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Für eine unabhängige Arbeiterbewegung! Für eine befreite Ukraine!

Eingereicht on 13. Mai 2014 – 10:39

Die  Entwicklungen in der Ukraine überstürzen sich. Das Plebiszit in der Osturkraine vom Wochenende des 11. Mai 2014 über die Errichtung einer autonomen Republik und das sich verschärfende terroristische Vorgehen der Kiewer Regierung von US und EU Gnaden  beschleunigen eine Entwicklung, die kaum mehr überblickbar ist. Vor allem nicht aus Westeuropa, den USA und Russland heraus, wo die Massenmedien  im Einklang mit den herrschenden Eliten immer lauthalser auf Kriegstreiberei machen. Diese Eliten fuchteln  mit ihren jeweiligen Marionetten aus der ukrainischen Rechten immer gefährlicher auf der internationalen und ukrainischen Bühne herum. Bis es brennt…..

Wir veröffentlichen nachfolgend ein Statement der Linken Opposition vom 7. Mai 2014. Sie wurde auf der ukrainischen Web-Seite  Observer Ukraine veröffentlicht. Für die Übertragung ins Deutsche wurde die englische Übersetzung unter International Viewpoint benutzt (Redaktion maulwuerfe.ch).

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Die blutigen Zusammenstösse in Odessa vom 2. Mai, [bei denen es 116 Tote (RIA Novosti, 10. Mai 2014)  gab. Anm. maulwuerfe.ch], können in keiner Weise gerechtfertigt werden. Die sozialistische Vereinigte linke Opposition ist überzeugt, dass: «Wer immer die getöteten Opfer auf beiden Seiten waren, so überstieg die gegen sie angewendete Gewalt  jede Notwendigkeit von Selbstverteidigung. Diese Vorkommnisse müssen von allen Seiten untersucht und die Provokateure und die Mörder  persönlich zur Rechenschaft  gezogen werden; diese stammten aller Wahrscheinlichkeit nach von allen beteiligten Seiten».

Gegenwärtig ist es noch nicht möglich, die für diese Morde verantwortlichen Personen und Gruppen zu benennen. Wir können hingegen die politischen Folgen des Massakers von Odessa ausmachen; dabei kommen wir nicht umhin zu sehen, dass auch linke politische Organisationen unter denjenigen sind, die hierfür politische Verantwortung tragen.

Ohne jeden Zweifel wurde die Gewalt an erster Stelle von ultra-nationalistischen und chauvinistischen Gruppen angeführt und organisiert, die ganz bewusst Leute töten und das Blut der Ermordeten benutzen, um in der Gesellschaft eine bestialische Hysterie aufzupeitschen; deren Auffassung nach sollte dadurch die «Nation gegen ihre Feinde mobilisiert werden». In der Tat ist dies vermutlich der einzige Weg zu ihrer erträumten Nazi-Diktatur, die nur über Blutvergiessen und die Einschüchterung der breiten Bevölkerung erreicht werden kann. Dies wird nur möglich, wenn jeder ukrainische Russe in jedem Ukrainer einen Mörder à la Bandera [der führende ukrainische Nazi-Kollaborateur während des Zweiten Weltkrieges. Anm. maulwuerfe.ch], und jeder Ukrainer in jedem Russen einen «Saboteur im Dienste des russischen militärischen Geheimdienstes» sieht. Unglücklicherweise sind wir mittlerweile viel zu nahe an die Grenze vorgestossen, jenseits derer dies wirklich der Fall sein kann.

Die Ethnisierung des Sozialen

Es gab indes in Odessa am 2. Mai beideits der Barrikaden Leute, auch Aktivistinnen und Aktivisten aus linken Organisationen, die noch vor einem Jahr  an gemeinsamen Mobilisierungen gegen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit  und gegen die Einführung eines versklavenden Arbeitsrechts protestierten. Aktivistinnen und Aktivisten aus der Gewerkschaft «Borot’ba» (Kampf) traten auf derjenigen Seite auf, die von der rechts-chauvinistischen « Odesa druzhina » (Odessa-Wache) angeführt wird. Auf der anderen Seite nahmen anarchistische und antifaschistische Kräfte an Aktionen teil, die in Wirklichkeit von ihren rechten Gegnern angeführt wurden, insbesondere den rechtsradikalen Fussballfanclubs. Diese taten sich durch ihre ausnehmende Brutalität gegenüber ihren Gegnern hervor.

