US-Präsidentschaftswahlen: Zwei Übel treten an
Tobi Hansen. Mit der endgültigen Nominierung von Clinton und Trump gehen Demokraten und Republikaner den Wahlen im November entgegen. Besonders die Nominierung von Trump bleibt die bisherige Überraschung. Die Konvention, wie die Nominierungsparteitage genannt werden, wurde zu einer großen rechtspopulistischen Show, wie sie selbst bei den Republikanern eher selten vorkommt. Seitdem hat Trump auch nichts unversucht gelassen, um nicht mindestens eine Schlagzeile pro Tag zu produzieren. Dieses Verhalten dürfte uns auch von der AfD bekannt sein. Sei es die von Michelle Obama abgeschriebene Rede seiner Frau Melania Trump, seien es die indirekten Attentatsvorschläge gegenüber Hillary Clinton oder die Verwendung des reichlich bestückten Atomwaffenarsenals, Trump bleibt der Schlagzeilenkandidat, was ihm im republikanischen Vorwahlkampf viel geholfen hat.
Trump
Der Milliardär punktet vor allem bei den Mittelschichten, die den letzten Wahlen oft fernblieben, welche ihre Abstiegsängste und Nöte mit Trump auf „Hispanics, Afroamerikaner und Moslems“ projizieren können und tatsächlich glauben, dieser hätte nichts mit dem „Establishment“ zu tun. Dies ist gerade in den ländlichen Regionen der USA ein beliebtes Wahlkampfmittel. Je schriller gegen Washington und die Zentralregierung gehetzt wird, desto „glaubhafter“ der Kandidat. Die sog. „Mittelschichten“ der USA, unter denen viele FacharbeiterInnen zu finden sind, gehören zu den großen VerliererInnen der Wirtschaftskrise. Millionen wurden arbeitslos und fanden, wenn überhaupt, nur schlechter bezahlte neue Jobs, sind hochverschuldet und sehen sich einem akuten Abstiegsszenario ausgesetzt. Mit dem Rechtspopulismus gegen Minderheiten, mit einem breit aufgefahrenen Nationalismus versteckt Trump die sozialen Ursachen der Krise, um stattdessen einen in Wirklichkeit längst ausgeträumten „american dream“ neu aufzulegen und rassistisch aufzuladen.
Auf demokratischer Seite gab es mit Bernie Sanders einen Kandidaten, der genau diese soziale Krise, die Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der Umverteilung, nach höheren Löhnen und besserer sozialer Sicherung ins Zentrum rückte und damit Millionen begeisterte. Als Kandidatin der Demokraten wird aber Clinton antreten, eine Vertreterin der Elite, des Establishments, welches bei vielen US-AmerikanerInnen zu Recht völlig verhasst ist, und die jetzt auch noch Rückendeckung von Sanders bekommt.
Sanders‘ Job für Clinton
Es bringt wenig, zu erwähnen, dass diese Entwicklung von uns und sicherlich anderen Strömungen vorhergesagt wurde. Unterschätzt haben sicherlich manche, welche Zugkraft die Kampagne von Sanders gewinnen konnte. Bis zu den letzten Vorwahlen konnte dieser mehr als 13 Millionen Stimmen auf sich vereinigen, sprach in vielen Städten vor Zehntausenden und bekam am Ende der Kampagne auch noch mannigfaltige Angebote, doch als dritter, unabhängiger Kandidat anzutreten.
Im Gegensatz zu Clinton konnte dieser „unabhängige Sozialdemokrat“ tatsächlich eine Bewegung für seine Kandidatur initiieren, besonders viele junge WählerInnen, NichtwählerInnen, Beschäftigte und GewerkschafterInnen mobilisieren. Deswegen kamen auch Zehntausende zur Konvention der Demokraten nach Philadelphia. In einer eindrucksvollen Demo wetterten diese Sanders-AnhängerInnen gegen die zuvor bekannt gewordenen Manöver des Clinton-Lagers im Vorwahlkampf, sprachen sich deutlich gegen Clinton aus, bezeichneten sie als Kandidatin des einen Prozents, der Elite und wollten ihre Hoffnung in Sanders und seine Inhalte nicht aufgeben.
