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Venezuela: Das Versagen des Chavismus und die Rückkehr der Rechten

Eingereicht on 29. Dezember 2015 – 11:51

Die rechte Opposition hat in den Parlamentswahlen in Venezuela einen durchschlagenden Sieg errungen. Dies wird mit Sicherheit in eine Periode der Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen der Legislative und Exekutive, also mögliche tiefe politische Krisen, führen.

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Vor 17 Jahren, am 6. Dezember 1998, gewann Hugo Chávez die Präsidentschaftswahlen und die sogenannte „Bolivarianische Revolution“ begann. Heute – in einer tiefen ökonomischen Krise, in der die Inflation und der Mangel die Lebensbedingungen und Geldbörsen der arbeitenden Bevölkerung hart treffen – ist der Chavismus auf ein Drittel des Parlaments geschrumpft, während die rechte Opposition eine Zweidrittelmehrheit gewann. Dies gibt der Opposition unter anderem die Macht, Gesetze außer Kraft zu setzen, zu ändern oder zu verabschieden, die Mitglieder der anderen öffentlichen Gewalten nach dem Ablauf von deren Amtsperiode zu nominieren, die Verfassung zu reformieren oder sogar eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen.

Ein durchschlagender Sieg

Die einzige Wahlniederlage, die der Chavismus bis jetzt in fast zwanzig Wahlen erlitten hatte, erfolgte bei einem Referendum über die von Chávez vorgeschlagene Verfassungsreform im Dezember 2007, als das „Nein“ der Opposition mit einer knappen Mehrheit oben ausschwang. Chávez nannte dies einen Pyrrhussieg. Damals enthielten sich ca. 3 Millionen chavistischen Wähler und Wählerinnen der Stimme und die Opposition gewann – nicht, weil sie qualitativ an Unterstützung gewonnen hatte, sondern wegen der erheblichen Enthaltungen der chavistischen Bevölkerung.

Diesmal ist die Situation anders: Die MUD („Mesa de la Unidad Democrática“, übersetzt „Runder Tisch der Demokratischen Einheit“) gewann 56,5 Prozent der Stimmen, also zwei Millionen Stimmen mehr als die Regierung. Sie konnte dieser einen großen Teil der Stimmen aus der Arbeiterklasse und aus den armen Bevölkerungsschichten wegnehmen. Im Vergleich zu den letzten Parlamentswahlen 2010 gewannen die Rechten 2,2 Millionen Stimmen, während der Chavismus nicht einmal eine halbe Million mehr als letztes Mal bekam. Die Differenz an Parlamentssitzen ist jedoch noch schockierender als die der Wahlstimmen. Dies ist Resultat des undemokratischen Wahlsystems, welches Minderheiten ausgrenzt und von der Regierung selbst eingeführt wurde. Mit dessen Hilfe kann die Rechte nun 112 Abgeordnete stellen, während die Regierung nur 55 stellt.

In den wichtigsten Bundesstaaten hat die Opposition einen beträchtlichen Vorsprung gegenüber der Regierung. In Caracas beispielsweise blieb der Chavismus fast ohne einen einzigen Abgeordneten, konnte jedoch letztendlich einen von neun Parlamentssitzen belegen. Dabei fällt auf, dass die Rechten in vielen Armenvierteln siegen konnten.

Bei Betrachtung der größeren Städte im Inneren des Landes bietet sich ein ähnliches Bild, auch in Städten wie Bolívar, in denen der Anteil an Lohnabhängigen aus der Industrie und den Fabriken besonders groß ist. In der Gemeinde Caroní, wo viele große Konzerne ihren Sitz haben und der Anteil an Arbeiter und Arbeiterinnen der größte im ganzen Land ist, sanken Arbeits- und Lebensbedingungen besonders stark. Außerdem waren hier die Angriffe der Regierung auf kämpfende Arbeiter und Arbeiterinnen am stärksten. Hier konnte die Opposition 60 Prozent der Stimmen gewinnen.

