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Schweiz-EU: Personenfreizügigkeit und neoliberale EU

Eingereicht on 12. Januar 2017 – 11:21

Das Abkommen über den Freien Personenverkehr ist ein Grundpfeiler der Europäischen Union. In den bilateralen Verträgen zwischen der Schweiz und den Staaten der EU wurde die Personenfreizügigkeit ebenfalls ratifiziert und ist seit 2002 in Kraft.

Das Abkommen gewährt den Staatsangehörigen der EU und der Schweiz das Recht, innerhalb der EU ihren Arbeitsplatz bzw. Aufenthaltsort frei zu wählen. Das tönt zwar schön, ist in der Realität aber mit gravierenden Problemen verbunden. Denn aufgrund fehlender flankierenden Massnahmen, welche die hiesigen Arbeitsbedingungen und Löhne zu schützen vermögen, führte die Einführung der Personenfreizügigkeit zu einer massiven Zunahme von Lohn- und Sozialdumping. Für die Schweizer Unternehmen gleicht das Abkommen seither einem Freipass, die europäischen und schweizerischen Lohnabhängigen in Konkurrenz zueinander setzen und die Arbeitskosten auf dem Buckel der Lohnabhängigen zu senken.

Als die Personenfreizügigkeit 2005 auf die neuen EU-Mitgliedstaaten ausgedehnt werden sollte, ergriffen einige linke Gruppierungen, darunter die damalige Bewegung für den Sozialismus (BFS), das Referendum dagegen, weil sie die flankierenden Massnahmen als lächerlich und unwirksam betrachtet haben. Selbstverständlich setzen wir uns für die Bewegungsfreiheit aller Menschen ein und das nicht nur in Europa. Allerdings muss diese Freiheit von Massnahmen begleitet werden, welche die hiesigen Arbeitsbedingungen schützen. Es braucht dafür gute, tatsächlich wirksame Gesamtarbeitsverträge in allen Branchen; genügend Mittel, um die Einhaltung dieser Verträge zu kontrollieren; einen greifenden Kündigungsschutz; rechtlichen Schutz für gewerkschaftlich aktive Arbeiter*innen etc. All dies fehlt in den aktuellen flankierenden Massnahmen.

Auch die Schweizerische Volkspartei (SVP) ergriff 2005 das Referendum, allerdings aus fremdenfeindlichen Gründen. Dies trug uns Aktivist*innen der BFS den Vorwurf der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie ein, selber Rassist*innen zu sein. Die Entwicklung auf den Schweizer Arbeitsplätzen krasse Zunahme von Lohndumping, regelmässige Fälle von sklavenähnlichen Arbeitsverhältnissen, unkontrollierbares Subunternehmertum etc. straft diesen Vorwurf Lügen und beweist, dass unsere Befürchtungen gerechtfertigt waren. Mittlerweile haben ein Teil der Gewerkschaften und sogar einige SP-Exponent*innen eingesehen, dass sich das Lohndumping seit der Einführung der Personenfreizügigkeit von einer Randerscheinung zu einem veritablen Problem entwickelt hat, welches nicht zuletzt dafür verantwortlich ist, dass viele Lohnabhängige in der Schweiz berechtigte Ängste um ihren Lohn und ihren Arbeitsplatz hegen und folglich empfänglicher wurden für die rassistischen Scheinlösungen der SVP (Masseneinwanderungsinitiative u.a.) und deren Hetze gegen die «Ausländer*innen».

Den massiven Ausbau der flankierenden Massnahmen, sprich den Ausbau der sozialen und gewerkschaftlichen Rechte für alle Lohnabhängigen (unabhängig von ihrer Herkunft), ist angesichts der zunehmenden Verarmungstendenzen und der beängstigenden Rechtsentwicklung in der Schweiz und den anderen europäischen Ländern dringender denn je.

Der folgende Artikel zeigt auf, dass diese Probleme nicht nur in der Schweiz bestehen, und es deshalb gesamteuropäische Antworten auf die Inkonkurrenzsetzung der Lohnabhängigen, sowie einen internationalistischen Widerstand gegen die Pläne der Unternehmen braucht. (BfS, mit leichten Ergänzungen durch Redaktion maulwuerfe.ch)

Klaus Dräger; aus SoZ. Die Begrenzung der Zuwanderung aus osteuropäischen EU-Staaten spielte eine zentrale Rolle in der offiziellen Kampagne der Befürworter eines Austritts Großbritanniens aus der EU. Dies galt erst recht für die fremdenfeindliche Stimmungsmache der rechtspopulistischen UK Independence Party (UKIP) zum Brexit.  33 Prozent derjenigen, die für den Brexit stimmten, gaben als wichtigsten Grund für ihre Entscheidung an, dass ein Austritt Großbritanniens aus der EU die „beste Chance eröffne, die Kontrolle über die Grenzen des Landes und die Zuwanderung wieder zu gewinnen.“ Die rechte Leave-Kampagne hat somit tiefe Spuren im politischen Klima Großbritanniens hinterlassen – keine Frage.  Für die überwiegende Mehrheit der für den Brexit Stimmenden – die übrigen 67 Prozent – waren aber andere Themen und Motive offenbar maßgeblicher.[i]

