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Neue Periode, neue Herausforderungen, neue Internationale!

Eingereicht on 4. Mai 2022 – 10:05

Der reaktionäre Angriff Russlands auf die Ukraine hat eine neue Etappe im Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen den Großmächten eingeleitet. Der Krieg um die Kontrolle der Ukraine ist jüngster und schärfster Ausdruck dieses Konflikts, der die Welt mit einem Krieg zwischen den imperialistischen Staaten und ihren Bündnissen bedroht.

Nachdem der Angriff ins Stocken geriet, greift der russische Imperialismus zu immer barbarischeren Mitteln, einschließlich des systematischen Bombardements ziviler Ziele. Die westlichen, in der NATO vereinten Mächte, allen voran die USA, rüsten seit Jahren das Regime in Kiew auf, verhängen gegen Russland Wirtschaftssanktionen, die selbst einen Teil der Kriegsführung darstellen und gehen seit Ramstein offen dazu über, das ukrainisch-nationalistische Vasallenregime unter Selenskyj so weit auszurüsten, dass es den russischen Imperialismus mit „konventionellen“ Mitteln besiegen kann.

Der innerimperialistische Gegensatz prägt den Krieg um die Ukraine – und es ist vor allem das ukrainische Volk, es sind Tausende Tote und Millionen Geflüchtete, die auf diesem Schlachtfeld für die Ziele des russischen Imperialismus, aber auch für die NATO-Mächte geopfert werden.

Versagen der Arbeiter:innenbewegung und der Linken

Der Krieg offenbart aber auch das politische Versagen und die Schwäche der Linken und der organisierten Arbeiter:innenbewegung. Die Führungen, der großen, staatstragenden Gewerkschaftsapparate, die seit Jahr und Tag eng mit „ihrem“ Staat und in Klassenzusammenarbeit mit „ihrer“ Bourgeoisie“ verbunden sind, erweisen sich einmal mehr als Vaterlandsverteidigerinnen. Ob in Russland oder den westlichen imperialistischen Staaten – die Gewerkschaftsführungen erweisen sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, als soziale Stütze ihre herrschenden Klassen, sei es als russische Patriot:innen, sei es als vorgebliche Verteidiger:innen der Werte der „westlichen Demokratie“.

So wie die sozialdemokratischen Parteien oder die längst verbürgerlichen Grünen stehen sie im Lager des westlichen Imperialismus – oder sie sind, wie große Teil der sog. Linksparteien, dabei, in dieses zu wechseln.

Sie sitzen der Lüge auf, dass dieser Krieg einer zwischen Despotismus und Autoritarismus einerseits gegen Demokratie und Selbstbestimmung andererseits wäre. In Wirklichkeit verteidigen im Kampf um die Ukraine Russland und der Westen vor allem ihre ökonomischen und geostrategischen imperialistischen Interessen. Die wirklichen Werte, die der Westen schützt, bilden die Profite der großen Kapitale, der Monopole, die den Weltmarkt beherrschen.

Ein Teil der „radikalen“ Linken schwenkte im Krieg auf den NATO-Kurs ein, während andere faktisch das Regime Putin verteidigen und sich bis heute beharrlich weigern, den russischen Imperialismus als imperialistisch, seinen Angriffskrieg als reaktionär zu bezeichnen.

Diese Konfusion, diese falschen Positionen enthüllen, dass der Krieg die „radikale“ Linke unvorbereitet traf. Wie sie sich angesichts des interimperialistischen Großkonflikts verhalten soll, der zur Zeit zwischen Russland mit China im Hintergrund einerseits und den NATO-Mächten andererseits um die Ukraine ausgetragen wird, kann sie nicht  beantworten. Die Frage nach dem Verhältnis von imperialistischem Konflikt und nationalem Selbstbestimmungsrecht der Ukraine will sie sich in der Regel erst gar nicht stellen. Die durchaus richtige Feststellung, dass der Hauptfeind im eigenen Land steht, verkommt so leider oft zur Floskel, um den aktuellen globalen Fragen, der Einschätzung der Lage in Russland und der Ukraine ausweichen zu können.

