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Russland: Arbeiterklasse leidet unter Sanktionen – und wehrt sich

Eingereicht on 29. Juni 2022 – 16:10

Dossier. Der Krieg in der Ukraine trifft nicht nur die Ukrainer. Die internationalen Sanktionen wegen des Ukraine-Krieges treffen auch Russen hart. Vor allem die junge Generation leidet unter der Perspektivlosigkeit. (…) Die Sanktionen betreffen viele Bereiche: vom Finanzsektor bis zum Export von Metallprodukten, vom Lieferverbot für Drohnen bis zur Sperrung des deutschen Luftraums für russische Flugzeuge. Der Westen verbot auch den Verkauf, die Lieferung oder den Transfer von Flugzeugen und Ersatzteilen nach Russland. (…) Viele Russen haben ihre Arbeit verloren und finden kurzfristig keine neue, weil die Nachfrage nach allen Fachkräften sinkt. „Bald wird es Branchen treffen, die für die Produktion Teile aus dem Ausland brauchen: zum Beispiel die Automobilbranche, die Pharmaindustrie und die Landwirtschaft, weil Saatgut auch im Ausland gekauft wird.“ Unternehmen werden schließen und Mitarbeiter entlassen müssen. „Die Gesamtbevölkerung wird ärmer werden.“…“ Beitrag von Irina Chevtaeva vom 23.05.2022 beim Migazin und dazu:

  • Ausstehende Löhne und verschlechterte Arbeitsbedingungen führen zu Streiks und Massenkündigungen – begleitet durch Sabotagen und Protesten gegen Waldrodungen 

„Ein Überblick über interessante Veranstaltungen für den 25. und 26. Juni: Transport: Zusatz zum entgleisten Zug bei Pskov am 24. [Juni 2022] Der Ort der Entgleisung wurde von Militär und FSB abgesperrt (…). Es war kein gewöhnlicher Zug. Er hatte Munition dabei, hat sie aber nicht geliefert (…) Im Bezirk Vetluzhskiy brannte eine Palettenfabrik nieder. Das klingt unscheinbar, aber die Unterbrechung der Palettenproduktion könnte spürbare Auswirkungen auf andere Branchen haben. Kämpfe am Arbeitsplatz: 12) Erzieher:innen in Dzerzhinsk kündigen massenweise aus Protest gegen die Arbeitsbedingungen. Sogar die Schulleiterin machte mit. (…) Es stellt sich heraus, dass seit dem 27. Mai [2022] ein Streik der Stadionbauarbeiter:innen in Sovetsk stattfindet. (…) In Belgorod haben die Trolleybusfahrer eine Gewerkschaft gegründet, um gegen Massenentlassungen im Zuge der Abschaffung des Trolleybusnetzes zu kämpfen. (…) Spontane Streiks und Boykott des Delivery Club. (…) Proteste: (…) In der Nähe von Syktyvkar blockierten Einheimische eine Straße und hielten das Auto eines Beamten an, der gegen die Abholzung protestierte. Das ist ziemlich mächtig. (…) Die Verteidigung des Waldes von Bittsevo ist sehr aktiv. Dort kommt es auch zu Zusammenstößen mit angeheuerten Sicherheitsleuten. Es ist ein ernster Kampf. (…) Aktivisten verteidigen auch den Troitskiy-Wald. (…) Proteste gegen die Abholzung der Wälder in Tscheljabinsk. Lokale Umweltproteste haben ein großes Potenzial. Erinnern Sie sich an die Massenbewegungen gegen Mülldeponien in den vergangenen Jahren…“ Telegram-Post der Antikriegs-Stiftung vom 26. Juni 2022  (russ. – Maschinenübersetzung) und zuvor:

  • „… Der Streik in der Ural-Kompressoranlage geht weiter. Einige Arbeiter:innen kündigten, weil sie die Hoffnung verloren hatten. Bemerkenswerterweise rechtfertigt der Direktor selbst die Situation mit dem Krieg und fordert, dass die Arbeiter:innen weiter für die Idee arbeiten, wie ‚die Großväter während des Zweiten Weltkriegs‘. Er sagt, der staatliche Schutzauftrag scheitert 🙂 Die übrigen haben dagegen ein Strafverfahren gegen die Geschäftsführung und die Zahlung eines Teils der Schulden erwirkt (…) Ein Mann verbrannte das Auto seines ehemaligen Chefs, weil er seinen Lohn nicht gezahlt hatte (…) Lehrer:innen kündigen in Dzerzhinsk aus Protest gegen die Arbeitsbedingungen. (…) Ambulanzärzte protestieren gegen niedrige Löhne in Moskau. (…) Vier Vertragsbedienstete sind aus einer Militäreinheit in der Nähe von Belgorod geflohen. (…) Proteste: Anwohner:innen verteidigen den Wald von Bittsevsky vor der Abholzung. (…) Auch die Menschen verteidigen den Wald in Tscheljabinsk.“ Telegram-Post von der Antikriegs-Stiftung vom 24. Juni 2022

(russ. – Maschinenübersetzung)

