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Aufstieg der Neuen Rechten: eine faschistische Gefahr?

Eingereicht on 14. Mai 2019 – 16:02

David Ales. Der Aufstieg rechtsnationalistischer Protestbewegungen und Parteien in Europa seit Beginn der 1990er Jahre ist besorgniserregend und verlangt eine genaue Analyse. Anstatt den irreführenden Begriff des «Rechtspopulismus» zu verwenden und damit den Mythos einer scharfen Trennlinie zwischen der «vernünftigen Mitte» und der «populistischen Rechten» zu bedienen, sollte die Linke versuchen, zu verstehen: Warum und in welchem Kontext haben rechte Bewegungen Aufwind? Was ist ihnen gemeinsam und worin unterscheiden sie sich je nach Land oder Strömung? Und schliesslich: Droht die Gefahr der Entstehung faschistischer Bewegungen in Europa?

Die Theorie des «Rechtspopulismus»

Rechtsnationalistische Parteien wie die FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) oder die Schwedendemokraten werden heute meist unter dem Schlagwort «Rechtspopulismus» thematisiert. Der Begriff wird von sozialdemokratischen, liberalen und moderat-konservativen Milieus in der Regel abschätzig und in Abgrenzung zu sich selbst verwendet. Aus ihrer Perspektive sind rechtspopulistische Bewegung und Parteien dadurch gekennzeichnet, dass sie (1) undifferenziert, polarisierend und vereinfachend denken; (2) das «gute Volk» gegen «das korrupte und elitäre Establishment» samt deren Medien («Lügenpresse») aufwiegeln; (3) fremdenfeindliche, autoritäre oder sonstige gefährliche Reflexe und Gefühle «der kleinen Leute» bedienen und (4) an der Vision einer eigenen homogenen Gruppe (Ethnie, Rasse, Kultur, Religion) festhalten, die es gegen innere und äussere Bedrohungen zu verteidigen gilt (Islam, Multikulturalismus, Globalisierung)

Der Versuch, die zahlreichen und an Einfluss gewinnenden rechten Bewegungen auf dieser Grundlage zu analysieren, ist aus vielerlei Hinsicht problematisch und für eine linke Analyse unzureichend:

Erstens fokussiert die Theorie des Rechtspopulismus stark auf den Stil, bestimmte Argumentationsmuster und den allgemeinen Diskurs rechter Parteien, ohne aber davon zu sprechen, welche sozial- und wirtschaftspolitischen Programme rechte Parteien eigentlich verfolgen und von wem sie unterstützt werden. Sobald anstatt einer Betrachtung des Diskurses die Frage nach den gesellschaftlichen Visionen und politischen Programmen gestellt wird, erschöpft sich das Erkenntnispotential ebendieser Theorie recht schnell.

Zweitens geht sie fälschlicherweise davon aus, dass Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie und andere Diskriminierungsformen (Sexismus, Homophobie etc.) vor allem das Produkt gesellschaftlich abgehängter, prekarisierter und verunsicherter «Wutbürger» sind, die mit der gesellschaftlichen Entwicklung überfordert sind und autoritär-rechtem Gedankengut verfallen. Dass die Politik des «politisch aufgeklärten» Mainstreams selbst seit eh und je fremdenfeindliches und diskriminierendes Gedankengut transportiert und vor allem auch ständig entsprechende Gesetze, Normen und Verhältnisse hervorbringt, gerät dabei in Vergessenheit.

Drittens laufen Theorien über Rechtspopulismus Gefahr, die teilweise berechtigte Kritik an der Abgehobenheit, Arroganz und Korruption der Mächtigen als mehr oder weniger irrational abzutun und dahinterstehende Widersprüche zu verneinen. Allenfalls begnügt sich «die politisch aufgeklärte Mitte» damit, zuzugestehen, dass «gewisse Sorgen und Ängste der Leute» in der Vergangenheit zu wenig ernst genommen wurden. Die Sorgen ernst zu zunehmen heisst dann, sich politisch und diskursiv den «Rechtspopulisten» anzunähern und selber immer autoritärer und chauvinistischer zu werden – teilweise als bewusste Strategie, teilweise ohne es zu merken.