Es würde jedoch zu kurz greifen, die Schwierigkeiten für das Entstehen einer breiten Antikriegsbewegung, die zugleich mit der Arbeiter:innenklasse in Russland und der Ukraine solidarisch ist und eine internationalistische Antwort vertritt, allein auf das Versagen der Arbeiter:innenbewegung und der Linken zurückzuführen.

Der Krieg wird zurzeit von Seiten der herrschenden Klasse, der bürgerlichen Medien und Institutionen erfolgreich als einer für Demokratie, Menschenrechte, Freiheit verkauft. Dabei hilft es ihr, dass die barbarische russische Kriegsführung und die russischen Massaker an der Zivilbevölkerung dieses Narrativ, diese Ideologie stützen. Auch wenn jeder Vorbehalt gegen die westliche und Kiewer Propaganda in diesem Zusammenhang berechtigt ist, so gibt es keinen Grund, daran zu zweifeln, dass der Tod von Zehntausenden Zivilist:innen wie auch das Verheizen der eigenen Soldat:innen als Kanonenfutter folgerichtiges, einkalkuliertes Resultat der russischen Kriegsführung sind. Darin unterscheidet sich Putin von seinen Gegner:innen in den USA oder der EU um nichts, wie die zahlreichen humanitären Interventionen des Westens von Afghanistan über Libyen bis Mali zeigen.

Das ändert jedoch nichts daran, dass zurzeit in der Bevölkerung – und das heißt auch bei der Mehrheit der Arbeiter:innenklasse – die demokratisch-imperialistische Ideologie der Herrschenden fruchtet. Sie stellt eine zentrale Grundlage für die gegenwärtige Unterstützung der NATO-Politik in der Ukraine, für Sanktionen und Waffenlieferungen dar. Solange dieses „Narrativ“ das Bewusstsein von Millionen Arbeiter:innen und Gewerkschafter:innen bestimmt, solange Millionen die Kriegsziele des Westens und das Niederringen der russischen Konkurrenz im Namen der Verteidigung der Ukraine für gerechtfertigt und notwendig halten, wird die Politik der „nationalen“ Einheit nicht wirklich zu knacken sein.

Dazu ist es unbedingt erforderlich, dass Revolutionär:innen auch die reaktionäre Politik Putins offen anprangern, die wirklichen Kriegsziele aller Regierungen und ihrer Verbündeten, den imperialistischen Charakter der NATO-Politik erklären und plastisch darlegen.

Diese theoretische, propagandistische und agitatorische Aufgabe ist unerlässlich, wenn wir die Politik der nationalen Einheit brechen wollen. Ihre Bewältigung alleine reicht jedoch nicht. Um die Unterordnung der Führungen der Arbeiter:innenklasse unter Regierung und Kapital aufzubrechen , müssen wir auch an den Widersprüchen der Kriegspolitik von Regierung und NATO praktisch anknüpfen.

Widersprüche

Der Krieg um die Ukraine, die Aufrüstung und die massiven ökonomischen Sanktionen verschärfen nicht nur den Kampf um die Neuaufteilung der Welt, sondern sämtliche Widersprüche, die die Krise der kapitalistischen Globalisierung seit 2008 immer offener zum Ausdruck bringt.

Anders als in den letzten großen globalen Krisen fällt China als Motor der Weltwirtschaft aus. Der neue, chinesische Imperialismus sieht sich selbst einer extremen inneren ökonomischen Krise gegenüber, die Resultat fallender Profitraten und der Überakkumulation von Kapital ist.

