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Für einen bi-nationalen Arbeiterstaat in Palästina-Israel!

Eingereicht on 21. April 2024 – 10:45

Die groß angelegte Terrorkampagne in Gaza ist die krankhafte Reaktion der wahnsinnigen zionistischen herrschenden Klasse Israels auf den bemerkenswert erfolgreichen Ghettoausbruch vom 7. Oktober 2023 unter Führung von Hamas, der führenden islamistischen Widerstandsorganisation in den besetzten palästinensischen Gebieten. Seit der Gründung des jüdischen Staates 1948 sind sich alle Flügel der zionistischen herrschenden Klasse darin einig, dass ihr Überleben von der Vermittlung des Images einer überwältigenden militärischen Überlegenheit (garantiert durch die imperialistischen Schirmherren) gegenüber ihren muslimischen Nachbarn abhängt. Dieses Image wurde der Welt durch die Verwirrung und Inkompetenz der israelischen Verteidigungskräfte (IDF) am 7. Oktober nicht vermittelt. Der wahllose Massenmord und die groß angelegte Zerstörung in Gaza, die von der israelischen herrschenden Klasse entfesselt werden, zielen darauf ab, das Gleichgewicht des Terrors nach der Demütigung durch Hamas, den Islamischen Dschihad und verbündete Milizen wiederherzustellen.

Der gegenwärtige völkermörderische Angriff auf Gaza ist auch eine Fortsetzung des historischen zionistischen Projekts, die einheimische palästinensische Bevölkerung aus allen Gebieten zwischen „dem Fluss und dem Meer“ (d. h. Gaza, dem Westjordanland und dem Südlibanon) zu eliminieren. Der Staat Israel entstand 1948 durch eine ethnische Säuberungskampagne durch mörderische zionistische Schergen, denen es gelang, Hunderttausende von terrorisierten Palästinensern aus dem Land zu vertreiben, das ihre Vorfahren seit Jahrtausenden bewohnt hatten.

Im April 1948 massakrierte eine Einheit der Irgun, der faschistoiden zionistischen Organisation unter der Führung von Menachem Begin, in einem besonders grausamen Terrorakt 250 palästinensische Zivilisten im Dorf Deir Yassin. Begin gründete danach die rechtsgerichtete Likud-Partei und wurde von 1977 bis 1983 Israels sechster Premierminister. Es ist eine tragische Ironie, dass Begin, wie die meisten seiner zionistischen Pogromistenkollegen, selbst ein traumatisierter Überlebender des nationalsozialistischen Holocausts am europäischen Judentum war. Wie Edward Said 1999 beobachtete: „Wir [Palästinenser] sind die Opfer der Opfer, die Flüchtlinge der Flüchtlinge“.

Heute leben Millionen von Nachkommen der ursprünglichen Opfer der Nakba („Katastrophe“) von 1948 in Flüchtlingslagern am Rande der Heimat ihrer Vorfahren. Die Bevölkerung des Gazastreifens, die zum größten Teil aus Flüchtlingen besteht, ist seit langem ein Zentrum des palästinensischen Widerstands, wie der liberale Historiker Tareq Baconi festgestellt hat:

„Man braucht nur durch die Straßen von Gaza zu gehen, um den Stolz zu spüren, den die Menschen auf den ‚Widerstand‘ haben. In zahllosen Gesprächen wurde ich daran erinnert, dass die israelische Armee zwar zu jedem Haus im Westjordanland fahren und dessen Mitglieder verhaften kann – sogar zum Haus des palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas -, dass sie aber keinen Fuß in den Gazastreifen setzen kann. Zumindest nicht, ohne eine Tracht Prügel einzustecken. Dieser Landstreifen gilt als unbefleckt, palästinensisch, steril von der israelischen Besatzung.“

—Hamas Contained—the Rise and Pacification of Palestinian Resistance, 2018 [eigene Übersetzung]

Hamas, die den Gazastreifen seit 2006 regiert, organisierte den Ausbruch am 7. Oktober, um die Aussicht auf eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Israel zu vereiteln, indem es sich anderen arabischen Staaten (Bahrain, Sudan, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Marokko) im Rahmen des von den USA vermittelten „Jahrhundertdeal“, dem Abraham-Abkommen von 2020, anschloss. Ein Abkommen mit den Saudis drohte die palästinensische Frage zu einer innenpolitischen Angelegenheit zu machen, die der zionistische Staat zu lösen hätte. Die Hamas-Führung rechnete zweifellos damit, dass die israelische Regierung auf ihren Angriff mit ungezügelter Brutalität reagieren würde – aber sie kalkulierte richtig, dass dies die Versöhnung mit den Saudis zunichtemachen und die palästinensische Frage wieder in den Vordergrund der internationalen Politik rücken würde.

In einer vom Carnegie Endowment organisierten Diskussionam 11. Dezember 2023 beschrieb Ami Ayalon, ehemaliger Direktor des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, warum sich Hamas für die von ihm so bezeichnete „Samson-Option“ entschied (ein jüdischer biblischer Held, der einen Philistertempel umstürzte und dabei sich selbst und viele seiner Feinde tötete):

„sie waren der Meinung, dass sie nichts zu verlieren hatten und dies die einzige Möglichkeit war, der Welt zu zeigen: ‚Ihr könnt in dieser Region keine Stabilität schaffen, wenn ihr die Palästinenser umgeht – nicht mehr!‘ Und die Tragödie ist, dass sie damit Erfolg hatten. Heute verstehen sogar Amerika und alle arabischen Staaten um uns herum, dass wir uns mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt befassen müssen, wenn wir Stabilität erreichen wollen.“ [eigene Übersetzung]

Ayalon erläuterte, wie Israels „Teile und herrsche“-Strategie, Hamas heimlich gegen ihre säkularen Rivalen in der Palästinensischen Autonomiebehörde zu unterstützen, darauf abzielt, jegliche Fortschritte bei der Schaffung eines palästinensischen Ministaates, wie er in den Osloer Vereinbarungen von 1993 vorgesehen war, zu untergraben. (Die New York Timesvom 13. Dezember 2023 berichtete über die Rolle Israels bei der Weiterleitung von Hunderten von Millionen Dollar aus Katar an Hamas). Die israelische Politik, so Ayalon, sei darauf ausgerichtet:

„sicherzustellen, dass die Palästinenser keine einheitliche Führung haben; sicherzustellen, dass wir immer in der Lage sein sollten zu sagen: ‚niemand, mit dem man reden kann, nichts, worüber man reden kann‘. Und um das zu erreichen, mussten wir sicherstellen, dass Hamas weiterhin den Gazastreifen kontrolliert und die Palästinensische Autonomiebehörde, die von der Fatah unterstützt wird, weiterhin die Palästinenser im Westjordanland anführt, und sie werden einen Konflikt schaffen, wissen Sie, sie werden sich in gewisser Weise fast gegenseitig bekämpfen.“ [eigene Übersetzung]

Im Laufe der Zeit diskreditierten sich die Fatah und die von ihr geleitete korrupte Palästinensische Autonomiebehörde selbst, indem sie als vertragliche Vollstrecker der Zionisten agierten, so dass Hamas als „die einzige Gruppe“ übrigbleibt, „die gegen die israelische Besatzung gekämpft hat, um die palästinensische Freiheit zu erreichen.“

Zionistische ‚Endlösung‘ für Gaza: Nakba II

In seiner Zeit als Premierminister zwischen 2009 und 2021 verband Benjamin Netanjahu die Unterdrückung der Palästinenser in den besetzten Gebieten mit politischen Manövern, die darauf abzielten, die benachbarten arabischen Regime zu neutralisieren, die sich in der Vergangenheit als Verteidiger der enteigneten Palästinenser dargestellt hatten. Der Gazastreifen galt als vollständig unter Kontrolle: eingezäunt, von Minenfeldern und ferngesteuerten Waffen umgeben und ständig von unterirdischen Sensoren und hochmodernen Überwachungssystemen überwacht. Als Hamas und ihre Verbündeten am 7. Oktober erfolgreich ausbrachen, stellten sie nicht nur Netanjahus Strategie auf den Kopf, sondern zerstörten auch seinen Anspruch, der Garant für die „Sicherheit“ der israelischen Juden zu sein.

Netanjahus erklärtes Kriegsziel ist die Liquidierung von Hamas. Dazu muss er die palästinensische Bevölkerung des Gazastreifens loswerden – entweder durch Massenmord oder indem er sie ins Exil zwingt. Am 9. Oktober erklärteder israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant, er wolle eine „Endlösung“ des Palästinenserproblems erreichen: „Ich habe eine vollständige Belagerung des Gazastreifens angeordnet. Es wird keinen Strom, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff geben, alles ist geschlossen. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere, und wir handeln entsprechend.“ Die israelische Politik hat aufgrund des internationalen Drucks einige kosmetische Änderungen erfahren, aber die systematische Zerstörung palästinensischer Häuser, Krankenhäuser, Schulen, Moscheen und anderer wichtiger Infrastrukturen zielt eindeutig darauf ab, den Gazastreifen unbewohnbar zu machen – und das „freiwillige Exil“ derjenigen zu fördern, die noch am Leben sind, wenn die Bombardierungen endlich aufhören.

Mit Stand vom 1. März schätztendie Vereinten Nationen, dass Israel über 100.000 Menschen im Gazastreifen getötet oder verwundet hat – das entspricht etwa einem von 23 Einwohnern. Verschiedene pro-zionistische Medien versuchen, die erschreckende Wahrheit über das Massaker an der palästinensischen Zivilbevölkerung herunterzuspielen, indem sie zynisch behaupten, die Gesundheitsbehörden des Gazastreifens hätten die Zahlen übertrieben. Eine in The Lancet, der führenden medizinischen Fachzeitschrift Großbritanniens, veröffentlichte Studie wies solche Spekulationen zurück und kam zu dem Schluss, dass es wahrscheinlicher ist, dass die Zahl der zivilen Todesopfer in Gaza zu niedrig angesetzt wurde.