Das tat dann Bernie Sanders selber, als er bei der Konvention sprach. Allein dies war schon ungewöhnlich und nur seiner Bewegung „geschuldet“. Seine Rede lobte die Kandidatin Clinton in den Himmel – und er versicherte ihr seine Gefolgschaft.
Dabei konnte Sanders tatsächlich den Eindruck erwecken, als wäre die Demokratische Partei wirklich die Partei der „kleinen Leute“, als wäre eine Präsidentin Clinton zuallererst für die Beschäftigten und sozial Benachteiligten da oder könnte deren Belange einigermaßen (mit)vertreten, als könnte jede/r ehemalige „Occupy Wall Street“-AktivistIn beruhigt die Demokraten im November wählen. Damit hat Sanders seine Bewegung, sogar ihre sozialromantischen Inhalte komplett verraten und ist am Ende nichts anderes als der „linke Steigbügelhalter“ für die „Wall Street“-Kandidatin Clinton. Seine Kampagne nahm damit den Platz ein, den in vorherigen Vorwahlkämpfen meistens auch die US-Gewerkschaften ausfüllten, die offen einen demokratischen Kandidaten unterstützten. Dies hatte zum Ziel, möglichst viele Beschäftigte für die Demokraten zu mobilisieren wie auch Forderungen in die Präsidentschaftswahlen einzubringen. Dass Sanders nun sogar sehr erfolgreich einen „linken“ (im Vergleich zu vorherigen demokratischen Bewerbern) Wahlkampf führte, dessen Forderungen über die der Gewerkschaftsführungen hinausgingen, ließ dann auch viele Bundesverbände von ihm abrücken, während auf regionaler/lokaler Ebene viele Gliederungen ihn offen unterstützten.
In seiner Rede beim Konvent verglich Sanders die beiden Kandidaten Trump und Clinton und wollte dadurch beweisen, dass nur eine demokratische Präsidentin für Gerechtigkeit, Umweltschutz und Ausbau der Sozialsysteme stehe. Die Punkte also, wofür weder Bill Clinton, noch Barack Obama sonderlich viel getan hatten, sollen jetzt durch Hillary Clinton erfüllt werden.
Kleineres Übel?
Mit Trump als Kandidat der Republikaner ist es äußerst einfach, den Teufel an die Wand zu malen und deswegen Clinton als „kleineres “ oder vielleicht auch liberaleres Übel zu bevorzugen. Diese Rechnung wird derzeit der Sanders-Bewegung, aber auch allen unentschlossenen WählerInnen vorgelegt nach dem Motto: Clinton ist die vernünftigere Kandidatin. Für große Teile des US-Kapitals und die führenden Kräfte des US-Imperialismus trifft das zu. Inwieweit Trump wirklich ein Präsident aller Kapitalinteressen werden könnte, scheint unsicher, aber solche Gedanken sollten für die US-ArbeiterInnenklasse nicht entscheidend sein. Auch Präsident George W. Bush hatte eine „radikale“ Agenda, die damals von den entscheidenden Sektoren des US-Imperialismus mitgetragen wurde. Obama, Clinton oder Trump stehen nur für den US-amerikanischen Kapitalismus. Aber Clinton und Trump vertreten unterschiedliche Kräfte und unterschiedliche Auffassungen, wie der US-Imperialismus in der nächsten Periode als globale Führungsmacht zu agieren hätte.
Die Notwendigkeit einer ArbeiterInnenpartei
Die entscheidende Schwäche der US-amerikanischen ArbeiterInnenklasse wie aller Massenbewegungen gegen Rassismus, das Eine Prozent usw. besteht darin, dass die Lohnabhängigen und Unterdrückten keine politische Partei, keine politische Organisation haben. Die Bewegung um Sanders verdeutlicht das. Einerseits zeigt sie, dass es Millionen gibt, die nach einer solchen Alternative suchen, in diese Richtung streben – andererseits führt Sanders diese wieder in den Schoß der demokratischen Partei. Jenen, die diesen Schritt nicht mitmachen wollen, fehlt eine Perspektive, ein Programm, eine Organisation. So droht eine Hoffnung im Nichts zu verschwinden.
