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Deutschland: Reiche „Ernte“ für Lokführer dank Streik

Eingereicht on 17. September 2021 – 17:37

Winfried Wolf. Der Herbst ist die Jahreszeit, in der die Ernte eingefahren wird. Und diese wird nun reichlich eingebracht – in die Scheunen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Und wie in der Landwirtschaft der Fall, so wurde die Ernte der Bahn-Beschäftigten mit harter Arbeit verdient. Beim dritten und nunmehr fünftägigen Streik, der am 7. September um zwei Uhr morgens endete, gelang es, rund 75 Prozent der Fernzüge, zwei Drittel der Nah- und Regionalzüge und S-Bahnen der Deutschen Bahn AG und einen großen Teil der Güterverkehrszüge von DB Cargo zum Stillstand zu bringen.

In einem internen Bahn-Papier, verfasst auf Basis der zweiten Streikwelle, gesteht der Vorstand der Deutschen Bahn (DB) AG eine „hohe Streikbeteiligung“ ein – wobei sich laut Bahn-Oberen bereits damals eine größere Zahl von „Fahrdienstleitern, Weichenwärtern, Wagenmeistern und Disponenten“ beteiligt hatte, also Beschäftigte aus Segmenten, in denen die GDL bis Ende 2021 keine Mitglieder hatte und wo sie auch noch nicht um Mitglieder warb.

Die 2021er-Streiks waren, wie bereits die von 2014/15, verbunden mit Dutzenden Kundgebungen und Solidaritätsaktionen. An den letzteren hatten sich auch hunderte Aktive aus DGB-Gewerkschaften beteiligt. Und vielerorts – sei es im Arbeitskampf bei Vivantes und bei der Charité in Berlin, sei es bei der Auseinandersetzung beim Teigwarenhersteller Riesa, sei es bei den Kämpfen im Bereich des Lieferdienstes Gorillas – hörte man Aussagen wie: „So konsequent wie die GDL-Bahnbeschäftigten müssten wir auch mal sein.“

Schreckensszenario: vierte Streikwelle kurz vor dem Wahltermin

All das steht in offenem Widerspruch zu den extrem feindseligen Äußerungen der DGB-Führung gegen die GDL. Dem Bahn-Management und nicht zuletzt „der Politik“ ist in den letzten Tagen bewusst geworden, dass die angekündigte vierte Streikwelle eine nochmals größere – und wegen des Wahltermins eine dann kaum noch kontrollierbare – Dynamik entfalten würde. Im Berliner Tagesspiegel wurde gar unterstellt, das gehöre „zum Kalkül“ des GDL-Vorsitzenden Claus Weselsky: „Vor der Bundestagswahl hat die Regierung kein Interesse an einem Scharmützel, das die Bahnfahrer nervt. Und so wird es am Ende einen teuren Frieden geben.“

Ob zutreffend oder nicht – sicher ist: Mit ihrem in diesem Punkt elefantösen Gedächtnis erinnerten sich Arbeitgeber und Regierende an den Arbeitskampf von 2014/15. Wie war das nochmal vor sieben Jahren… als ein letzter GDL-Streik begann, ohne dass ein Ende des Streiks benannt wurde? Zwar hatte die GDL-Führung das Wörtchen „unbefristet“ bewusst vermieden, doch darauf schien es hinauszulaufen – und damals bereits kapitulierten angesichts solcher Aussichten Bahn-Vorstand und Bundesregierung.

Eine weitere wichtige Frage beim Vergleich des aktuellen GDL-Kampfes mit der letzten GDL-Streikrunde lautete: Hatte damals, 2014/2015, die Dachorganisation der GDL, der Beamtenbund dbb, nicht gezögert, der GDL die vollinhaltliche Unterstützung zu gewähren, während er 2021 uneingeschränkt hinter dem GDL-Arbeitskampf steht – finanzielle Garantien inbegriffen? Nachdrücklich verwies die Frankfurter Allgemeine Zeitung Anfang September darauf, dass „man gerade bei der GDL eher nicht auf leere Streikkassen setzen sollte – sie verfügt über besonders große finanzielle Reserven. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die GDL zum dbb-Beamtenbund gehört“.

