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Frankreich: Nach dem “Akt 13″ der Gelbwesten-Proteste vom 9. Februar 19

Eingereicht on 12. Februar 2019 – 15:54

Bernard Schmid. Abgerissene Hand eines Demonstranten vor der französischen Nationalversammlung – faschistische Attacke auf den “antirassistischen Block” in Lyon endet mit Lädierungen (für die Faschisten!) – Autonomenfestival in Paris – Regierungspolitiker versucht eine antisemitische Schmiererei in Paris mit den Gelbwesten in Zusammenhang zu bringen; das Opfer widerspricht ausdrücklich.

Die Protesttage folgen aufeinander, und ähneln sich nicht. Denn die bedeutende Heterogenität in der Zusammensetzung der Protestkräfte sorgt dafür, dass abwechselnd unterschiedliche Spektren mit unterschiedlichen Aktionsformen in den Vordergrund rücken. Die öffentliche Wahrnehmung der Demonstrationen am vorigen Samstag, den 09.02.19 in Paris – das Innenministerium spricht von 4.000 Protestierenden auf den Straßen der Hauptstadt, protestnahe Kreise von über 10.000 ; frankreichweit spricht das Innenministerium dieses Mal von 51.400 Teilnehmenden (vgl. lemonde.fr…) – wurde etwa stark durch das autonome Milieu geprägt.

Aber auch das Thema Polizeigewalt, das seit mehreren Wochen – auch für wachsende Teile der linksliberalen Öffentlichkeit immer deutlicher erkennbar – im Raum steht, blieb sehr präsent.

Kurz vor Abschluss der Demonstration – die von den Champs-Elysées (im Nordwesten von Paris), auf denen das Demonstrieren erlaubt war, die jedoch z.T.  mit Absperrplatten gründlich verbarrikadiert wurden, wie Invalidenplatz im südwestlichen Zentrum führte – kam der Protestzug an der französischen Nationalversammlung vorbei. Diese ist derzeit von einer Baustelle umgeben. Eine Reihe von aktionsdürstigen und/oder neugierigen Teilnehmer/inne/n versuchten an diesem Ort, über den Zaun zu klettern. Daraufhin setzten die rund um das Parlament zusammengezogenen Polizei- und Gendarmeriekräfte Tränengas-, aber auch Blendschockgranaten ein. Unter ihnen befand sich (mindestens) eine Offensivgranate vom als besonders gefährlich geltenden Typus GLI-F4; in ihm sind 25 Gramm des Sprengstoffs TNT enthalten. Diese als Distanzwaffe zum Auflösen « feindseliger Menschenmengen » eingesetzte Granate setzt gleichzeitig Tränengas frei, entwickelt durch Lärm und einen Lichteffekt (aus der Nähe) eine Schockwirkung, und weist eine erhebliche Sprengkraft aus. Ende Oktober 2014 starb durch den Einsatz dieser Granate der Umweltaktivist Rémi Fraisse (der erste getötete Demonstrant seit Michal Vitalon am Atomkraftswerksbauplatz in Creys-Malville am 31. Juli 1977 sowie Malek Oussekine, den Anfang Dezember 1986 motorisierte Schlägerpolizisten der kurz darauf aufgelösten Einheit der voltigeurs in Paris totschlugen). Seitdem verzichtet der Staat offiziell sogar auf den Einsatz dieses Granatentyps, der in Europa bei Sicherheitskräften in anderen Staaten keine Entsprechung aufweist – allerdings darf etwa die Gendarmerie ihn noch «bis 2020» einsetzen, bis nämlich «die Vorräte aufgebraucht» sein werden. (Vgl. lefigaro.fr…)

An diesem Samstag Nachmittag zerfetzte die, oder eine (falls es doch mehrere waren), die Hand eines rund dreißigjährigen jungen Mannes respektive riss vier Finger von ihr ab. Der Schwerverletzte, der sich noch bei vollem Bewusstsein befand, als er abtransportiert wurde, heißt Sébastien Maillet und kommt aus der nordwestlich von Paris liegenden Trabantenstadt Argenteuil. Dort soll nun, vom Rathaus der Stadt ausgehend, am Mittwoch ab 18 Uhr ein örtlicher Protestmarsch stattfinden ; Sébastien Maillet wird durch seine Familie und sein soziales Umfeld unterstützt. Die Regierung, der die Sache ein wenig brenzlig zu riechen scheint, beeilte sich, die Einleitung einer Untersuchung zu dem Vorfall – wie es zum Granateneinsatz und dem Verlust der Hand kommen konnte – anzukündigen; Innenminister Christophe Castaner erklärte, das Ergebnis zu «bedauern » (vgl. lefigaro.fr…). Es ist noch ungeklärt, in welcher Position sich Sébastien Maillet zum fraglichen Zeitpunkt genau befand. Es kristallisiert sich jedoch aus mehreren Berichten heraus, dass er mutmaßlich nicht selbst auf den Zaun geklettert war, sondern daneben stand und Aufnahmen machte; in manchen ersten Presseberichten wurde er deswegen als «Photograph» bezeichnete, Bekannte korrigierten jedoch, er sei dies nicht von Beruf. Von Regierungsseite wird korrigiert, er habe die Granate möglicherweise aufheben wollen, um sie von sich (oder in Richtung Einsatzkräfte zurück) zu werfen; seine Familie bestreitet dies jedoch explizit.