  • Sanktionen gegen Putin: «Wir sollten der russischen Bevölkerung die Hand reichen»
    Am Weltwirtschaftsforum in Davos dominierte der Ruf nach härteren Sanktionen gegen Russland. Kenneth Roth, Chef von Human Rights Watch, warnt davor, das ganze Land ins Visier zu nehmen. (…) Es ist zweifellos richtig, hochrangige Kremlbeamte oder Militäroffiziere ins Visier zu nehmen, um Sie von Ihrer Invasion der Ukraine abzubringen. Solche gezielten Sanktionen haben eine ganz klare Absicht. Ich beobachte derzeit jedoch eine Verschiebung in der Rhetorik und teilweise auch in der Praxis: Zunehmend wird die gesamte russische Bevölkerung als Feind behandelt. Und das ist ein riesiger Fehler. (…)  Die Menschen in Russland sollten als potenzielle Alliierte betrachtet werden. (…) Wenn die Sanktionen die ganze Bevölkerung als Feind behandeln, werden sie sich hinter die russische Flagge stellen. (…) Ich will mich nicht zu einzelnen Firmen äussern. Aber eine Firma, die nur Konsumgüter in Russland verkauft, bestraft durch ihren Abzug lediglich die russische Bevölkerung. Befürworter solcher Rückzüge glauben, dass damit die Bevölkerung dazu bewogen wird, sich gegen den Krieg zu stellen. Es bewirkt jedoch eher das Gegenteil: Die Bevölkerung wird sich angegriffen fühlen. Der Westen muss auf den Kreml zielen und gleichzeitig der russischen Bevölkerung die Hand reichen…“ Interview von Yves Wegelin in der WoZ vom vom 02.06.2022
  • Russlands ökonomische Krise trifft auch zentralasiatische Arbeitsmigranten: Exploitation oder Exodus
    „… Seit Russlands Angriff auf die Ukraine kriselt die Wirtschaft des Landes. Zahlreiche internationale Firmen haben sich vom russischen Markt zurückgezogen und Hunderttausende gut ausgebildete Menschen haben das Land wegen der Folgen der wirtschaftlichen Sanktionen oder der politischen Repression verlassen. Doch auch Millionen an Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus Usbekistan, Tadschikistan und Kirgistan, die in den vergangenen 30 Jahren zu einer wichtigen Quelle billiger Arbeitskraft für die russische Dienstleistungs- und Landwirtschaft sowie den Bausektor geworden sind, sind von der drohenden Rezession betroffen. Auch wenn es kaum verlässliche Statistiken gibt, arbeiten schätzungsweise eine Million kirgisische, mindestens ebenso viele tadschikische und über drei Millionen usbekische Migrantinnen und Migranten in Russland. Einkünfte, die diese an ihre Familien zu Hause überweisen, sind eine wichtige Stütze für deren verarmte Herkunftsländer. Das Bruttoinlandsprodukt Kirgistans und Tadschikistans besteht zu rund 30 Prozent aus solchen Rücküberweisungen, mit die höchsten Quoten weltweit. Die russische Krise ist damit auch die ihrige. »In Russland verschwinden die Arbeitsplätze, es wird gesagt, dass es ab jetzt nur noch für Russen Arbeit geben wird«, erzählt Atai Omursakow. (…) Der Krieg hat die Arbeitsmigration nach Russland weniger lukrativ gemacht hat, doch die in Russland Arbeitenden haben meist keine Alternative. »Zurückzukehren löst nicht das Problem, keine Arbeit zu haben. Das geht höchstens vorübergehend«, sagt die kirgisische Politikwissenschaftlerin Asel Doolotkeldiewa. Sie hält eine große Rückkehrwelle für eher unwahrscheinlich. Ihrer Meinung nach könnte sogar eine entgegengesetzte Tendenz eintreten, da Familien versuchen könnten, geringere Einkünfte zu kompensieren, indem weitere Angehörige zum Arbeiten nach Russland fahren. Das Hauptproblem ist Doolotkeldiewa zufolge, dass die Rücküberweisungen nach Kirgistan in Zukunft stark schrumpfen dürften. »Etwa 70 Prozent des überwiesenen Geldes wird für den Einkauf von Lebensmitteln ausgegeben«, sagt sie. (…) Was Doolotkeldiewa am meisten Sorgen bereitet, ist, dass die kirgisische Regierung das Problem nicht ernst nehme; sie betrachte die Arbeitsmigration nach Russland als einen praktischen Ausweg, um die sozialen Probleme im Land nicht selbst angehen zu müssen. »Es ist unglaublich, die reden nicht mal groß drüber. Jedes Jahr mahnen Organisationen, die sich mit der Migrationsfrage beschäftigen, dass wir zumindest die Zielländer unserer Migrationsströme diversifizieren sollten. Und jedes Jahr antwortet die Regierung ‚ja, ja‘ und vergisst es sofort wieder«, sagt sie frustriert…“ Artikel von Volodya Vagner vom 25. Mai 2022 in der Jungle World 2022/21

Quelle: labournet.de… vom 29. Juni 2022

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