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Worum es im Niger wirklich geht

Eingereicht on 6. August 2023 – 10:10

Thomas Röper. Die deutschen Medien verschweigen, dass es in Niger nicht um Demokratie, sondern um Uran geht. Oft wird das sogar wahrheitswidrig bestritten. Ein Fachartikel bei Bloomberg zeigt, wo das Problem für den Westen in Niger liegt.

Bei der deutschen Berichterstattung über den Putsch in Niger wird in erster Linie davon gesprochen, dass die Demokratie in dem Land vor den Putschisten geschützt werden müsse. Das ist ein Vorwand für das „dumme Volk“, denn um Demokratie geht es dort nicht. Es geht um Uran, was von deutschen Medien manchmal sogar bestritten wird, weil Niger bei weitem nicht der größte Uran-Produzent der Welt ist.

So einfach liegen die Dinge jedoch nicht, wie der Kommentar eines Energiefachmanns zeigt, der bei Bloomberg veröffentlicht wurde. Darin wird aufgezeigt, wo das tatsächliche Problem liegt, und um das zu zeigen, habe ich den Kommentar aus Bloomberg übersetzt. Im Original-Artikel sind zusätzlich viele Links und Grafiken als Quellen angegeben, die sehr lesenswert sind.

Beginn der Übersetzung:

Der lange Arm des Kremls und die Politik des Urans

Ein möglicher Verlust für Europa nach dem Putsch in Niger ist ein Gewinn für Putin.

Die Stadt Arlit, eine verlassene Siedlung am südlichen Rand der Sahara, ist der unwahrscheinliche Nullpunkt eines neuen geopolitischen Konflikts: der Kampf um die Kontrolle von Uran, dem Brennstoff für die Atomindustrie.

Dort, in den trockenen Gebirgszügen des nördlichen Niger, entdeckten französische Geologen in den 1950er Jahren das radioaktive Mineral. Seitdem haben französische Staatsunternehmen es in ihrer ehemaligen Kolonie ausgegraben und Niger zum siebtgrößten Produzenten der Welt gemacht. Im Jahr 2022 machten die Minen um Arlit 25 Prozent aller Uraneinfuhren der EU aus.

Durch einen Staatsstreich in dem verarmten westafrikanischen Land sind diese Importe nun in Gefahr geraten.

Der Rohstoff mag nicht die Schlagzeilen machen wie Öl, Gas oder sogar Kohle, aber er ist entscheidend für eine Welt, die dringend kohlenstofffreie Energie benötigt.

Der Kreml scheint zwar nicht direkt hinter dem Staatsstreich zu stehen, aber seine Propagandamaschine hat in der gesamten Sahelzone, dem Gebiet südlich der Sahara, eine anti-französische und anti-amerikanische Stimmung geschürt. Es überrascht nicht, dass es in der Region seit 2020 zu einer Reihe von Palastrevolutionen gekommen ist, unter anderem in Burkina Faso, Tschad, Guinea, Mali und Sudan.

In der Hauptstadt Niamey schwenkten die Putschisten die russische Flagge, um den französischen Imperialismus anzuprangern. Jewgeni Prigoschin, Chef der russischen paramilitärischen Gruppe Wagner, begrüßte die Machtübernahme durch das Militär. Wagner ist nach dem Putsch im benachbarten Mali bereits dort tätig. Der lange Arm des Kremls mischt sich auf vielerlei Weise in die Geopolitik der Energie ein – nicht immer auf die offensichtlichste.

Wenn Niger in den russischen Orbit gerät, wäre die Welt bei der Atomenergie noch mehr von Moskau – und seinem Einfluss – abhängig. Kasachstan und Usbekistan, zwei ehemalige Sowjetrepubliken, gehören zu den größten Uranproduzenten der Welt und liefern etwa 50 Prozent des weltweit geförderten Urans. Rechnet man Russland und Niger hinzu, so steigt der Anteil auf knapp über 60 Prozent.

Uran ist nur der Anfang des so genannten Kernbrennstoffkreislaufs. Russland ist zwar auch der sechstgrößte Uranförderer der Welt, doch seine wahre Macht liegt an anderer Stelle in diesem Kreislauf: bei der Umwandlung des Rohstoffs in brauchbare Brennstäbe für zivile Reaktoren durch die so genannte Umwandlung und Anreicherung.