Geld regiert die Welt – und in Deutschland auch ein wenig die Streikwelt. All das zusammen führte dazu, dass die Verantwortlichen im Bahn-Tower und auch mehrere Ministerpräsidenten im aktuellen Arbeitskampf gar nicht erst den Beginn einer solchen vierten und dann möglicherweise nicht terminierten Streik-Runde abwarten wollten – und nun entnervt das Handtuch warfen.

Erfolg der GDL auf (fast) ganzer Linie

Jetzt wird die Ernte auf drei Ebenen eingebracht:

Ebene 1: der materielle Erfolg. Es gibt im Zeitraum 2021 bis 2023 für die GDL-Bahnbeschäftigten materielle Verbesserungen in Höhe von mehr als drei Prozent. Darunter befinden sich addierte Corona-Prämien in Höhe von 800 bis 1000 Euro je Beschäftigten, eine erste ausbezahlt bereits im Dezember 2021 (mit 400 respektive 600 Euro je Bahnbeschäftigten, wobei die Bahner mit geringeren Einkommen die höhere Prämie erhalten) und eine zweite auszuzahlen im März 2022 (mit 400 Euro je Bahnbeschäftigten). Auch hübsch: Für beide Prämien gilt steuerrechtlich brutto gleich netto. In der Summe sind die Lohnerhöhungen etwas höher als der Verdi-Abschluss im Öffentlichen Dienst, was ja der Referenzpunkt der GDL-Forderungen war.

Ebene 2: der soziale Erfolg: Der Angriff des Arbeitgebers auf die Alterseinkommen der Bahnbeschäftigten, den die Deutsche Bahn AG im frühen Sommer 2020 mit dem „Bündnis für unsere Bahn“ angekündigt hatte, hat einen krass unsozialen Charakter. Mit der nun mit dem Bahnkonzern getroffenen neuen Regelung wurde der Angriff auf die Alterseinkommen aller bisher im DB-Konzern aktiven Eisenbahner komplett abgewehrt.

Ebene 3: der tarifpolitische Erfolg: Der neue GDL-Tarifvertrag wird für alle Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVUs) des Bahnkonzerns, also für den gesamten Bahnbetrieb der DB, Gültigkeit haben, und in diesen EVUs dann für alle Berufsgruppen. Weiterhin nicht gültig ist der Vertrag in den Infrastrukturunternehmen DB Netz, Station und Service (Bahnhöfe) und DB Energie.

Wo eine Vielzahl neuer Mitglieder rekrutiert wurde

Das erklärte GDL-Ziel, auch in den Infrastrukturbereichen tariffähig zu sein, wurde also in diesem Arbeitskampf nicht erreicht. Die GDL war am Ende realistisch genug, nicht mehr auf diesem Anspruch zu bestehen – in dieser aktuellen Tarifrunde. Allerdings gelang es der GDL seit Anfang 2021 in den drei Infrastrukturgesellschaften des Bahn-Konzerns – DB Netz, DB Station und Service (Bahnhöfe) und DB Energie – einige Tausend neue Mitglieder zu rekrutieren, wohl in erster Linie im strategisch entscheidenden Bereich DB Netz. Das ist eine wichtige Basis für die künftigen Auseinandersetzungen im Bahnkonzern sowie zwischen der GDL und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG).

Im Übrigen ist allein dies eine Besonderheit in deutschen Landen: die GDL ist eine Gewerkschaft mit deutlich wachsender Mitgliederzahl – und es handelt sich zu mehr als 85 Prozent um Mitglieder im aktiven Arbeitsalter und nicht um Pensionäre.