Für die konservative britische Premierministerin Theresa May geht es in den kommenden Brexit-Verhandlungen unter anderem darum, eine Begrenzung der Personenfreizügigkeit zu erreichen. Auch mit der Schweiz stehen solche Verhandlungen bis Anfang 2017 an. Im Februar 2014 war die Masseneinwanderungsinitiative der rechten Schweizerischen Volkspartei (SVP) mit knapper Mehrheit in einer Volksabstimmung angenommen worden, die u.a. Quoten und Kontingente für Arbeitskräfte aus EU-Staaten vorsieht. In den geltenden bilateralen Verträgen zwischen der Schweiz und der EU, welche den Zugang der Schweiz zum EU-Binnenmarkt regeln, ist jedoch die volle Personenfreizügigkeit vereinbart. Gegen eine einseitige Aufkündigung dieses Prinzips sperrt sich die EU.[ii]

Personenfreizügigkeit

Der im Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV) angesprochene ”Freie Personenverkehr” betrifft die vertraglich vereinbarte ”Freizügigkeit für Arbeitnehmer”, sowie die persönliche Mobilität von Selbständigen im Rahmen der ”Niederlassungsfreiheit für Selbständige und Unternehmer” und der „Dienstleistungsfreiheit”. Mit der „Grundfreiheit“ des Personenverkehrs verbindet sich die freie Standortwahl für die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit (ob lohnabhängig oder selbständig ausgeübt) – also die Mobilität des „Produktionsfaktors Arbeit“ innerhalb der EU und dem an die Binnenmarktregeln angeschlossenen Europäischen Wirtschaftsraum EWR etc. Dass die Mobilität der „Ware Arbeitskraft“ den Interessen des Kapitals entgegenkommt, ist m. E. offensichtlich.

Mit der Einführung der Unionsbürgerschaft durch den Vertrag von Maastricht wurde darüber hinaus ein allgemeines Aufenthaltsrecht für alle Unionsbürger und ihre Familienangehörigen geschaffen, so dass diese sich im Hoheitsgebiet der EU-Mitgliedstaaten frei bewegen und aufhalten dürfen. Dieses wird aktuell in der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG geregelt.

Unionsbürger, die länger als drei Monate in einem anderen EU-Land bleiben möchten, müssen sich bei ihrer Einreise als neue Einwohner anmelden. Solange sie über ausreichende Existenzmittel verfügen, um ihren Aufenthalt im Aufnahmeland zu finanzieren, haben sie dort ein Aufenthaltsrecht. Ist dies nicht der Fall, so erlischt das Aufenthaltsrecht und es besteht die Pflicht zur Ausreise. Allerdings kann jede/r EU-Bürger/in danach wieder einreisen und ein an diese Unionsbürgerschaft gebundenes Freizügigkeitsrecht in Anspruch nehmen. In der Praxis wird daher die Ausreisepflicht von nicht mehr freizügigkeitsberechtigten EU-BürgerInnen in den seltensten Fällen durchgesetzt. Bei ausgewiesenen Straftätern kann nach der Abschiebung eine Wiedereinreisesperre verhängt werden.

Umstritten war, ob EU-Bürger aus anderen Mitgliedstaaten, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst sichern können, weil sie nach drei Monaten keine Erwerbsarbeit fanden oder dort wirtschaftlich nicht aktiv waren (z.B. als Selbständige), Zugang zu Leistungen der sozialen Grundsicherung im Aufnahmeland gewährt werden muss (z.B. Hartz IV und Sozialhilfe in Deutschland). Gemäß der Unionsbürgerrichtlinie können Mitgliedstaaten EU-BürgerInnen, die zuvor noch nicht in ihrem neuen EU-Aufnahmeland gearbeitet haben, von solchen Leistungen ausschließen. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Urteil von 2014 im Wesentlichen bestätigt.[iii]Ein Mitgliedstaat kann Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter „besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen“ ausschließen, sofern diesen im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht gemäß den Regelungen der Unionsbürgerrichtlinie zusteht. Ansonsten sei es Sache der Mitgliedstaaten, die konkreten inhaltlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anspruchs auf solche Leistungen der sozialen Basissicherung gesetzlich festzulegen.

Arbeitnehmerfreizügigkeit

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist nicht erst im Rahmen der marktradikalen vier Grundfreiheiten des EG-Binnenmarkts (Kapital, Waren, Dienstleistungen, Personen) eingeführt worden, wie viele Beobachter fälschlicherweise meinen. Sie entstammt der ‚guten alten Zeit‘ der Vollbeschäftigung in Europa.

