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Aus dem Alltag eines Marxisten – Von einem Möchtegern-Antifaschisten

Eingereicht on 15. Januar 2019 – 9:12

Nils Goldberg. Ich – ein weisser Mitteleuropäer, Anfang zwanzig, Sohn von zwei lohnabhängigen Akademikereltern – laufe die Einkaufsstrasse einer süddeutschen Kleinstadt entlang. Ich sehe einen Aufkleber auf einem Regenrohr kleben. Er ist in dem schwarz-gelben Layout der Identitären gehalten – gehört wohl zu deren Corporate-Identity. Wer ist die „Identitäre Bewegung“ fragst du dich. Mit einem Wort: Hipster-Nazis. Mit ihrem moderat-bürgerlichen Auftreten versuchen sie, ihre Vorstellung eines rassisch reinen Europas wieder aus der ideologischen Schmuddelkiste zu holen und salonfähig zu machen. – Trotzki hätte solche Individuen als „menschlichen Staub“ bezeichnet – Auf dem Sticker steht ein Adjektiv: heimatverliebt. Ein unschuldig zynischer Ausdruck für ein solch hässliche Ideologie. Ich hole einen roten Aufkleber raus und überklebe dieses Stück rechter Hetze. Denn irgendwo stand doch, man sollte Gleiches mit Gleichem vergelten – kleiner Scherz am Rande -. Aber das wars dann auch schon mit meiner antifaschistischen Praxis.

  1. Je wieder Sonnenaufgang?

Im Alter von 17 Jahren besuchte ich im Rahmen einer Klassenreise das Vernichtungslager Auschwitz. Dort stand ich vor einem Haufen menschlichen Haupthaars, welcher fast so hoch war wie ich. Diese Haare stammten von Insassen des KZ. Man hatte sie wirklich maximal ausgeschlachtet – aus den Haaren wurden Perücken gefertigt. Kapitalistische Verwertung in ihrem menschenverachtendsten Extrem. Dieser Haufen war jedoch nur der Rest, der bei der Befreiung des Lagers liegen geblieben war. Wie viele Menschen man zu Tode quälen muss, um allein diesen verlassenen Rest Haare auftürmen zu können, übersteigt mein Vorstellungsvermögen. Noch nie habe ich mich so geschämt, Deutscher zu sein wie in diesem Augenblick. Als ich den Ausstellungsraum verliess, schien die Sonne. Ich konnte es damals nicht fassen, dass irgendetwas je so weitergehen könnte wie bisher, nicht mal der Sonnenaufgang, nachdem so etwas wie Auschwitz in die Welt gesetzt worden war. Da realisierte ich, dass es keine universelle, göttliche Gerechtigkeit gibt, die dieses Verbrechen wiedergutmachen, geschweige denn hätte aufhalten können. Also ist es an den Menschen, die die Geschichte machen, diese Gerechtigkeit zu erkämpfen. Ich schwor mir damals: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg, nicht mit mir. Doch mein moralischer Höhenflug endete jäh, als ich realisierte, dass es ja immer noch Nazis gibt, dass immer noch Menschen unter deren Terror leiden, dass Nationalismus wieder im Aufkommen ist – damals fingen die medienwirksamen Montagsdemonstrationen von Pegida gerade an -, und dass Antifaschismus gemeinhin als linksextrem gilt. In Auschwitz stand folgender Spruch an einer Wand: „Wer sich nicht an die Geschichte erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen“. Bei dem Gedanken kriegte ich panische Angst.

  1. Angst

Ich sitze spätabends im Zug und fahre nach Hause – heim ins Reich sozusagen. Die Zugtoilette ist defekt – typisch Deutsche Bahn – und Wasser läuft unter der Tür durch. Neben mir sitz ein junger Mann – völlig in schwarz gekleidet, sportlich, mit Glatze -, er machte eine humoristische Bemerkung zur Unfähigkeit der DB, ich musste schmunzeln und pflichtete ihm bei. Es entwickelt sich ein oberflächlicher Dialog. Als er zwischendurch auf sein Handy starrt, muss ich unwillkürlich auf das Display schielen. Ich schaue zu wie mein Sitznachbar eine Nachricht an einen Gruppenchat einer „Kameradschaft“ – auch wieder so eine zynisch unschuldige Bezeichnung für das was es ist, eine Vereinigung von Menschenhassern – tippt. Ich erschrecke, denn auf meinem Rucksack befinden sich diverse Antifa-Buttons, sowie ein „Kein Mensch ist illegal“-Aufnäher. Ich verberge meinen Rucksack. Meine Haltestelle kommt. Der Fascho muss auch aussteigen, ich nach ihm. Als wir ausgestiegen sind, fragt er mich noch nach einem Taxi – er will nicht zu seinem Stammtisch laufen. Ich kriege Panik und verweise ihn in irgendeine Richtung und mache mich schnurstracks davon. Ich ärgere mich sehr über meine zivile Feigheit. Hätte ich ihn in ein politisches Gespräch verwickeln sollen und ihn mit der Macht des stärkeren Arguments im freien Meinungsaustausch von der Philanthropie überzeugen sollen – kleiner Scherz am Rande. Hätte ich ihn vor den anderen Fahrgästen als Nazi outen sollen? Und was hätte er mit mir gemacht – sobald wir ausgestiegen wären? Hätte ich ihm mit dem Überraschungsmoment auf meiner Seite gewaltsam entnazifizieren sollen?