Die linken Organisationen waren unfähig, ein klar  unabhängiges Programm für die Arbeiterklasse einzubringen. Ganz abgesehen von der Unfähigkeit, die Führung der Massenbewegung zu übernehmen, distanzierten sie sich nicht von der brudermörderischen Gewalt unter nationalistischen Parolen, noch schafften sie es, die Massen davon abzuhalten, sich auf diese einzulassen. Diese Linken endeten in der Falle der unkritischen Unterstützung für eine relative breite Bewegung, die sich seit kurzem vollständig von einer sozio-ökonomischen  weg hin zu einer nationalistischen Orientierung bewegt hat.

Für die Protestierenden in Odessa hat die Frage nach dem Existenzrecht des ukrainischen Staates, dessen Überlebensfähigkeit oder –unfähigkeit das grössere Gewicht, als die arbeitsrechtlichen Bedingungen der ukrainischen Arbeiterklasse, ungeachtet ihrer Nationalität. Anstatt der Entwicklung einer Strategie zur Beseitigung der Oligarchen aus den Machtpositionen in der Ukraine und in Russland, läuft eine Debatte darüber, ob die Schaffung des ukrainischen Staates ein «Missverständnis» oder «ein historischer Fehler» gewesen sei.

Die Arbeiterklasse – politisch schwer angeschlagen, aber präsent

Es ist keine Überraschung, dass die Arbeiter und Arbeiterinnen der grossen Fabriken in der Zentral- und Ostukraine im Grossen und Ganzen an den Massenprotesten nicht teilnehmen. Sie beteiligen sich hier kaum an Anti-Maidan- und Maidan-Mobilisierungen ; diese können überhaupt nicht verglichen werden mit den Einhunderttausend-Mobilisierungen in Kiew vom Januar und Februar dieses Jahres. Bewaffnete Extremisten bleiben eine kleine Gruppe von Abenteurern, selbst in Slovjansk, wo sie die Macht ergriffen haben und diese offensichtlich  nur halten können, indem sie die lokale Bevölkerung einschüchtern. Diese will logischerweise nicht Opfer der Anti-Terror-Operationen der Regierung werden.

Es ist sehr fraglich, ob die Mehrheit der Einwohner von Slovjansk die monarchistische Idee unterstützen, das «einzige und unteilbare [Russland, Anm. maulwuerfe.ch]» wieder auferstehen zu machen; genau dies wird vom russischen Offizier Strelkov-Hirkin, dem «obersten Kommandanten» der Volksrepublik Donezk, offen proklamiert. Gleichzeitig ist klar, dass sie in Slovjansk weder die «kleinen grünen Männer» von Strelkov noch irgendwelche andere Soldaten sehen wollen. Sie verstehen nur zu gut, dass mit der Fortführung der Anti-Terror-Operationen die Kämpfe in die bewohnten Gegenden der Stadt vordringen werden; dabei werden sie die Ersten sein, die zu leiden haben – sie, die friedlichen Einwohner der Stadt.

Die Arbeiter und Arbeiterinnen von Slovjansk und von Kramatorsk nehmen kaum Teil an den bewaffneten Auseinandersetzungen, fahren jedoch tagtäglich durch die Kontrollposten zur Arbeit. Die Frage eines Generalstreiks wurde hier noch nie erhoben. Banden aus der lokalen Lumpenkriminalität und alte Leute, die sich dusselig im Heimweh nach der UdSSR verzehren, sind die wichtigsten Stützen der «Slovjansker Junta».

Gleichzeitig gibt es in der Ukraine ohne Zweifel eine organisierte Massenbewegung der Arbeiter und Arbeiterinnen. Sie erschien in Kryviy Rih, wenn die Selbstverteidigungsbrigaden der Bergarbeiter die Ausbreitung der Gewalt verhinderte, als die « Tituschky » (durch die Regierung und die Unternehmer angeheuerte Schlägertrupps. Anm. maulwuerfe.ch) versuchten, den lokalen Maidan anzugreifen. Die Arbeiterinnen und Arbeiter griffen in Tschervonohrad im Oblast Lviv in den politischen Prozess ein, als sie das lokale Elektrizitätswerk verstaatlichten, das dem Oligarchen Rinat Akhmetov  [Verweis eingefügt durch maulwuerfe.ch] gehörte.