Die beispiellose Empörung der Bevölkerung über die groteske Brutalität, die dem Gazastreifen angetan wurde, hat Israels imperialen Schirmherren dazu veranlasst, scheinheilig zu fordern, dass ein Minimum an Lebensmitteln, Treibstoff, Wasser und Medikamenten durch die zionistische Blockade hindurchgelassen wird. Doch die Bedingungen haben sich stetig verschlechtert. Im Dezember meldetedie in den USA ansässige Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch: „Die israelischeRegierung setzt das Aushungern von Zivilisten als Methode der Kriegsführung im besetzten Gazastreifen ein, was ein Kriegsverbrechen darstellt.“

Israelische Journalisten, die aktuelle oder pensionierte Geheimdienstoffiziere interviewt haben, bestätigen, dass das Ziel der massiven Zerstörung des Gazastreifens die Zivilbevölkerung war:

„laut Geheimdienstquellen, die in der Vergangenheit Erfahrungen mit der Anwendung in Gaza aus erster Hand hatten, soll [die Bombardierung ziviler Gebiete] vor allem der palästinensischen Zivilgesellschaft schaden: Sie soll ‚einen Schock erzeugen‘, der unter anderem stark nachhallt und ‚die Zivilbevölkerung dazu bringt, Druck auf Hamas auszuüben‘, wie es eine Quelle ausdrückte.“ [eigene Übersetzung]

Avi Dichter, Israels derzeitiger Landwirtschaftsminister, bestätigte ausdrücklich, dass die groß angelegte Zerstörung der städtischen Infrastruktur des Gazastreifens darauf abzielt, die mörderische ethnische Säuberung von 1948 zu wiederholen:

„Wir sind dabei, die Nakba des Gazastreifens zu verwirklichen. Aus operativer Sicht gibt es keine Möglichkeit, einen Krieg – wie ihn die IDF in Gaza führen will – mit Massen zwischen den Panzern und den Soldaten zu führen. Auf die erneute Frage, ob dies die ‚Gaza-Nakba‘ sei, antwortete Dichter – Mitglied des Sicherheitskabinetts und ehemaliger Direktor des Shin Bet: ‚Gaza-Nakba 2023. So wird es enden.‘“

haaretz.com, 12. November 2023 [eigene Übersetzung]

John Mearsheimer, der Altmeister der amerikanischen „realistischen“ Außenpolitik-Experten, hat die eindeutig „völkermörderische Absicht“ der zionistischen Machthaber erkannt:

„…die israelischen Führer sprechen in schockierender Weise über die Palästinenser und darüber, was sie in Gaza tun möchten, vor allem wenn man bedenkt, dass einige dieser Führer auch unaufhörlich über die Schrecken des Holocausts sprechen. Ihre Rhetorik hat Omar Bartov, einen prominenten, in Israel geborenen Holocaust-Forscher, zu der Schlussfolgerungveranlasst, dass Israel ‚völkermörderische Absichten‘ hat. Andere Wissenschaftler, die sich mit dem Holocaust und Völkermord beschäftigen, haben eine ähnliche Warnung ausgesprochen. Um genauer zu sein, ist es für israelische Führer alltäglich, Palästinenser als ‚menschliche Tiere‘, ‚menschliche Bestien‘ und ‚schreckliche unmenschliche Tiere‘ zu bezeichnen. Und wie der israelische Präsident Isaac Herzog klarstellt, beziehen sich diese Führer auf alle Palästinenser, nicht nur auf  Hamas: In seinen Worten: ‚Es ist eine ganze Nation da draußen, die dafür verantwortlich ist.‘ Wie die New York Times berichtet, überrascht es nicht, dass es zum normalen israelischen Diskurs gehört, zu fordern, dass der Gazastreifen ‚platt gemacht‘, ‚ausgelöscht‘ oder ‚zerstört‘ wird.“

mearsheimer.substack.com, 12. Dezember 2023 [eigene Übersetzung]

Die Welt ist Zeuge des entsetzlichen Leids, das die Zionisten dem Gazastreifen vorsätzlich zufügen – und der Rolle der selbsternannten „freien Welt“ bei der Unterstützung der Verbrechen von Netanjahus Regime. An dem Tag, an dem der Internationale Gerichtshof ein vorläufiges Urteil über die reale Gefahr eines Völkermords in Gaza fällte, behaupteten die Zionisten (ohne jeden Beweis), dass eine Handvoll der 13.000 Mitarbeiter des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) in irgendeiner Weise mit Hamas in Verbindung stünden. Die USA und ein Dutzend ihrer Kumpane (darunter Australien, Großbritannien, Kanada und Deutschland) strichen dem Hilfswerk, das seit 1949 die wichtigste Quelle materieller Unterstützung für palästinensische Flüchtlinge ist, sofort die Mittel.

Das Ausmaß der Verwüstung im Gazastreifen ist so gewaltig und das Leiden der Menschen dort so gründlich dokumentiert, dass die imperialistischen Medien die Kontrolle über die Berichterstattung verloren haben. Der Großteil der Weltbevölkerung nimmt zu Recht wahr, dass die krankhaften völkermörderischen Aktionen der Zionisten von dem von den USA geführten imperialistischen Netzwerk, das sich selbst als „freie Welt“ bezeichnet, unterstützt und ermöglicht werden. Die Pose des US-Imperialismus als Verfechter der „Menschenrechte” und seine Behauptung, er sei bereit, das „Recht auf Schutz“ auszuüben, wo immer wehrlose Menschen außerordentlicher Verfolgung ausgesetzt sind, wird von Milliarden von Opfern imperialistischer Ausbeutung auf der ganzen Welt als eine obszöne, zynische Farce empfunden. Die „soft power“ des US-Imperiums könnte durch ihre reflexartige, tumbe Unterstützung von Netanjahus kriminellem Angriff auf Gaza ebenso viel Schaden nehmen wie durch ihre früheren Fehlschläge in Vietnam und im Irak.  Die Konsequenzen sind bedeutsam in einem Moment, in dem sich die globale Weltordnung im Sonnenuntergang des amerikanischen Jahrhunderts in radikaler Umgestaltung befindet.

Israelische Opfer unter der Zivilbevölkerung am 7. Oktober

Der erstaunliche Erfolg des minutiös geplanten und durchgeführten Angriffs vom 7. Oktober hat die israelischen Behörden und ihre imperialistischen Unterstützer verblüfft. Getrübt durch die willkürliche Tötung und Misshandlung hunderter israelischer Zivilisten – Handlungen, die Marxisten absolut ablehnen – wurde die Zahl der Opfer in die Höhe getrieben, und israelische und westliche Propagandisten fügten verschiedene Erfindungen über geköpfte Babys und vergewaltigte Frauen hinzu, die später weitgehend diskreditiert wurden. Die palästinensischen Kämpfer nahmen etwa 240 Geiseln, eine Taktik, die sowohl die Operationen der IDF erschweren als auch als Druckmittel zur Befreiung Tausender inhaftierter Palästinenser dienen sollte. Seymour Hersh, der renommierte US-Journalist, der 1969 die Geschichte des Massakers von My Lai aufdeckte und ein Vierteljahrhundert später die amerikanischen Gräueltaten im Gefängnis von Abu Ghraib enthüllte, stellte fest, dass viele der von Hamas als Geiseln genommenen Personen „im aktiven Dienst der israelischen Verteidigungsstreitkräfte“ standen.

US-Präsident Joe Biden wiederholtedie Behauptung, Hamas-Kämpfer hätten während des Ausbruchs 40 Babys geköpft und Massenvergewaltigungen begangen. Während die Geschichte mit den Babymorden schnell zurückgenommen wurde, wurden die Behauptungen über Massenvergewaltigungen von Haaretz, Israels linksliberaler „renommierter Tageszeitung“, die sich seit Jahren wagt, verschiedene zionistische Verbrechen gegen Palästinenser aufzudecken, ernst genommen. Jonathan Cook, ein glaubwürdiger britischer Journalist mit pro-palästinensischen Sympathien, analysiertedie beiden Haaretz-Artikel:

„Der erste ist eine Art beweiskräftiger Überblick. Der andere ist ein Profil von Cochav Elkayam-Levy, die die ‚Civil Commission on October 7 Crimes by Hamas against Women and Children‘ [Zivile Kommission für die Verbrechen von Hamas gegen Frauen und Kinder am 7. Oktober] gegründet hat, die an vorderster Front die Vorwürfe der Massenvergewaltigung durch Hamas erhoben hat.“ [eigene Übersetzung]

Cook stellt fest, dass es in beiden Artikeln:

„…kaum Beweise dafür [gibt], dass Hamas systematische Massenvergewaltigungen durchgeführt hat. Zweifellos waren das israelische Militär und die Polizei zu sehr mit dem Kampf gegen Hamas beschäftigt, um Beweise aufzunehmen und zu sammeln. Zweifellos waren einige Leichen zu verbrannt – höchstwahrscheinlich durch israelischen Granaten- und Raketenbeschuss, wie in meinem früheren Artikel [ https://jonathancook.substack.com/p/why-is-the-media-ignoring-evidence] hervorgehoben wurde –, als dass eine gerichtsmedizinische Untersuchung möglich gewesen wäre. Zweifellos wurden viele potenzielle Zeugen an diesem Tag getötet. Aber das Fehlen von Beweisen kann nicht als Beweis gewertet werden, wie es von Haaretz und den westlichen Medien getan wird.“ [eigene Übersetzung]

Cook merkt vernünftigerweise an, dass „nur ein Narr mit Sicherheit behaupten würde, dass es während der chaotischen Ereignisse keine Vergewaltigungen oder sexuellen Übergriffe gab“, während er gleichzeitig betont, dass es bis heute keine Beweise dafür gibt, dass Hamas-Kämpfer an solchen Aktivitäten beteiligt waren. Er zitiert einen widerlichen Bericht von Ynet, einer beliebten israelischen Website, aus dem Jahr 2016, in dem Eyal Karim, der Oberrabbiner der IDF, zu der Frage zitiert wird, warum es für israelische Soldaten zulässig sei, „attraktive nichtjüdische Frauen“ zu vergewaltigen, um die „Moral“ aufrechtzuerhalten:

„Karim antwortete, dass es im Rahmen der Aufrechterhaltung der Tauglichkeit für die Armee und der Moral der Soldaten während des Kampfes erlaubt ist, die Mauern der Sittsamkeit zu ‚durchbrechen‘ und ‚die böse Neigung zu befriedigen, indem man mit attraktiven nichtjüdischen Frauen gegen ihren Willen schläft, aus Rücksicht auf die Schwierigkeiten, mit denen die Soldaten konfrontiert sind, und für den Gesamterfolg‘.“ [eigene Übersetzung]

Wie Cook andeutet, zielen die Aufsehen erregenden Behauptungen (und Erfindungen) über geköpfte Babys und vergewaltigte Frauen darauf ab, „die weitaus schwerwiegenderen und größeren Verbrechen zu rationalisieren, die jetzt in Gaza an Palästinensern begangen werden.“ Bei dem Gefängnisausbruch von Hamas wurde jedoch eine Reihe von Israelis getötet. Die israelischen Behörden behaupteten zunächst, es habe 1400 Opfer gegeben, identifizierten dann aber 200 als palästinensische Kämpfer. Auch die 373 israelischen Soldaten, Polizisten und Sicherheitskräfte, die bei den Kämpfen ums Leben kamen, würden wir nicht als „Opfer“ zählen (france24.com, 15. Dezember 2023). In der Zahl der Todesopfer sind auch mindestens ein paar hundert jüdische Zivilisten enthalten, die als Kollateralschaden von den IDF getötet wurden, als sie versuchten, den Ausbruch zu verhindern. Viele fielen zweifellos unter Umständen, die es sehr schwierig machten, Freund und Feind zu unterscheiden, aber es ist klar, dass andere einfach deshalb starben, weil die israelischen Behörden der Ausschaltung möglicher palästinensischer Kämpfer eine höhere Priorität einräumten als der Rettung jüdischer Zivilisten (thegrayzone.com, 27. Oktober 2023).

