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Griechenland: «Eine Alternative links von Syriza aufbauen»

Eingereicht on 18. Dezember 2017 – 10:39

Kein anderes europäisches Land traf Krise so hart wie Griechenland. Und nirgends ist der Widerstand größer. Panos Garganas berichtet über die Pläne der Troika, den Verrat von Syriza und den Kampf gegen Rassismus. Sein Fazit: Die Stimmung geht zurzeit nicht nach rechts.

Panos Garganas lebt in Athen. Er ist Mitglied der SEK (Sozialistische Arbeiterpartei) und des antikapitalistischen Bündnisses Antarsya sowie Herausgeber der »Ergatiki Allilegii« (Arbeitersolidarität).

In Deutschland ist es still geworden um die Krise in Griechenland. Wie ist die aktuelle Lage?

Die Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und IWF verlangt von Griechenland in den nächsten Jahren einen Haushaltsüberschuss von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und danach einen dauerhaften Überschuss von zwei Prozent. Dieser soll verwendet werden, um die immensen Schulden zurückzuzahlen.

Kann das gelingen?

Ich glaube nicht, dass die griechischen Schulden jemals »tragbar« sein werden, selbst wenn diese Überschüsse erreicht würden. Aber allein der Versuch, einen Haushaltsüberschuss in dieser Höhe zu erzielen, wird verheerende Folgen für die Arbeiterklasse haben.

Welche?

In den letzten sieben Jahren gab es bereits 23 Rentenkürzungen weitere werden folgen. Auch die Nettolöhne sinken immer weiter, nicht zuletzt wegen der vielen Steuererhöhungen. Gerade erst wurde eine weitere Steuerreform verabschiedet, die vor allem Geringverdiener trifft. Bis jetzt galt eine Einkommensgrenze von 1000 Euro im Monat. Diejenigen, die weniger verdienten, mussten keine Einkommensteuer zahlen. Diese Grenze wird nun auf 700 Euro gesenkt. Hinzu kommen massive Kürzungen im öffentlichen Dienst. Seit sieben Jahren werden die Sozialausgaben und die Ausgaben für Schulen und Krankenhäuser gekürzt. Aufgrund der Vereinbarungen mit der Troika gibt es keinerlei Aussicht darauf, dass diese Ausgaben in absehbarer Zeit wieder angehoben werden.

In Deutschland schreiben die Zeitungen, die wirtschaftliche Lage in Griechenland stabilisiere sich…

Das ist vollkommen verlogen. Für wen stabilisiert sich denn die Lage? Sie hat sich für die Banker stabilisiert, die bessere Chancen haben, dass ihre Forderungen bedient werden. Aber selbst das ist unklar. Das einzig Sichere ist momentan, dass die Arbeitnehmer den Preis zahlen. Der Niedergang, den Griechenland nach dem ersten Rettungspaket erlebt hat, ist beispiellos. Es hat seither ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung verloren. Die Arbeitslosigkeit ist auf 30 Prozent gestiegen.

Sind die Löhne nicht irgendwann so niedrig, dass wieder mehr Menschen beschäftigt werden müssten?

Alle hofften, dass mit dem Ende der Rettungspakete und einer Erholung der Wirtschaft eine Verringerung der Arbeitslosigkeit eintreten würde. Hierfür gibt es jedoch keinerlei Anhaltspunkte. Der öffentliche Sektor darf nicht einstellen, denn Teil der Vereinbarung ist, dass für fünf Beschäftigte, die in Rente gehen, nur eine Stelle neu besetzt werden darf. Die Vereinbarungen sehen außerdem massive Privatisierungen vor. Die meisten öffentlichen Unternehmen wurden bereits verkauft, doch es gibt noch Unternehmen in Staatshand. Diese sollen nun auch privatisiert werden.

Was bedeuten die Privatisierungen für die Beschäftigten?

Jede Privatisierung bedeutet eine Reduzierung von Arbeitskräften. Der einzige Sektor, der momentan wächst, ist die Tourismusbranche, weil Griechenland so billig geworden ist. Der Tourismus entwickelt sich gut, die Arbeitsbedingungen in dieser Branche sind allerdings miserabel: kurze Arbeitsverhältnisse, keine Tarifverträge, hohe saisonale Schwankungen, niedrige Löhne und häufig nicht einmal Arbeitsverträge.

Diktiert die Troika immer noch unmittelbar die griechische Politik?