Die Arbeiterbewegung hat in Krasnodon im Oblast Luhansk sogar noch kraftvoller interveniert. Die Arbeiter übernahmen während eines Generalstreiks die Kontrolle der Stadt. Wichtig dabei ist, dass sie sich nicht mit den Luhansker Separatisten vom Anti-Maidan verbünden wollten und die bürgerlichen und oligarchischen Führer und Führerinnen des Kiewer Maidan nicht unterstützten. Sie hielten ihren eigenen, den Arbeiter-Maidan ab, mit eigenen Parolen für soziale Gerechtigkeit, getragen von einer ernsthaften Absicht, diese Parolen auch umzusetzen. Nicht wie der Kiewer Maidan. Die Arbeiter und Arbeiterinnen verlangen nicht nur höhere Löhne, sondern auch eine Beendigung der Leiharbeit in den Minen. Von daher war dies kein nur-ökonomischer Streik, sondern eine Bewegung für die Solidarität zwischen Arbeitern verschiedener Qualifikationen, eine Bewegung, die stark genug war, eine ganze Stadt unter ihre Kontrolle zu bringen. Und all dies ohne Gewaltanwendung, es gab weder Tote noch Verletzte! Die Stadt wurde nicht nur ohne einen einzigen Schuss eingenommen, sondern auch ohne dass jemand auch nur halbherzig Widerstand geleistet hätte.

Nur eine politisch starke Arbeiterklasse könnte das Schlimmste verhinern

Eine im nationalen Rahmen organisierte Arbeiterbewegung ist verständlicherweise noch sehr schwach. Wirklich aktive, klassenbewusste Gewerkschaften sind auf wenige Zentren der Bergbauindustrie beschränkt. Ebenso gilt, dass nur dort, wo die Arbeiterinnen und Arbeiter wirklich in Zusammenstössen dazwischentreten, Opfer vermieden und die nationalistische Hysterie  beruhigt werden können.

Tatsächlich wird wohl das Hervortreten einer unabhängigen klassen-basierten Arbeiterbewegung auf der politischen Bühne die einzige Möglichkeit für das Überleben des ukrainischen Staates sein, um den sich vor unseren eigenen Augen entwickelnden Bürgerkrieg zu verhindern. Falls die Szenarien eines Zerfalls der Ukraine eintreten sollten, werden wir nicht in der Lage sein, einen Ausbruch von Gewalt und massive Opferzahlen abzuwenden. Damit wird dieser Konflikt einen zunehmend internationalen und inter-ethnischen und keinesfalls einen klassenmässigen Charakter annehmen.

Zu Beginn des Krieges in Jugoslawien waren die ultra-rechten Kräfte ebenfalls sehr schwach und bedeutungslos. Sie hatten in der Gesellschaft nicht mehr Unterstützung als Yarosh und Tiahnybok [Dmytro Yarosh ist der Führer des Rechten Sektors und beruft sich auf Stephan Bandera, den führenden und berüchtigten Nazi-Kollaborateur im Zweiten Weltkrieg ; Oleh Tiahnybok hat als Führer der regierenden Svoboda-Partei regen Kontakt zu hohen europäischen und US-Politikern ; Anm. maulwwuerfe.ch]. Hingegen begannen ein Jahr nach Beginn des Krieges serbische und kroatische Nazis die politische Szene in Jugoslawien zu beherrschen und verwandelten sich dabei in grosse Massenorganisationen.

Wenn die Bergarbeiter aus den Gegenden von Luhansk, Donezk, Lviv und Dnjpropetrovsk nicht aus eigener Anstrengung diesem Krieg Einhalt gebieten können, dann werden wir in einen Fleischwolf hineingezogen werden. In diesem Fall wird die Linke in der Ukraine über Jahre hinaus wirklich zerstört sein. Und es ist zweifelhaft, ob sie dann in Russland überleben wird.

Die Arbeiterinnen und Arbeiter aus Krasnodon und Kryviy Rih brauchen dringend unsere Solidarität und unsere Unterstützung! Der Streik in Krasnodon ist noch nicht zu Ende sondern nur für Verhandlungen eingestellt. In Kryvyj Rih bereiten sich die Bergarbeiter ebenfalls auf einen Streik vor – für den Fall, dass ihre Forderungen nicht erfüllt werden.

Keine Unterstützung für die Chauvinisten – unabhängig von ihren Flaggen!

Für eine unabhängige und vereinte Ukraine der Arbeiterinnen und Arbeiter!

Für eine unabhängige Arbeiter- und soziale Bewegung!

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