Schon 1958 regelte die Verordnung EWG Nr. 3 die „soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer“. Die ‚Arbeitnehmer-Freizügigkeit‘ wurde bereits 1968 durch die Verordnung 1612/68 grundsätzlich reguliert. 1971 wurde mit der Verordnung 1408/71 ein ergänzendes Instrument zur Koordinierung der Sozialsysteme in der EWG geschaffen und ausgebaut, um die besagte Arbeitnehmerfreizügigkeit zu ermöglichen. Diese Verordnung sollte sicherstellen, dass für den Erwerb und die Aufrechterhaltung von Leistungsansprüchen aus den verschiedenen Zweigen der sozialen Sicherung (Sozialversicherung, Renten- und Arbeitslosenversicherung, Kindergeld, soziale Beihilfen usw.) alle nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Zeiten zusammengerechnet und die Leistungen an Personen gezahlt wurden, die in einem EWG-Mitgliedstaat lebten. Sie wurde später mehrfach verändert und angepasst.[iv]

Es waren vor allem die Regierungen Italiens, die damals auf solchen Regeln als Gegenleistung dafür bestanden, dass Italien der EWG und dem Gemeinsamen Markt zustimmt. Denn es war klar, dass die italienische Wirtschaft durch den Gemeinsamen Markt unter starken Wettbewerbsdruck geraten würde. Mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit wollten die konservativen italienischen Regierungen ein Ventil geschaffen, damit die zunehmende Zahl von Erwerbslosen aus Süditalien in der boomenden Industrie von reicheren EWG-Staaten wie der BRD Arbeitsplätze suchen und finden könnte. Und dies – zumindest auf dem Papier – im Sinne einer Gleichbehandlung mit den ‚Inländern‘ der Aufnahmeländer.

Die geltenden EU-Regeln zur Arbeitnehmerfreizügigkeit sind insofern ein Kind dieser Periode des sozial eingebetteten Liberalismus[v]‚ der die erste Phase der europäischen Integration von der Montanunion über die EWG bis in die späten 1970er Jahre prägte. Im ‚wirklichen Leben‘ waren diese Arbeitsverhältnisse der Wanderarbeitnehmer in der EWG/EG keineswegs so rosig, wie die erlassenen Rechtsvorschriften und die sie begleitende europäische Propaganda es glauben machen wollten. SüditalienerInnen, später GriechInnen, PortugiesInnen, SpanierInnen und ihre Familien lebten anfangs in beengten Wohnverhältnissen, mussten Knochenjobs verrichten etc. pp. Aber immerhin – ‚rechtlich‘ herrschte noch ein anderer Geist aufgrund des gewiss asymmetrischen sozialstaatlichen ‚Klassenkompromisses‘ dieser Ära.

Gemäß den geltenden EU-Regeln zur Arbeitnehmerfreizügigkeit steht es EU-BürgerInnen zu,

  • in einem anderen EU-Land Arbeit zu suchen,
  • dort zu arbeiten, ohne dass eine Arbeitserlaubnis erforderlich wäre,
  • zu diesem Zweck dort zu wohnen,
  • selbst nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses dort zu bleiben (z.B. als Rentner),
  • hinsichtlich Zugang zu Beschäftigung, Arbeitsbedingungen und aller anderen Sozialleistungen und Steuervorteile genauso behandelt zu werden wie die Staatsangehörigen des Aufnahmelandes.

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist demnach nicht bloß als Recht von UnionsbürgerInnen gefasst, in einem anderen Mitgliedstaat der EU eine Beschäftigung aufzunehmen. Sie müssen vielmehr in allen dafür relevanten Bereichen (einschließlich steuerlicher Vergünstigungen, Zugang zu Wohngeld, Sozialwohnungen, Kindergärten, Fahrpreisermäßigungen etc.) mit inländischen ArbeitnehmerInnen gleich behandelt werden. Bei einem Wohnortwechsel in einen anderen Mitgliedstaat ist lediglich der Bezug von Leistungen der sozialen Basisversorgung (z.B. Sozialhilfe etc.) ausgeschlossen, wenn zuvor in diesem Aufnahmeland z.B. durch ein Beschäftigungsverhältnis etc. nach den dort geltenden Regeln Ansprüche darauf erworben wurden.

Das Arbeitslosengeld aus dem Heimat-EU-Staat kann hingegen für die Arbeitssuche in einem anderen Mitgliedstaat für drei Monate ‚mitgenommen‘ werden (Portabilität von Transferleistungen). Die EU-weite Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit soll auch weiterhin sicherstellen, dass z.B. bei gesetzlichen Rentensystemen nach einem Punktesystem die in verschiedenen Mitgliedstaaten erworbenen Rentenansprüche zusammengerechnet werden, Ansprüche auf Arbeitslosengeld, Kindergeld und ähnliche Leistungen gewahrt bleiben und transferiert werden können usw.

