Schweiz
International
Geschichte und Theorie
Debatte
Kampagnen
Home » Debatte, Geschichte und Theorie

Tag des Sieges in Russland: die wirklichen Lehren für die Arbeiterklasse

Eingereicht on 20. Mai 2025 – 11:39

Evgeny Kostrov. Am Freitag den 9. Mai fanden in ganz Russland Militärparaden und verschiedene Feierlichkeiten anlässlich des 80. Jahrestags des Siegs der Sowjetunion und ihrer Verbündeten über das Dritte Reich statt. Bei den Paraden herrschten verstärkte Sicherheitsvorkehrungen.

Putin nahm die Äußerungen Selenskyjs und anderer ukrainischer Politiker ernst, die direkt erklärt hatten, sie seien in der Lage, Moskau und andere russische Städte anzugreifen. Es sei darauf hingewiesen, dass die vom Kreml für den Zeitraum vom 7. bis 11. Mai vorgeschlagene Waffenruhe trotz Selenskyjs Behauptungen, die ukrainische Seite werde auf Kampfhandlungen verzichten, nicht eingehalten wurde. In den Tagen vor dem „Tag des Sieges“ hat die Ukraine mehrere Drohnenangriffe auf russische Regionen durchgeführt, u.a. auf Belgorod.

Offiziellen Angaben zufolge beteiligten sich in St. Petersburg mehr als eine Million Menschen an einem Gedenkmarsch für die Kriegstoten. In anderen Teilen des Landes nahmen Tausende an Demonstrationen teil, viele von ihnen hielten Bilder ihrer Großeltern hoch, die im Krieg gekämpft hatten und gestorben sind. In Russland und in allen anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion, einschließlich der Ukraine, hat fast jede Familie einen oder mehrere Angehörige im Krieg gegen den Faschismus verloren, der schätzungsweise 27 Millionen sowjetische Todesopfer forderte – jeder sechste Sowjetbürger, der vor dem Krieg lebte. Viele weitere Millionen kämpften als Soldaten an der Front oder arbeiteten in der Nachhut bis zur Erschöpfung und zum Hungertod, um die Front zu versorgen und den Sieg über Hitler zu sichern.

In der Bevölkerung herrscht zwar ein tief verwurzeltes Bewusstsein über den Krieg, doch seine Klassen- und historische Bedeutung werden aufgrund der jahrzehntelangen Herrschaft des Stalinismus nicht verstanden. Das Putin-Regime baut auf dem Vermächtnis der stalinistischen Geschichtsfälschungen und des Nationalismus auf, um den Krieg als primär nationales Unterfangen darzustellen. Auf dieser Grundlage stellt es seinen reaktionären Einmarsch in die Ukraine fälschlicherweise als Fortsetzung des Kampfs der sowjetischen Massen zur Verteidigung der Sowjetunion dar.

Putins nationalistische Verfälschung des Krieges

Die diesjährige Parade war die 31. in der Geschichte des kapitalistischen Russlands. Nach der Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 unter Präsident Boris Jelzin begannen Militärparaden und Feierlichkeiten die Rolle einer gut organisierten ideologischen Lawine zu spielen, die russische Arbeiter mit einem antihistorischen Amalgam vergiften sollte. Laut diesem falschen Narrativ kämpfte die sowjetische Bevölkerung nicht, um die Errungenschaften der Oktoberrevolution gegen das barbarischste kapitalistische Regime der Geschichte zu verteidigen, sondern für das „Mutterland“, das „Vaterland“ und „nationale Interessen“, die angeblich seit tausend Jahren existieren.

Für Putin war die historische Leistung der sowjetischen Bevölkerung im Kampf gegen Hitler, die internationale Klassenbedeutung hatte, nur ein Glied in der Kette der Errungenschaften des 1.000 Jahre alten russischen Volks im Namen seiner eigenen nationalen Kultur. Die Mythologie des russischen Nationalismus ist zum wichtigsten Hebel bei den Bestrebungen des Putin-Regimes geworden, die grundlegenden Unterschiede zwischen der sozialen Grundlage der Sowjetunion und dem modernen kapitalistischen Russlands zu verschleiern. Diese Mythologie basiert auf einer Mischung aus direkter Geschichtsfälschung, religiösem Mystizismus und krassen Auslassungen.