Die Dynamik der GDL-Kämpfe seit 2008

Tritt man einen Schritt zurück und betrachtet die Entwicklung seit 2008 unter dem entscheidenden Aspekt „Geltungsbereich“, dann wird deutlich: Es gelang der GDL nunmehr seit fast eineinhalb Jahrzehnten, den Bereich, für den sie seitens der Bahnchefs Hartmut Mehdorn, dann Rüdiger Grube, jetzt Richard Lutz zähneknirschend als tariffähig anerkannt werden musste, kontinuierlich auszuweiten.

2007/2008 gab es bereits einen elf Monate andauernden Tarifkampf, an dessen Ende ein Haustarifvertrag für Lokführer (LfTV) mit einer 11 Prozent Volumen-Erhöhung stand. Allerdings gab es damals auch einen Grundlagentarifvertrag, der der GDL auferlegte, bis 2011 keinen Tarifvertragsabschluss für andere Beschäftigte abzuschließen.

2014/2015 gab es eine weitere, ebenfalls rund elf Monate andauernde Tarifauseinandersetzung bei der DB mit dem Ergebnis der Integration von Zugbegleitern, Bordgastronomen, Ausbildern und Teamleitern in den Tarifvertrag. Es kam also zu einer deutlichen Erweiterung des Geltungsbereiches der mit der GDL abgeschlossenen Tarifverträge. Erneut war dies verbunden mit einem Grundsatztarifvertrag, der den (erweiterten) Geltungsbereich festschrieb. Gleichzeitig regelte der Grundsatztarifvertrag die Anwendungsgarantie für die GDL-Tarifverträge bilateral zwischen DB und GDL. Festgehalten wurde darin, dass das am 1. Juli 2015 in Kraft getretene Tarifeinheitsgesetz (TEG) bis Ende des Tarifvertrags (was Ende 2020 war) nicht angewandt wird.

2020/2021 dann die bekannte, nunmehr neunmonatige Tarifauseinandersetzung mit drei Streiks und den oben beschriebenen Ergebnissen – also mit nochmaliger Ausweitung des GDL-Geltungsbereichs.

Nicht vergessen werden darf: Die GDL ist längst auch bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVUs), die nicht zum Konzern Deutsche Bahn AG zählen, aktiv – und dort seit geraumer Zeit die stärkste gewerkschaftliche Kraft. 2010/2011 gab es in diesem Bereich einen elfmonatigen GDL-Tarifkampf für Tarifverträge in den Wettbewerbsunternehmen Veolia, Netinera, HLB, Keolis und andere. Diese Arbeitgeber wehrten sich grundsätzlich gegen den Tarifpartner GDL.

Das Ergebnis war ein eigenständiger Bundesrahmen-Tarifvertrag für Lokführer (BuRa-LfTV) mit einer Tariflogik zur Anpassung nach oben auf ein einheitliches Niveau mit dem Marktführer Deutsche Bahn. Der Schutzwettbewerb „private“ Bahn versus DB wurde damit deutlich eingegrenzt. „Privat“ hier in Anführungszeichen, da sich hinter mehreren dieser Unternehmen staatliche Bahnen aus Italien oder den Niederlanden verbergen.

Zurück zur Entwicklung innerhalb des DB-Konzerns: Es gibt heute einen wichtigen Unterschied hinsichtlich der Dynamik „Ausweitung des GDL-Geltungsbereichs“: Während die Zugbegleiter, für die die GDL nach dem Arbeitskampf 2008 noch nicht mit abschließen durfte, sieben Jahre warten mussten, bis sie dann 2015 „mit dran“ waren und im neuen GDL-Tarifvertrag Berücksichtigung fanden, liegt vor den neuen GDL-Mitgliedern in den Infrastrukturbereichen der nächste Stichtag nur gut zwei Jahre voraus: am 1. November 2023 läuft der neue Tarifvertrag aus.

