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Kenias Jugendliche an vorderster Front: Erneute Massenproteste

Eingereicht on 27. Juni 2025 – 15:48

Yorick F. Etwa ein Jahr nach den Massenprotesten gegen die Steuererhöhungen von Präsident William Ruto in Kenia finden seit dem 8. Juni 2025 wieder große Demonstrationen in Nairobi und anderen kenianischen Städten statt. Bereits vor 11 Monaten waren die maßgeblich von Jugendlichen geführten und von Medien als „Gen-Z-Aufstände“ betitelten Demonstrationen von brutalen Repressionen überzogen, inkl. diverser Toter und Entführter, Festnahmen und dem Einsatz von Riot-Control-Shotguns mit sog. „less lethal ammunition“ (Aufstandsbekämpfung mit nicht tödlicher Schusswaffenmunition, z. B. Gummigeschossen). Zur Einordnung der Proteste hier ein Auszug aus unserem Artikel zu den Ursachen der Proteste aus dem Juli 2024.

Imperialismus als Ursache der Krise

„Auslöser der Proteste waren die vom 2022 gewählten Präsidenten Ruto vorgeschlagenen Steuererhöhungen, in erster Linie in Form von Mehrwertsteuern auf Waren, die zum Leben essenziell sind. Dadurch sollten insgesamt 2,7 Milliarden US-Dollar aufgebracht werden, um den Staatshaushalt zu stabilisieren und die Rückzahlung von Krediten sicherzustellen. So sollten sie auf Brot, Speiseöl sowie den Besitz eines Fahrzeugs deutlich angehoben werden. Als besonders dreist empfunden wurde auch die Ankündigung, die Steuer auf Menstruationsprodukte zu erhöhen, nachdem im Wahlkampf eine Politikerin aus Rutos Partei angekündigt hatte, diese in Zukunft kostenlos zur Verfügung stellen zu wollen.

Diese Steuern kommen noch zu den durch hohe Inflation massiv gestiegenen Preisen hinzu, die jetzt schon dafür sorgen, dass sich viele in Kenia nur noch eine oder maximal zwei Mahlzeiten am Tag leisten können. Großen Teilen der kenianischen Bevölkerung droht absolute Armut. Wer davon hingegen weit entfernt ist und auch nicht mit zusätzlichen Steuern belastet werden soll, sind die kleine kenianische Bourgeoisie sowie, was die Wut der Massen besonders anheizt, die herrschende Politiker:innenschicht. Denn die Gehälter von Politiker:innen sind im Vergleich zum Durchschnittseinkommen mit die höchsten der Welt und Präsident Ruto selber lebt im Luxus.

Auch auf dem Korruptionsindex steht Kenia auf dem nicht besonders rühmlichen Platz 126 von 180. Doch auch wenn die Korruption und der Luxus der Politiker:innen, während die Massen verelenden, besondere Wut hervorrufen, haben viele in Kenia erkannt, dass diese nur das oberflächliche Problem darstellen, und pfeifen auf Rutos nun einsetzende Schlichtungsversuche nach dem Motto, man könne noch mal neu über die konkreten Sparmaßnahmen diskutieren und, als Zeichen des guten Willens, auch im Präsidialamt beginnen. Denn das Problem liegt nicht darin, so dreist das auch klingt, dass Rutos Frau im Jahr 5 Millionen Euro ohne wirklichen Grund aus der Staatskasse bekommt oder der Präsident mit schickem, 2.800 US-Dollar teurem Gürtel in die Kirche geht, sondern es sind die Sparmaßnahmen als solche, die das Problem verursachen. So gibt Ruto selber an, dass Kenia mehr als 60 % seines Staatshaushaltes zur Tilgung von Schulden aufwenden muss. Die Gläubiger:innen? Die ehemalige Kolonialmacht Britannien, die USA, China, die EU und ganz oben natürlich der Internationale Währungsfonds. Dieser hat auch der kenianischen Regierung den neuen Haushalt mit den massiven Steuererhöhungen „empfohlen“. Diese Empfehlung dürfte in etwa den Charakter haben wie Schäubles Rat an die Syriza-Regierung in Griechenland: Man sollte vielleicht doch lieber das Diktat der Troika akzeptieren, wenn man nicht wolle, dass diese mit einem brutalen Wirtschaftskrieg das Land ins absolute Elend stürzt.

