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Die Zombies der New Economy

Eingereicht on 23. Dezember 2017 – 9:40

Critica. Eine Messe irgendwo in Deutschland: eine namenlose „Nicht-Journalistin“ trifft auf sechs Personen, die alle Teil jener Branche sind, die sich New Economy schimpft.  Sie erzählen von einem Arbeitsalltag, der geprägt ist von 16-Stunden-Tagen, Stress, Schlafmangel, Amphetaminen und Alkoholismus. Privatleben? Gibt es nicht, ist aber auch gar nicht erstrebenswert. Sich ausruhen?

Das sollen andere machen: Schwächere, die nicht aufsteigen wollen, die die Sprache der New Economy weder sprechen noch verstehen. Als genau dieses Leben schließlich im Selbstmord eines unbekannten Dritten mitten auf der Messe mündet, sitzt der Schreck tief – zum Aufwachen scheint es jedoch bereits zu spät.

Der 2004 erschienene Roman wir schlafen nicht von Kathrin Röggla beschreibt die Lebens- und Arbeitswelt der New Economy. Als Grundlage dienen Protokolle realer Interviews, die die Autorin mit AkteurInnen der Unternehmensberatung geführt hat. Diese wurden collagenhaft zu einer Echtzeiterzählung verwoben – die Handlung ist Fiktion, der Wahnsinn ist real.

Diesen Roman zu lesen ist vor allem eines: anstrengend. Durch die konsequente Kleinschreibung und sequenzartige Wiedergabe des Erzählten ist kaum nachvollziehbar, wer zu welchem Zeitpunkt spricht. Die Charaktere bleiben schattenrissartig und man wird das Gefühl nicht los, dass man irgendwas irgendwo überlesen hat. Doch genau das ist der eigentliche Punkt: wer hier zu Wort kommt, ist unerheblich. Das Individuum wird austauschbar in einer Umgebung, in der eigentlich alles auf Individualisierung und Selbstinszenierung ausgelegt ist. Dadurch ist der Roman ein gleichermaßen beeindruckendes wie erschreckendes Dokument einer Arbeitswelt der absoluten Entfremdung. Was erscheint wie eine Dystopie, in der aus Menschen Arbeitszombies werden, ist längst Realität.

Kathrin Röggla: wir schlafen nicht; Fischer Verlag, 220 Seiten, 8,95€

Quelle: diefreiheitsliebe.de…  vom 23. Dezember 2017

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