Die Vereinbarung, die Syriza mit der Troika getroffen hat, sieht alle sechs Monate eine Überprüfung vor. Im Herbst werden die Repräsentanten der Troika wieder nach Griechenland kommen, um eine neue Vereinbarung mit der Regierung zu treffen. Der Schwerpunkt wird dieses Mal eine Reform der Arbeitsbeziehungen sein. Es gibt noch keine konkreten Maßnahmen, aber was wir hören ist, dass es vor allem die Gewerkschaften treffen wird. Ihnen soll es erschwert werden, zu streiken. Sie müssen dann zum Beispiel Vollversammlungen organisieren und nur, wenn mehr als die Hälfte der Beschäftigten zustimmt, können sie zu einem Streik aufrufen.

Was denken die Menschen heute über Syriza?

Syriza liegt in den Umfragen bei unter 20 Prozent, die konservative Nea Dimokratia (ND) bei knapp 30 Prozent. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Stimmung nach rechts geht. Syriza hat die Hälfte ihrer Stimmen verloren, die Rechten haben jedoch an absoluten Stimmen nicht hinzugewonnen. Menschen, die Hoffnungen in Syriza hatten, warten ab oder suchen nach linken Alternativen. Einige schauen auf die Kommunistische Partei (KKE), einige auf Laiki Enotita (deutsch: Volkseinheit), eine linke Abspaltung von Syriza, einige auf Antarsya das antikapitalistische Wahlbündnis, dem auch meine Organisation, die SEK, angehört. Es herrscht große Enttäuschung, aber die Menschen werden nicht passiv oder gehen nach rechts, sie sind weiterhin aktiv.

Kann die extreme Rechte weiter von der Krise profitieren?

Nein. Und das liegt an der Stärke der Bewegungen gegen Rassismus und Faschismus. Ein Beispiel dafür war ihre Hetzkampagne gegen den Schulbesuch von Geflüchteten. Unter öffentlichem Druck hatte sich die Regierung entschieden, geflüchteten Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen. Allerdings sollten sie nicht in normale Klassen kommen, sondern von den anderen Kindern getrennt am Nachmittag unterrichtet werden. Die Nazis nutzten diese Schwäche und versuchten in einigen Städten, die Schulen nachmittags zu blockieren.

An einer Schule griffen sie eine Versammlung von Lehrkräften an. Unter den Angreifern war auch ein Abgeordneter der Goldenen Morgenröte. Am nächsten Tag gab es eine Gegendemonstration, organisiert von der örtlichen Lehrergewerkschaft. Sie war ein großer Erfolg und motivierte Menschen an anderen Orten, das Gleiche zu tun. Das war eine klare Kampfansage an die Nazis. Die rassistische Kampagne wurde zurückgeschlagen und die geflüchteten Kinder kamen in den Regelunterricht.

Was ist aus dem Prozess gegen die Führer der Goldenen Morgenröte wegen des Mordes an dem Antifaschisten Pavlos Fissas geworden?

Zuerst versuchten die Nazis, sich auf ihre parlamentarische Immunität zu berufen. Dann versuchten sie, die Vorwürfe gegen sie als Lügen darzustellen. Sie behaupteten, dies sei ein politisches Verfahren gegen die Rechte und gegen den griechischen Nationalismus. Aber es wurden hunderte Zeugen angehört und die Beweislast wird immer erdrückender. Jede Aussage hat weitere Belege hervorgebracht, dass die Führung der Goldenen Morgenröte Angriffe und Morde zentral geplant und ausgeführt hat.

Der Prozess hat aufgedeckt, dass sie systematisch örtliche Banden aufgebaut hat, um Migranten, Geflüchtete, Gewerkschafter und Linke zu terrorisieren. Die Gerichtsverhandlungen werden noch einige Monate weitergehen. Doch es läuft nicht gut für die Nazis. Kommentatoren erwarten, dass die Angeklagten am Ende verurteilt werden.

Gibt es viel rechte Gewalt gegen Geflüchtete und Migranten?

Ja, aber auch großen Widerstand. Ein Beispiel dafür waren die Angriffe auf zugewanderte Landarbeiter, insbesondere aus Pakistan, in Aspropyrgos, einem Vorort von Athen. Die Nazibanden operierten, wenn es dunkel wurde. Sie versteckten sich hinter Büschen an unbeleuchteten Straßen und überfielen die Arbeiter, die von den Feldern nach Hause kamen. Etwa 15 Menschen wurden durch Angriffe von Nazis verletzt. Daraufhin organisierte die pakistanische Gemeinde eine Demonstration im Dorf. Das Anti-Nazi-Bündnis KEERFA unterstützte sie.