In seiner Rede bei der Parade in Moskau erklärte Putin:

Unsere Väter, Großväter und Urgroßväter haben das Vaterland gerettet. Und sie haben uns die Pflicht vermacht, das Mutterland zu verteidigen, vereint und entschlossen unsere nationalen Interessen, unsere tausendjährige Geschichte, Kultur und traditionellen Werte zu verteidigen. Alles, was uns lieb und teuer ist, alles, was uns heilig ist… Es ist unsere Pflicht, die Ehre der Soldaten und Kommandanten der Roten Armee, die große Leistung der Vertreter unterschiedlicher Nationalitäten zu verteidigen, die für immer ihren Platz in der Weltgeschichte als russische Soldaten haben werden.

Indem Putin aus Sowjetsoldaten „russische Soldaten“ macht, behauptet er, dass der Krieg gegen Hitler nur eine Sache der Landesverteidigung war. In Wirklichkeit wurde die Rote Armee unter der Führung Leo Trotzkis nach der Oktoberrevolution gegründet, um gegen die Bourgeoisie des ehemaligen Russischen Reiches und die imperialistische Intervention zu kämpfen; sie war ursprünglich auf die Weltrevolution der Arbeiterklasse ausgerichtet. Im Zweiten Weltkrieg bestand die Rote Armee nicht nur aus „russischen“ Soldaten, sondern aus sowjetischen, darunter Millionen aus der Ukraine, dem Kaukasus, Zentralasien und anderen ethnischen und religiösen Minderheiten, die Seite an Seite gegen die imperialistische Barbarei kämpften.

Entgegen Putins Mythologie erstreckt sich die russische Geschichte zudem nicht auf 1.000 Jahre, sondern bestenfalls auf 500 Jahre. Erst mit dem ersten zentralisierten russischen Staat unter Iwan III. wurde „Russland“ zum weit verbreiteten Synonym für den Namen des Staates, Dieser Name wurde jedoch erst unter der Herrschaft des ersten russischen Kaisers, Peter I., im Jahr 1721 offiziell eingeführt. Die ersten 500 Jahre dieser Geschichte können nicht als russisch in dem Sinne bezeichnet werden, dass es die ostslawischen Stämme betroffen hat. Von Russen oder ihrer Einheit konnte keine Rede sein. Die nationale Idee von Russland war zu dieser Zeit einfach unmöglich. Die Menschen fühlten sich zuerst ihrem Stamm, ihrem Fürstentum oder ihrer Stadt zugehörig. Die Zersplitterung durch die Fürsten und die ständigen Kriege zwischen ihnen waren die auffälligsten Manifestationen der Heterogenität der Gesellschaft in dieser Zeit.

Mit seiner Propagierung von russischem Nationalismus wiederholt Putin lediglich die Propaganda Stalins während des Kriegs gegen Hitler mit geringfügigen Änderungen. Unter Stalin wurde der deutsch-sowjetische Krieg als „Großer Vaterländischer Krieg“ bezeichnet. Mit diesem Begriff wurde die gigantische Schlacht zur Verteidigung der Errungenschaften der Oktoberrevolution als Fortsetzung des „Vaterländischen Krieges“ des russischen Zarenreichs gegen Napoleon im Jahr 1812 dargestellt. Diese Terminologie zielte im Grunde darauf ab, den Klassen- und internationalen Charakter des sowjetischen Krieges gegen Hitler-Deutschland zu verschleiern, der starke Elemente eines revolutionären Bürgerkriegs enthielt und ihn fälschlicher weise als ausschließlich nationale Angelegenheit darzustellen. Tatsächlich erreichte die nationalistische Propaganda der Sowjetbürokratie im Zweiten Weltkrieg ihren vorläufigen Höhepunkt. Mehrere Jahre lang war Stalin damit beschäftigt gewesen, die alten russischen Zaren zu rehabilitieren, den großrussischen Chauvinismus wiederzubeleben und mit allen Mitteln zu versuchen, die Geschichte des Bürgerkriegs als Klassenkampf gegen den Imperialismus und die Bourgeoisie aus dem Gedächtnis zu tilgen.

Diese Propaganda war eine Fortsetzung von Stalins nationalistischem Verrat an der Revolution auf der Grundlage des Programms vom „Aufbau des Sozialismus in einem Land“. Sie zielte darauf ab, die revolutionären Impulse im Bewusstsein der Massen zu untergraben und zu schwächen, die durch den Angriff der Nazis auf die Sowjetunion wiederbelebt wurden und nicht nur die faschistischen Invasoren bedrohten, sondern auch die Sowjetbürokratie, die der Arbeiterklasse gewaltsam die politische Macht entrissen hatte.