In vorherigen Artikeln hatten wir uns mit der Haltung der ISO (International Socialist Organization, marx21-Schwesterorganisation) und der SA (Socialist Alternative, SAV-Schwesterorganisation) beschäftigt und bemängelt, dass hier keine sichtbare Kampagne für die Gründung einer ArbeiterInnenpartei betrieben wurde und beide Gruppen entweder der Bewegung „kritisch“ und passiv fernblieben (ISO) oder sie unkritisch unterstützten (SA), aber keine eigene Taktik oder Perspektive anbieten konnten. Nach dem Verrat von Sanders und dem Angebot der Green Party und deren Kandidatin Jill Stein, dieser möge doch für die Grünen kandidieren, hat die SA z. B. eine Petition angeschoben, worin Sanders aufgefordert wird, doch als Unabhängiger oder als Grüner zu kandidieren. Wenn so eine neue, dritte Partei aufgebaut werden soll, dann: „Gute Nacht“! Vor allem wenn zwischen unabhängiger Kandidatur und einer für die Grünen kein Unterschied gemacht wird, müsste die Socialist Alternative zumindest erklären, ob die Grünen jetzt „ihre“ 3. Partei sind oder was denn der Unterschied zu einer ArbeiterInnenpartei wäre.
Die Notwendigkeit einer 3. Partei, der Begriff ArbeiterInnenpartei wird von beiden Organisationen gemieden, findet sich in Artikeln und Erklärungen wie z. B. von Kshama Sawant, Mitglied der SA und Stadtverordneter in Seattle, (www.sozialismus.info/2016/07/bernie-sanders-beendet-seine-revolution/). Diese Partei soll auch für Sozialismus, gegen Klimawandel, für soziale Gerechtigkeit und gegen Krieg eintreten, aber warum eine solche Partei nicht während der Sanders-Kampagne aufgebaut bzw. dafür agitiert wurde, warum keine solche Initiative in den Gewerkschaften, in der antirassistischen Bewegung wie „Black Lives Matter“, bei den Occupy-Netzwerken und überhaupt in der Sanders-Bewegung („Sanderistas“ als Spitzname) existierte, wird nicht erklärt. Stattdessen bietet die Socialist Alternative einen nächsten Zwischenschritt an: Aus dem „Movement 4Bernie“ wird das „Movement for the 99%“. Dieses zentristische Schattenspiel, das Vermeiden des konkreten Aufbaus einer 3. Partei der „99%“ bzw. der Intervention dafür führt dann zur Wahlempfehlung dieser Organisationen, Grün zu wählen. Jetzt hat die Grüne Partei der USA aktuell sicherlich mehr Ähnlichkeit mit den BRD-Grünen der frühen 80iger Jahre als mit der staatstragenden Dosenpfandpartei hier und heute, aber die Taktik der sozialistischen Organisationen mündet in den Wahlaufruf für eine kleinbürgerlich-radikale Partei.
Dabei bietet die politische Landschaft gerade jetzt die enorme Möglichkeit, für eine ArbeiterInnenpartei in den USA zu agitieren. Die Gefahr einer Trump- oder Clinton-Regierung ist für die Beschäftigten und rassistisch Unterdrückten eine reale Bedrohung. Der verstärkte Rechtspopulismus von Trump bedeutet eine weitere Rechtsverschiebung der Republikaner. Es ist aber genau hier das Interessante und für SozialistInnen eine Verpflichtung zum Handeln, dass 13 Millionen nicht nur für Sanders gestimmt haben, sondern dies auch die einzige wahrnehmbare Bewegung im Vorwahlkampf war. Die Gefahr des Rechtspopulismus an der Regierung ist das eine Offensichtliche, das andere sind aber die aktuell guten Voraussetzungen zum Aufbau einer ArbeiterInnenpartei in den USA. Letztere müssten dann aber nur von US-SozialistInnen aktiv genutzt werden. Die Wahlunterstützung für die Grünen ist dabei nicht hilfreich, sondern ein Hindernis.
Quelle: Neue Internationale 212, September 2016
Tags: Arbeiterbewegung, Strategie, USA
Neueste Kommentare