Wir organisierten eine antifaschistische Demonstration genau dort, wo die Angriffe stattgefunden hatten. Die Mobilisierung war gewaltig. Doch die Polizei stand auf der Seite der Faschisten. Wir konnten zwar durch das Dorf demonstrieren und die Landarbeiter konnten sich der Demonstration anschließen, aber als die Demo das Dorf verließ, griff die Polizei uns an. Mehrere Leute wurden verletzt.

Wie habt ihr reagiert?

Am nächsten Tag haben wir eine Pressekonferenz direkt vor der Polizeiwache organisiert. Danach gab es eine zweite antifaschistische Demonstration. Letztlich war der Druck so groß, dass die Regierung gezwungen war, die Polizei zu veranlassen, die Nazibanden zu verhaften. Danach endeten die Angriffe. Es ist ein großer Erfolg der Bewegung, dass trotz der sozialen Krise der Antifaschismus und Antirassismus in der Bevölkerung so stark sind.

Wie steht es um die sozialen Kämpfe und den Widerstand in den Betrieben? Gibt es Erfolge? Und welche Rolle spielen die Gewerkschaften?

Als im Zuge der zweiten Überprüfung der Troika im Mai ein neues Sparpaket vom Parlament verabschiedet wurde, haben die Gewerkschaften einen erfolgreichen Generalstreik organisiert. Danach kam es im Juni, als 10.000 bis 15.000 befristet Beschäftigte bei der Müllentsorgung entlassen werden sollten, zu einem weiteren großen Arbeitskampf. Doch je höher man in der Gewerkschaftsbürokratie kam, desto größer wurde der Widerstand dagegen, sich für die Interessen von befristet Beschäftigten und Leiharbeitskräften einzusetzen. Es war die Aktivität an der Basis, die die Gewerkschaftsführung dazu zwang, zum Streik aufzurufen. Die Arbeiterinnen und Arbeiter besetzten die Mülldeponien. Für zehn Tage fuhr nicht ein einziges Müllfahrzeug hinaus. Es gab riesige Streikversammlungen. Nicht nur befristet Beschäftigte haben sich beteiligt, sondern auch die Festangestellten. Schließlich musste die Regierung die Entlassungen zurücknehmen. Es war ein voller Erfolg, trotz der Versuche, die Bewegung zu spalten.

Gibt es solche erfolgreichen Streiks öfter?

Ja, im Juli fanden auch Streiks von Hotelbeschäftigten und in Restaurants statt. Im gleichen Monat streikten auch die Beschäftigten im Einzelhandel gegen die Erweiterung der Ladenöffnungszeiten. In einer Fabrik für Plastiktüten am Stadtrand von Athen kämpften die Beschäftigten erfolgreich für bessere Arbeitsbedingungen. In den Krankenhäusern gab es eine ganze Welle von Arbeitskämpfen für mehr Personal, die in Thessaloniki begann und dann mehrere Städte erfasste. Das sind alles nur einzelne Beispiele von Widerstand, aber in der letzten Zeit hatten wir viele davon.

Wie erklärst du dir das?

Es gibt einen hohen Grad an Aktivismus in der griechischen Arbeiterklasse und dieser Faktor ist sehr entscheidend. Als Syriza in die Regierung ging, dachten viele, dies sei das Ende der Opposition gegen die Austeritätspolitik. Immerhin gab es nun eine Regierung der Linken. Doch sie irrten sich, denn die Kürzungspolitik wurde in verschärfter Form weitergeführt. Das beständig hohe Niveau an Arbeitskämpfen ist auch der Grund, warum nun die Arbeitsbeziehungen reformiert und das Streikrecht eingeschränkt werden soll. Die Regierung sieht, dass die Gewerkschaften geschwächt werden müssen, um die Vereinbarungen mit den Gläubigern umzusetzen.

Kam die Rechtswende von Syriza überraschend?

Nicht so sehr, wie oft behauptet wird. Die Führung der Partei besteht aus Leuten, die ihre politischen Wurzeln in Synaspismos haben. Das war der rechteste Teil dessen, was man als breitere Linke bezeichnen kann.