Am 12. Dezember 2023 berichtete Yoav Zitun, der Militärkorrespondent von Ynet, dass fast ein Fünftel der „Opfer, die [am 7./8. Oktober in Gaza] fielen, durch Unfälle oder Beschuss durch eigene Truppen“ zu beklagen waren. Zitun enthielt auch die folgende verblüffende Enthüllung:

„Am 7. Oktober fielen Opfer durch Beschuss durch eigene Truppen, aber die IDF ist der Ansicht, dass es über die operativen Untersuchungen der Ereignisse hinaus moralisch nicht vertretbar wäre, diese Vorfälle zu untersuchen, da sie in den Kibbuzim und den südlichen israelischen Gemeinden aufgrund der schwierigen Situationen, in denen sich die Soldaten zu dieser Zeit befanden, immens und komplex waren.“ (Hervorhebung hinzugefügt)

– ynetnews.com, 12. Dezember 2023 [eigene Übersetzung]

Vermutlich ist der „moralische“ Grund, die „immense und komplexe Menge“ an zivilen Opfern, die auf „friendly fire“ zurückzuführen sind, nicht zu untersuchen, der, dass dies die Unterstützung der Bevölkerung für den Krieg gegen Gaza untergraben würde. Scott Ritter, ein gut informierter ehemaliger US-Marine und UN-Waffeninspektor im Irak, dessen Berichte im Allgemeinen sachlich korrekt sind, kommentierte im November:

„…es stellt sich heraus, dass die meisten der ermordeten Israelis am 7. Oktober nicht durch Hamas oder andere palästinensische Gruppierungen umkamen, sondern durch das israelische Militär selbst. Ein kürzlich veröffentlichtes Video zeigt, wie israelische Apache-Hubschrauber wahllos auf israelische Zivilisten schießen, die versuchen, von der Supernova-Sukkot-Veranstaltung in der offenen Wüste in der Nähe des Kibbutz Re’im zu fliehen, wobei die Piloten nicht zwischen Zivilisten und Hamas-Kämpfern unterscheiden können. Viele der Fahrzeuge, die die israelische Regierung als Beispiel für die Perfidie von Hamas anführt, wurden von den israelischen Apache-Hubschraubern zerstört. Ebenso hat die israelische Regierung das, was sie als das ‚Re’im-Massaker‘ bezeichnet, weithin publik gemacht und eine Zahl von 112 Zivilisten genannt, die angeblich von Hamas ermordet wurden. Augenzeugenberichte sowohl von überlebenden israelischen Zivilisten als auch von an den Kämpfen beteiligten Militärangehörigen zeigen jedoch, dass die überwiegende Mehrheit der Getöteten durch das Feuer israelischer Soldaten und Panzer auf Gebäude starb, in denen sich die Zivilisten entweder versteckten oder von Hamas-Kämpfern als Geiseln gehalten wurden.“

johnmenadue.com, 20. November 2023 [eigene Übersetzung]

Es steht außer Frage, dass zusätzlich zu den Opfern des „friendly fire“ Hunderte von israelischen Zivilisten während des Ausbruchs durch bewaffnete Palästinenser ums Leben kamen. Hamas hat bestritten, absichtlich israelische Zivilisten ins Visier genommen zu haben, und obwohl ihre Erklärungen nicht einfach für bare Münze genommen werden können, erscheint es höchst unwahrscheinlich, dass die Architekten einer so eng koordinierten und präzise inszenierten Operation Aktivitäten (wie das Erschießen wahlloser Zivilisten) den Vorrang geben würden, die die verfügbaren Kräfte für die Verfolgung hochwertigerer Ziele reduzieren würden. Hamas (und ihre Widerstandspartner) wissen, wie wichtig es ist, zwischen Zivilisten und IDF-Soldaten (oder faschistischen Siedlern im Westjordanland) zu unterscheiden. Dies zeigt sich an der Priorität, die sie der Aufrechterhaltung des Wohlergehens der Geiseln beimessen, die sie für Verhandlungen mit der israelischen Regierung einsetzen.

Hersh berichtete: „Den Hamas-Kämpfern, die durch den zerstörten Zaun drangen, folgten bald darauf die Bewohner von Gaza-Stadt, die sich in ihrer anhaltenden Wut auf Israel dem Angriff anschließen wollten, ebenso wie die Mitglieder anderer Widerstandsgruppen im Gazastreifen.“ Es scheint wahrscheinlich, dass die meisten der jüdischen Zivilisten, die am 7. Oktober von Palästinensern getötet wurden, Opfer der mehreren Tausend unorganisierten Ausbrecher aus dem Konzentrationslager in Gaza waren und nicht der Elite der Widerstandskämpfer, die ihren Auftrag erfüllten. Wie Scott Ritter jedoch feststellte, hatte Hamas während des Ausbruchs die operative Kontrolle und trägt daher die Gesamtverantwortung für die Aktionen derjenigen, die über die Grenze strömten, sobald die Sperren gefallen waren. Hamas hat es versäumt, Vorkehrungen zu treffen, um die Grenze zu kontrollieren oder rudimentäre Sicherheitsvorkehrungen für die angrenzende Zivilbevölkerung zu treffen. Das Versäumnis, dies zu tun, war ein Fehler, der dazu beigetragen hat, die Rachegelüste der Bevölkerung zu schüren – wären die zivilen Opfer minimiert worden, wäre die Unterstützung für die derzeitige völkermörderische Kampagne in Gaza vielleicht deutlich geringer gewesen.

Marxisten verurteilen wahllose Angriffe auf israelische Zivilisten, aber wir sehen sie im Kontext der jahrzehntelangen, nicht enden wollenden Brutalität, die den Palästinensern in Gaza zugefügt wurde. Die World Socialist Websitebietet eine treffende historische Analogie:

„1831 fand in Southampton County, Virginia, ein Sklavenaufstand unter der Führung von Nat Turner statt. Die entkommenen Sklaven benutzten Messer, Beile und Knüppel, um Dutzende von weißen Männern, Frauen und Kindern zu massakrieren. Der Aufstand wurde mit noch größerer Grausamkeit niedergeschlagen: Umherstreifende Milizen und Mobs ermordeten Schwarze auf der Stelle, unabhängig davon, ob sie an der Rebellion beteiligt waren. Turners Leiche wurde gehäutet und seine Haut zu Souvenir-Taschen verarbeitet. Jeder objektive Historiker würde im Nachhinein die Schuld für die ungeheure Gewalt solcher Aufstände nicht den Sklaven, sondern dem Sklavensystem selbst mit all seiner kolossalen Unmenschlichkeit zuschreiben.“ [eigene Übersetzung]

Es sollte nicht überraschen, wenn Menschen, die durch ein Leben in abscheulicher Unterdrückung desensibilisiert sind, wahllos um sich schlagen, wenn sie die Gelegenheit dazu bekommen. Es ist auch nicht verwunderlich, wenn ihre Unterdrücker mit massiver und unverhältnismäßiger Brutalität reagieren. Das Entsetzen, mit dem der Tod der fünf- oder sechshundert israelischen zivilen Opfer von den Massenmedien behandelt wurde, steht in scharfem Kontrast zu den nüchternen Beschreibungen der zehntausenden palästinensischen zivilen Opfer des zionistischen Militärs. Das ist nichts Ungewöhnliches: Die moralische Empörung der professionellen Publizisten des Finanzkapitals ist immer höchst selektiv.

Hamas und die Politik des palästinensischen Widerstands

In den 1970er Jahren betrachtete Israel Jassir Arafats säkular-nationalistische Fatah und die von ihr geführte Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) als eine ernsthafte Bedrohung. Zu dieser Zeit genoss die PLO aufgrund ihrer manchmal spektakulären, wenn auch letztlich unwirksamen Angriffe auf israelische Ziele im Rahmen des „bewaffneten Kampfes“ breite Unterstützung in der Bevölkerung. Während die PLO von den imperialistischen Medien routinemäßig als „Terroristen“ denunziert wurde, nahm sie Anfang der 1970er Jahre ihre ursprüngliche Forderung nach Beseitigung der zionistischen Herrschaft im gesamten Mandatsgebiet Palästina von 1947 zurück und trat stattdessen für ein „demokratisches, säkulares Palästina“ mit gleichen Rechten für alle ein, unabhängig von Religion oder Nationalität. Der geplante neue „demokratische“ (d. h. kapitalistische) palästinensische Staat würde ein „Rückkehrrecht“ für die Millionen von Nakba-Flüchtlingen anerkennen, nicht aber für außerhalb Israels lebende Juden.

Der palästinensische Zweig der Muslimbruderschaft, einer 1928 in Ägypten gegründeten panarabischen islamistischen Bewegung, lehnte sowohl den Säkularismus als auch die militante Taktik der PLO ab und versuchte stattdessen, seinen Einfluss durch die Schaffung eines Netzwerks religiöser, medizinischer, sozialer und pädagogischer Einrichtungen auszuweiten, die im Gazastreifen als „Islamische Vereinigung“ tätig sind. Ihr Anführer, Scheich Ahmed Yassin, beantragte 1976 erfolgreich eine Lizenz des israelischen Staates zur Gründung der Islamischen Vereinigung. Nach dem Erfolg der islamischen Revolution von Ayatollah Khomeini im Iran spalteten sich 1981 einige jüngere Mitglieder der Bruderschaft, die von Yassins gradualistischer Strategie enttäuscht waren, ab und gründeten den „Islamischen Dschihad“. 1983, als Reaktion auf das zunehmend aggressive Tempo der zionistischen Übergriffe in den besetzten Gebieten, machten sich die jordanischen und palästinensischen Zweige der Bruderschaft in einer grundlegenden Änderung ihrer Doktrin den bewaffneten Widerstand als legitime Taktik zu eigen, die in Verbindung mit ihrer längerfristigen Strategie des Kampfes um Einfluss in der Bevölkerung durch die Schaffung islamistischer Institutionen verfolgt werden sollte.

Hamas wurde im Januar 1988, zu Beginn der ersten Intifada, gegründet. Ihr Name, abgeleitet vom arabischen Akronym für „Islamische Widerstandsbewegung“ (Harakat al-Muqawama al-Islamiyya), bedeutet Fanatismus, Begeisterung oder Eifer. In der „Charta Allahs“, dem Gründungsdokument der Hamas, werden die Begriffe „Jude“ und „Zionist” durchgängig in einen Topf geworfen und eines der schlimmsten Beispiele für offenen Antisemitismus gebilligt:

„Der Zionismus macht nirgends Halt: Nach Palästina strebt er eine Expansion vom Nil bis zum Euphrat an, und wenn er sich diese Region einverleibt hat, folgt weitere Expansion und so fort. Die Pläne der Zionisten sind in den ‚Protokollen der Weisen von Zion‘ nachzulesen und ihre derzeitigen Taten belegen bestens, was wir hier sagen.“

Als Hamas allmählich an Einfluss gewann und sich zur führenden Organisation im palästinensischen Widerstandskampf entwickelte, änderte sich ihre Position in mehreren wichtigen Fragen.  2017 nahm sie eine neue Chartaan, in der sie die Ideeeines palästinensischen Ministaats in den besetzten Gebieten (Ost-Jerusalem, Gaza und Westjordanland) akzeptierte und den offenen Antisemitismus ihres Gründungsdokuments fallen ließ. In der Erklärung von 2017 bezeichnete sich Hamas als:

„eine palästinensische islamische nationale Befreiungs- und Widerstandsbewegung. Ihr Ziel ist es, Palästina zu befreien und dem zionistischen Projekt entgegenzutreten. Ihr Bezugsrahmen ist der Islam, der ihre Grundsätze, Ziele und Mittel bestimmt.“

Im Text von 2017 heißt es: „Der Islam wendet sich gegen alle Formen von religiösem, ethnischem oder konfessionellem Extremismus und Bigotterie“ und unterscheidet ausdrücklich zwischen der jüdischen Religion und der rassistischen Ideologie des Zionismus:

„Die Hamas bekräftigt, dass ihr Konflikt mit dem zionistischen Projekt und nicht mit den Juden aufgrund ihrer Religion besteht. Die Hamas kämpft nicht gegen die Juden, weil sie Juden sind, sondern sie kämpft gegen die Zionisten, die Palästina besetzen. Dennoch sind es die Zionisten, die das Judentum und die Juden ständig mit ihrem eigenen kolonialen Projekt und illegalen Gebilde identifizieren.“ (Punkt 16)

Weiter heißt es in dem Dokument:

„Die Hamas lehnt die Verfolgung eines Menschen oder die Untergrabung seiner Rechte aus nationalistischen, religiösen oder konfessionellen Gründen ab. Die Hamas ist der Ansicht, dass das jüdische Problem, der Antisemitismus und die Verfolgung der Juden Phänomene sind, die grundsätzlich mit der europäischen Geschichte und nicht mit der Geschichte der Araber und Muslime oder ihrem Erbe verbunden sind.“ (Punkt 18)

Es stimmt, dass der Antisemitismus jahrhundertelang im Wesentlichen ein europäisches Phänomen war – etwa 1500 Jahre vor der Gründung Israels lebten Muslime, Juden und Christen in Palästina friedlich zusammen, und blühende jüdische Gemeinden gab es in Städten in praktisch allen arabischen Ländern.