Die EU-Regeln zur Arbeitnehmerfreizügigkeit sind somit noch vom Ziel geprägt, Sozialdumping zu bremsen: „Die vom Gemeinschaftsrecht geforderte Gleichstellung von EU-ausländischen mit inländischen Arbeitnehmern in Bezug auf arbeits- und sozialrechtliche Regelungen sowie die Beschäftigungsbedingungen ganz allgemein verfolgt darüber hinaus auch den Zweck, eine Bevorzugung ‚billigerer‘, weil zu ungünstigeren Bedingungen und insbesondere zu geringeren Löhnen und auch Lohnnebenkosten (einschließlich Sozialversicherungsbeiträgen) beschäftigten Arbeitnehmer im Interesse der einheimischen Beschäftigten auszuschließen“.[vi]

Dienstleistungsfreiheit und Entsendung von Arbeitnehmern

Gemäß der Dienstleistungsfreiheit können Selbständige ihre Dienstleistungen in jedem Mitgliedstaat anbieten und dort auch nur temporär erbringen, ohne sich dauerhaft niederlassen zu müssen. Die grenzüberschreitende Entsendung und Verleihung von Arbeitnehmern gehört in diesem Zusammenhang zur so genannten aktiven Dienstleistungsfreiheit, bei der sich der Unternehmer und/oder seine Arbeitskräfte als Dienstleistungserbringer vorübergehend ins EU-Ausland begeben. Dies wurde durch den EuGH als europäisches Recht definiert (insbesondere durch das Urteil „Rush Portuguesa“ vom 27.3.1990) und von der Arbeitnehmerfreizügigkeit abgegrenzt.

Die Entsendung von ArbeitnehmerInnen steht darüber hinaus allen Unternehmen bzw. Selbständigen explizit zu, die in einem EU-Mitgliedstaat ansässig sind. Nach der Auslegung durch den EuGH dürfen alle Arbeitskräfte ohne Differenzierung nach ihrer Qualifikation entsendet werden, welche die Staatsbürgerschaft eines EU-Staates besitzen – sowie solche Angehörige eines Drittstaates, die am Sitz des Unternehmens regulär beschäftigt sind.

Nach der damaligen Auslegung des EuGH ging es einfach um das „Herkunftslandprinzip“ entsprechend internationalem Arbeitsrecht. Für die entsendeten Arbeitnehmer galt das nationale Arbeits- und Sozialrecht des Herkunftslandes, in dem die Entsendefirma ihren offiziellen Firmensitz hatte. Damit wurden völlig unterschiedliche Entlohnungssysteme, Arbeitszeit- und Sozialschutzregimes etc. am gleichen Arbeitsort für die gleichen Arbeiten möglich. Durch die „Dienstleistungsfreiheit mit Entsendung“ konnten so die Kostenvorteile unterschiedlicher Sozial- und Tarifstandards etc. nun am gleichen Ort von Unternehmen ausgenutzt werden. Sozialdumping durch europäisches Richterrecht war die Folge, die vor allem in der Bauwirtschaft in Deutschland und Österreich bald zu besichtigen war.

Erst 1996 konnte die EU-Entsendrichtlinie nach langem Tauziehen zwischen den Mitgliedstaaten verabschiedet werden. Sie definierte einen „harten Kern“ von „Mindestarbeitsbedingungen“ (Vorschriften zu Arbeitszeiten, Pausen, Arbeitssicherheit, Mindestlohn, Urlaub, Gesundheitsschutz), die von den jeweiligen Mitgliedstaaten in eigener Hoheit erlassen werden konnten. Man orientierte sich – mit Abstrichen –  weitgehend am „Bestimmungslandprinzip“, mit der Zielvorgabe, gleichen (Mindest)-Lohn und gleiche Arbeitsbedingungen für inländische und entsendete ArbeitnehmerInnen am gleichen Ort zu garantieren.

Die Entsenderichtlinie strebte keine EU-weite Harmonisierung der Regeln in diesem Bereich an. Sie war angelegt als ein Instrument zur Koordinierung nationalstaatlicher Politiken durch sozialpolitische Mindestvorschriften auf EU-Ebene. Gemäß Artikel 3-7 der Richtlinie könnten die Mitgliedstaaten Arbeitsbedingungen vorschreiben, die für die (entsendeten) „ArbeitnehmerInnen günstiger sind“ als die Mindestvorschriften dieser Richtlinie. So könnte z.B. von Entsendeunternehmen aus dem EU-Ausland verlangt werden, dass sie inländische Tariflöhne und nicht nur Mindestlöhne zu zahlen haben. Allerdings hat kaum ein Mitgliedstaat von dieser Bestimmung Gebrauch gemacht und „günstigere Vorschriften“ in seinem nationalen Entsendegesetz verankert. Dies gilt insbesondere für die deutschen Bundesregierungen von Kohl über Schröder/Fischer bis Merkel.