Weltweit stehen wir vor einer neuen globalen ökonomischen Krise. Ganze Staaten, vor allem im globalen Süden, stehen vor der Zahlungsunfähigkeit. Die Preise steigen in horrendem Tempo, Hyperinflation und Stagnation drohen. Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen droht der Weg in extreme Verarmung, Verelendung, Hunger oder gar Tod.

Doch auch die westlichen imperialistischen Zentren stehen vor tiefen ökonomischen Krisen und Umbrüchen, vor eine Periode, die von Stagnation und Inflation geprägt sein wird.

Der Krieg um die Ukraine verschärft nicht nur den Konflikt mit Russland, sondern auch die Konkurrenz mit China. Der Weltmarktzusammenhang selbst wird zum Austragungsort des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt. Die Totenglocken der Globalisierungsperiode beginnen zu läuten. Blockbildung, „sichere“ Währungsräume sind die Folge.

Die Konfrontation mit Russland wird zwar als „Ausstieg“ aus Öl und Gas verkauft. In Wirklichkeit gehören die sog. ökologische Wende, die Green New Deals zu den Kollateralschäden des Krieges – mit verheerenden Folgen für den Klimawandel und auch vor allem für die Menschen in den halbkolonialen Ländern, die Arbeiter:innenklasse und die Bauern/Bäuerinnen weltweit.

Nach Millionen Toten erscheint die Corona-Pandemie als „überwunden“ – in Wirklichkeit stehen wir wahrscheinlich vor der nächsten Welle. Geht es nach den Herrschenden der Welt, werden wir auf sie unvorbereitet treffen – und müssen dafür mit weiteren Hunderttausenden, wenn nicht Millionen Toten zahlen.

Statt Milliarden in ökonomische Erneuerung, den Kampf gegen Armut oder die Pandemie zu investieren, werden sie zur Rettung der großen Kapitale verpulvert und in einen neuen Rüstungswettlauf gesteckt.

All diese Krisenphänomen zeigen deutlich: Die Bourgeoisie ist längst eine reaktionäre Klasse geworden. Sie erweist sich nicht nur als unfähig, auch nur eines der großen Menschheitsprobleme – seien es Armut, Hunger, Klimakatastrophe oder die Pandemie – zu lösen.

In dieser Krisenperiode muss sie zunehmend auf autoritäre Herrschaftsformen bis hin zu Bonapartismus und Diktatur zurückgreifen, werden demokratische Rechte eingeschränkt,  Überwachungs- und Repressionsapparate ausgebaut. Innerhalb der herrschenden Klasse und der das bürgerliche System tragenden Mittelklassen und -schichten nehmen zugleich die inneren Widersprüche zu, was sich in fast allen Ländern in der Entstehung rechtspopulistischer, -konservativer oder gar faschistischer Kräfte äußert. Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus stellen, wie Putins großrussischer Chauvinismus, das Wahlergebnis Le Pens, Bolsonaro oder Modi zeigen, keine „Ausnahmeerscheinung“ dar, sondern sind ein notwendiger Ausdruck der ökonomischen und politischen Krise.

Mit ihnen nehmen alle Formen der Reaktion zu: Sexismus, Unterdrückung von Frauen bis hin zum Femi(ni)zid; Trans- und Homophobie; Unterdrückung und Überausbeutung der Jugend, Verarmung und Verelendung der Alten; Rassismus und nationale Unterdrückung.

Wir leben in einer Welt, in der die Alternative Sozialismus oder Barbarei keine düstere Zukunftsvision ankündigt, sondern Realität ist.

Führungskrise der Arbeiter:innenklasse

Doch politische und ökonomische Krise werden nie automatisch zur Ablösung der Herrschaft des Kapitals führen. Es bedarf dazu einer bewussten, revolutionären Kraft, einer Arbeiter:innenklasse, die über Organisiertheit und Bewusstheit verfügt, einer Klasse, deren Führung sich der weltgeschichtlichen Lage und Aufgaben bewusst ist und die durch die Masse der Lohnabhängigen, der armen Bauern/Bäuerinnen, der Unterdrückten zur Revolution führen kann.