Ruto, der sich selber so wie die meisten Staatschef:innen halbkolonialer Länder nur zu gerne in den Dienst des Imperialismus stellt, in seinem Fall vor allem des westlichen, hatte versucht, die Abgabenforderungen von IWF und Co. einzig und allein auf dem Rücken der Massen zu erfüllen und seinen eigenen Reichtum und den seiner politischen Freund:innen unangetastet zu lassen. Auch wenn er nun bereit zu sein scheint, persönliche Abstriche zu machen, um seine Position irgendwie zu retten, darf die Bewegung nicht dabei stoppen und muss ihre Wut nicht nur gegen die imperialen Statthalter:innen, sondern gegen das System der globalen Unterdrückung selbst richten!“

Erneutes Aufflammen der Proteste

Neben dem anrückenden Jahrestag des Gesetzbeschlusses zu den Steuererhöhungen war zentraler Auslöser der erneut aufflammenden Proteste die Ermordung von Albert Ojwang, einem 31-jährigen Lehrer und Blogger, der seit einiger Zeit eine prominente Rolle in sozialen Bewegungen innerhalb Kenias einnahm. Albert wurde am 7. Juni von der Polizei in seinem Haus nahe der Stadt Homa Bay am Südufer des Victoriasees verhaftet, unter dem Vorwand, er habe Kenias Polizeichef Eliud Lagat auf Social Media „verleumdet“. Daraufhin wurde er ins 350 km entfernte Nairobi auf die zentrale Polizeiwache gebracht, wo er am 8. Juni tot in seiner Zelle gefunden wurde.

Die Polizei log zunächst und erzählte, er habe sich seine tödlichen Verletzungen durch „wiederholtes Schlagen seines Kopfes gegen die Wand“ selbst herbeigeführt. Dies konnte mittlerweile als Lüge entlarvt werden, was selbst Ruto öffentlich eingestehen musste. Der verantwortliche Polizeichef Lagat ist zwar von seinem Posten zurückgetreten, bezieht aber immer noch ein saftiges Gehalt und wird wie auch die direkten Mörder:innen Alberts bisher nicht rechtlich belangt. Diese Verhaftung reiht sich ein in Verhaftungen von bekannten Gesichtern der letztjährigen Proteste, wie etwa Rose Njeri, einer Softwareentwicklerin, die eine Website entwickelte, über welche die Kenianer:innen einfacher Forderungen an die Regierung stellen können, und die sich außerdem offen gegen die Steuererhöhungen ausgesprochen hatte.

Seit dem 8. Juni gibt es als Reaktion darauf militante Massenproteste, die Gerechtigkeit für Albert Ojwang fordern, aber auch weiterhin für einen Sturz Rutos, einen Bruch Kenias mit dem IWF und ein Ende der massiven staatlichen Gewalt gegen die Protestbewegung eintreten. Neuen Aufwind bekam die Bewegung erst kürzlich, als am Rande des Protestes am 17. Juni einem jungen Mann, der Masken verkaufte, aus nächster Nähe mit einer Riot-Control-Shotgun ins Gesicht und damit durch den Kopf geschossen wurde. Der junge Mann überlebte dies zwar zum Glück, dennoch ist die Wut und der Widerstand dagegen mehr als berechtigt!

Am selben Tag wurden die Proteste, außer durch die Polizei mit Tränengas, Riot-Control-Shotguns usw., auch von sog. „Goons“, bewaffneten Banden, die mit der Polizei kooperieren, auf Motorrädern und mit Baseballschlägern angegriffen. Diese wurden jedoch erfolgreich zurückgeschlagen und zwei ihrer Motorräder verbrannt.

Regionale Vernetzung der Repression

Dabei beschränkt sich die Repression gegen Oppositionelle nicht nur auf das kenianische Staatsgebiet. Die Regierung arbeitet eng mit den beiden Nachbarstaaten Uganda und Tansania zusammen, um soziale Bewegungen in Ostafrika zu unterdrücken. So z. B. bei der Verhaftung des kenianischen Aktivisten Boniface Mwangi und der ugandischen Journalistin Agather Atuhaire am 20. Mai. Beide hatten zuvor den Prozess des Oppositionsführers Tundu Lissu in der tansanischen Hauptstadt Daressalam beobachtet (Tundu Lissu ist wegen Hochverrats angeklagt, worauf in Tansania die Todesstrafe steht) und wurden mehrere Tage von der tansanischen Polizei festgehalten, befragt, gefoltert und vergewaltigt.