Es war erneut der EuGH, der mit seiner Auslegung der Entsenderichtlinie ab 2007 (Fälle Laval, Viking Line, Rüffert, Luxemburg) die mit ihr beabsichtigten zarten Versuche zur Einhegung von Sozialdumping zunichtemachte. Aus den Mindestvorschriften der Entsenderichtlinie machte er Maximalvorschriften, die nicht überschritten werden dürfen. Lediglich eine Verpflichtung auf gesetzliche Mindestlöhne und als allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge (wie der Baumindestlohn in Deutschland) sei zum Schutz von entsendeten ArbeitnehmerInnen statthaft und könne eine Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen. Das Landesvergabegesetz von Niedersachsen, das Unternehmen bei öffentlichen Aufträgen auf ortsübliche Tarifverträge verpflichten wollte, verstoße gegen EU-Recht. Entsende-Unternehmen seien nur verpflichtet, den ihn ihrem Herkunftsmitgliedstaat geltenden Mindestlohn zu zahlen. Der Versuch, mit dieser Richtlinie Sozialdumping zu begrenzen, ist nun weitgehend Makulatur.

EU-Freizügigkeit und Deregulierung der Arbeitsmärkte

Unter den Bedingungen der 1970er Jahre zielte die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die sie begleitende Koordinierung der Sozialsysteme rechts-systematisch auf eine Beschäftigung und soziale Absicherung zu Konditionen, die damals meist in Flächentarifverträgen und/oder im noch wohlfahrtsstaatlich orientiertem nationalen Arbeits- und Sozialrecht des jeweiligen Aufnahmelandes festgelegt waren. Das waren Zeiten, als das ‚fordistische Normalarbeitsverhältnis‘ und der unbefristete Standardarbeitsvertrag (z.B. 8-Stunden-Tag, Vollzeitarbeit für männliche ‚Familienernährer‘, 40 Std.-Woche, abgesichert durch Tarifverträge) als Leitbild für lohnabhängige Erwerbsarbeit in Europa akzeptiert waren.[vii]

Das ist Geschichte und vorbei. Seit den 1980er Jahren wurden die Arbeitsmärkte in vielen EU-Staaten dereguliert (d.h. auf nationaler Ebene die entsprechenden Gesetze im Interesse des Kapitals neu gefasst). In Deutschland beklagen die Gewerkschaften z.B. die Einführung von ‚Projektarbeit‘ und ‚Werkverträgen‘ (rechtlich sind dies ’selbständige‘ Tätigkeiten), die Zunahme von Teilzeitarbeit, Leiharbeit, Scheinselbständigkeit und geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen (der damit verbundene Niedriglohnsektor umfasst bei uns inzwischen rund ein Viertel der Gesamtbeschäftigung, mehr wie in den USA).

Wie auch immer: hierzulande konzentriert sich der Protest rechter ‚Wutbürger‘ eher auf die so genannte ‚Flüchtlingsfrage‘. Ihnen geht es darum, die Flüchtlinge abzuwehren und von ‚Europa‘ fern zu halten. In Frankreich, Osteuropa etc. ist es genauso – eine EU-weite Regelung zur ‚Lastenteilung‘ wg. Aufnahme und Integration von Asylsuchenden ist nicht in Sicht.

In Großbritannien und der Schweiz steht die Abwehr gegenüber EU-MigrantInnen im Vordergrund, die im Rahmen der EU-Personenfreizügigkeit in ihre Länder gekommen sind – (noch) nicht so sehr die `Flüchtlingsfrage‘. Die Regierungen von Großbritannien – egal ob ‚New Labour‘ unter Tony Blair oder konservativ unter David Cameron – waren ‚makro-ökonomisch‘ stets für Sparpolitik im Inneren und für eine marktradikale Deregulierung der Arbeit in ihrem Land unterwegs. Sie erfanden den ‚Null-Stunden Vertrag‘, eine extreme Form von Arbeit auf Abruf. Sie erweiterten die Spielräume für ’self-employment‘ (de-facto: Scheinselbständigkeit) und prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Sie ermöglichten es z.B., dass ein britischer Bauarbeiter mit der üblichen Maurerkelle und etwas Werkzeug zum ‚Unternehmer der eigenen Arbeitskraft‘ werden konnte (damit rechtlicher Status als ‚Selbständiger‘).