Die Wahlbeteiligung erreichte diesmal mit 74 Prozent ihr Rekordhoch. Es ist die höchste in der Geschichte der Parlamentswahlen in Venezuela, wo aufgrund des Präsidialsystems wenig Interesse für diese Wahlen besteht. Während in jenem „Pyrrhussieg“ von 2007 die hohe Enthaltungsrate (vor allem von Chavisten und Chavistinnen) und der knappe Vorteil der Rechten ihren Sieg weniger erfolgreich aussehen ließ, kann man aufgrund der hohen Wahlbeteiligung diesmal von einem klaren Triumph der Opposition sprechen.

Das klare Ergebnis überraschte selbst die Anführer und Anführerinnen der Opposition. Diese hat es nach fast zwanzig Jahren geschafft, eine solide Wahlmehrheit für sich zu gewinnen. Heißt dies jedoch, dass in einer nahen Zukunft die neoliberale Politik wieder Venezuela dominieren wird? Oder stellt diese Wahlmehrheit eher eine Art Strafe für die Regierung als eine Unterstützung des Neoliberalismus dar?

Bedeutet dieses Ergebnis, dass eine neue Hegemonie erreicht wurde? Mit Sicherheit ist es eine wichtige Grundlage für diese Perspektive, jedoch ist es nötig, einen Unterschied zu machen zwischen dem, was heute eine klare Wahlmehrheit ist, und dem, was eine für eine neoliberale Wende notwendige ideologische und politische Hegemonie darstellt.

Die unerträgliche Krise und die „Strafstimmen“

Der Schlüssel für den Sieg der Opposition ist der Verdruss gegenüber der sozialen Misere, vor allem vor dem Hintergrund des Mangels an Alltagsprodukten. Diese Krise zieht sich schon lange hin, ohne Aussicht auf Besserung, und die Regierung unternimmt keine effektiven Maßnahmen zu ihrer Lösung. Die Rechte positionierte sich einfach und ohne viel Aufwand in der Woge der massiven Unzufriedenheit der Bevölkerung.

Diese Ablehnung einer unerträglichen Krise, die eine zuvor noch nicht gesehene Ablehnung der Regierung erzeugt, ist der Grund für den Wahlsieg der Opposition. Deswegen ist es auch falsch, von einem ideologischen Rechtsruck zu reden. Dies zeigt sich gerade das bei diesen Wahlen, bei denen die Rechten eine Kampagne mit wenig ideologischem Inhalt führten und das „progressive“ Profil wahren wollten, welches sie bei den letzten Präsidentschaftswahlen einsetzten. Sie sprachen sich beispielsweise gegen Kürzungen von Sozialausgaben u.ä. aus. Vor allem thematisierten sie aber Alltagsprobleme: „Die Schlangen (um Essen zu kaufen) sind unsere beste Kampagne“, sagte ein Sprecher der Rechten.

Die Probleme des abhängigen Kapitalismus als Probleme des „Sozialismus“

Nun aber behauptet die Rechte etwas, das als „gesunder Menschenverstand“ in vielen Teilen der Bevölkerung indoktriniert ist: Die wirtschaftlichen Probleme hätten ihren Ursprung im „Etatismus“ – den staatlichen Interventionen in die Marktwirtschaft – , welcher die Unternehmer und private Anreize erdrücken würde; letztendlich also im „Sozialismus“. Der Chavismus nahm jedoch dem Sozialismus seinen revolutionären Inhalt: Er ersetzte die Befreiung der Arbeiter und Arbeiterinnen vom ausbeuterischen kapitalistischen Profitsystem und die Errichtung einer eigenen Regierung der Arbeiterklasse durch Interventionen eines kapitalistischen Staates in eine kapitalistische Ökonomie. So erscheinen die aktuellen Probleme in Venezuela, die die Probleme eines sich auf Rentenökonomie und Abhängigkeit stützenden kapitalistischen Systems sind, als Probleme des „Sozialismus“.

Dies ermöglichte der Rechten eine Offensive zur Verbreitung von antisozialistischer Ideologie. Doch noch wichtiger ist, dass der Bevölkerung davon überzeugt wurde, dass das „aktuelle Wirtschaftsmodell“ sich nicht für die Steigerung der Produktivkräfte eignete, was angeblich der Grund für die Mängel sei, und dass sich das „ändern“ müsse. Es wurde so ein ideologisches Klima der Verfechtung der „privaten Initiative“ herausgebildet, was gewissermaßen eine neoliberale Wende ermöglichen könnte.

