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Kommentar zu Terry Eagleton – Warum Marx gegen den Postmodernismus recht hat

Eingereicht on 10. Dezember 2013 – 12:31

Positionierung der Debatte

In diesem Kapitel entgegnet TE Einwänden der Postmodernisten und der Liberalen, die sich auf die sogenannten neuen sozialen Bewegungen berufen. Dabei wird argumentiert, dass diese Bewegungen zeigen würden, dass die theoretische und praktische Tradition des «Marxismus», insbesondere auch der Klassenkonflikt, fortan «hinter sich gelassen» werden kann (242). Insbesondere geht es den Postmodernisten (neben vielen anderen) darum, die zentrale Rolle der Arbeiterklasse in der Lösung der grossen Probleme der Menschheit zu verneinen.

Was versteht TE unter Marxismus? Siehe dazu z.B. Seiten 46f wo Marxismus mit Aussagen wie «Klassenkonflikt als Motor der geschichtlichen Entwicklung» (48,50) und «die Ökonomie als entscheidendes Element des gesellschaftlichen Lebens» (46) in Zusammenhang gebracht wird. Unter 254f etwa ist der Marxismus sowohl eine «eine politische Massenbewegung» wie auch «ein Glaubensbekenntnis». Immer wieder gibt es Formulierungen, u.a. auch in den Einwänden (242) ersichtlich, die den Marxismus mit den politisch-organisatorischen Manifestationen der Arbeiterbewegung und deren Abkömmlingen in Zusammenhang bringen; dies scheint mir die Hauptbedeutung bei TE zu sein.

Der Postmodernismus entwickelt demgegenüber einen Blick auf die gesellschaftliche und geschichtliche (Geschichte gibt es  für die meisten Postmodernisten eigentlich gar nicht!) Wirklichkeit, der von getrennten «kulturellen» Wirklichkeiten ausgeht und nicht von der «Ökonomie» und dem «Klassenkonflikt»; siehe dazu den Abschnitt unter 253f, wobei anstelle «Postkolonialismus» auch Postmodernismus gelesen werden kann.

Argument

TE geht eingehender ein auf den Feminismus (242ff) , den Antikolonialismus (247ff, den Einwand des Eurozentrismus (256f), die Umweltbewegung und dem Verhältnis der Menschen mit der Natur (258ff) bzw die innere Verschränkung des Kapitalismus mit Umweltzerstörung und Kriegstreiberei (268ff). Alles, wie immer im Buch, mit interessanten Textbelegen aus dem Werk von Marx.

Dabei verweist TE auf die im Marxismus wesentliche Tatsache, dass die menschliches Handeln immer mit der gesamten Wirklichkeit zu tun hat, insbesondere gerade im Kapitalismus, und dass wirkliche soziale Befreiungsbewegungen sich mit der gesamten Wirklichkeit auseinandersetzen müssen. Der Marxismus ist die einzige Tradition, die dies leistet.  Z.B. (244) zu Feminismus: Die Unterdrückungsformen «des Patriarchats und des Kapitalismus sind eng verwoben miteinander … Das kapitalistische System verhält sich relativ indifferent gegenüber Geschlecht, Ethnizität, sozialer Herkunft und so fort…. Der Kapitalismus könnte auch überleben, wenn er auf diese Formen der Unterdrückung verzichten würde».

Bezüglich Antikolonialismus etwa: «Einerseits wurde er [der Marxismus, we] zum Fürsprecher des Antikolonialismus und andererseits zum Kritiker nationalistischer Ideologie» (249). Lenin, Trotzki, Luxemburg werden als Pioniere des Internationalismus erwähnt (249f). Dann: «Der Konflikt zwischen den transnationalen Unternehmen und der schlecht bezahlten indigenen, häufig weiblichen Arbeiterschaft der südlichen Hemisphäre ist eine Klassenfrage in der exakten marxistischen Bedeutung des Begriffs …. Die Klasse war immer ein internationales Phänomen … Die sogenannten neuen sozialen Bewegungen sind grösstenteils alles andere als neu. » (255)