In Reaktion auf dieses Ereignis bildete sich ein Anwaltskollektiv, das nun vom Conseil d’Etat («Staatsrat», dem höchsten Verwaltungsgericht) fordert, den Einsatz dieses Granatentyps zu verbieten. Im Falle einer anderen umstrittenen Distanzwaffe, dem Hartgummigeschoss-Gewehr LBD 40, hatte der Conseil d’Etat allerdings vor nunmehr zehn Tage in einer Aufsehen erregenden Entscheidung ein Verbot abgelehnt, u.a. mit der Begründung, ihr Einsatz erspare das Risiko, dass potenziell tödliche Schusswaffen benutzt würden.

Unabhängig davon, und zeitlich davor, feierte die autonome Szene an diesem Samstag ihr Festival. Ihm gelang es, nachdem die Hauptdemonstrationen mittlerweile, anders als im November und Dezember vorigen Jahres, in der Regel angemeldet werden, seitlich auszuscheren und zu unangemeldeten Demozügen aufzubrechen. An mehreren Sonntagen im Januar d.J. hatte ein damals neu auftretender und aus Freiwilligen gebildeter Ordnerdienst, in dessen Reihen mehrere Söldner und militante Rechtsextreme gesichtet wurden, solche Vorgänge zu unterbinden versucht. So lautete jedenfalls seine offizielle Selbstdarstellung, um die Existenz eines solchen Ordnertrupps zu rechtfertigen. Am 02. Februar 19 (dem vorletzten Samstag) wurden allerdings mehrere der damals beteiligten Rechtsextremen, unter ihnen der mittlerweile berüchtigte Victor Lenta, im zwölften Paris Bezirk beim Eintreffen des Protestzugs in die Flucht geschlagen; der frühere pro-russische Ukrainesöldner Lenta musste Fersengeld geben. An jenem Tag beantworteten diverse Antifagruppen die rechtsextreme Attacke auf einen linken Demonstrationsblock in der „Gelbwesten“-Demonstrationen eine Woche zuvor, am 26. Januar.

Inzwischen ist es um diese selbsternannten Ordner eher ruhig geworden. Darauf widmeten sich die Teilnehmer an den autonom-anarchistischen „Spontandemonstrationen“ am Samstag in aller Ausführlichkeit den Geldautomaten und Schaufensterscheiben von Banken und Autos, die ihnen als luxuriös gelten. Auch der Porsche eines hyperprominenten Sternekochs, aber auch ein Fahrzeug der Opération Sentinelle (Operation Wachposten) – der vor allem für Objektschutz eingesetzten Armeeabteilung, die unter dem Ausnahmezustand der Jahre 2015 bis 2017 gebildet wurde – in der Nähe des Eiffelturms gingen in Flammen auf. Am Montag gab das Innenministerium bekannt, am Vortag hätten die Sicherheitskräfte einen 25jährigen festgenommen, der ihren Angaben zufolge sowohl für den Brand des Militärfahrzeugs und des Porsches als auch für Schäden an sechs Geschäften oder Banken verantwortlich sei. Er zähle „zur anarcho-libertären Szene“.

In Lyon hingegen versuchten militante außerparlamentarische Faschisten, den innerhalb der Demonstration der „Gelben Westen“ laufenden antirassistischen Block, von hinten her angreifend, auseinander zu sprengen. In diesem Falle misslang ihre Attacke jedoch. Die Teilnehmer des antirassistischen Blocks bewiesen praktischen Sinn im Umgang mit ihren Transparentstangen, und mehrere militante Faschisten mussten am Samstag Abend in den Notaufnahmen von Lyoner Krankenhäusern behandelt werden. (Vgl. vimeo.com…)

In Toulouse attackierten ebenfalls Rechtsextreme den zur radikalen Linken gerechneten Teil der Protestdemonstration. Ihr Angriff konnte ebenfalls abgewehrt werden, doch wurden dabei je ein Aktivist des NPA – der undogmatisch-trotzkistischen „Neuen Antikapitalistischen Partei“ – und der traditionsmaoistischen Gruppierung Voie prolétarienne (Proletarischer Weg) verletzt.

Am Samstag wurde – völlig unabhängig davon und mehrere Stunden vor der Mobilisierung der „Gelben Westen“ – eine antisemitische Schmiererei an einem bekannten jüdischen Restaurant, Bagel, bekannt. Regierungssprecher Benjamin Griveaux versuchte daraufhin in seiner (ansonsten zu Recht empörten) öffentlichen Stellungnahme dazu, einen Zusammenhang zu den „Gelbwesten“ herzustellen, an deren Rändern bzw. in deren rechter und verschwörungstheorieaffiner Irrenhausfraktion tatsächlich ein antisemitisch beeinflusster Narrensaum existiert. Nur, das Opfer der Schmiererei dementierte diesen Zusammenhang selbst umgehend… (Vgl. ausführlich: orange.fr…)

Demnächst mehr, unter anderem zu den sich mehreren Listen- und Parteigründungen im (vorgeblichen, vorgeschobenen…) Namen der „Gelben Westen“…

Quelle: .labournet.de… vom 12. Februar 2019

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