Viertens ist die Theorie des Rechtspopulismus ungeeignet, zu erklären, warum und unter welchen sozioökonomischen Bedingungen rechte Bewegungen Aufwind haben. Die offensichtliche Krise der neoliberalen Politik, das undemokratische Funktionieren der EU, die soziale Ungleichheit, Armut und Arbeitslosigkeit und die damit verbundene Verunsicherung und Perspektivlosigkeit der Bevölkerung, werden kaum oder gar nicht problematisiert. Stattdessen bleibt das Problem des Rechtspopulismus das Problem der Unaufgeklärten, Aufgebrachten und Abgehängten.

Unterschiedliche Ursprünge

Schon bei Betrachtung der Entstehungsgeschichte verschiedener rechten Parteien zeigt sich, aus welch unterschiedlichen Zusammenhängen sie entstanden sind. Die FPÖ beispielsweise wird oft als Prototyp der neuen Rechten genannt, weil sie unter Jörg Haider schon in den 90er Jahren zur zweitstärksten politischen Kraft Österreichs wurde. Hervorgegangen aus national-konservativen Kreisen, bis hin zu offenen Anhängern der NSDAP[1], war die FPÖ bis in die 80er Jahre eine Kleinpartei, die kaum mehr als 6% der Wähler*innenstimmen für sich gewinnen konnte. Als Sammelbecken für stramme Heimatverliebte und mit Verankerung in rechten studentischen Burschenschaften war ihr Einfluss lange Zeit begrenzt. Unter Jörg Haider gelang es ihr schliesslich ab den 90er Jahren auch traditionell sozialdemokratisch wählende Bevölkerungskreise anzusprechen. Hilfreich dabei war eine Professionalisierung des politischen Auftretens und eine pseudosoziale Rhetorik, ohne aber von völkischem und offen rassistischem Gedankengut abzusehen. Heute ist die FPÖ aus der politischen Landschaft Österreichs nicht mehr wegzudenken, obwohl sie sich immer wieder als Anti-Establishment-Partei verkauft. Einst traditionelle SPÖ-Wähler*innen wählen sie genauso wie mittelständische und akademische Milieus. Wirtschaftspolitisch betreibt die FPÖ, derzeit in einer Regierungskoalition mit der ÖVP (Österreichischen Volkspartei), eine klar neoliberale Politik (Flexibilisierung der Arbeitszeiten, Kürzungen im Sozialbereich usw.), obgleich sie rhetorisch versucht am Image der «sozialen Heimatpartei» festzuhalten.

Auch der französische Rassemblement National (RN), dessen Vorläufer in den 70er Jahren gegründet wurde, hat seine Ursprünge im Lager der extremen Rechten. Ihr Gründer, Jean-Marie Le Pen, wurde mehrfach wegen rassistischen und den Holocaust verharmlosenden Aussagen verurteilt. Wie die FPÖ schaffte es der RN ab den 1990er Jahren bisher kommunistisch oder sozialistisch wählende Millieus für sich zu gewinnen und sich so gesellschaftlich breit zu verankern. Dies gelang ihm unter anderem durch einen zumindest auf rhetorischer Ebene vollzogenen wirtschaftspolitischen Kurswechsel. Während der RN in den 70er und 80er Jahren neoliberale Positionen vertrat, wandte er sich ab den 90er Jahren zunehmend protektionistischen Vorstellungen zu. Unter dem Stichwort des «patriotischen Ökonomismus» fordert er die Einführung von Schutzzöllen und teilweise Importverbote, die Wiedereinführung der eigenen Währung sowie die staatliche Unterstützung der einheimischen Industrie und Landwirtschaft. Seit der Übernahme der Parteiführung durch Marine Le Pen 2011 versucht der RN teilweise, sich von allzu offen rassistischen und antisemitischen Äusserungen zu distanzieren und sich stärker auf republikanisch-laizistische Werte zu beziehen.