Alles spricht dafür, dass die GDL alles daran setzen wird, im gesamten produktiven Bereich des Bahnkonzerns als tariffähig anerkannt zu werden. Das Tarifeinheitsgesetz, das in der aktuellen Auseinandersetzung bereits eine wichtige Rolle spielte, zwingt sie dazu. Zugleich könnte sich ebendieses Gesetz in Bälde auf fatale Weise gegen die EVG wenden – und zwar überall in den DB-Betrieben, in denen die GDL sich dem Punkt der relativ stärksten Gewerkschaft nähert.

Erkennbar also ist: Wer sät, der erntet. Und mit dem neuen Tarifvertrag ist bereits eine Aussaat ausgebracht, die Ende 2023 erblühen könnte.

Streikrecht nicht Teil des Grundgesetzes

Dabei brachten die GDL-Mitglieder 2021 ihre gute Ernte unter höchst widrigen Witterungsverhältnissen ein: Ein großer Teil der Mainstream-Medien griff die GDL frontal und demagogisch an. Von Erpressung (durch die GDL), Geiselhaft (der Fahrgäste, wenn nicht der gesamten Republik) und einem „reinen Machtstreben“ (des GDL-Bundesvorsitzenden) war da die Rede. Die Unternehmerverbände forderten offen die Einschränkung des Streikrechts. In einer Leserbriefdebatte der FAZ wurde daran erinnert, dass das Grundgesetz keineswegs das Streikrecht legitimiere.

Und das ist korrekt: Im Grundgesetz finden sich die Worte „Streik“ oder „Streikrecht“ nicht. Dabei gab es bei Erarbeitung des Grundgesetzes eine entsprechende Debatte – und es wurde bewusst darauf verzichtet, das Streikrecht in der Verfassung zu verankern. Jahrzehntelang gab es in der „alten BRD“ eine Debatte über die Rechtmäßigkeit von Streiks. Arbeitsrechtler wie Wolfgang Abendroth leiteten ein indirekt in der Verfassung verankertes Streikrecht aus Artikel 9 Abs. 1 G ab. Doch dort ist „nur“ ein Koalitionsrecht festgehalten.

Konservative Arbeitsrechtler hingegen, maßgeblich vertreten durch den bereits in der Nazizeit auf diesem Gebiet aktiven Hans C. Nipperdey, argumentierten, es gebe ein im Grundgesetz verankertes „Recht am eingerichteten Betrieb“, weswegen Streiks, die die umfassende Unternehmerfreiheit in Frage stellten, grundsätzlich kritisch zu beurteilen seien. Wenn heute mehr oder weniger nonchalant von einem Streikrecht als verfassungsmäßig garantiert ausgegangen wird, dann ist das allein Ergebnis der Praxis dieser Arbeitskämpfe – und eines damit zugunsten der Gewerkschaften veränderten gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses.

Die DGB-Polemik gegen die GDL

Umso fataler ist dann, dass ausgerechnet der führende DGB-Mann im aktuellen GDL-Arbeitskampf diese GDL frontal und demagogisch angriff. Im 14-Tages-Rhythmus hatte sich der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, mit seiner GDL-Kritik geäußert. Entsprechende Interviews erschienen im Tagesspiegel (12. 8.), im Spiegel (21.8.) und in der Rheinischen Post (4.9.2021). Sie fanden breite Resonanz, u.a. in der ARD-Tagesschau (4.9.) und im Handelsblatt (6.9.).

Eine wesentliche Aussage Hoffmanns lautete: „In der aktuellen Auseinandersetzung geht es der GDL (…) weniger um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen.“ Der Arbeitskampf werde durch sie „instrumentalisiert“.