Die Realität ist jedoch: Die Arbeiter:innenklasse verfügt über keine solche Organisation. Die subjektiv revolutionäre Linke selbst ist politisch konfus und existiert nur im Stadium von Propagandagesellschaften.

Am Willen zum Widerstand, zum Kampf mangelt es nicht, wie beeindruckende Bewegungen und Kämpfe zeigen. Die großen Streiks und Mobilisierungen in Indien und Sri Lanka in den letzten Wochen und Monaten oder der zunehmende Unmut der chinesischen Bevölkerung verdeutlichen das. Trotz der klassenkollaborationistischen Politik der bürokratisierten Gewerkschaften konnten in vielen Ländern Basisinitiativen in betrieblichen und gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen wichtige Erfolge erzielen. Sie können einen mächtigen Impuls für eine klassenkämpferische Erneuerung der Arbeiter:innenbewegung und der Gewerkschaften liefern.

Am 1. Mai werden Millionen auf die Straße gehen – in manchen Ländern unter diktatorischen Bedingungen. In vielen sind in den letzten Jahren außerdem starke Bewegungen gegen Rassismus, inspiriert u.  a. von Black Lives Matter, und Frauenunterdrückung entstanden.

Doch um die bürokratisierten Organisationen der Arbeiter:innenklasse zu erneuern und neue Kampforganisationen zu schaffen, um gegen rückständige Ideologien, Sexismus, Chauvinismus, Rassismus auch unter den Lohnabhängigen anzukämpfen, um die Macht der Bürokratie und die verräterische Politik des Reformismus zu überwinden, reichen einzelne Initiativen oder selbst Massenmobilisierungen nicht aus. Gerade die Kriegsfrage zeigt, wie wichtig ein richtiges Verständnis der internationalen Lage, des Wesens und Charakters des Imperialismus in all seinen Formen, der nationalen Frage und auch der bürgerlichen Demokratie ist.

Diese Zusammenhänge verdeutlichen, warum eine vom Kampf gegen den Kapitalismus, gegen ökonomische und soziale Angriffe losgelöste, „reine“ Antikriegsbewegung, „reine“ Friedenspolitik letztlich eine bürgerliche Fiktion darstellt. Das trifft umgekehrt auch auf gewerkschaftliche und ökonomische Kämpfe zu. Die Angriffe auf Löhne und Lebensbedingungen, auf demokratische und soziale Errungenschaften werden nur schwer abzuwehren sein, wenn sie nicht im Kontext der globalen Ziele des Kapitals und der imperialistischen Weltordnung begriffen werden.

Wenn wir den großen Herausforderungen der kommenden Periode – der zunehmenden imperialistischen Konkurrenz und Kriegsgefahr, der globalen wirtschaftlichen, ökologischen und Gesundheitskrise entgegentreten wollen, brauchen wir vor allem eines: klassenkämpferischen und revolutionären Internationalismus!

Wir brauchen einen Internationalismus, der mehr ausmacht als die Summer nationaler, politischer und sozialer Kämpfe. Einen Internationalismus, der davon ausgeht, dass keines der großen Probleme der Menschheit im nationalen Rahmen gelöst werden kann. Einen Internationalismus, der davon ausgeht, dass die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln, die Enteignung der Enteigner:innen die unerlässliche Voraussetzung für die Lösung dieser Probleme darstellt, weil nur so die Wirtschaft gemäß den Bedürfnissen von Mensch und Natur reorganisiert werden kann. Wir brauchen einen Internationalismus, der von der Erkenntnis ausgeht, dass es zu seiner Verwirklichung eines Programms und Kampfinstrumentes bedarf: einer globalen revolutionären Partei der Arbeiter:innenklasse, einer neuen Fünften Internationale.

Quelle: Liga für die Fünfte Internationale… vom 4. Mai 2022

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