Zionismus und Imperialismus: Partner im Nahen Osten

Die Wurzeln des Antisemitismus im Nahen Osten lassen sich auf die Balfour-Erklärung zurückverfolgen – der ursprünglichen Charta für die zionistische Kolonisierung Palästinas, die 1917 vom britischen Außenminister veröffentlicht wurde. Den Verantwortlichen des britischen Empire war das Wohlergehen der zionistischen Siedler und der einheimischen palästinensischen Bevölkerung gleichgültig. Ihr Ziel war es, eine Gemeinschaft europäischer Juden im Nahen Osten zu etablieren, die vom Schutz ihrer imperialen Paten abhängig und somit im Falle einer kolonialen Revolte verlässlich sein würde.

Der Zionismus entstand im späten 19. Jahrhundert als reaktionäre Antwort auf die Unterdrückung der Juden im Zarenreich. Er basiert auf der ahistorischen Vorstellung, dass Antisemitismus ein ständiges Merkmal der menschlichen Gesellschaft ist – obwohl er in Wirklichkeit seinen Ursprung im Ausschluss der Juden von vielen Arten wirtschaftlicher Aktivitäten im feudalen Europa während des Mittelalters hat, wie Abram Leon in seinem klassischen Werk „Judenfrage und Kapitalismus“ erklärt.

Während der Zionismus der palästinensischen Bevölkerung, die er 1948 verdrängte, enormes Leid zufügte, war er auch für die Mehrheit der Juden eine Tragödie, da er sie von der Teilnahme am sozialistischen Kampf zur Überwindung der kapitalistischen Irrationalität in die Sackgasse des Nationalismus lenkte. Das zionistische Projekt versprach einen harmonischen Nationalstaat, in dem Unternehmenseigentümer und ihre Angestellten zu ihrem beiderseitigen Nutzen zusammenarbeiten würden, aber von Anfang anwar Israel ein unterdrückerischer jüdisch-suprematistischer Staat, in dem Kapitalisten gegenüber Arbeitern, europäische aschkenasische Juden gegenüber mizrachischen/sephardischen Juden spanischer, nahöstlicher und nordafrikanischer Herkunft und alle Juden gegenüber Palästinensern und anderen Nichtjuden privilegiert sind.

Leo Trotzki, der große russische Revolutionär, schrieb im Juli 1940, einen Monat bevor er von einem stalinistischen Attentäter ermordet wurde, in weiser Voraussicht:

„Die Anstrengung, die Judenfrage durch die Migration von Juden nach Palästina zu lösen, kann jetzt als das gesehen werden, was sie ist: eine tragische Farce für das jüdische Volk. Die britische Regierung, die daran interessiert ist, die Sympathien der Araber zu gewinnen, die zahlreicher sind als die Juden, hat ihre Politik gegenüber den Juden völlig geändert und nunmehr ihr Versprechen, ihnen zur Heimstatt im ‚eigenen Land‘ zu verhelfen, gebrochen.  Die künftige Entwicklung der militärischen Ereignisse könnte wohl Palästina in eine blutige Falle für einige Hunderttausend Juden verwandeln. Niemals war es so klar wie heute, dass die Rettung des jüdischen Volkes untrennbar mit dem Sturz des kapitalistischen Systems verbunden ist.“

– Zur Judenfrage, zitiert nach: Mario Keßler (Hrsg.): Leo Trotzki oder: Sozialismus gegen Antisemitismus, 2022

Die trotzkistische Bewegung in Palästina (deren Mitglieder zu einem Viertel Araber und zu drei Vierteln Juden waren) lehnte die Gründung des zionistischen Staates 1948 ab und vertrat im anschließenden Krieg eine Position des beiderseitigen Defätismus, wie auch die US-amerikanische Socialist Workers Party (SWP), die Vorzeigesektion der Vierten Internationale. Die SWP (Militant, 31. Mai 1948) erklärte: „das Programm eines jüdischen Staates in Palästina und der jüdische Krieg für dieses Ziel ist von Anfang bis Ende reaktionär und bankrott.“ Sie stellte auch richtigerweise fest: „Auch die arabischen Machthaber führen keinen fortschrittlichen Kampf für nationale Unabhängigkeit und gegen den Imperialismus.“ [eigene Übersetzung]

Seit seiner Gründung im Jahr 1948 diente Israel als Stützpunkt für den westlichen Imperialismus im Nahen Osten. Es wurde aber auch zur Heimat der Überlebenden des nationalsozialistischen Versuchs, das europäische Judentum während des Zweiten Weltkriegs auszurotten. Die meisten der jüdischen „Displaced Persons“, die die Todeslager der Nazis überlebten und nach dem Krieg nach Palästina strömten, waren keine Zionisten – sie kamen nur nach Palästina, weil die alliierten Siegermächte sich weigerten, sie aufzunehmen. Die allgegenwärtige antikommunistische Atmosphäre in der „Freien Welt“ der Nachkriegszeit machte es ehemaligen Nazis viel leichter, in die USA, nach Kanada und in andere „demokratische“, imperialistische Länder auszuwandern, als ihren jüdischen Opfern, die als ideologisch verdächtig galten.

Auf einer Pressekonferenz am 13. Oktober 2023 verteidigte der israelische Präsident Isaac Herzog die kollektive Bestrafung aller Menschen in Gaza mit der Begründung: „Es ist ein ganzes Volk da draußen, das für den Überfall vom 7. Oktober verantwortlich ist“:

„Es ist nicht wahr, dass die Zivilbevölkerung nichts weiß und nicht beteiligt ist. Das ist absolut nicht wahr. Sie hätten sich erheben können. Sie hätten gegen das böse Regime kämpfen können, das den Gazastreifen durch einen Staatsstreich übernommen hat.“

news.yahoo.com, 17. Oktober 2023 [eigene Übersetzung]

Dies ist das Spiegelbild des Wunsches der zionistischen Herrscher, alle Juden in ihren mutwilligen kriminellen Angriff auf die wehrlose Zivilbevölkerung in Gaza zu verwickeln. Leider ist die überwältigende Mehrheit der israelischen Juden, entsetzt über den Tod von Hunderten ihrer Landsleute während des Gefängnisausbruchs vom 7. Oktober und voller Angst um die Zukunft, bestenfalls gleichgültig gegenüber der Notlage der Palästinenser, die im größten Freiluft-Konzentrationslager der Welt zusammengepfercht sind.

Die pro-zionistischen, imperialistischen Medien haben Berichte weitgehend ignoriert, wonach Hamas trotz eines Anstiegs ihrer Unterstützung im Westjordanland nach dem 7. Oktober noch immer nicht die Unterstützung der Mehrheit der Palästinenser in den besetzten Gebieten genießt. Das Palästinensische Zentrum für Politik und Umfrageforschung (PCPSR) berichtet:

„Die Unterstützung für Hamas hat sich im Westjordanland im Vergleich zu vor drei Monaten mehr als verdreifacht. Im Gazastreifen ist die Unterstützung für Hamas zwar gestiegen, aber nicht signifikant. Trotz des Anstiegs der Popularität von Hamas unterstützt die Mehrheit sowohl im Westjordanland als auch im Gazastreifen Hamas nicht. Es ist erwähnenswert, dass die Unterstützung für Hamas in der Regel während oder unmittelbar nach einem Krieg vorübergehend ansteigt und dann einige Monate nach Kriegsende wieder auf das vorherige Niveau zurückgeht.“ [eigene Übersetzung]

Das PCPSR berichtet, dass die Unterstützung für die islamistische Bewegung im Westjordanland von 12 auf 44 Prozent gestiegen ist, während sie im Gazastreifen einen bescheideneren Anstieg von 38 auf 42 Prozent verzeichnete. Dennoch „sagte eine große Mehrheit (72%; 82% im Westjordanland und 57% im Gazastreifen), dass [die Offensive vom 7. Oktober] eine richtige Entscheidung war“. Unter den Palästinensern:

„[ist] die Unterstützung für den bewaffneten Kampf … im Vergleich zu vor drei Monaten um zehn Prozentpunkte gestiegen, wobei mehr als 60 % sagen, dass dies das beste Mittel zur Beendigung der israelischen Besatzung ist; im Westjordanland steigt der Prozentsatz weiter auf fast 70 %.“ [eigene Übersetzung]

Es überrascht kaum, dass die meisten Palästinenser den Ausbruch vom 7. Oktober als legitimen Akt des Widerstands betrachten, aber es ist auch klar, dass viele ernsthafte Vorbehalte gegen Hamas hegen. Während Marxisten in militärischen Auseinandersetzungen mit den israelischen Besatzungstruppen auf der Seite von Hamas stehen, ist es eine Tragödie, dass der Widerstand der Palästinenser, die im Allgemeinen als die am besten ausgebildeten, säkularsten und politisch fortschrittlichsten in der muslimischen Welt gelten, von einer theokratischen, homophoben und frauenfeindlichen islamischen Bewegung angeführt wird. Der islamische Obskurantismus stellt für die brutal unterdrückten Palästinenser ebenso wenig eine historisch fortschrittliche Alternative dar wie der pathologische Rassismus von Netanjahus Regime für die israelischen Juden. Dennoch kann nicht geleugnet werden, dass Hamas (und ihre Verbündeten im Islamischen Dschihad und verschiedenen kleineren palästinensischen Widerstandsmilizen) am 7. Oktober unter sehr schwierigen Umständen eine wirksame Militäroperation durchführten, die das israelische Militär (und die Welt) in Erstaunen versetzte, und dass sie seitdem einen erstaunlich widerstandsfähigen und wirksamen Kampf geführt haben.

Risse im zionistischen Monolithen

Eine bedeutende Minderheit der jüdischen Diaspora, vor allem in Nordamerika, hat sich der Mehrheit der Weltbevölkerung angeschlossen und ihr Entsetzen und ihren Abscheu über den mörderischen Ethno-Nationalismus der IDF-Kampagne in Gaza zum Ausdruck gebracht. Besonders ausgeprägt ist dieses Gefühl bei einer Schicht radikal-liberaler, jüdischer Jugendlicher. Am 28. Oktober2023 verhaftete die New Yorker Polizei 400 der mehreren tausend überwiegend jüdischen Demonstranten, die die Grand Central Station aus Protest gegen das Massaker in Gaza geschlossen hatten. Einer der Demonstranten trug ein Schild mit der Aufschrift „Nie wieder, für niemanden“ – eine Anspielung auf den Nazi-Holocaust, bei dem 6 Millionen Juden getötet wurden.