Tatsächlich entsprachen die GDL-Ausgangsforderungen eins zu eins denjenigen, die die DGB-Gewerkschaft ver.di im Frühjahr 2021 für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst durchgesetzt hatte. Das Arbeitsgericht in Frankfurt am Main und das Landesarbeitsgericht Hessen werteten – nachdem sie von der Deutschen Bahn eingeschaltet wurden – die GDL-Forderungen als grundsätzlich gerechtfertigt.

Die Behauptung, der Arbeitskampf werde „instrumentalisiert“, entspricht eher dem Vokabular der Neoliberalen. Abgesehen davon, dass ein Arbeitskampf immer auch ein „Instrument“ ist, um etwas zu erreichen, appelliert damit der Hoffmann an die in der gewerkschaftsfeindlichen Öffentlichkeit vertretene Auffassung, dass ein Streik eher etwas Ungutes sei. Er lieferte im Vorfeld der juristischen Auseinandersetzung Argumente für die Richter an Arbeitsgerichten, mit denen ein Verbot der GDL-Streiks hätte begründet werden können.

Hoffmann präzisierte seine GDL-Kritik am 4. September im Gespräch mit der Rheinischen Post mit der Behauptung: „Was wir kritisch sehen, ist, dass hier eine Berufsgruppe wie die Lokführer ihre partikularen Interessen gegen das Gesamtinteresse aller anderen Bahn-Beschäftigten durchsetzt (…). Die Beschäftigungsgruppen in einem Unternehmen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden“.

Auch das ist eine für einen Gewerkschaftsfunktionär problematische Aussage, die erneut dem neoliberalen Vokabular entstammt. Grundsätzlich kämpfen Gewerkschaften immer für ihre jeweilige Klientel – und die ist immer „partikular“. Dass damit „Beschäftigungsgruppen gegeneinander ausgespielt“ werden, ist doppelt falsch. Zum einen, weil der DGB-Chef hier so tut, als würden allein die Lokführer streiken. Tatsächlich vertritt die GDL, wie beschrieben und wie dem DGB-Chef natürlich sehr gut bekannt, längst auch das übrige Personal in den Zügen und hat darüber hinaus Mitglieder in anderen Bereichen des Bahnkonzerns.

Es ist zum anderen falsch, weil die EVG in ihrem Ende 2020 abgeschlossenen Tarifvertrag eine pfiffige Öffnungsklausel eingebaut hat. Danach kann die EVG dann, wenn der Bahnkonzern mit einer anderen Gewerkschaft, sprich mit der GDL, einen Tarifvertrag mit höheren Entgelten abschließt, nachverhandeln. Diese Huckepack-Klausel heißt: Schließt die GDL einen deutlich besseren Vertrag als die EVG ab, wird die EVG de facto nachziehen.

Das dürfte auch nach dem aktuellen GDL-Tarifvertrag, der im Vergleich zum Ende 2020 abgeschlossenen EVG-DB-Tarifvertrag rund doppelt so hohe Entgelterhöhungen mit sich bringt, stattfinden. Womit das „Auseinanderspielen von Berufsgruppen“ sich erübrigt haben sollte. Es sind tatsächliche alle Bahn-Beschäftigte, die von dem GDL-Erfolg profitieren.

Eigentor in Sachen „Schoßhündchen“

Schließlich verstieg sich Reiner Hoffmann in seiner GDL-Kritik auf die Ebene der politischen Positionierung: „Der Bundesvorsitzende des Beamtenbundes dbb, zu dem die GDL gehört, verunglimpft die EVG als ‚Schoßhündchen des Bahn-Vorstandes‘. Das ist unerträglich.“ Das ist dann ein eindeutiges Eigentor, das Kollege Hoffmann schoss. Die EVG, damals mit Namen Transnet, hat in den Jahren 2006 bis 2008 den Börsengang-Kurs des Bahn-Chefs Hartmut Mehdorn mitgetragen. Als Belohnung wechselte im Mai 2008 der Transnet-Vorsitzende Norbert Hansen in den DB-Vorstand. Die beiden Nachfolger im Amt des EVG-Chefs, Alexander Kirchner und Dieter Hommel (letzterer ist der aktuelle EVG-Chef), trugen in den Jahren 2005 bis 2008 in führenden Positionen ihrer Gewerkschaft den Kurs zur Bahn-Privatisierung engagiert mit.