Die britischen Regierungen seit Margaret Thatcher waren in der EU stets bestrebt, mehr Deregulierung im EU-Binnenmarkt voranzutreiben und ArbeiterInnenrechte und den Sozialstaat zuhause zu schleifen. In diesem Sinne waren sowohl Blair als auch Cameron entschiedene Unterstützer der EU-Osterweiterung 2004, der EU-Dienstleistungsrichtlinie usw. und öffneten den Arbeitsmarkt ihres Landes von Beginn an für Arbeitskräfte aus diesen Staaten. Dies mit dem Versprechen, dass ‚billige Arbeit‘ von dort die ‚britische Wirtschaft‘ beleben und den Wohlstand für alle mehren würde. Nach der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise 2007 -2009 wurden von ihnen dann aber der Zustrom von angeblich ‚arbeitsunwilligen Rumänen und Bulgaren‘ nach Großbritannien zum Thema gemacht, den man eindämmen müsse.

Andreas Wehr hat m.E.  zu Recht auf die starke Rolle britischer Regierungen bei der EU-Liberalisierungspolitik und den hausgemachten britischen Sozialstaatsabbau hingewiesen[viii]:

Vor allem aufgrund dieser Zuwanderungen (aus Osteuropa und vom britischen Commonwealth, K.D.) ist die Wohnbevölkerung des Vereinigten Königreichs, nachdem sie zwischen den frühen 1970er Jahren und 1993 praktisch stagnierte, von 57 Millionen im Jahr 1993 auf über 65 Millionen Einwohner im Jahr 2015 angestiegen. Nicht mit gewachsen aber sind ausreichender und vor allem bezahlbarer Wohnraum sowie die Kapazitäten in der sozialen Infrastruktur, bei Kindertagesstätten und Schulen als auch im National Health Service (NHS). Selbst der öffentliche Nahverkehr ist in London längst an seine Grenzen gestoßen.“

Vor allem im stark angewachsenen Niedriglohnsektor wuchs die Konkurrenz um Jobs und Einkommensmöglichkeiten, um Zugang zum Gesundheitssystem und anderer sozialer Infrastruktur.

Unter deutscher Dominanz hat die EU nach der Wirtschafts- und Finanzkrise mit dem Fiskalvertrag, der ‚wirtschaftspolitischen Steuerung‘ (EU Economic Governance) und dem Europäischen Semester ein Regelwerk geschaffen, das neben weiterer Austerität (Haushaltspolitik, Schuldenbremse usw.) die Deregulierung der Arbeitsmärkte in der EU noch weiter vertiefen soll. Lohnfindungsprozesse sollen stärker dezentralisiert, d.h. Tarifverhandlungen auf die betriebliche Ebene verlagert oder Tarifvertragssysteme mit betrieblichen Öffnungsklauseln angestrebt werden. Vormals bestehende Regelungen zur Lohnindexierung (Anpassung der Löhne bei steigender Inflation) wie in Luxemburg, Belgien, Zypern usw. wurden im Rahmen des Europäischen Semesters ‚überprüft‘ und weitgehend abgeschafft. Vor dem Hintergrund bereits erfolgter Lohnkürzungen oder Nullrunden im Öffentlichen Dienst vieler Mitgliedstaaten betont der Fiskalvertrag die „Signalfunktion“ dieser Löhne für eine moderate Lohnentwicklung in der Privatwirtschaft zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit usw. Aktuell ermahnt die EU-Kommission Frankreich, Portugal und Belgien, dass die dort geltenden Mindestlöhne zu nahe bei den Durchschnittlöhnen lägen – also gesenkt werden sollen, um den Arbeitsmarkt ‚dynamischer‘ zu machen.

Die Personenfreizügigkeit in der EU findet auf einem Spielfeld statt, das durch neo-liberale ‚Strukturreformen‘ spätestens seit den 1990er Jahren stark verheert ist. Niederlassung und Dienstleistungsfreiheit von Solo-Selbständigen (‚der polnische Klempner‘, ‚rumänische Gärtner‘, ‚britische Maurer‘ etc. als Schein-Selbständige) sind sozialpolitisch nicht reguliert, die Arbeitnehmer-Entsendung unterstützt nach den EuGH-Urteilen strukturell Sozialdumping-Praktiken. Die sozial regulierte Arbeitnehmerfreizügigkeit ist an den durchlöcherten Sozialschutz (befristete Beschäftigung, Leiharbeit, geringfügige Beschäftigung etc.) angepasst.