Nach Angaben der World Nuclear Association entfallen auf Russland fast 45 Prozent des Weltmarkts für Uranumwandlung und -anreicherung. Dieser Würgegriff hat zu einer „strategischen Verwundbarkeit“ geführt, die von US-Beamten kürzlich als „untragbar“ bezeichnet wurde. Etwa ein Drittel des gesamten angereicherten Urans, das im vergangenen Jahr von US-Versorgungsunternehmen verbraucht wurde, kam aus Russland, und zwar zu Kosten von fast einer Milliarde Dollar, die an ein direkt vom Kreml kontrolliertes Unternehmen gezahlt wurden. Mehr als ein Jahr nach der russischen Invasion in der Ukraine hat Washington die Einfuhr von russischem Kernbrennstoff noch immer nicht verboten.

In den ersten 50 Jahren des Nuklearzeitalters war Amerika unabhängig, doch mit dem Ende des Kalten Krieges gab es den Uranabbau und vor allem die komplexen Umwandlungs- und Anreicherungsprozesse weitgehend auf. Heute sind die USA weitgehend „von internationalen Quellen für Kernbrennstoff abhängig, auch von Nationen, denen unsere Interessen nicht am Herzen liegen“, so John Wagner, Leiter des Idaho National Laboratory des US-Energieministeriums.

Die Dominanz Russlands in der Kernbrennstoffindustrie ist eine Mischung aus geologischem Glück, technischer Innovation und einem gut gemeinten diplomatischen Abkommen, das Moskau und Washington kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion geschlossen haben.

Erstens ist Russland mit Uranvorkommen ausgestattet, was ihm eine natürliche Rolle in der Industrie verleiht. Zum anderen haben seine Ingenieure ein System zur Anreicherung des radioaktiven Materials entwickelt, das deutlich weniger energieintensiv war als die von französischen und amerikanischen Ingenieuren bevorzugte Methode und damit weitaus billiger. Allein diese Faktoren hätten Russland eine große Rolle bei Abbau, Umwandlung und Anreicherung gesichert. 1993 vereinbarten die USA und Russland dann das so genannte „Megatonnen-zu-Megawatt“-Programm, bei dem hochangereichertes Uran aus ehemaligen sowjetischen Atomsprengköpfen in niedrig angereichertes Uran umgewandelt und an zivile Atomkraftwerke in die USA geliefert wurde. Kurz gesagt, die US-Industrie konnte nicht mit den Russen konkurrieren und starb im Desinteresse sowohl des demokratischen als auch des republikanischen Weißen Hauses langsam.

Schon vor dem Einmarsch in die Ukraine schlug die amerikanische Atomindustrie wegen ihrer Abhängigkeit von ausländischen Quellen Alarm. Seitdem sprechen Führungskräfte und Regierungsbeamte von einer Krise. Wenn jetzt noch die Probleme in Niger hinzukommen, sieht die Situation eher nach einem Notfall aus.

Die Lösung des Problems wird jedoch nicht einfach sein und würde eine intensive Zusammenarbeit zwischen den USA und Frankreich erfordern – ironischerweise die beiden westlichen Mächte, für die in Niger am meisten auf dem Spiel steht.

Washington und Paris könnten einen Plan entwickeln, um die Produktion durch die Wiederinbetriebnahme stillgelegter Kernbrennstoffanlagen anzukurbeln und die diplomatische und militärische Unterstützung für uranproduzierende Länder zu verstärken, angefangen in Niger. Die Bemühungen werden nicht billig sein. Aber angesichts der Tatsache, dass Wladimir Putin gezeigt hat, dass er bereit ist, fossile Brennstoffe wie Öl und Gas als Waffe einzusetzen, muss der Westen handeln, bevor der Kreml beschließt, sogar die friedliche Nutzung von Uran zu einer Waffe zu machen, die den Übergang zu CO2-freier Energie noch schwieriger macht.

Ende der Übersetzung

Quelle: anti-spiegel.ru… vom 6. August 2023

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