Die Korruption, der Gebrauch und der Missbrauch der politischen Macht

Jedoch profitierte die Opposition bei den Wahlen auch von einer Ablehnung der unverfrorenen staatlichen Korruption und des Autoritarismus, mit dem die Staatsgewalt durchgesetzt wird. Diese politischen Empfindungen haben ihrerseits keine direkte Verbindung mit der Unterstützung eines neoliberalen Programms.

Es gibt einen großen Kontrast zwischen dem Wohlstand der Hierarchien in der Regierung und ihren Verwandten einerseits und der „einfachen“ Bevölkerung andererseits, die an allen Ecken sparen muss, um sich das Nötigste zu beschaffen. Die Regierung ächtet gegnerische politische Anführer und Anführerinnen und Strömungen (hauptsächlich der politischen Rechten, aber teilweise auch Abspaltungen desselben Chavismus und vor allem revolutionäre Strömungen) und tritt autoritär gegenüber ihnen auf: Kandidaten und Kandidatinnen der Opposition werden nach Belieben mittels Korruptionsvorwürfen ausgeschaltet, während die Korruption der Regierung floriert. Die Regierung übt Druck auf die Angestellten im öffentlichen Sektor aus, damit diese sie unterstützen. Ineffizienz und Korruption machen es möglich, dass tonnenweise Nahrungsmittel verrotten, während die Massen täglich mit Mangel und Not kämpfen müssen. Angehörige der Armee genießen viele Privilegien und die Angehörigen der Nationalgarde beschaffen sich schamlos Mangelwaren. All dies sind Faktoren zugunsten eines Wandels im Wahlverhalten vieler Wähler und Wählerinnen vom Chavismus hin zum Neoliberalismus, weil letzterer die einzige denunzierende Stimme in der landesweiten Politik ist.

Kurz gesagt: Der moralische Zerfall und der rohe Autoritarismus eines untergehenden Regimes sind wichtige Faktoren, die den Aufschwung der Rechten ermöglichten. Aber die Ablehnung dieser Situation wurzelt in demokratischen Hoffnungen und Anti-Korruptions-Forderungen, was sich vorderhand kaum mit neoliberalen Angriffen auf die unbestrittenen Errungenschaften des Chavismus vereinbaren lässt.

Die Hoffnungen der Arbeiterklasse und der Massen

Die Rechte wählte für ihre Kampagne das Motto „Venezuela will einen Wandel“, was mit Sicherheit an die Meinung der Mehrheit anschließt. Aber der „Wandel“, den die arbeitende Bevölkerung anstrebt, ist die Überwindung der Krise und ihrer aktuellen Leiden. Das Programm der Opposition kann jedoch nur eine Vertiefung der Krise und Leiden anbieten, auch wenn sie versprechen, dass diese nur temporär und aufs Nötigste beschränkt sein würden, um die Krise zu überwinden.

Obwohl diese keine Präsidentschaftswahlen waren und der Chavismus immer noch die Regierung stellt, impliziert die Macht des Vetos, die die Rechte ab dem 5. Januar 2016 haben wird, dass sich die Vorschläge und Maßnahmen der Opposition zur Beendigung der Krise konkretisieren werden. Diese Erwartungen an die Verbesserung der Lebenslage der arbeitenden Bevölkerung sind wichtige Aspekte, die die „neoliberale Wende“ beeinflussen können, sei es mit einer chavistischen Regierung oder mit einer möglichen zukünftigen Regierung der Opposition.

Obwohl die Rechte einen Vorstoß der „antietatistischen“ Ideologie erreicht hat, identifiziert sich der Großteil der Wähler und Wählerinnen nicht gänzlich mit dieser politischen Positionierung. Dies ist unter anderem so, weil Chávez die Lebensbedingungen von großen Teilen der Arbeiterklasse verbesserte, und weil vor allem die ärmsten Bevölkerungsschichten ihre Lebensgrundlage in der staatlichen Kontrolle der Öleinnahmen und der Regulierung der Wirtschaft haben. Aus diesen Gründen kann das Einreißen dieser Elemente des Etatismus und der Umverteilung, mit dem Versprechen, dass die „unsichtbare Hand des Marktes“ die ökonomischen Fehlentwicklungen ausgleicht, auf Widerstand stoßen und die Unterstützung einer neoliberalen Ausrichtung erschweren. Hiermit würde die politische Rechte nicht genügend Kräfte für eine solche Wende haben.