Während also Parteien wie die FPÖ, der RN (oder auch die Schwedendemokraten) massgeblich  aus rechtsextremen Kreisen hervorgegangen sind, haben sich andere Rechtsparteien wie etwa die DF (Dänische Volkspartei), die polnische Partei «Recht und Gerechtigkeit» oder auch die SVP vorwiegend aus bürgerlichen Kreisen entwickelt.

Trotz erheblicher Unterschiede innerhalb der neuen Rechten lässt sich bei vielen Parteien eine zunehmende ideologische Annäherung und Flexibilität beobachten. Während Vertreter der britischen UKIP (United Kingdom Independence Party) oder der DF sich im Europaparlament zunächst weigerten, mit dem Rassemblement National gemeinsame Sache zu machen, arbeiten sie seit 2015 in der gemeinsamen Fraktion «Europa der Nationen und der Freiheit» zusammen.

Gemeinsame Merkmale

Überhaupt lassen sich bei den verschiedenen Rechtsparteien trotz Unterschieden bezüglich Geschichte, Programmatik und Auftreten viele Gemeinsamkeiten feststellen:

Nationalismus und Chauvinismus: Ausnahmslos alle neuen rechten Bewegungen gehen von einem homogenisierten Konzept von Nation, Kultur und/oder Volk aus und betonen die Notwendigkeit, das eigene «Volk» gegen innere und äussere Bedrohungen zu verteidigen. Geht es um Fragen der sozialen Sicherung und des Arbeitsmarktes, treten sie für eine rechtliche Diskriminierung zwischen In- und Ausländer*innen ein («Inländervorrang»).

Ethnopluralismus: Auch wenn sich in den meisten Rechtsparteien auch klassische Rassisten und Faschisten befinden, die nach wie vor biologistischen Rassenkonzepten anhängen, dominiert insgesamt das Konzept des «Ethnopluralismus»: Anstatt von höherwertigen Rassen auszugehen, gilt es eher den eigenen ethnisch-kulturellen Raum, die eigenen Werte, demokratischen oder republikanischen «Errungenschaften» und Traditionen des Abendlandes gegen andere, vermeintlich «inkompatible» Kulturen zu verteidigen.

Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie: Als Hauptbedrohungen für das eigene Volk wird die «Masseneinwanderung» und die «Ausbreitung des Islams» gesehen. Damit verbunden werden die Behauptungen, dass die zugewanderte Bevölkerung der einheimischen schade, indem sie von sozialstaatlichen Leistungen profitiere; ihr Arbeitsplätze wegnehme; die Gesetze und Traditionen geringschätze; kriminell und gewalttätig (vor allem gegenüber Frauen) sei und durch die Ausbreitung der «fremden» Kultur die eigene nach und nach verdränge.

Antifeminismus und Ablehnung «linker Ideologien»: Im Bemühen darum, die eigene Nation und Kultur zu bewahren bzw. nach ihren Vorstellungen zu «stärken», bekämpft die neue Rechte auch den «inneren Feind». Dazu gehören einerseits feministische und queere Bewegungen, welche die traditionellen Rollen- und Familienmodelle in Frage stellen und somit als Bedrohung empfunden werden. Auch «linke Ideologien» wie der «Multikulturalismus» werden als Bedrohung für die Nation verurteilt, antirassistische Kollektive regelmässig als Gefährder der freien Meinungsäusserung verunglimpft.«Political correctness» wir als freiheits- und kritikfeindliches Konzept abgelehnt.

Law and order: Eine weitere Gemeinsamkeit liegt in der Forderung nach einem härteren Durchgreifen des Staates gegen Sozialhilfemissbrauch und aller Arten von Kriminalität, verbunden mit einem Ausbau repressiver Instrumente und einer Verschärfung des Strafrechts. Illegalisierte Migrant*innen sollten systematisch abgeschoben werden.

