bündnisse von Syriza zum Ausdruck gekommen ist. Dies war sowohl bei den Wahlen wie auch bei der Regierungsbildung der Fall [Aufnahme von Pasok Ex-Mitgliedern, die Wahl des Präsidenten der Republik in der Person von Prokópis Pavlópoulos aus der Neuen Demokratie und Ex-Innenminister; diese Wahl fand im März 2015 statt und einzig die Abgeordnete der DEA [der grössten Formation der Linken Plattform] Ioanna Gaïtani stellte sich dagegen; dann die Bildung der Koalitionsregierung mit den Unabhängigen Griechen, ANEL]

Wir müssen ebenfalls die Bedeutung einer spezifischen Regierungsform bedenken, die die Linksregierung ermöglicht, nicht nur als ein Mittel, um für ein erklärtes Ziel, für unser grundsätzliches Ziel weiterzukämpfen, sondern als ein Zweck an sich; selbst wenn uns dies dahin führt, wo es uns sehr schnell hingeführt hat: dass wir mit den Interessen und den Bedürfnissen der Lohnabhängigen in Konflikt treten.

Diese Lohnabhängigen erwiesen sich auf diesem Weg uns gegenüber als sehr grosszügig. Denn bei den Wahlen vom 25. Januar 2015 haben wir einen Politikwechsel vorgeschlagen, der historische Ausmasse annehmen könnte. Denn, anlässlich des Referendums vom 5. Juli bedeutete das massive und stolze NEIN eine Stimme der Klasse, die sich im schwierigsten Moment der Auspressung des Reichtums durch die Gläubiger auf die Seite von Syriza gestellt hatte. Dabei haben die Lohnabhängigen auf den Weg des Bruches verwiesen und haben gleichzeitig indirekt aber klar die Bereitschaft bekundet, sich für diesen Weg des Bruches zu mobilisieren.

Ein Weg, dem sicher nicht gedient ist durch die Unterzeichnung eines Dokumentes durch drei Oppositionsparteien und Syriza – ein undenkbares Bündnis aus Syriza, Neuer Demokratie, Pasok und To Potami – von dem man am Tage nach dem Referendum durch eine gemeinsame Pressemitteilung der beteiligten politischen Führer Kenntnis erhielt. Dieses Vorgehen wurde mittlerweile mit den entscheidenden Abstimmungen im Parlament bekräftigt, wo es Dank der Stimmen der Oppositionsparteien zu einer Mehrheit kam.

Dieser Teil des Volkes und dieses Engagement für den Bruch, die durch das Referendum zum Ausdruck kamen, müssen und können die Kräfte stützen, die bis zum Schluss auf einem NEIN bestehen! [Verschiedene Komitees haben unter dem Namen «Bis zum Schluss gegen das Abkommen» einen bedeutenden Teil der Kampagne für das Referendum geführt. Am 28. Juli haben unter anderem in Athen Versammlungen dieser Komitees stattgefunden].

Genossinnen und Genossen

Auf unserem Weg in Syriza haben wir bis heute in mehrer Hinsicht gewonnen. Wir haben gelernt zusammenzuarbeiten, obwohl wir aus verschiedenen ideologischen und politischen Orientierungen stammen. Wir haben eine Kraft aufgebaut [die Linke Plattform, die aus der Linksströmung, dem Red Network und anderen Militanten besteht], die das Stadium der gegenseitigen Beschimpfung überwunden hat und versucht, siegreiche Interventionen zu entwickeln. Wir haben die Grundlagen für ein Übergangsprogramm entwickelt, in dem folgende Ziele hervortreten: Schuldenstreichung, die Verstaatlichung der Banken, höhere Besteuerung des Kapitals und des angesammelten Reichtums. Mittlerweile ist klar, dass dieses Programm nur realisiert werden kann, wenn es mit einem Willen zum Konflikt gepaart wird, sowohl gegen die herrschenden Kräfte in Griechenland und ihren Institutionen wie auch gegen die EU, gegen die Eurozone, gegen das dem Euro eingeschriebene Programm. Unser Programm zeichnet sich durch die Losung einer Linksregierung aus. Letztere muss gegenüber den Lohnabhängigen Rechenschaft ablegen, ihre Politik an den Bedürfnissen des Volkes ausrichten und darf sich nicht von diesem lösen und sich nicht verselbständigen.

Es gibt in Syriza einen Sektor, der die Kraft aufgebracht hat, gegenüber dem dritten Memorandum rechtzeitig NEIN zu sagen. Er hat sich in lokalen und regionalen Sektionen und in der Führung [dem Zentralkomitee und dem Exekutivsekretariat], in der Parlamentsgruppe Gehör verschafft. Dieses NEIN ist eine Botschaft mit besonderer politischer Bedeutung. Es bildet die Basis für den Wiederaufbau der Kräfte innerhalb von Syriza, der gesamten radikalen nicht-sektiererischen Linken [darunter unter anderem in Antarsya]. Unser NEIN gibt unsere Aufgaben vor. Aufgaben gegenüber Syriza, aber allgemeiner auch, die Perspektive eines Neubeginns konkreter herauszuarbeiten. Ein solcher ist offensichtlich notwendig.

Quelle : A l’encontre vom 27. Juli 2015. [Übersetzung Redaktion maulwuerfe.ch]

 

[1] Diese Intervention von A. Ntavellos, führendes Mitglied der Linken Plattform in Syriza, erfolgte an einer Veranstaltung der Internet Plattform Iskra vom 27. Juli 2015. Diese Veranstaltung zählte um die 2´000 Teilnehmende, zum grossen Teil Mitglieder, Sympathisanten und Sympatisantinnen der Linken Plattform, um über die vollständige und kampflose Kapitulation der Syriza Regierung zu debattieren und entsprechende politische Konsequenzen für die radikale Linke zu ziehen. Für Details siehe: Grèce. Syriza au milieu du gué.

[2] Unter diesen öffentlichen Gütern werden erwähnt : mehr als 90 Strände auf Dutzenden von Inseln und auf dem griechischen Festland ; Dutzende von Häfen, darunter den noch nicht privatisierten Teil des Hafens von Piräus, wie auch den Hafen von Thessaloniki und die Piers Hydra und Epidauros; 37 regionale Flughäfen, darunter diejenigen von Thessaloniki, Santorin und Mykonos; Dutzende von staatlichen Grundstücken; die städtische Wasserversorgung von Athen (Eidap) und Thessaloniki (Eyath) ; Hellenic Petroleum, die staatliche Gesellschaft zur Raffinerie und Verteilung von Erdölprodukten; DEPA, die staatliche Gesellschaft für den Import und die Verteilung von Erdgas; die staatliche Eisenbahngesellschaft Trainose. Die Gesellschaft, die das durchziehen soll, ähnelt der Treuhand AG, die einst die DDR abwickelte und ihre Ökonomie in diejenige des BRD-Kapitals integrierte. Die durch Jean-Claude Juncker angekündigten Investitionen von 35 Mrd Euro sind lediglich virtuell. Die mit diesen Privatisierungen versprochenen Beträge von 50 Mrd Euro werden wohl nie erreicht und werden für den Schuldendienst verwendet werden; so werden für die öffentlichen und privaten Investitionen bestenfalls unbedeutende Beträge übrigbleiben [Redaktion A l’encontre]

 

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