Nach einer kurzen Unterbrechung seiner Amtszeit als Ministerpräsident im Jahr 2021 wurde Netanjahu im darauffolgenden Jahr an der Spitze einer rechtsgerichteten Koalition wiedergewählt, der auch ultraorthodoxe religiöse Parteien und rassistische Siedler aus dem Westjordanland angehören. Aluf Benn, Herausgeber von Haaretz, beschrieb Netanjahus Koalitionsprogramm in einem Artikel in der Märzausgabe von Foreign Affairs, der wichtigsten außenpolitischen Zeitschrift des US-Imperialismus, als „ein Modell für ein autokratisches und theokratisches Israel“. Benn beschreibt, wie Netanjahus liberale zionistische Gegner während der neun Monate andauernden massiven Proteste gegen die vorgeschlagenen „Reformen“ zur Einschränkung der Unabhängigkeit der Justiz jegliche Fragen bezüglich der Palästinenser in den besetzten Gebieten vermieden:

„Netanjahus radikale neue Regierung löste unter israelischen Liberalen und Zentristen Empörung aus. Doch obwohl die Demütigung der Palästinenser im Mittelpunkt ihrer Agenda stand, ignorierten diese Kritiker weiterhin das Schicksal der besetzten Gebiete…. Stattdessen konzentrierten sie sich weitgehend auf Netanjahus Justizreformen. Diese im Januar 2023 angekündigten Gesetzesvorschläge würden die Unabhängigkeit des Obersten Gerichtshofs Israels einschränken… Die Gesetzesentwürfe zur Justizreform waren zweifelsohne außerordentlich gefährlich. Sie haben zu Recht eine enorme Protestwelle ausgelöst, bei der jede Woche Hunderttausende von Israelis demonstrieren. Doch Netanjahus Gegner taten angesichts dieses Putsches wieder einmal so, als sei die Besatzung ein separates Thema. Obwohl die Gesetze zum Teil entworfen wurden, um den Rechtsschutz zu schwächen, den der Oberste Gerichtshof Israels den Palästinensern gewähren würde, scheuten die Demonstranten davor zurück, die Besatzung oder den gescheiterten Friedensprozess zu erwähnen, aus Angst, als unpatriotisch verleumdet zu werden. Die Organisatoren bemühten sich sogar, die israelischen Besatzungsgegner ins Abseits zu stellen, um zu vermeiden, dass Bilder von palästinensischen Flaggen auf den Demonstrationen gezeigt werden. Diese Taktik war erfolgreich, denn sie sorgte dafür, dass die Protestbewegung nicht durch die palästinensische Sache ‚befleckt‘ wurde: Die israelischen Araber, die etwa 20 Prozent der Bevölkerung des Landes ausmachen, haben sich weitgehend von den Demonstrationen ferngehalten.“ [eigene Übersetzung]

Netanjahus Griff nach der Macht, die von seinen Kritikern als „das Ende der Demokratie“ bezeichnet wurde, wurde von einem Großteil des israelischen Sicherheitsapparats nicht begrüßt. Benn beschrieb, wie sich die Spaltung der zionistischen Führungsschicht im Militär manifestierte:

„Reservistenpiloten, die für die Einsatzbereitschaft und Kampfkraft der Luftwaffe von entscheidender Bedeutung sind, drohten damit, ihren Dienst zu verweigern, wenn die Gesetze verabschiedet würden. Als Zeichen des institutionellen Widerstands wies die Führung der IDF Netanjahu zurück, als dieser sie aufforderte, die Reservisten zu disziplinieren.“ [eigene Übersetzung]

Die „Justiz-Reformen“ waren auch bei Intellektuellen und vielen Unternehmern generell unpopulär. Der Thinktank Taub Center stellte fest:

„Die daraus resultierende Spaltung der Gesellschaft hat bei führenden Wirtschaftswissenschaftlern Besorgnis über die Gefahr für die Wirtschaftsleistung ausgelöst. Im High-Tech-Sektor gab es erste negative Anzeichen (wie die Registrierung neuer Unternehmen in Denver, Colorado, statt in Israel).“ [eigene Übersetzung]

Ein Artikel in The Cradlevom 27. März 2023 berichtete:

„Der Chef des Shin Bet, Ronen Bar, warnte Netanjahu ebenfalls, dass Israel sich auf einem sehr gefährlichen Weg befindet und zeichnete dem Premierminister ein ‚sehr düsteres‘ Bild von den Folgen seines Plans [der Justizreform] …. Der ehemalige ranghohe Sicherheitsbeamte Amos Yadlin verfasste kürzlich einen Artikel für denselben Sender [Channel 12], in dem er Netanjahu als ‚Vater des Scheiterns von 2023‘ bezeichnete und [warnte]: ‚Die israelische Armee ist wackelig und von innen zerrissen, und in den Beziehungen zu unserem wichtigsten Verbündeten, den Vereinigten Staaten, herrscht Uneinigkeit und Misstrauen. Die israelische Abschreckung ist auf einem historischen Tiefstand, die Wirtschaft verschlechtert sich und steuert auf einen starken Abschwung zu, die gesellschaftliche Einheit wurde durch eine tiefe Spaltung ersetzt, und der Sinn für das Schicksal und die Schicksalsgemeinschaft hat einen schweren Schlag erlitten.‘“ {eigene Übersetzung]

Yadlins vorausschauende Beobachtung, dass: „die Risse [in der IDF] sind bereits sichtbar, die Effizienz ist schwach, und die Abschreckung ist schwach“, wurde durch die unfähige Reaktion auf den Ausbruch von Hamas sechs Monate später bestätigt.

Militärischer Sieg entgleitet den Zionisten

Das enorme Gefälle zwischen den Widerstandskräften in Gaza und denen der Israelis schließt die Möglichkeit eines einfachen militärischen Sieges über die IDF aus. Hamas verfolgt offensichtlich eine politische Strategie, die darauf abzielt, einen palästinensischen Ministaat (auch bekannt als „Zweistaatenlösung“) zu errichten, und zwar durch ein Entgegenkommen gegenüber dem zionistischen Regime (und seinen imperialistischen Unterstützern), das durch eine Kombination aus bewaffnetem Widerstand und der Unterstützung durch regionale bürgerliche Regime erreicht wird. Eine Umfrage zur palästinensischen Volksmeinung vom Dezember 2023 berichtet:

„trotz des Anstiegs der Unterstützung für den bewaffneten Kampf ist die Unterstützung für die Zwei-Staaten-Lösung in dieser Umfrage nicht gesunken. Im Gegenteil, die Unterstützung für diese Lösung hat sowohl im Westjordanland als auch im Gazastreifen leicht zugenommen. Dieser Anstieg scheint vor allem von denjenigen zu kommen, die glauben, dass das Gerede der USA und Europas über die Zweistaatenlösung tatsächlich ernst gemeint ist.“ [eigene Übersetzung]

Das imperialistische Gerede von einer „Zwei-Staaten-Lösung“ über einen „Friedensprozess“, der angeblich mit den Osloer Verträgen von 1993 eingeleitet wurde, war nie viel mehr als ein Versuch, Zeit zu gewinnen, damit Hunderttausende fanatischer zionistischer Siedler im gesamten Westjordanland „Fakten schaffen“ können. Der liberalere Flügel der israelischen herrschenden Klasse stellte sich einen palästinensischen Ministaat als entmilitarisiertes Gebilde ohne Kontrolle über die eigenen Grenzen oder den Luftraum vor – ein Rahmen, der von einer unterwürfigen Palästinensischen Autonomiebehörde von vornherein abgelehnt wurde. Die Befürworter eines Groß-Israels (Erez Israel) haben einen palästinensischen Staat nie ernsthaft als etwas anderes als ein völlig unterwürfiges Bantustan in Erwägung gezogen – eine „Lösung“, die das derzeitige, äußerst ungleiche Verhältnis legitimieren soll. Im Dezember lehnte Shlomo Karhi, Netanjahus Kommunikationsminister, der Israel als „historisches Erbe unserer Vorfahren“ (im Sinne der Bibel) bezeichnete, kategorisch jede „Zweistaatenlösung“ ab:

„Es wird hier keinen palästinensischen Staat geben. Wir werden niemals zulassen, dass zwischen dem Jordan und dem Meer ein weiterer Staat gegründet wird.“

democraticunderground.com, 13. Dezember 2023 [eigene Übersetzung]

Nach fünfmonatigen Kämpfen ist der Gazastreifen verwüstet, doch Hamas verfügt weiterhin über beträchtliche Einsatzkapazitäten und fügt den israelischen Besatzungstruppen, deren Rehabilitationsabteilung in den ersten drei Monaten des Konflikts 3.400 invalide Soldaten aufgenommen hat, weiterhin Verluste zu. Einem Berichtvon Ynet vom 4. Januar zufolge:

„Das Verteidigungsministerium beauftragte ein externes Unternehmen mit der Untersuchung von Trends aus früheren Operationen und Kriegen, um die Zahl der Soldaten zu schätzen, die im Jahr 2024 von den IDF in der Rehabilitationsabteilung als Invaliden aufgenommen werden. Die Prognose ist erschütternd: 12.500 Soldaten werden als kriegsversehrt anerkannt werden, und das ist eine sehr konservative und vorsichtige Schätzung.“ [eigene Übersetzung]

Der Taub Centerhat auf den „schweren“ wirtschaftlichen Schaden hingewiesen, der Israel durch den Konflikt entstanden ist:

„Seit [dem 7. Oktober 2023] befindet sich die israelische Wirtschaft im Kriegszustand, mit zahlreichen Opfern und schrecklichen Zerstörungen im Süden, Hunderttausenden einberufenenen Reservisten, und Hunderttausenden von Bürgern, die aus ihren Häusern im Norden und Süden evakuiert wurden. Der Krieg, der schwere direkte und indirekte Kosten verursacht, wird das Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr beeinträchtigen und weitreichende Änderungen im Staatshaushalt erfordern. Trotz der relativen Widerstandsfähigkeit, mit der die Wirtschaft in die Krise eingetreten ist, sind die Schäden schwerwiegend.“ [eigene Übersetzung]

Am 9. Februar berichteteBloomberg News, dass Moody’s Investors Service die Kreditwürdigkeit Israels herabgestuft habe:

„Der Konflikt und seine Folgen werden ‚das politische Risiko für Israel wesentlich erhöhen sowie seine exekutiven und legislativen Institutionen und seine finanzielle Stärke für die absehbare Zukunft schwächen‘, sagte Moody’s in seiner Erklärung am Freitag und fügte hinzu, dass es ‚erwartet, dass Israels Schuldenlast wesentlich höher sein wird als vor dem Konflikt projiziert‘.“ [eigene Übersetzung]

Das ist natürlich nichts im Vergleich zu dem Leid, das die Palästinenser ertragen müssen; Tod, Zerstörung und Vertreibung infolge des aktuellen Konflikts übertreffen sogar die Nakba von 1948. Doch die Kosten für die Zionisten waren hoch – ihre Verlegenheit über den Ausbruch am 7. Oktober und die anschließenden Schwierigkeiten, Hamas zu unterwerfen, haben zweifellos Israels Fähigkeit verringert, Hisbollah und verschiedene andere regionale Feinde einzuschüchtern. Die zionistischen Machthaber haben auch einen hohen Preis in der weltweiten öffentlichen Meinung gezahlt; Echtzeitaufnahmen von Tod und Zerstörung, die über die verarmten Massen in Gaza hereinbrechen, werden von Milliarden Asiaten, Afrikanern und Lateinamerikanern, die noch immer die Narben des europäischen Kolonialismus tragen, als genau das gesehen, was es ist. Israels Versuch, dem Gazastreifen eine „Endlösung“ aufzuzwingen, hat eine beträchtliche Schicht jüdischer Jugendlicher in Nordamerika entfremdet – eine Region, aus der der zionistische Staat seit langem wichtige politische, militärische und finanzielle Unterstützung bezieht.