Die Folgen der von EU und nationalen Regierungen durchgesetzten Austeritätspolitik – insbesondere hohe Jugendarbeitslosigkeit auch in Griechenland, Spanien, Portugal, Italien, Zypern usw. – befeuern weiter unfreiwillige Migration. Gut ausgebildeten jungen Leuten aus diesen Ländern bleibt nichts Anderes übrig, als in reicheren EU-Staaten ihr Glück zu versuchen. Die von den Wirtschaftsverbänden schon seit den 1990er-Jahren propagierte ‚Transnationalisierung der Arbeitsmärkte‘ erhält somit einen kräftigen Schub.  Ihnen ging und geht es um Arbeitsmarktsflexibilitätsgewinne und einen „Wettbewerb um die besten Köpfe“, bei dem andere die Kosten für Bildung und Ausbildung ja schon bezahlt haben. Die Beschneidung der wirtschaftlichen Entwicklungschancen ärmerer Staaten durch diesen ‚Brain-Drain‘ wird dabei billigend in Kauf genommen.

Der wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Finanzen plädierte bereits Anfang der 2000er Jahre für ein „Prinzip der verzögerten Integration“ bei der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit. Die Gleichbehandlung von inländischen und EU-ausländischen ArbeitnehmerInnen würde für die ersten fünf Jahre aufgehoben. Die Arbeitgeber des Aufnahmelandes müssten in dieser Frist für einheimische ArbeitnehmerInnen Sozialschutzbeiträge zu einheimischen Sätzen, für ausländische EU-ArbeitnehmerInnen hingegen zu den Sätzen des Herkunftsstaates abführen. Angestrebt wurde somit ein „institutioneller Wettbewerb der Sozialsysteme“ in der EU, der zu Kostensenkungen für Unternehmen führen sollte.

Ähnlich lautete auch der Vorschlag David Camerons vor dem Brexit-Referendum: für vier Jahre würden Arbeitskräfte aus dem EU-Ausland von britischen Sozialleistungen ausgeschlossen. Die EU akzeptierte dies, wenn das „Ja“ zur EU-Mitgliedschaft beim Referendum siegen würde. Bundeskanzlerin Angela Merkel lobte Camerons Idee, soziale Transfers (wie z.B. Kindergeld) an im EU-Ausland lebende eigene StaatsbürgerInnen an die dort meist niedrigeren Lebenshaltungskosten ‚anzupassen‘, als attraktives Konzept auch für Deutschland.

Es ist also nicht so, dass die EU den im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit noch vorhandenen Sozialschutz für ausländische EU-ArbeitnehmerInnen verteidigt hätte. Die für den Verbleib in der EU werbenden Kräfte aus britischen Gewerkschaften, Labour und linksalternativen Netzwerken wollten die Zuwanderung im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit und deren Rechte verteidigen, priesen die EU als Schutzmacht von ArbeitnehmerInnenrechten in Großbritannien usw. – doch bei einem „Ja“ wären genau diese Rechte der ZuwanderInnen beschnitten worden.  Eine logisch konsistente Argumentation war das nicht. Zum Ende der Referendumskampagne warb der neue Labour-Bürgermeister von London, Sadiq Khan, sogar mit der von Cameron als Zuwanderungsschranke ausgehandelten 4-Jahres-Frist um Zustimmung zur EU. Es waren nicht nur UKIP und die Tories, die die Arbeitnehmerfreizügigkeit einschränken wollten, sondern auch Teile von Labour.

Die alte Frage nach der Einheit der Arbeiterklasse

Die Existenz „positiver“ neoliberaler Einwanderungs- und Freizügigkeitskonzepte zeigt, dass es in der aktuellen Debatte nicht um ein bloßes Ja oder Nein, um mehr oder weniger Zuwanderung oder um mehr oder weniger Steuerung dabei gehen kann, sondern um die Frage des „Wie“, d.h. der Einbettung von Zuwanderung in einen emanzipatorischen Gesellschaftsentwurf. Im Unterschied zur neoliberalen Strategie der „Globalisierung der Arbeitsmärkte“ stehen dabei gleiche Rechte für EinwanderInnen wie Einheimische und die Stärkung des sozialen Zusammenhalts im Vordergrund. Emanzipatorische Konzepte zur Zuwanderung müssen Antworten auf die Frage geben, wie gleichzeitig allgemeingültige tarifliche und soziale Standards für alle verankert, einheimische Erwerbslose und sozial Ausgegrenzte sowie ZuwanderInnen qualifiziert und in sinnvolle, auskömmliche Beschäftigung gebracht, die Integrationsdefizite gegenüber den hier bereits lebenden Immigrantinnen und Immigranten behoben und ein umfassendes Instrumentarium für die gesellschaftliche Integration von Zuwanderung aufgebaut werden kann.