Der Wahlsieg der Opposition bedeutet zwar eine Bewegung nach rechts in der Gesinnung der Massen. Dies bringt aber nicht automatisch mit sich, dass die Wahlmehrheit sich in eine ideologische Hegemonie und effektive politische Kraft verwandeln wird, die die Regulierungsmechanismen des Staates und dessen Subventionen für die ärmsten Teile der Bevölkerung – die Politik der „Umverteilung“ und „sozialen Gerechtigkeit“ – niederreißen kann.

Der Übergang zu einem postchavistischen Regime bleibt offen und ungewiss

All dies ist verwoben mit dem Übergang hin zu einem neuen politischen Regime. Dieser Übergang wird nicht friedlich und graduell, sondern auf konflikthafte und traumatische Weise geschehen. Das liegt zum einen an den Bedürfnissen und Wünschen der Massen, und zum anderen, was keine Kleinigkeit ist, an den Interessen, die im Konflikt agieren: die Kaste, die regiert und die, die regieren will, sowie die Unternehmer, die durch den Chavismus begünstigt werden und die, die danach streben, in einer rechten Regierung begünstigt zu werden.

Somit schafft das Erringen der Mehrheit im Parlament nicht das Kräfteverhältnis für ein neues Regime, welches den Chavismus ablösen könnte, obwohl es ein politischer Haltepunkt für die Opposition ist, die auch den Rückhalt der US-amerikanischen und europäischen Imperialismen hat. Der Chavismus kontrolliert noch die restlichen Staatsgewalten, 20 von 24 Gouverneursämtern, 240 von 335 Stadtregierungen, aber vor allem ist die hohe Politisierungsrate der Streitkräfte während der langen Regierungszeit des Chavismus enorm wichtig. Diese haben unter Chávez viel an Einfluss am ökonomischen und politischen Leben des Landes gewonnen und haben aus dieser Position eigene materielle und politische Interessen entwickelt, die während einer Übergangsphase eine wichtige Rolle spielen werden.

Aufgrund all dieser Faktoren, inklusive dem Andauern der Wirtschaftskrise und von deren möglicher Verschlimmerung im nächsten Jahr, ist das Szenario nicht das eines graduellen und friedlichen Übergangs hin zu einem „neuen Venezuela“, sondern eines Überganges voller sozialer und politischer Unruhen.

Die Rechte lügt: Das, was kommt, wird nicht besser

Mit einer entfesselten Demagogie versprach die Oppositionspartei MUD nach der Veröffentlichung der Wahlergebnisse eine Zukunft voller Wohlstand für alle Venezolaner und Venezolanerinnen. Jedoch beschränkt sich ihre konkrete Agenda auf die Freilassung und den Straferlass ihrer Gefangenen, einen beschleunigten Austritt Maduros aus der Regierung und die „Überprüfung“ der Gesetze, die angeblich die Wirtschaft hemmen, beispielsweise die Eliminierung eines Gesetzes, das Unternehmensgewinne auf 30 Prozent einschränkt oder die Abwandelung des Arbeitsgesetzes, um die Unkündbarkeit abzuschaffen.

Die enorme Abwertung der nationalen Währung, des Bolívar, durch die Vereinheitlichung der Wechselkurse und der „Freigabe“ des Dollar-Kurses, sowie die Erhöhung der Preise für Benzin und Dienstleistungen und die Reprivatisierung von verstaatlichten Unternehmen sind andere Maßnahmen, die die Rechte vorschlägt. Gleichwohl sind einige davon deckungsgleich mit den Vorschlägen der Regierung.