Die herrschende Klasse Israels wünscht sich seit langem, dass die USA in einen direkten Konflikt mit Iran eintreten, ihrem Hauptgegner in der Region und dem wichtigsten Unterstützer der „Achse des Widerstands“, zu der auch Hisbollah und Hamas gehören. In einem Interview vom Dezember 2023 bezeichnete der israelische Präsident Isaac Herzog den Konflikt mit Hamas als einen Kampf zur „Rettung der westlichen Zivilisation“ vor dem „Reich des Bösen“ in Teheran:

„‚Dieser Krieg ist ein Krieg, der nicht nur zwischen Israel und Hamas stattfindet. Es ist ein Krieg, der wirklich und wahrhaftig dazu dient, die westliche Zivilisation zu retten, die Werte der westlichen Zivilisation zu retten‘, sagte Herzog in einem Interview mit Ana Cabrera von MSNBC. ‚Wir werden von einem dschihadistischen Netzwerk angegriffen, einem Imperium des Bösen, das von Teheran aus mit seinen Verzweigungen im Libanon mit Hisbollah, mit Hamas in Gaza, bis zu den Houthis im Jemen reicht. Dieses Imperium ist im Irak, und dieses Imperium will den gesamten Nahen Osten erobern‘, sagte er. ‚Und wenn wir nicht wären, wäre Europa als Nächstes dran, und die Vereinigten Staaten würden folgen.‘“

thehill.com, 5. Dezember 2023 [eigene Übersetzung]

Bisher haben die USA einen direkten Konflikt mit dem Iran vermieden, während sie sich mit pro-iranischen Milizen im Irak und in Syrien Gefechte lieferten, die amerikanische Militärposten in der Region angriffen, um ihre Solidarität mit dem Volk von Gaza zu bekunden. US-amerikanische und britische Bomber haben seither Jemen angegriffen, in dem erfolglosen Versuch, die heldenhaften und bemerkenswert erfolgreichen Bemühungen der Huthi-Kämpfer zu beenden, Israels lebenswichtige Schifffahrtsroute durch das Rote Meer zu unterbrechen. In einem kürzlich erschienenen Bericht auf oilprice.com wird beschrieben, wie die „sich ständig verlängernde Reihe von Angriffen der jemenitischen Huthis auf Schiffe, die die Meerenge Bab el-Mandeb zwischen Afrika und dem Nahen Osten passieren“, „die globale Landkarte des Seeverkehrs neu gezeichnet“ haben, indem sie die verfügbare Kapazität verknappten und die Tagesraten in die Höhe trieben:

„Trotz der verstärkten Militärpräsenz der USA und Großbritanniens im Roten Meer haben viele Reedereien beschlossen, ihre Schiffe um Afrika herum zu leiten, um das Risiko von Angriffen zu vermeiden. Dadurch haben sich die Fahrtzeiten zwischen Asien und Europa um einige Tage verlängert, was den Treibstoffverbrauch und die Gesamttransportkosten erhöht hat.“

oilprice.com, 19. Februar [eigene Übersetzung]

Israelische Geiseln: ein zentrales Thema

2006 nahmen Hamas-Kämpfer Gilad Shalit gefangen, einen 20-jährigen Gefreiten der israelischen Streitkräfte, der mehr als fünf Jahre lang in Gefangenschaft gehalten wurde, während eine Reihe von langwierigen Verhandlungen stattfand. Im Oktober 2009 erreichte Hamas die Freilassung von 20 weiblichen palästinensischen Gefangenen im Austausch gegen einen Videobeweis, dass Shalit noch am Leben war. Zwei Jahre später wurde Shalit nach zahlreichen Protesten der Bevölkerung – darunter ein zehntägiger, 190 Kilometer langer Marsch von Mitzpe Hila (Shalits Heimatstadt) aus, der mit einer Kundgebung von 10.000 Menschen vor der Jerusalemer Residenz von Premierminister Netanjahu endete – schließlich gegen 1027 palästinensische Gefangene ausgetauscht. Ynet News (17. Oktober 2011) berichtete, dass die Israelis das Abkommen mit überwältigender Mehrheit unterstützten:

„Auf die Frage, ob sie die Freilassung von Shalit im Austausch gegen 1.027 Terroristen befürworten, antworteten 79 % der Befragten mit Ja und nur 14 % mit Nein.“ [eigene Übersetzung]

Netanyahu erhielt eher gemischte Kritiken: „49% sagten, er habe dem öffentlichen Druck nachgegeben, während 43% meinten, er habe wie ein Führer gehandelt.“ Die Meinungen über die Auswirkungen auf „die Sicherheit der israelischen Bürger” waren ebenfalls geteilt: 50 % sagten, sie hätten Angst, „während 48 % sagten, sie vertrauten den israelischen Sicherheitskräften“.

Der Shalit-Austausch offenbarte eine Schwachstelle, die Hamas auszunutzen versuchte: Die am 7. Oktober entführten Geiseln sollten gegen einige (oder alle) der rund 7.000 Palästinenser ausgetauscht werden, die Israel derzeit wegen angeblicher Sicherheitsverstöße festhält. Nach Angaben von Human Rights Watch:

wurden die meistenvon ihnen nie wegen eines Verbrechens verurteilt, mehr als 2.000 von ihnen befinden sich in Verwaltungshaft, in der das israelische Militär eine Person ohne Anklage oder Prozess festhält. Eine solche Inhaftierung kann auf der Grundlage geheimer Informationen, die der Inhaftierte nicht einsehen darf, auf unbestimmte Zeit verlängert werden. Verwaltungshäftlinge werden unter der Annahme festgehalten, dass sie irgendwann in der Zukunft eine Straftat begehen könnten. Die israelischen Behörden haben unter anderem Kinder, Menschenrechtsverteidigerund palästinensische politische Aktivistenin Verwaltungshaft genommen, oft über längere Zeiträume. Die große Zahl palästinensischer Gefangener ist in erster Linie das Ergebnis der getrennten Strafrechtssysteme, die die israelischen Behörden in den besetzten Gebieten aufrechterhalten. Die fast 3 Millionen Palästinenser, die im besetzten Westjordanland (ausgenommen Ostjerusalem) leben, unterliegen dem Militärrecht und werden von Militärgerichten verurteilt. Die fast eine halbe Million israelischer Siedler im Westjordanland hingegen unterliegen dem Zivil- und Strafrecht und werden von israelischen Zivilgerichten verurteilt. Die Diskriminierung durchdringt jeden Aspekt dieses Systems.”

hrw.org, 25. April 2022 [eigene Übersetzung]

Der Bericht fügt hinzu, dass unter dem zionistischen „Apartheid-Justiz”-System: „israelische Siedler und Palästinenser … auf demselben Territorium [leben], werden aber vor unterschiedlichen Gerichten nach unterschiedlichen Gesetzen mit unterschiedlichen Rechten auf ein ordentliches Verfahren verurteilt und bekommen für dasselbe Vergehen unterschiedliche Strafen.“

Die zionistischen Machthaber brauchen einen Sieg – die Verluste der IDF nehmen zu, und die 80.000 vertriebenen Bewohner Nordisraels werden unruhig. Die jüdische Bevölkerung Israels ist tief gespalten über das Schicksal der rund hundert Geiseln, die derzeit von Hamas festgehalten werden (viele von ihnen sind entweder IDF-Soldaten oder Reservisten). Demonstranten sind vor Netanjahus Residenz erschienen, aber anders als 2011 gibt es keinen Konsens über das weitere Vorgehen. Die Times of Israel(6. Februar) berichtete:

„Premierminister Benjamin Netanjahu steht unter zunehmendem öffentlichem Druck, die Freilassung der israelischen Geiseln zu erwirken, die von Hamas festgehalten werden. Eine knappe Mehrheit der Israelis gibt der Rückkehr der Geiseln Vorrang vor dem Sturz von Hamas als wichtigstem Kriegsziel des Landes in Gaza. Etwas mehr als die Hälfte der Israelis (51 Prozent) sprach sich für eine solche Taktik aus, bei den arabischen Israelis waren es sogar 69 Prozent…. Unter den jüdischen Israelis waren die Meinungen gleichmäßiger gespalten: 47 Prozent sprachen sich für eine vorrangige Rückkehr der Geiseln aus, 42 Prozent sagten, dass die Entmachtung von Hamas Vorrang haben sollte.“ [eigene Übersetzung]

Die Sorge um die Geiseln geht nicht mit einer Ablehnung des Krieges gegen Gaza einher – 65 Prozent der jüdischen Israelis (im Vergleich zu nur 11,5 Prozent der Araber) sind laut einer Umfragedes Israel Democracy Institute vom Dezember der Ansicht, dass „der beste Weg zur Freilassung“ der Geiseln darin besteht, „die intensiven Kämpfe fortzusetzen“. Dieselbe Umfrage ergab, dass 75 Prozent der Juden gegen eine „Verringerung der schweren Bombardierung dicht besiedelter Gebiete“ im Gazastreifen sind (im Vergleich zu nur 21 Prozent der Araber) und 57 Prozent der Meinung sind, dass „Israel der Hisbollah jetzt einen schweren Schlag versetzen sollte, selbst um den Preis der Eröffnung einer weiteren Front im Norden [d.h. im Libanon]“, im Vergleich zu 30 Prozent (53 Prozent der Araber), die „jede Anstrengung unternehmen wollen, um die Eröffnung einer weiteren Front mit  Hisbollah zu vermeiden“. Eine neuere Umfrage(newarab.com, 16. Februar) berichtet, dass die „Unterstützung für eine groß angelegte Militäroperation gegen den Libanon“ auf 71 Prozent gestiegen ist.