Autoritarismus: Einerseits bekennen sich fast alle Rechtsparteien mehr oder weniger zu demokratischen Institutionen und fordern vereinzelt auch mehr direkt-demokratische Mitbestimmung – etwa durch die Einführung von Referenden. Diesen formalen Bekenntnissen zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit steht aber eine gegensätzliche Praxis entgegen. Die meisten rechten Parteien sind autoritär von oben geführt. Politische Konkurrent*inneen werden verhöhnt und lächerlich gemacht und die Verachtung parlamentarischer Prozesse wird offen zur Schau gestellt. In Polen und Ungarn, wo rechtsnationalistische Parteien schon an der Macht sind, werden Pressefreiheit sowie die Unabhängigkeit der Gerichte untergraben.

Gründe des Aufstiegs

Wie aber lässt sich der besorgniserregende Aufstieg der neuen Rechten seit den 90er Jahren erklären? Das häufig verwendete Argument der Verunsicherung gewisser Bevölkerungsteile auf Grund der kapitalistischen Globalisierung und der abnehmenden Bedeutung traditioneller Familien- und Lebensentwürfe mag in der Tat eine gewisse Rolle spielen und bei einigen das Bedürfnis nach klaren Werten (traditionelle Familie, Nation) hervorrufen. Wichtiger sind meiner Meinung nach aber folgende zwei Aspekte:

  1. Die Durchsetzung des Neoliberalismus: Die mit dem Kapitalismus neoliberaler Prägung einhergehenden Reformen haben die Gesellschaften und insbesondere ihre Wertevorstellungen stark beeinflusst. Während der Anspruch auf existenzsichernde Löhne, Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld in vielen Ländern einst als legitimes Recht galt, führten neoliberale Arbeitsmarkt- und Sozialreformen zu einer Aufweichung ebendieser Rechte und einer ständigen Disziplinierung der Bevölkerung: Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, Schaffung eines zweiten Arbeitsmarktes und Niedriglohnsektors, ständige Kontrolle erwerbsloser und prekarisierter Lohnabhängiger, Kürzungen von Sozialleistungen bei Nichtkooperation usw. Mit der Durchsetzung des Neoliberalismus etablierte sich auch eine leistungsfixierte Ideologie, welche zwischen fleissigen «Leistungsträgern» und faulen «Sozialschmarotzern» und «Profiteuren» unterscheidet und letztere für ökonomische und gesellschaftliche Probleme verantwortlich macht. Die Abwertung sozial schwacher Gruppen und allgemeiner gesprochen die Tendenz, die Gesellschaft in erwünscht und unerwünscht zu spalten, bildet den idealen Nährboden für fremdenfeindliche und rechte Ideologien, die auf ähnlichen Ausgrenzungs- und Spaltungsmechanismen beruhen. Aus dieser Perspektive verwundert es nicht, dass nicht nur rechte Parteien, sondern alle (!) etablierten «Volksparteien» die Frage der Migration und der Kultur systematisch mit Themen wie Arbeitslosigkeit und soziale Sicherung verknüpfen. Seit Jahrzehnten gehört es zum herrschenden Diskurs, dass Ausländer*innen häufiger arbeitslos sind, die Sozialwerke überproportional beanspruchen, Sozialhilfemissbrauch betreiben und darüber hinaus krimineller sind als Einheimische. So vermischen sich im Neoliberalismus sozialdarwinistische Elemente (nur wer etwas leistet, hat auch das Recht, Teil der Gemeinschaft zu sein) mit fremdenfeindlichen Denkmustern. Umgekehrt ist es auch kein Zufall, dass die Mehrheit der neuen Rechten eine neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik anstrebt und den Leistungsdiskurs des Neoliberalismus erfolgreich übernommen hat.
  2. Das Verschwinden der Klassenpolitik: Wie schon erwähnt gelang es vielen rechten Parteien erst, sich als Massenpartei zu etablieren, nachdem sie Teile der Arbeiter*innenklasse, die bis anhin häufig sozialdemokratisch oder kommunistisch gewählt hatten, für sich gewinnen konnten. Möglich wurde dies nicht nur durch den ständig thematisierten «rechtspopulistischen Stil» der neuen Rechten, sondern durch die Aufgabe jeglicher Klassenpolitik der «linken» Volksparteien. Der sogenannte «dritte Weg» von New Labour unter Tony Blair, die Hartz IV-Reformen der SPD unter Gerhard Schröder in Deutschland, die katastrophale Politik und das miese Krisenmanagement «sozialistischer» Parteien in Spanien und Griechenland – überall haben sich als links geltende Parteien von der Idee des sozialen Ausgleichs zwischen Kapital und Arbeit – von einer klassenkämpferischen Perspektive ganz zu schweigen – verabschiedet. Die Ergebnisse dieser Prozesse sind fatal: Einerseits werden «linke» und «rechte» Volksparteien von vielen Menschen (völlig zurecht) dem gleichen politischen Lager und Establishment zugeordnet. Dies erlaubt es der neuen Rechten, sich als einzige Alternative zu den alten «Eliten» zu inszenieren und sich rhetorisch auf die Seite «der kleinen Leute» zu stellen. Darüber hinaus schwindet mit der Abwesenheit jeglicher Klassenpolitik auch das wohl wichtigste Gegenmodell der Lohnabhängigen zu nationalistischen Bewusstseinsformen: solidarisches Klassenbewusstsein.