Wie steht die Partei heute da?

Bis zum Beginn des Regierungseintritts hat Syriza neue Mitglieder gewonnen. Zwar nicht in dem Maße, wie sie Stimmen bei Wahlen gewann innerhalb kürzester Zeit stiegen damals die Wahlergebnisse von drei auf fast 30 Prozent, aber sie konnte ihre Mitgliederzahl etwa verdoppeln. Heute hat Syriza fast die Hälfte der Stimmen und sehr viele Mitglieder verloren. Einige bildeten die neue Partei Laiki Enotita oder gingen in die Partei der ehemaligen linken Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou, »Kurs der Freiheit«.

Also konnte die radikale Linke vom Niedergang von Syriza profitieren? Wie setzt sie sich heute zusammen?

Die größte Organisation der radikalen Linken ist nach wie vor die Kommunistische Partei. Sie ist zwar sehr gut organisiert, allerdings auch ziemlich sektiererisch. Deswegen hat sie, trotz der Chancen durch die Krise von Syriza kaum neue Leute anziehen können. Laiki Enotita hingegen ist leider sehr geprägt von einem Gefühl der Enttäuschung. Ihre Führung war ein wichtiger Teil von Syriza. Sie hatte zunächst die Hoffnung, die Partei kontrollieren zu können. Deswegen haben sie sich erst sehr spät dazu entschieden, sich abzuspalten. Als sie es im Sommer 2015 schließlich taten, ging ein Drittel des Zentralkomitees von Syriza in die neue Partei und sie hofften, viele Parteimitglieder und Wählerinnen und Wähler mitziehen zu können. Doch das trat nicht ein. Bei der Parlamentswahl bekam Laiki Enotita weniger als drei Prozent und verpasste damit den Einzug. Das war die zweite große Enttäuschung. So ist die Partei bis heute von einer tiefen Demoralisierung geprägt.

Das klingt nicht nach Aufbruchsstimmung. Welche Potenziale siehst du für die Opposition links von Syriza?

Das ist nur die subjektive Lage der Linken. Die objektiven Möglichkeiten sind nicht schlecht. Vor kurzem hat eine große Zeitung, die Syriza nahesteht, eine interessante Wahlumfrage durchgeführt. Sie befragten die Leute nicht nur, wen sie wählen würden, sondern sie fragten: Welche Partei würden Sie mit achtzigprozentiger Sicherheit wählen und welche Partei mit fünfzigprozentiger Sicherheit? Somit gaben sie den Befragten eine Chance zu artikulieren, wohin sie tendieren.

Wenn man sich die Ergebnisse für die radikale Linke KKE, Laiki Enotita, »Kurs der Freiheit« und Antarsya anschaut, dann kommt sie zusammen auf knapp 25 Prozent.

Das bedeutet ein Viertel der Wählerinnen und Wähler kann sich vorstellen, Parteien links von Syriza zu wählen. Das ist ein Indikator dafür, dass ein großer Teil der Bevölkerung mit Syriza gebrochen hat, sich jedoch weiterhin als links versteht, nun seinen Blick auf die radikale Linke richtet und schaut, was dort passiert.

Was ist deine Vorstellung, wie die griechische Linke den Widerstand aufbauen und ausbauen kann?

Ich plädiere dafür, dass es gemeinsame Aktivitäten der gesamten Linken geben muss, um eine Alternative links von Syriza anzubieten. Das bedeutet, dass wir gemeinsam die Streiks und die antirassistischen und antifaschistischen Bewegungen aufbauen müssen. Während wir das tun, können wir über ein alternatives Programm diskutieren. Meine Organisation, die SEK, unterstützt das Bündnis Antarsya, das nicht nur mit den Vereinbarungen der Gläubiger brechen will, sondern auch mit dem Kapitalismus.

Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein, mit der KKE und Laiki Enotita eine offene Debatte darüber zu führen, was für ein Programm den Bewegungen nützlich sein kann. Wir müssen zu einer Einheit der Linken kommen, um eine Alternative für die vielen Menschen anzubieten, die nun auf uns schauen. Diese Leute wurden von Syriza verraten und enttäuscht, aber sie wollen weitergehen. Wir müssen gemeinsam versuchen, diesen Wunsch wahr werden zu lassen.

Das Gespräch führte Klaus Henning.

Quelle: marx21.de… vom 18. Dezember 2017

 

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