Darin spiegelt sich zweifellos die Frustration über den langsamen Fortschritt der Kampagne gegen Hamas wider, aber Hisbollah erkämpfte 2006 ein Unentschieden gegen die IDF und ist nach allem, was man hört, heute viel stärker. Solche Überlegungen haben rechte Politiker wie Zvi Hauser, ehemaliger Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung des israelischen Knesset, nicht abgeschreckt, der in einem Meinungsbeitrag vom 23. Januar (israelhayom.com) seine Besorgnis darüber zum Ausdruck brachte, dass der „Ausfall vom 7. Oktober“ und der anschließende „Gaza-Schlamassel“ Israels Fähigkeit, seine Nachbarn einzuschüchtern, verringert haben:

„Es ist zweifelhaft, ob der Sieg in Gaza ausreicht, um die Angst vor Israel wieder auf das Niveau zu bringen, das wir gegenüber unseren Feinden hatten. Ein Sieg, der nur auf die Freilassung der Gefangenen und vertrauensbildende Maßnahmen zur Gründung eines palästinensischen Staates hinausläuft, würde nicht ausreichen, um das Image Israels in dieser Hinsicht zu festigen. Wenn der Sumpf der Gaza-Tunnel, der Druck der USA und die Frage der Gefangenen die Führung zu der Einsicht bringen, dass es nicht möglich ist, an dieser Front einen klaren Sieg zu erringen, der zu einer strategischen Veränderung in der Region führt, muss sie in Erwägung ziehen, die Fronten zu wechseln und die israelische Abschreckung durch die Beseitigung der strategischen Bedrohung im Libanon wieder zu stärken. Eine Initiative und ein Sieg gegen eine der reichsten und mächtigsten Terrororganisationen der Welt, Hisbollah, kann die Abschreckung in der Region im Allgemeinen und gegenüber der pro-iranischen Achse im Besonderen wiederherstellen.“ [eigene Übersetzung]

Die Feindseligkeiten zwischen Israel und Hisbollah sind seit Oktober allmählich eskaliert, aber keine der beiden Seiten hat es bisher zu einem ausgewachsenen Krieg kommen lassen. Wenn Israel eine „zweite Front“  gegen Hisbollah eröffnet, könnte dies leicht zu einem Vorläufer eines umfassenderen regionalen Konflikts mit dem Iran werden. Zwar würden die Zionisten die USA gerne in einen solchen Konflikt hineinziehen, doch hat Washington bisher wenig Interesse gezeigt. Und die USA sind in der Lage, ein Veto gegen jedes israelische Militärabenteuer einzulegen, wie Yitzhak Brick, ein pensionierter IDF-General, im November erklärte:

„All unsere Raketen, die Munition, die präzisionsgelenkten Bomben, alle Flugzeuge und Bomben, das alles kommt aus den USA. In dem Moment, wo sie den Hahn zudrehen, kann man nicht weiterkämpfen. Man hat keine Möglichkeit….Jeder versteht, dass wir diesen Krieg nicht ohne die Vereinigten Staaten führen können. Punkt.“

jns.org, 27. November 2023 [eigene Übersetzung]

Die USA haben wenig getan, um ihren aggressiven zionistischen Untergebenen aktiv zu entmutigen, indem sie den völkermörderischen Angriff auf Gaza als Akt der „Selbstverteidigung“ rechtfertigten und gleichzeitig politische, finanzielle und logistische Unterstützung leisteten. Amerikas Machthaber sind grundsätzlich nicht daran interessiert, was das Beste für Israel oder seine Bürger ist; sie betrachten den zionistischen Staat im Wesentlichen als nützliches Instrument im Kampf um die Kontrolle über den immensen petrochemischen Reichtum des Nahen Ostens.

Teile des amerikanischen politischen Establishments haben begonnen, ihre Besorgnis über die zionistischen Kriegsverbrechen in Gaza offen zu äußern. Am 15. Februar veröffentlichte Foreign Affairseinen Artikel von Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International, in dem sie überraschend scharfe Kritik übte:

„Nach mehr als vier Monaten des Konflikts ist Israels Vergeltungskampagne gegen Hamas durch ein Muster von Kriegsverbrechen und Verstößen gegen das Völkerrecht gekennzeichnet…. Die heutige diplomatische Komplizenschaft bei der katastrophalen Menschenrechts- und humanitären Krise in Gaza ist der Höhepunkt einer jahrelangen Erosion der internationalen Rechtsstaatlichkeit und des globalen Menschenrechtssystems. Dieser Zerfall begann ernsthaft nach dem 11. September 2001, als die Vereinigten Staaten ihren ‚Krieg gegen den Terror‘ begannen …. Es ist, als ob die schwerwiegenden moralischen Lehren des Holocaust, des Zweiten Weltkriegs, so gut wie vergessen sind, und mit ihnen der Kern des jahrzehntealten Prinzips ‚Nie wieder‘….“. [eigene Übersetzung]

Israels Feldzug in Gaza läuft nicht gut. Das Versäumnis, nach fünf Monaten einen entscheidenden Sieg über Hamas zu erringen oder die Geiseln zu befreien, hat in Verbindung mit Netanjahus Spekulationenüber eine Fortsetzung des Konflikts im gesamten Jahr 2024 zu einer zunehmenden defätistischen Haltung unter israelischen Juden geführt. Yedidia Stern, Leiterin des Jewish People Policy Institute (JPPI), schlug in einem Meinungsbeitrag mit dem Titel „Israel kann es sich nicht leisten, den Krieg in Gaza zu beenden“ Alarm, der in der Ausgabe der Jerusalem Postvom 27. Januar erschien:

„Die wachsende Sorge um das Schicksal der Geiseln ist der Kern des sozial-moralischen Arguments für eine Beendigung des Krieges. Es besteht ein verständlicher, allzu menschlicher Wunsch nach ihrer Rückkehr ‚jetzt‘ und ‚um jeden Preis‘. Da der Hamas-Führer Yahya Sinwar die Freilassung der Geiseln an die Bedingung geknüpft hat, dass die Militäroperationen vollständig eingestellt werden, haben einige das Gefühl, dass es ‚keine andere Wahl‘ gibt, als den Krieg zu beenden. Das edle Gefühl der Solidarität drängt uns, das zu tun, was am wichtigsten erscheint: Leben zu retten, buchstäblich. Es gibt auch das Argument der Sicherheit und des Nutzens: Wird Israel in den Treibsand von Gaza hineingezogen, wo der anhaltende Krieg einen immer höheren Preis fordert, ohne die strategischen Vorteile zu erzielen, die ihn rechtfertigen? Es scheint, dass die Israelis dies befürchten: Laut dem JPPI Israeli Society Index waren zu Beginn der Kämpfe 78 % siegessicher, jetzt sind es nur noch 61 %. Die wachsende Skepsis in Bezug auf den Sieg hängt mit der Einschätzung zusammen, dass die Fortsetzung der Kämpfe noch mehr IDF-Soldaten das Blut kosten, die israelische ‚Zusammengehörigkeit‘ zersplittern, den Wiederaufbau im Negev und im Norden verzögern, die nationale Wirtschaft strafen und die politische Unterstützung für Israel in der ganzen Welt schmälern wird. … Der JPPI-Index zeigt, dass das Vertrauen in den Premierminister und die Regierung sehr gering ist (30 % bzw. 35 %). Diese Zahlen deuten darauf hin, dass die Fähigkeit der gegenwärtigen Führung, die Öffentlichkeit für wichtige Maßnahmen zu gewinnen, stark geschwächt ist.“ [eigene Übersetzung]

Das Vertrauen in die IDF-Kampagne wurde gestärkt, als am 12. Februar zwei Geiseln freigelassen wurden (obwohl pro-palästinensische Quellenbehaupten, sie seien gar nicht vom Hamas-geführten Widerstand festgehalten worden). Bei den israelischen Militäraktionen wurden Berichten zufolge mindestens 30 Geiseln getötet, darunter drei jüdische Männer ohne Hemd, die eine weiße Fahne schwenkten und auf Hebräisch riefen.

Angehörige und Unterstützer der Geiseln fordern von der Regierung, alles Notwendige für ihre Freilassung zu tun – einschließlich der Ausrufung eines Waffenstillstands, des Rückzugs aus dem Gazastreifen und der Freilassung „hochrangiger“ palästinensischer Gefangener. Dies setzt Netanjahu unter erheblichen Druck, zumal seine zerstrittene Koalitionsregierung in dieser Frage gespalten ist. Das Israelische Institut für Demokratie (IDI) berichtet von einer „scharfen Links-Rechts-Spaltung” in der öffentlichen Meinung zu den Geiseln:

„Auf der Linken ist die Unterstützung für ein Abkommen mit Hamas, das Zugeständnisse wie einen Waffenstillstand oder die Freilassung von Gefangenen im Austausch für die Geiseln vorsieht, viel größer, während auf der Rechten der Widerstand gegen ein solches Abkommen und die Unterstützung für die Fortsetzung des Krieges stärker sind. Die Politikwissenschaftlerin Tamar Hermann vom IDI sagte, die Solidarität mit den Geiselfamilien vermische sich mit einer breiteren Anti-Regierungs-Stimmung, die zum Teil in einer riesigen Protestbewegung vor dem Krieg gegen Netanjahus Plan zur Überholung des Justizwesens wurzelt. Ein großer Teil der Gefangenen im Gazastreifen stammt aus Kibbuzim, Gemeinschaften, die historisch eng mit der politischen Linken verbunden sind. Neue oder bestehende linke Parteien könnten ein natürliches Zuhause für die Verwandten der Geiseln sein, die sich entschlossen haben, in die Politik zu gehen. … Umgekehrt werden die Geiselfamilien von einigen auf der Rechten als Gegner angesehen, insbesondere von der ultranationalistischen extremen Rechten, die Einfluss auf Netanjahu hat, weil sie Teil seiner fragilen Koalition ist.“

reuters.com, 5. Februar [eigene Übersetzung]

Elemente der israelischen liberalen Linken werden aktiver, während die Kriegsbegeisterung nachlässt. Die Organisation „Standing Together“, die sich selbst als „die größte jüdisch-arabische Basisbewegung in Israel“ bezeichnet, berichtet, dass ihre bescheidenen, aber politisch bedeutsamen Anti-Kriegs-Aktionen zugenommen haben:

„Im Dezember haben wir zwei Kundgebungen für Frieden und ein Waffenstillstandsabkommen abgehalten, die erste in Haifa mit über 300 Teilnehmern, die zweite in Tel Aviv mit über 1000 Teilnehmern. Im Januar veranstalteten wir einen Marsch und eine Kundgebung in Tel Aviv mit über zweitausend Menschen – die größte Kundgebung für einen Waffenstillstand seit Ausbruch des Krieges. Die Kundgebungen forderten ein Waffenstillstandsabkommen, um die Geiseln zurückzubringen und das Leben unschuldiger Menschen in Gaza zu retten, sowie ein nachhaltiges Friedensabkommen und förderten die Solidarität zwischen jüdischen und palästinensischen Bürgern Israels.“

https://www.standing-together.org/2023war[eigene Übersetzung]

Obwohl „Standing Together“ dem illusorischen Projekt der Reform des bestehenden zionistischen Staates verpflichtet ist, erkennt es richtigerweise, dass der Weg vorwärts im „Aufbau einer Massenbewegung jüdischer und palästinensischer Bürger“ liegt, um für eine bessere „gemeinsame Zukunft“ zu kämpfen:

„Die Besatzung des Westjordanlandes und die Blockade des Gazastreifens müssen beendet werden – nicht nur, weil sie für die Palästinenser brutal und unterdrückend sind, sondern auch, weil sie für die Israelis keine langfristige Sicherheit garantieren. Wir wissen, dass ein ausgehandeltes Friedensabkommen der einzige Weg ist, um Freiheit, Gleichheit und Sicherheit für beide Völker zu gewährleisten. Als fortschrittliche Basisbewegung konzentrieren wir uns darauf, in der israelischen Gesellschaft den politischen Willen für eine politische Lösung zu schaffen, indem wir eine Massenbewegung von jüdischen und palästinensischen Bürgern Israels aufbauen, die wirklich daran glauben, dass eine solche gemeinsame Zukunft möglich ist.“

Am 3. September, einen Monat vor dem Ausbruch am 7. Oktober, unterzeichneten 230 israelische Jugendliche eine Erklärung, in der sie die antidemokratische Politik der Regierung Netanjahu gegenüber Palästinensern und Juden anprangerten. In ihrer Erklärung „Jugend gegen Diktatur” hieß es:

„Als junge Frauen und Männer, die kurz vor der Einberufung zum israelischen Militärdienst stehen, sagen wir NEIN zur Diktatur in Israel und in den besetzten palästinensischen Gebieten. Wir erklären hiermit, dass wir uns weigern, dem Militär beizutreten, bis die Demokratie für alle, die unter der Gerichtsbarkeit der israelischen Regierung leben, gesichert ist. … Der [von Netanjahu versuchte] Justizputsch hat bereits einen enormen Preis für die israelische Gesellschaft und das palästinensische Volk gefordert. Die Diktatur, die seit Jahrzehnten in den besetzten palästinensischen Gebieten existiert, sickert nun in Israel selbst ein und richtet sich gegen uns. Gewalttätige Siedler kontrollieren nun den gesamten Staat. Dies sind keine neuen Entwicklungen. Undemokratische Haltungen und Handlungen sind für die Aufrechterhaltung dieses Besatzungsregimes und der jüdischen Vorherrschaft unerlässlich.“ [eigene Übersetzung]

Likuds Erfolg, die Angst, den Chauvinismus und die religiöse Rückständigkeit vieler jüdischer Israelis aus der Arbeiterklasse anzuzapfen, wird in einer plumpen Lüge destilliert: „Netanjahu – gut für die Juden.“ Das Ausmaß, in dem das Gift des zionistischen Chauvinismus in die jüdische Arbeiterklasse gesickert ist, zeigt sich an der überwältigenden Zustimmung zum Massenmord in Gaza. Aber Likud ist die Partei der Oligarchen, die den einfachen jüdischen Menschen in Israel Nichts zu bieten hat – die Verfolgung der Palästinenser und die kriegerische Haltung gegenüber den benachbarten muslimischen Völkern werden das Leben der einfachen Juden nur schwieriger und unsicherer machen.