Bei diversen Operationen teilen tansanische, ugandische und kenianische Behörden miteinander Logistik und Informationen und unterstützen sich gegenseitig. Ihnen ist wohl sehr bewusst, dass sich die Bewegungen in allen drei Ländern gegen dieselbe Feindin richten: die Bourgeoisie, die sich an der imperialistischen Auspressung der Länder durch den ehemaligen Kolonialherren Großbritannien, aber auch andere imperialistische Staaten wie die USA, China oder Deutschland, beteiligt und auf Kosten der Arbeiter:innenklasse und der Jugend ordentlich bereichert.

Regionale Vernetzung des Widerstands!

Nicht nur in Kenia gehen Massen auf die Straße. Nachdem der ugandische Präsident (seit 1986!) Yoweri Museveni ein neues Gesetz verabschiedet hatte, nach welchem Zivilist:innen, welche die „nationale Sicherheit“ gefährden, also auch Oppositionelle, von einem Militär- statt von einem Zivilgericht verurteilt werden dürfen, gingen in der Hauptstadt Kampala am 15. Juni Tausende auf die Straße. Bereits seit Jahren entwickelt sich Uganda in eine immer autoritärere Richtung und im Zuge der anstehenden Wahlen zieht das Land seinen Repressionsapparat noch einmal deutlich hoch.

Auch in Tansania gab es in den letzten Jahren massive Repressionen, nicht zuletzt gegen den oben bereits genannten Tundu Lissu und andere Mitglieder der größten Oppositionspartei CHADEMA (Chama cha Demokrasia na Maendeleo; Partei für Demokratie und Fortschritt), einer rechtsliberalen Partei. Diese Repressionen geschahen im Kontext von Massenprotesten, die eine Abwählbarkeit der Präsidentin Samia Suluhu Hassan sowie eine Einschränkung ihrer Befugnisse forderten und von Massen der Arbeiter:Innenklasse getragen, in Ermangelung einer Alternative aber nur sehr unzureichend von Chadema geführt wurden. Die tansanische Polizei antwortete darauf mit massiver Repression gegen die Proteste, mit Verhaftungen und außerjuristischen Tötungen von Chadema-Mitgliedern.

Die enge Kooperation der Herrschenden Kenias, Ugandas und Tansanias zeigt also: Die Herrschenden haben Angst vor einer zusammenhängenden regionalen und letztlich internationalen Bewegung gegen ihre Kompliz:innenschaft mit dem Imperialismus!

Wir sagen: Das ist ein gutes Zeichen! Die Herrschenden sollen zittern vor dem berechtigten, kraftvollen Zorn der ostafrikanischen Arbeiter:innenklasse und Jugend!

Für eine revolutionäre Perspektive!

Doch die Angst der Herrschenden macht noch keinen Sieg. So beeindruckend und heroisch die aktuellen und vorangegangenen Proteste auch sind, aktuell haben sie noch keine klare Strategie, über Ländergrenzen hinweg langfristig gegen den staatlichen Terror und die imperialistische Auspressung ihrer Länder siegen zu können. Bereits im letzten Jahr schwappte der Protest in Nairobi auf Kampala und in einem geringeren Maße auch auf Daressalam über, jetzt ist es notwendig, den Kampf gegen die anhaltende Korruption und den miteinander koordinierten staatlichen Terror der drei Länder bewusst zu verbinden! Im Zuge dessen müssen in allen Staaten wichtige strategische Fragen geklärt werden: Unter welcher Führung stehen die Proteste? Was braucht es für eine neue große Offensive gegen die Regime, möglichst gleichzeitig in allen drei Ländern?

