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Wirtschaftskrieg gegen Venezuela

Eingereicht on 25. November 2015 – 9:52

Volker Hermsdorf. Das angespannte Verhältnis zwischen Venezuela und den USA – beide Staaten haben seit 2010 keine Botschafter mehr in den jeweiligen Vertretungen – hat sich in der vergangenen Woche weiter verschlechtert. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro ordnete am Donnerstag eine »umfassende Überprüfung der Beziehungen zu den USA« an. Das Außenministerium übermittelte einen Protestbrief an die Regierung der Vereinigten Staaten, den der stellvertretender Minister Alejandro Fleming dem einbestellten US-Geschäftsträger Lee McClenny übergab. Anlass für den Konflikt sind Enthüllungen über Spionageaktivitäten der Nationalen Sicherheitsagentur der USA (NSA) gegen die staatliche Erdölgesellschaft Venezuelas (­PDVSA). Caracas verlangt von Washington, sich »zu der Aggression, die das Völkerrecht und die diplomatischen Beziehungen verletzt«, zu äußern. Venezuela fordert zudem die Nennung der Namen der Agenten, die die Ausspähaktionen durchgeführt haben, »unabhängig davon, ob sie Diplomaten sind oder aus einem anderen Bereich kommen«.

Am vergangenen Mittwoch hatten das US-Onlineportal The Intercept und der Fernsehsender Telesur über die mindestens seit 2010 laufenden NSA-Operationen berichtet. Die Informationen basieren auf einem mit dem Vermerk »streng geheim« versehenen Dokument, dass ihnen der ehemalige NSA-Agent und Whistleblower Edward Snowden zugespielt hatte. Danach hat die NSA mit Hilfe der CIA und der US-Botschaft in Caracas die interne Kommunikation der PDVSA ausgespäht, einschließlich der ihres Präsidenten, des früheren Ölministers Rafael Ramírez, der Venezuela zur Zeit in der UNO vertritt. Die NSA sichtete den E-Mail-Verkehr und die Personalakten von über 10.000 Beschäftigten sowie die Nutzernamen und Kennwörter von mehr als 900 Angestellten. Das Hacken des PDVSA-Kommunikationssystems war von der NSA-Zentrale in Washington initiiert worden. Der von Snowden weitergeleitete Bericht wurde von einem Agenten der »F-6-Gruppe« in Caracas verfasst. »F 6« ist das Codewort für eine gemeinsame Operation von NSA und CIA, über die als Diplomaten getarnte Geheimdienstmitarbeiter in US-Botschaften auf der ganzen Welt eingesetzt werden. In der US-Vertretung in Caracas spielte, wie das Snowden-­Dokument belegt, die »F-6-Gruppe« eine Schlüsselrolle.

Über das Interesse der USA und ihrer Geheimdienste an der 1976 gegründeten PDVSA gibt eine Mitteilung des US-Botschafters in Caracas vom 17. Februar 2009 Aufschluss, die von Wikileaks veröffentlicht wurde. In dem Papier werden vier Gründe genannt: Erstens habe das Unternehmen sich seit 2003 in den Dienst der Bolivarischen Revolution unter dem damaligen Präsidenten Hugo Chávez gestellt und – von dessen nationalen Programmen bis zu den geopolitischen Aktivitäten – alles finanziert. Die PDVSA, heißt es weiter, sei das »ökonomische Herz« Venezuelas. Zudem gehörten die Erdöl- und Erdgasreserven des Landes zu den größten der Welt. Und viertens machten die Erträge aus dem Ölsektor rund ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts und mehr als die Hälfte der Staatseinnahmen aus. Die gut sechs Jahre alte Einschätzung deutete bereits an, worum es den US-Diensten geht. Venezuelas Ölminister und ­PDVSA-Präsident Eulogio Del Pino formulierte es am Donnerstag am Rande einer Sitzung des ständigen Rates der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Washington deutlich: »Diese Angriffe zeigen die Absicht, unser Unternehmen zu zerstören und gegen unser Land vorzugehen«.

Die US-amerikanische Anwältin und Journalistin Eva Golinger hält die Enthüllungen nur für »die Spitze des Eisbergs«. Das Ausspionieren der internen Unternehmenskommunikation erleichtere NSA und CIA das Erstellen von Profilen, die Suche nach Schwachstellen, das Herausfiltern negativer Informationen und die Planung von Sabotageaktivitäten. Die USA hätten seit Chávez’ Wahl zum Präsidenten im Jahr 1998 bereits riesige Summen für den »Regime-Change« in Venezuela aufgewendet. Die jetzt bekanntgewordene erneute Verletzung der Souveränität des Landes beweise, dass die Einmischung weitergehe. »Sie finanzieren die rechte Opposition, sie betreiben einen Medienkrieg gegen Venezuela, und sie unterwandern Institutionen, um die Revolution von innen zu neutralisieren«, erklärte Golinger gegenüber Telesur. Präsident Maduro wirft Washington daher vor, mit den Ausspähaktionen gegen die PDVSA-Beschäftigten einen Wirtschaftskrieg zu führen. Der US-Imperialismus verfolge seit langem das Ziel, »unsere Ölindustrie zu sabotieren, die bolivarische Regierung zu stürzen und sich Venezuelas Öl anzueignen«.

 

Quelle: Junge Welt 25. November 2015

 

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