Die Handvoll israelischer Juden, die den Anstand und den Mut haben, sich offen gegen die historischen Verbrechen und die brutale Misshandlung der Palästinenser auszusprechen, stellen einen potenziell wichtigen Faktor dar, wenn es darum geht, einen Weg zu einer historisch fortschrittlichen Lösung für ein Problem zu finden, das weithin als unlösbar angesehen wird: die Herstellung der Gleichheit zwischen dem jüdischen und dem palästinensischen Volk in dem Gebiet zwischen „dem Fluss und dem Meer“.

Nicht Jude gegen Araber, sondern Klasse gegen Klasse!

Israel ist eine Gesellschaft, die entlang von Klassen-, Ethnien-, Geschlechter- und Religionsgrenzentief gespalten ist. Die Ungleichheit hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen, da im Zuge neoliberaler „Reformen“ Versorgungsbetriebe und Banken privatisiert, das Renteneintrittsalter angehoben, Industriesubventionen gekürzt und Gewerkschaftsrechte eingeschränkt wurden, während gleichzeitig die Steuern für Unternehmen und Reiche gesenkt wurden. Die sich verschärfenden Klassenwidersprüche traten 2011 in den Vordergrund, als der Aufstand des „Arabischen Frühlings“ den ägyptischen Machthaber Hosni Mubarak stürzte und in ganz Israel massive Proteste ausbrachen, als Hunderttausende Juden, die über steigende Wohnkosten und sinkende Reallöhne verärgert waren, auf die Straße gingen. Laut der Los Angeles Times(26. Juli 2011):

“[sind] in den letzten fünf Jahren … das Durchschnittseinkommen in Israel um 17% und die Lebensmittelpreise um 25 % gestiegen. Die Wassergebühren sind um 40% und die Benzinpreise um 23% gestiegen. Der durchschnittliche Wohnungspreis ist um 55 % und die Miete um 27% gestiegen.“ [eigene Übersetzung]

Viele Teilnehmer an den Demonstrationen waren jüdische Arbeiter nahöstlicher und nordafrikanischer Herkunft, die seit jeher die Kernwählerschaft von Likud bilden. Seit 2011 hat sich nur wenig geändert, und viele jüdische Israelis haben (trotz ihrer relativen Privilegien im Vergleich zu arabischen Israelis) Schwierigkeiten, sich in einer der Gesellschaften mit der größten Ungleichheitin der Welt über Wasser zu halten. In einem Artikel der Times of Israelaus dem Jahr 2016 heißt es:

„Wenn sie und Ihr Partner nicht beide in Berufen arbeiten, die sie in das oberste Fünftel der Einkommensbezieher bringen (z. B. Hightech-Ingenieur, Arzt, Vermögensverwalter), oder wenn Sie bereits über ein Vermögen verfügen, ‚dann ist es nicht nur schwer, über die Runden zu kommen, sondern es gibt auch die Verzweiflung, dass Sie nicht in der Lage sind, sich selbst auf einem wahrscheinlichen Weg zu sehen, im Leben voranzukommen und Geld zu sparen‘ [so ein Forscher des Taub Center for Social Policy Studies].

Das liegt daran, dass die meisten jungen Paare in Israel vor allem durch die Hypothek auf ihre Wohnung Geld sparen. Aber die meisten können nicht die 400.000 NIS aufbringen, die sie für eine Anzahlung selbst für eine preiswerte Wohnung benötigen würden – ohne die Hilfe der Eltern.“ [eigene Übersetzung]

Die Schwierigkeit jüdischer Arbeiterfamilien, sich eine anständige Wohnung leisten zu können, ist ein Thema, das möglicherweise als Keil benutzt werden kann, um die verblendete, politisch rückständige Plebejer-Basis des Likud von der größenwahnsinnigen zionistischen Führungsschicht zu trennen. Eine Möglichkeit, wie eine geschickte marxistische Führung den jüdischen Arbeitern helfen könnte, ihre Klassenfeinde von ihren natürlichen Verbündeten zu unterscheiden, wäre die Aufstellung von Forderungen zum Thema Wohnen, die an ihr bestehendes Bewusstsein anknüpfen. Wohnraum ist nicht nur ein Problem für Menschen, die gegenwärtig in Israel leben, sondern ist natürlich auch besonders wichtig für palästinensische Flüchtlinge der Nakba, das einzige Volk, für das Revolutionäre ein „Recht auf Rückkehr“ anerkennen. Eine revolutionäre Arbeiterpartei würde versuchen, dieses Problem anzugehen, indem sie sich für massive öffentliche Investitionen in den Bau einer qualitativ hochwertigen Wohninfrastruktur in ausreichendem Umfang einsetzt, um die Bedürfnisse der zurückkehrenden palästinensischen Flüchtlinge zu befriedigen und gleichzeitig die Wohnmöglichkeiten für jüdische Familien erheblich zu verbessern.

Israel wurde durch das schreckliche Verbrechen der gewaltsamen Enteignung des palästinensischen Volkes aus dem Land, das seine Vorfahren seit Tausenden von Jahren bewohnt hatten, gegründet. Die zionistische Losung „ein Land ohne Volk, für ein Volk ohne Land“ war nie mehr als eine zynische Lüge. Das Ergebnis der Nakba von 1948 ist jedoch, dass nun zwei Völker in ein und demselben Gebiet leben, und jedes kann sein Recht auf „Selbstbestimmung“ nur auf Kosten des anderen ausüben. Keine „Zwei-Staaten-Lösung“ kann ihre konkurrierenden nationalen Ansprüche gerecht lösen, und Marxisten lehnen „Lösungen“ für nationale Unterdrückung, die einfach die Bedingungen der Unterdrückung umkehren, grundsätzlich ab.

Angesichts der Unmöglichkeit einer gerechten Zweistaatenlösung wächst die Unterstützung für das utopische Projekt, den bestehenden jüdisch-suprematistischen, kapitalistischen Apartheidstaat durch einen Staat zu ersetzen, in dem alle Einwohner gleiche Rechte haben. Soziale Gleichheit kann jedoch nur durch eine soziale Revolution zur Zerschlagung des bestehenden zionistischen Staates und zur Enteignung der israelischen herrschenden Klasse, deren Interessen er dient, erreicht werden. Ein erfolgreicher Aufstand der Arbeiterklasse in Israel würde einen Tsunami von Klassenkämpfen in der gesamten Region auslösen, den Griff des US-Imperialismus lösen und die Grundlage für die Bildung einer sozialistischen Föderation schaffen, in der die konkurrierenden Ansprüche der Vielzahl ethnischer, religiöser und nationaler Gruppen, die über Nordafrika und den Nahen Osten verstreut sind, gleichberechtigt gelöst werden könnten.

Die zionistischen Monopolisten, die von der ursprünglichen Vertreibung der Palästinenser immens profitiert haben, haben auch von den neoliberalen „Reformen“, die das Anwachsen der sozialen Ungleichheit in der israelischen Gesellschaft begünstigt haben, großen Reichtum geerntet. Die derzeitigen reaktionären sozialen und politischen Einstellungen der jüdischen israelischen Arbeiter stellen für Sozialisten ein gewaltiges politisches Hindernis dar, das es zu überwinden gilt. Doch ihre subjektive Rückständigkeit (wie die der Arbeiter überall) kann die Realität ihrer sozialen Unterdrückung und Ausbeutung durch ihre „eigene“ kapitalistische herrschende Klasse nicht negieren. Um die zionistische Festung von innen heraus zu sprengen, bedarf es der aktiven Beteiligung politisch fortschrittlicher jüdischer Arbeiter, die verstehen, dass ihre Befreiung mit dem Sturz der jüdischen Vorherrschaft verbunden ist – diese strategisch wichtige Schicht kann nicht von einer Bewegung rekrutiert werden, die sich für ihre vollständige Enteignung einsetzt.

Die Schaffung eines binationalen Arbeiterstaates in Palästina-Israel hängt von der Schaffung einer revolutionären sozialistischen Partei ab, die tief in den Arbeitermassen beider Nationalitäten verwurzelt ist. Dies kann nur erreicht werden, wenn der tägliche Klassenkampf gegen die kapitalistische Ausbeutung am Arbeitsplatz mit dem Eintreten für die Interessen der Palästinenser und aller anderen Opfer des unterdrückerischen zionistischen Staates wirksam verbunden wird. Wie unser Genosse Tom Riley in einem öffentlichen Vortrag in Toronto im Jahr 2003 anmerkte:

„Die Vorbedingung dafür, dass Palästinenser und Israelis das Gebiet, das sie beide beanspruchen, gerecht teilen können, … ist die Entwurzelung der imperialistischen Kontrolle in der Region und die Schaffung einer Sozialistischen Föderation des Nahen Ostens. Im Gegensatz zu den verschiedenen konkurrierenden Bourgeoisien hat das Proletariat eines jeden Landes ein objektives Interesse an der Förderung der Gleichberechtigung und der Lösung der nationalen Gegensätze. Aber die Arbeiterklasse kann nur an die Macht kommen, wenn sie von einer leninistisch-trotzkistischen Partei geführt wird, die sich auf das Programm der permanenten Revolution stützt und sich dem unerbittlichen Kampf gegen die islamischen Reaktionäre, Monarchisten und Bonapartisten der arabischen Welt sowie die rassistischen zionistischen Herrscher Israels verpflichtet. Es wird nicht einfach sein, eine solche Organisation aufzubauen, aber es ist nicht unmöglich. Am wichtigsten ist, dass es keinen anderen Weg gibt. Nur eine Partei, die auf ihr Banner ‚Nicht Jude gegen Araber, sondern Klasse gegen Klasse!‘ schreibt, kann die scheinbar unlösbaren Probleme des Nahen Ostens auf eine historisch fortschrittliche Weise lösen.“

1917, Nr.26

Quelle: bolsheviktendency.org… vom 21. April 2024

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