In der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung gibt es durchaus eine Tradition der Abschottung des Zugangs zum Arbeitsmarkt – z.B. Widerstand gegen die Beschäftigung von Frauen als „Schmutzkonkurrenz“ in der Anfangsphase der Industrialisierung, Ablehnung der Beschäftigung von „Auslandspolen“ und Ukrainern auf den Gütern der großagrarischen Junker, in den oberschlesischen Kohlebergwerken oder der Stahl- und Kohleindustrie des Ruhrgebiets im Wilhelminischen Kaiserreich und der Weimarer Republik usw. Dies fand damals trotz aller offiziell-sozialistischen Lobgesänge auf das Prinzip „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ statt. Das dieser Tradition zugrundeliegende Rationalitätskalkül lautet: „Billigkonkurrenz“ durch Beschäftigungsschranken ausschalten und so das Arbeitsangebot zu verknappen, um höhere Löhne und bessere Beschäftigungsbedingungen durchzusetzen. Strategisch musste so ein Zweifrontenkampf geführt werden – einmal gegen die eigenen Kapitalisten und zum anderen gegen die Erwerbsansprüche von Frauen und gegen jene der „ausländischen Klassenbrüder und –schwestern“.

Es gab aber auch Gegenbeispiele, wie z.B. die Industrial Workers of the World (‚Wobblies‘) in den USA vor dem Ersten Weltkrieg, SOS-Racisme in Frankreich oder Kampagnen deutscher Gewerkschaften „Mach meinen Kumpel nicht an“ in den 1980er Jahren. Sie stellten den gemeinsamen Kampf gegen Kapitalinteressen und Machteliten in den Vordergrund. Eine emanzipatorische Lösung der Krisen ist m.E. nicht möglich, wenn auch linke Kräfte zugunsten der ‚einheimischen ArbeiterInnenklasse‘ auf Abwehr der ‚ausländischen‘ setzen. Dies folgt dann – frei nach Brecht – der Logik: „Für alle reicht es nicht.“ Das ist die Logik der rechtspopulistischen Mobilisierung[ix]. Brecht stellte dagegen: „Keiner oder alle. Alles oder nichts.“

Quelle: sozialismus.ch… vom 12. Januar 2017

[i] Siehe die Analyse von Susan Watkins in New Left Review 100, July/August 2016, hier: https://newleftreview.org/II/100/susan-watkins-casting-off

[ii] Siehe Patricia D‘ Incau: Schweizer bevorzugt, junge welt vom 4.11.2016, hier: http://www.jungewelt.de/2016/11-04/033.php?sstr=Schweiz

[iii] http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=159442&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=1062916″ Rechtssache C?333/13 Dano;

[iv] Aktuell gilt hierzu die EU-Verordnung 883/2004 zur Koordinierung der ’statuarischen‘ Systeme der sozialen Sicherheit – diese erfassen z.B. nicht Betriebsrenten, private Rentensparpläne, Zusatzversicherungen im Gesundheitswesen etc.  Alle Mitgliedstaaten sind dabei stets bestrebt, dass bestimmte im jeweiligen ‚Inland‘ gewährte soziale Beihilfen etc. nicht in den Regelungsbereich dieser EU-Koordinierung kommen, weil sie dann ‚transportabel‘ würden (also bei einem Umzug ‚ihrer‘ BürgerInnen in einen anderen EU-Staat ‚mitgenommen‘ werden könnten).

[v] Hierzu immer noch sehr lesenswert: Patrick Ziltener, „Strukturwandel der europäischen Integration“, Münster 1999.

[vi] Prof. Bernd von Maydell/Bernd Schulte: „Zwischen Freizügigkeit und Abschottung“, Frankfurter Rundschau vom 23.5.2001.

[vii] ‚Norm‘ und Realität waren auch schon damals sehr unterschiedliche Dinge. Insbesondere im Hinblick auf die gesellschaftliche Integration der angeworbenen ‚Gastarbeiter‘ und die Entwicklungschancen dieser und ihrer Familienangehörigen, speziell ihrer Kinder später – ob sie aus der EWG/EG stammten (mit besseren Rechten auf dem Papier ausgestattet) oder nicht (z.B. Türkei, Algerien, Tunesien, Marokko, Jugoslawien etc.) . Die ‚Realität‘ der Zuwanderung im Rahmen der europäischen Arbeitnehmerfreizügigkeit war auch damals von Ausgrenzung und Prekarität in den jeweiligen Aufnahmeländern geprägt. Das männliche Familienernährer-Modell als Anker dieses Normalarbeitsverhältnisses  ist m. E. zu Recht von Feministinnen kritisiert worden. Bis heute beinhaltet die EU-Freizügigkeit für Arbeitnehmer allerdings das Prinzip, dass ‚inländische‘ und ‚EU-ausländische‘ Lohnabhängige gleich behandelt werden müssen (‚equal treatment‘).

[viii] Siehe http://www.andreas-wehr.eu./der-brexit-und-die-arbeitsmigration.html

[ix] Siehe hierzu Richard Seymour, In Theresa May’s Shadow, jacobin.mag, 1.11.2016. https://www.jacobinmag.com/2016/11/theresa-may-conservatives-labour-patriotism-racism-xenophobia-corbyn/

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