Zusammengefasst wurde die wirtschaftliche Agenda des neuen Parlaments in der Erklärung des Zusammenschlusses der Handelskammern am Tag nach den Wahlen: „Das Land entschied sich für mehr Unternehmen, mehr Arbeit, mehr Produktivität. Venezuela hat gewählt und entschied sich für ein Land mit Arbeitsplätzen und angemessenen Löhnen, ertragreichen Böden, vollen Regalen (…) die Stärke des Produktionsapparats, der Unternehmergeist und die Innovation; für den Respekt vor dem Privateigentum und den Gesetzen, die Vertrauen für Investitionen schaffen.“

Diese Agenda repräsentiert die Rache derer, die während der gesamten Periode des Chavismus – als Nebenprodukt der Periode des Volksaufstands des „Caracazo“, der Krise des vorherigen Regimes, und dem durch die proletarische Mobilisierung durchgesetzten Kräfteverhältnis (wenn auch von Chávez streng kontrolliert) – gewisse staatliche Regulierungen und Eingriffe in die Unternehmensgewinne akzeptieren mussten, die wirkliche soziale und wirtschaftliche Zugeständnisse an ein mobilisiertes und armes Volk darstellten.

Regimes, die die Unterstützung der Massen vergeuden

Die aktuelle Situation in Venezuela, in der die Krise eines bürgerlichen nationalistischen Projekts, das sich als „revolutionär“ profilierte, zur Stärkung einer rechten Opposition führte, ist Teil der Sackgassen, in die die Arbeiterklasse und die armen Bevölkerungsschichten von dieser Art von Regierungen gebracht werden.

Dieser Misserfolg des Chavismus vollzieht sich im Rahmen des Endes des Zyklus der linkspopulistischen Regierungen, die in Lateinamerika nach den lärmenden sozialen und politischen Krisen an die Macht kamen, die durch die neoliberale Offensive der 1980er und 1990er Jahre verursacht worden waren. Klare Beispiele für das Ende dieses Zyklus sind der jüngste Sieg des Rechten Macri in Argentinien und die Regierungskrise der PT und der Präsidentin Dilma Rousseff in Brasilien. Hinzu kommt jetzt der Sieg der Rechten in Venezuela, was wiederum auf den regionalen Rahmen zurückwirken wird.

In den vergangenen bald zwanzig Jahren hat die chavistische Regierung in Venezuela – trotz der großen Energie der Arbeiterklasse und der Gesamtheit der armen Teile der Bevölkerung, trotz der gezeigten Kampfbereitschaft, wie in der Niederlage des Putsches im April 2002 und der Aussperrungen und der Sabotage der Ölkonzerne – nicht aufgehört, Milliarden Dollar an imperialistische Banken für Auslandsschulden zu überweisen. Sie hat hunderte transnationale Unternehmen, die die natürlichen Ressourcen und die venezolanische Arbeiterklasse ausbeuten, nicht in ihrem Tun gehindert. Immer noch existieren Banken, die ihre Gewinne vergrößern und immer noch machen die nationalen und internationalen Unternehmer Geschäfte und leben von der venezolanischen Lohnarbeit.

Dies ist ein klarer Beweis dafür, wie diese Art von politischen Projekten die Unterstützung der Massen vergeudet, sie verschwendet. Denn während der Chavismus mit dem Imperialismus verhandelte, kontrollierte er die Massenbewegungen, insbesondere die kämpferischen Segmente der Arbeiterklasse, und beharrt darauf, diese zu disziplinieren. Dadurch bereitete er die Rückkehr der Reaktion vor.

Die Wirtschaftskrise entblößt die Grenzen von linkspopulistischen Regimes

Sobald die außerordentlichen ökonomischen Bedingungen – vor allem die hohen Erdölpreise, die es dem Chavismus erlaubten, die Staatseinnahmen teilweise umzuverteilen und gleichzeitig das Funktionieren der kapitalistischen Unternehmen zu garantieren – weggeschmolzen sind, entwickeln sich Elemente einer Krise, wo – wie in jedem kapitalistischen Land – die Unternehmer und Regierungen die Massen und die Arbeiterklasse zur Kasse bitten. In dieser Situation schwindet die Beliebtheit der Regierung immer schneller.