Dass sich nun ausgerechnet der DGB-Chef beim Thema „Schoßhündchen“ aus dem Fenster lehnt, ist pikant. Beschloss doch der DGB im März 2007 mehrheitlich, die Bahn-Privatisierung abzulehnen – wobei Transnet damals im DGB-Bundesvorstand für den Bahnbörsengang optierte. Das veranlasste damals die FAZ zur Schlagzeile „Eklat im Bundesvorstand des DGB“ Ach ja, das sei lange her? Doch wie war das jüngst? Im Mai 2020 stimmte die EVG dem bereits erwähnten „Bündnis für unsere Bahn“ zu, das vom Arbeitgeber DB und dem Bundesverkehrsminister aufs (abschüssige) Gleis gesetzt wurde.

In dem von der EVG mitunterzeichneten Text heißt es: „Einsparpotenziale werden durch kostensenkende Maßnahmen beim Personal- und Sachaufwand gehoben.“ Damit unterzeichnete der EVG-Vorstand ohne Zwang einen Text, der explizit Einkommenseinschnitte bei den Bahn-Beschäftigten vorsah – was eine Vorwegnahme des späteren EVG-Tarifabschlusses mit Reallohnabbau war – dann noch ergänzt um Einschnitte bei der Betriebsrente. Natürlich sind nicht alle EVG-Mitglieder Schoßhündchen-Gewerkschafter. Doch ihre Führer agieren wie Arbeitgeber-Schoßhündchen.

GDL-Erfolg stärkt Bahn-Beschäftigte – und damit die Verkehrswende

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung stellte einen interessanten Zusammenhang zwischen Verkehrswende und Kampf gegen die GDL her. Unter Bezugnahme auf die Bundestagswahl, das Thema Klimaschutz und Forderungen zur Stärkung der Schiene argumentierte das Großbürgerblatt:

Derzeit nutzt die Lokführergewerkschaft das Streikinstrument für eine brutale Machtdemonstration. Was wird dann erst, wenn noch mehr deutsche Pendler, Geschäftsreisende und Urlauber auf den Zug angewiesen sind? (…) Die propagierte Verkehrswende, um die es auch auf der IAA in München (…) geht, sowie die Investitionen in die Schiene werden die Macht der Bahngewerkschaften noch steigern. Künftig können sie Deutschland dann wirklich stilllegen. Deswegen ist nicht viel Fantasie nötig für die Prognose, dass nach der Verkehrswende die Lokführer ihr zusätzliches Erpressungspotential nutzen und abkassieren.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. September 2021

Das wurde geschrieben, als die dritte GDL-Streikwelle noch lief und eine vierte, möglicherweise nicht mehr befristete drohte. Faktisch war das ein Appell an die alte und dann neue Bundesregierung, eine Art Etappentheorie zu erfolgen: Zuerst müsste der GDL eine saftige Niederlage beigebracht und das Streikrecht im Bereich öffentlicher Verkehr eingeschränkt werden, bevor ernsthaft an eine Verkehrswende mit Stärkung der Schiene zu denken sei.

Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die Stärkung der Position der Bahn-Beschäftigten, die dieser GDL-Arbeitskampf erneut mit sich brachte, wird sich in einer Stärkung der Schiene insgesamt niederschlagen. Beides sind Voraussetzungen für eine erfolgreiche Verkehrswende. Nur zufriedene und wertgeschätzte Beschäftigte erbringen gute Leistung. Und damit eine nachhaltige Ernte zugunsten der Fahrgäste, aller Bahn-Beschäftigten und des Klimaschutzes.

Quelle: heise.de… vom 17. September 2021

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