  • Kleinbürgerliche Arbeitereinheitsfront?

Ein paar Wochen später – ich bin wieder auf dem Weg in die Schweiz, komme ich an einer Sitzbank vorbei, darauf sitzen zwei Männer, vor ihnen ihre Fahrräder. Einer von beiden, ein älterer Herr mit grauen Haaren, braungebranntem faltigen Gesicht, stellt sich auf den Weg. Ich lächle ihn an und sage Hallo. Er hält mich an und sagt mir, dass das gefälligst Grüss Gott heisst – Süddeutschland ist ja katholisch – und dass ich mich zu ihnen auf die Bank setzen sollte, sonst würden sie mich zusammenschlagen. Ich erwidere verdutzt und etwas eingeschüchtert, dass ich weiter zum Bahnhof müsse – in diesem Moment löst sich mein angeschlagener Pazifismus in Luft auf. Der Mann lacht und streckt seine Hand aus. Unwillkürlich tue ich es ihm gleich. Er befühlt meine Hand und meint, ich hätte wahnsinnig weiche Hände, ob ich denn noch nie in meinem Leben gearbeitet hätte, er hingegen hat sehr raue Handflächen – soviel zur Arbeiter*inneneinheitsfront. Dann lässt er mich gehen. Ich weiss bis heute nicht, ob dieser Zusammenstoss politisch motiviert war. Laut dem Amt für Verfassungsschutz gibt es in meinem Landkreis circa einhundert organisierte Nazis – da sich der Verfassungsschutz eher als deren Financier und weniger als deren Überwacher herausgestellt hat, dürfte die echte Zahl vielleicht noch etwas höher sein. Seitdem bin ich jedoch immer paranoid wenn ich mich zu Hause allein auf der Strasse bewege.
Ich hasse das Gefühl, nicht organisiert zu sein – so atomisiert, es ist als hätte der Faschismus sein Ziel erreicht -, denn dann scheitere ich an meiner eigenen Feigheit und an meinem Trauma, welches mich lähmt – weil ich die Existenz von rechten Menschen immer noch nicht nachvollziehen kann. Der Philosoph Richard David Precht sieht den Frieden in Europa deshalb gewahrt, weil unsere Generation in ihrer Jugend nie Gewalt erfahren hat, da der Alltag und die Erziehung vollkommen von physischer Gewalt befreit sind – im Falle meiner Vita trifft das zu.
Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, geschlagen zu werden, noch weniger, wie es ist, anderen Gewalt anzutun – aber darauf läuft doch meine Analyse hinaus, oder was stellt man solch organisiertem Wahnsinn in den Weg? In meinem politischen Umfeld hiess es jedoch, Individualterrorismus wäre keine politische Praxis.
Diese – kleinbürgerlichen ? – Widersprüche hindern mich an der politischen Praxis.

  1. Hoffnung?

Wieder im Hier und Jetzt. Ich habe den Nazi-Sticker erfolgreich überklebt, ich fühle mich direkt sicherer. Gehetzt suchen meine Blicke die Umgebung nach weiteren Spuren meiner rechten Zeitgenossen. Da höre ich ein kleines Mädchen, wie es fröhlich in einer Sprache, die ich nicht verstehe, mit seiner Mutter redet. Sie trägt eine Einkaufstasche und ein Kopftuch. Sie sind wahrscheinlich auf dem Weg zur Asylunterkunft, einem ehemaligen Gasthof ausserhalb der Stadt – da äussern sich meine eigenen rassistischen Vorurteile. So gehen diese zwei vom Schicksal getroffenen Menschen dort vorbei, wo noch eben das Zeugnis jener Ideologie prangte, die diese Menschen so sehr verachtet. Das machte mir Mut. Denn bisher hat noch immer das Sein über das Bewusstsein triumphiert. So kann ich nur hoffen, dass die Geflüchteten bleiben können, das Aufbäumen der Reaktion aus der Mottenkiste nur ein Treppenwitz der Geschichte bleibt – denn da wo Globalisierung und technischer Fortschritt unsere Gesellschaft umwälzen, regt sich nunmal ein restauratives Bestreben, aber die Zeit kennt nur eine Richtung und die ist vorwärts.

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