In dieser Situation ist die Regierung nicht dazu in der Lage, einen Ausweg aus der Krise im Einklang mit den nationalen Interessen und denen der Arbeiterklasse zu schaffen, denn dies würde wahrlich revolutionäre und antikapitalistische Maßnahmen erfordern. Doch aufgrund ihres Klassencharakters wird sie diesen Weg nicht gehen, weil dies eine Mobilisierung der Massen und den revolutionären Zusammenstoß mit dem Imperialismus und der nationalen Bourgeoisie mit sich bringen würde. Um eine solche Perspektive zum Sieg zu führen, müssen die Massen der Arbeiter und Arbeiterinnen im Gegenteil auf den Kampf vorbereitet werden, um das kapitalistische Privateigentum – ihr wichtigstes Herrschaftsinstrument, mit welchem sie die ganze Bevölkerung erpressen können – anzugreifen.

Weil die linken populistischen Regierungen aufgrund ihrer Natur nicht in der Lage sind, die Interessen des transnationalen Kapitals und ihrer lokalen Bourgeoisie anzugreifen, bleibt ihnen nur die Möglichkeit einer Sparpolitik, so wie dies die Rechte vorschlägt.

Im Falle Venezuelas versprach die Regierung eine „nationale Entwicklung“ von Staatshand und agierte als Verteilerin der öffentlichen Erdöleinnahmen in Richtung der Industrialisierung. Diese fand jedoch nicht statt, die Venezolaner und Venezolanerinnen sind immer noch vom Güterimport abhängig; ebenso unterblieb eine Diversifizierung der Exporte. Aktuell stammen von 100 Dollar, die durch Exporte ins Land kommen, 96 aus dem Erdölverkauf. Die Rentenökonomie läuft immer noch wie früher, der Staat häuft immer mehr Schulden an und es fehlen Dollars, um die Bedürfnisse der Volkswirtschaft zu decken.

Strategische Schlussfolgerungen

In dieser Krise des Chavismus zeigt sich die Schwäche von Ansätzen, die – ähnlich der Ausrichtung auf breite antikapitalistische Parteien in Europa – auf die Schaffung von breiten politischen Allianzen ausgerichtet sind, um die Regierungsmacht im Rahmen der kapitalistischen Ordnung, in deren Zentrum der bürgerliche Staat steht, zu erobern. Die Entwicklung gerade in Griechenland hat erneut vor Augen geführt, dass dieser Ansatz in schwere Niederlagen der Arbeiterklasse führt. In Venezuela wurde ein recht ähnlicher Weg mit der Gründung des PSUV, der Regierungspartei, beschritten, in den sich die Mehrzahl der linken Parteien 2006 einordnete; sie werden der Krise des Chavismus selbst nicht entgehen und auf absehbare Zeit kaum mehr eine wirklich revolutionäre Rolle spielen können.

In der Situation in Venezuela, die auf ökonomischer Ebene sehr kritisch und auf politischer sehr bewegt ist, besteht die Aufgabe weiterhin, für den Aufbau des großen Potenzials der Arbeiterklasse zu kämpfen. Dabei muss sie in einigen Aspekten gegen die Regierung selbst kämpfen, gerade auch gegen die Verfolgung, die militärische und polizeiliche Einschüchterung, ja sogar die Repression und Verhaftungen der kämpfenden Arbeiter und Arbeiterinnen.

Während in den Betrieben und Gewerkschaften für diese Perspektive gekämpft wird, ist es gleichzeitig notwendig, in der Avantgarde der Arbeiterklasse und der linken und klassenbewussten Jugend über die strategischen Konsequenzen aus der Erfahrung des Chavismus zu diskutieren. Dieser ist ein politisches Projekt, das, wie alle bürgerlichen Nationalismen oder Reformismen des 20. Jahrhunderts in Lateinamerika, die Arbeiterklasse, die armen Sektoren der Bauernschaft und die armen Bevölkerungsschichten in die Sackgasse der Rückkehr von rechten Regierungen brachten – sei es nun durch Wahlen oder sogar Diktaturen, die ganze Generationen von kämpfenden Arbeitern und Arbeiterinnen auslöschten.

Quelle: La Izquierda Diario vom 10. Dezember mit einigen Änderungen durch die Redaktion maulwuerfe.ch

 

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