So wichtig der Kampf und die Kritik an den neuen rechten Parteien aus linker Sicht ist, so entscheidend ist es auch, auf den Rechtsrutsch des politischen Mainstreams und der Gesellschaft insgesamt hinzuweisen und die Verantwortung der traditionellen «Volksparteien» dabei zu unterstreichen. Der Aufstieg der neuen rechten Parteien ist ohne den Kontext des neoliberalen Kapitalismus und ohne die Abwesenheit klassenkämpferischer Alternativen nicht zu verstehen.

Eine neue Faschismusgefahr?

Mit dem Erstarken der neuen Rechten stellt sich nicht nur für Linke die Frage nach der Gefahr einer neuen faschistischen Bedrohung. Leider wird diese Frage immer wieder diskutiert, ohne sich darüber zu verständigen, was mit «faschistisch» überhaupt gemeint ist. Dass Parteien wie die AfD oder die Lega Nord offen fremdenfeindlich sind und auch (neo)faschistische Anhänger in ihren Reihen haben, ist unbestritten. Damit ist aber noch nicht bewiesen, dass diese Parteien insgesamt einen faschistischen Kurs fahren.

Wie aber lässt sich untersuchen, ob eine politische Kraft tatsächlich faschistisch ist? Das historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus definiert die wichtigsten programmatischen Elemente des klassischen Faschismus wie folgt:

  • Exaltierter Nationalismus und Stärkung der Macht von Staat und Armee
  • Betonung der Absicht territorialer Eroberungen
  • Ablehnung des parlamentarischen Systems und des Liberalismus
  • Anerkennung des Privateigentums, aber Denunziation der Missbräuche und Fehler des Kapitalismus, Überwindung des Klassenkampfs durch Betonung der nationalen Solidarität
  • Verherrlichung des individuellen Einsatzes mit dem Ziel einer Erneuerung der Eliten durch den Aufstieg starker Persönlichkeiten.
  • Ablehnung und Kampf gegen den Marxismus und die organisierte Arbeiterbewegung[2]

Vergleichen wir aktuelle rechte Bewegungen mit diesen Elementen, so wird klar, dass zumindest einige – wenn auch in modernisierter Form – auf Parteien wie den Rassemblement National oder die AfD zutreffen. Allerdings wäre es falsch, Faschismus nur auf Grundlage von Prinzipien und Postulaten zu definieren. Ausschlaggebend für faschistische Bewegungen war nicht nur deren Ideologie, sondern die ständige Mobilisierung der eigenen Bevölkerung und der Aufbau paramilitärischer Organisationen, die politische Gegner*innen und als Volksfeinde erklärte Bevölkerungsgruppen einschüchterten und physisch liquidierten. Faschistische Parteien wurden historisch von gewalttätigen Massenbewegungen portiert, hatten Anhänger*innen in allen gesellschaftlichen Klassen und Milieus und konnten – im Bündnis mit Teilen der alten Eliten – die Macht erobern. Der Historiker Robert Paxton drückt dies wie folgt aus:

«Für mich ist der Faschismus[…] eine ultranationalistische, fremdenfeindliche Massenbewegung, deren Ziel es ist, eine sich gedemütigt fühlende Nation zu heilen, indem man sie vereint, stärkt und vergrössert […] Der Faschismus baut auf einer Einheitspartei auf, die keinen Aufwand scheut, die Bevölkerung zu mobilisieren. Ein faschistisches Regime lässt die Bevölkerung nicht passiv.»[3]

Im Kontext enormer sozialer und politischer Probleme der 1920er und 30er Jahre konnte das Versprechen der «Wiedererstarkung» der Nation Teile des verarmenden Kleinbürgertums für sich gewinnen. Die gewaltsame Zerschlagung der organisierten Arbeiter*innenbewegung und der erklärte Kampf gegen «den Marxismus» wiederum war eines der Hauptargumente des Faschismus, mit dem er sich Unterstützung bei Teilen des Grossbürgertums und der alten Eliten zusichern konnte.

Ungewisse Entwicklung

Dieser Faschismusdefinition folgend ergibt sich, dass die grosse Mehrheit der neuen Rechtsparteien zwar ideologisch und personell faschistische Elemente enthält, aber insgesamt keine faschistische Organisationsform und Stossrichtung aufweist. Rechtsnationalistische Parteien, die Parteienpluralität, Parlamentarismus, Gewaltenteilung und gewisse politische Freiheiten akzeptieren und nicht darauf setzen, die Massen zur gewaltsamen Durchsetzung eines faschistischen Programms zu mobilisieren, sollten nicht vorschnell als faschistisch bezeichnet werden. Auf Grund der Vorherrschaft der neoliberalen Allianz aus nationalistischen, rechtskonservativen und liberalen Kreisen sowie einer schwachen und unorganisierten Arbeiter*innenklasse ist die Entstehung einer wirklich faschistischen Massenbewegung momentan unwahrscheinlich, ja aus Sicht der herrschenden Klasse schlichtweg nicht notwendig.

Dies bedeutet ausdrücklich nicht, dass in Bezug auf die neue Rechte Entwarnung gegeben werden kann! Erstens ebnet sie durch ihre fremdenfeindliche und spalterische Ideologie und Politik das Terrain für durchaus mögliche faschistische Bewegungen der Zukunft. Die gewalttätigen Ausschreitungen in Chemnitz 2018 und die Reaktion der AfDzeigen, dass sich das Kräfteverhältnis zwischen nationalkonservativen und neofaschistischen Fraktionen innerhalb rechter Parteien schnell zugunsten letzterer verschieben kann. Zweitens zeigen aktuelle Entwicklungen vor allem in Osteuropa, dass politische und soziale Grundrechte, rechtsstaatliche Prinzipien und die Errungenschaften vergangener sozialer Kämpfe auch ohne faschistische Massenorganisationen massiv unter Druck geraten und bedroht sind.

Auch ohne faschistisch zu sein, ist die neue Rechte menschenverachtend und muss ideologisch und politisch bekämpft werden. Im Kampf gegen die aktuelle Rechtsentwicklung ist es an der Linken, über die Denunzierung rechter und rechtsextremer Ideologien hinaus zu gehen undsich für den Aufbau solidarischer und klassenkämpferischer Organisationen einzusetzen.

Weiterlesen:

Mario Candeias (Hrsg.): RECHTSPOPULISMUS, RADIKALE RECHTE, FASCHISIERUNG. BESTIMMUNGSVERSUCHE, ERKLÄRUNGSMUSTER UND GEGENSTRATEGIEN

Robert O. Paxton: Anatomie des Faschismus. Die politische Gefahr des Faschismus. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2006

Quelle: sozialismus.ch… vom 14. Mai 2019

[1] Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei.

[2] http://www.inkrit.de/neuinkrit/mediadaten/archivkwm/KWM02.pdf, S. 337.

[3] In fünf Etappen in den Faschismus. https://static.woz.ch/1547/rechtsnationalismus/in-fuenf-etappen-in-den-faschismus

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