Hierfür braucht es bewusste Kräfte, die nicht nur Reformforderungen stellen, sondern ein Übergangsprogramm aufstellen und einen Weg von den aktuellen Kämpfen hin zur Zerschlagung des Kapitalismus aufzeigen können. Es muss auf die Kämpfe momentan dominierenden Kräfte Druck ausgeübt werden. Die CKP (KP Kenias) ist zwar eine in der Arbeiter:innenklasse verankerte Partei, die jedoch eine rein reformistische Politik verfolgt und sich in den letzten Jahren stärker an China orientiert. So wichtig es daher ist, an die CKP die Forderung zu stellen, mit allen Flügeln der kenianischen Bourgeoisie zu brechen, so wenig stellt sie mit ihrem Programm die Lösung der Führungskrise der kenianischen Arbeiter:innenklasse dar, sondern vielmehr einen Teil des Problems. Dazu braucht es vielmehr eine revolutionäre Arbeiter:innenpartei, die den Kampf für die Enteignung der internationalen wie nationalen Konzerne mit dem für eine Regierung aus Räten der Arbeiter:innen und Armen verbindet!

Ansätze in diese Richtung gibt es, nachdem sich auch Teile der Jugend nach links von der KP abgespalten haben, darunter die Revolutionary Socialist League, die kenianische Sektion der Internationalen Sozialistischen Liga, mit der wir in Diskussion stehen und die erkannt hat, dass ein Bruch mit dem Stalinismus nötig ist, um eine revolutionäre Perspektive für Arbeiter:innen und Jugend aufzeigen zu können!

Wie betrifft das uns?

Auch hier, in einem der Herzen des Imperialismus, sehen wir Kürzungswellen auf uns zukommen. Dieselben, die auch Kenias Jugend auspressen, kürzen uns auch hier die Bildung, die Sozialleistungen und vieles mehr weg. Auch sie fahren einen immer autoritäreren Repressionsapparat hoch, um Widerstand dagegen im Keim zu ersticken. Natürlich haben wir deutlich weniger akut und scharf mit diesen Entwicklungen zu kämpfen als die Jugend in Ostafrika. Denn wir sitzen im imperialistischen Zentrum. Unsere Bourgeoisien unterdrücken die Arbeiter:innen und Jugendlichen in „ihren“ Halbkolonien, von der Natur des Imperialismus ausgehend, noch viel stärker als die im eigenen Land. Und doch unterdrücken sie auch uns, pressen sie auch uns, sind sie nicht unsere nationalen Freund:innen, sondern unsere Klassenfeind:innen! Unser Kampf und der Kampf der kenianischen Jugend sind eng miteinander verbunden! Darum müssen wir auch hier, ob in Deutschland, Großbritannien, Frankreich oder den USA, gegen die Schulden halbkolonialer Länder kämpfen, unter denen die kenianische Jugend, wie so viele andere Unterdrückte auf der ganzen Welt, ächzt.

– Für eine sofortige Streichung aller Schulden der Halbkolonien bei imperialistischen Staaten und Finanzinstitutionen wie dem IWF! Schluss mit der Ausbeutung eines Teils der Welt durch einen anderen!

  • Aufbau von Selbstverteidigungsorganen der Arbeiter:innen und Jugendlichen gegen die Angriffe der Polizei und reaktionärer Banden! Für den Aufbau von Arbeiter:innen- und Jugendmilizen und für Agitation unter einfachen Soldat:innen, mit ihren Offizier:innen und dem Staat, dem diese dienen, zu brechen!
  • Für den Sturz der Bourgeoisie und die Kontrolle von Räten in den Betrieben, Schulen und Nachbarschaften über wirtschaftliche Produktion, Bildung und Verwaltung! Für eine Arbeiter:innenregierung, die sich auf diese Räte und Milizen stützt und die Wirtschaft des Landes auf Grundlage eines demokratischen Plans reorganisiert!
  • Für eine Vereinigung sozialistischer Staaten in Ostafrika!
  • Für den Aufbau einer revolutionären Jugendinternationale und einer neuen revolutionären Internationalen, damit wir unsere in der Realität miteinander verbundenen Kämpfe auch gemeinsam führen können!

#Titelbild: Demonstrierende blockieren die vielbefahrene Autobahn zwischen Nairobi und Mombasa im Stadtteil Mlolongo, Nairobi (Kenia), 2. Juli 2024 [AP Photo/Brian Inganga]

Quelle: arbeiterinnenmacht.de… vom 27. Juni 2025

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