Oder bezüglich des Verhältnisses zur Natur und Produktivismus:  «Wenn diese Wechselbeziehung zwischen Selbst und Natur zerbricht, bleibt uns nur noch die kapitalistische Welt bedeutungsloser Materie…. Erst durch den Kommunismus würden wir wieder fähig, unsere Körper zu spüren ….. All das – Natur, Arbeit, Leiden, der produktive Körper und seine Bedürfnisse – bilden für Marx die dauerhafte Infrastruktur der menschlichen Geschichte». Die Natur als «unorganischer Leib des Menschen»(262f). In diesem Zusammenhang gibt TE einige einschlägige Zitate aus den ökonomisch-philosophischen Manuskripten (MEW 40).

In diesen Zusammenhang gehört auch die Diskussion, die wir z.B. zum Kapitel fünf (130ff) geführt haben: Die geschichtliche Aufgabe des Kapitalismus ist die Entwicklung der Produktivkräfte, «während der So­zialismus sie nur in einem Bezugsrahmen moralischer und ästhetischer Werte gelten lässt» (267, auch 268).

Dann leitet TE über zum inneren Zusammenhang von Naturzerstörung und Krieg im Kapitalismus: «Die beiden grossen Gefahren, die das Überleben der Menschheit heute bedrohen, sind militärischer und ökologischer Natur.» Und diese beiden Gefahren kombinieren sich immer stärker, denn die «Aus­einandersetzungen um knappe Ressourcen» werden immer häufiger «in bewaffnete Konflikte münden» (268). «Das System mag es vielleicht schaffen, ethnische und Geschlechtergleichheit zu tolerieren, doch Bemühen um den Weltfrieden oder Erhaltung der materiellen Welt liefe seinem Wesen zuwider» (269). «Es sieht ganz so aus, als würde der Kapitalismus, wenn wir jetzt nicht handeln, unser Tod sein» (270).

Diskussion

Es gab beim Thema Antikolonialismus eine Diskussion über die Rolle bestimmter strategischer Orientierungen, z.B. über «Sozialismus in einem Lande» oder «permanente Revolution». Gibt es Umstände, die ein Bündnis mit der nationalen Bourgeoisie notwendig machen oder führt ein solches immer in eine Niederlage?

Wurde nur ansatzweise diskutiert: Die Feindseligkeit bzw. Gleichgültigkeit der KPs gegenüber der Jugendbewegung, den sog. neuen sozialen Bewegungen überhaupt, dem Kampfwillen der Arbeiterklasse und deren Rolle in den Aufständen vom Ende der sechziger Jahre bis zum Ende der 70er Jahre bleiben unerwähnt. Diese Rolle der KPs – von der Sozialdemokratie und den grossen Gewerkschaften ganz zu schweigen – ist entscheidend gewesen für die Niederlagen dieser Kämpfe und die Krise der KPs (Rossana Rossanda in ihrer Autobiografie: «Warum nur hassen uns die Leute?»). Diese Niederlagen waren in der Folge auch ein wichtige Faktor für den Aufstieg des Postmodernismus (und damit des Liberalismus) zur hegemonialen Denkfigur ab den frühen 80er Jahren. Leider geht TE nicht auf diese Zusammenhänge ein.

Nicht diskutiert, aber eine Einschätzung des Verfassers dieser Zeilen: Die Arbeiterkämpfe, die v.a. in den letzten zwei Jahrzehnten eine neue Qualität angenommen haben, tauchen in den Einwänden Seite 242, aber auch in der Argumentation von TE nicht auf. Wie auch nicht die Tatsache, dass die sogenannten neuen sozialen Bewegungen eigentlich Produkte – oder eher «Zerfallsprodukte» – der grossen Aufstände und Niederlagen der 60er und 70er Jahre sind.

(3.12.2013)/we

Intervention in der PdA Lesegruppe zu  Terry Eagleton – Warum Marx recht hat, Kapitel zehn: Marxismus, neue soziale Bewegungen und Postmodernismus

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