Tatsächlich trug die stalinistische Bürokratie eine erhebliche politische Mitverantwortung für den Aufstieg des Faschismus und das Ausmaß der Zerstörung, die er über die sowjetische Bevölkerung brachte. Nur drei Jahre vor dem Krieg fand in Russland der Höhepunkt des Großen Terrors statt, des staatlichen Terrors gegen die alten Bolschewiki und alle Gegner von Stalins Regime. In dieser Massenmordkampagne wurden alle wichtigen Führer der Oktoberrevolution und Tausende von Trotzkisten ermordet, darunter auch Leo Trotzki selbst im August 1940. Der Terror ging mit einer groß angelegten Säuberung der Roten Armee einher, die sie schwächte und Hitler dazu ermutigte, im Juni 1941 die Sowjetunion anzugreifen. Hitler hoffte, dass Stalins Säuberungen die Rote Armee so geschwächt hatten, dass die Sowjetunion beim ersten schweren Schlag eine vernichtende Niederlage erleiden würde.

Hitlers Hoffnungen erfüllten sich zwar glücklicherweise nicht ganz, die Sowjetunion stand jedoch am Rand der Vernichtung. Die ersten Monate des Krieges waren geprägt von enormem Misserfolg und bestätigten den Bankrott der stalinistischen Clique, die auf den Krieg völlig unvorbereitet war. Alleine im Jahr 1941 wurden bis zu drei Millionen Menschen im Kampf getötet, mehr als in jedem anderen Kriegshalbjahr. Tatsächlich konnte die Sowjetunion nur durchhalten, weil sich Hitlers Regime in einer noch akuteren Krise befand und nicht in der Lage war, einen langen Krieg über so große Entfernungen gegen die Sowjetunion zu führen.

Der Krieg brachte beispiellose Strapazen über ein Land, das bereits durch Unterdrückung geschwächt und ausgeblutet war: 11,4 Millionen Menschen starben im Kampf, 7,4 Millionen wurden vorsätzlich ermordet, 2,2 Millionen starben als Zwangsarbeiter in Deutschland, 4,1 Millionen starben an Hunger, Krankheiten und fehlender medizinischer Versorgung. Die Gesamtzahl der Toten unter der Bevölkerung belief sich auf 27 Millionen und die materiellen Verluste durch vier Jahre Krieg auf 30 Prozent des Staatsvermögens der Sowjetunion.

Erwähnenswert ist die „Sonderbehandlung“ von Kommunisten durch die Nazis: Laut einem Wehrmachtsbefehl vom 6. Juni 1941 („Kommissarbefehl“) sollten alle politischen Arbeiter in der Roten Armee sofort erschossen werden. Daher wurde die Kommunistische Partei besonders hart vom faschistischen Terror getroffen. Obwohl sie schon lange zuvor von Stalin usurpiert worden war und ihre besten Führer verloren hatte, verfügte sie noch immer über eine große Zahl von Kommunisten an der Basis, die entschlossen waren, die Errungenschaften der Oktoberrevolution zu verteidigen. Von den 9,1 Millionen Kommunisten, die gegen Hitler kämpften, wurde jeder dritte getötet.

In seiner Rede zum Tag des Sieges erklärte Putin, er werde nicht zulassen, dass die Geschichte umgeschrieben wird. Bei dem Versuch sich als Anhänger der historischen Wahrheit zu inszenieren, verlor Putin kein Wort darüber, was die Deutschen – einst führend auf vielen Gebieten der Wissenschaft und Technologie – dazu gebracht hatte, Hitler zu folgen und die Existenz der Sowjetunion als „Super-Wrangel“ (so Trotzki) zu bedrohen. Das ist eine zu unbequeme Wahrheit für den ehemaligen stalinistischen KGB-Agenten.

Die Ursachen des Zweiten Weltkriegs und die Ursprünge des Vernichtungskriegs des Dritten Reichs gegen die Sowjetunion zu verstehen, erfordert eine Analyse der Lage nach dem Ersten Weltkrieg und der Oktoberrevolution 1917, aus der die UdSSR hervorging.

Der Beginn des Ersten Weltkriegs und die Machtergreifung der Arbeiterklasse in der Oktoberrevolution 1917 bedeuteten das Ende des kapitalistischen Gleichgewichts der Vorkriegszeit. Von da an waren Europa und die Welt von akuten sozialen Krisen und schnellen Wechseln zwischen revolutionären und konterrevolutionären Situationen geprägt.

Der Höhepunkt waren die Ereignisse in Deutschland Anfang der 1930er, als die deutsche Arbeiterklasse von der Machtergreifung durch die Nazis unter Führung Hitlers bedroht war, der wiederum von der gesamten deutschen Finanzoligarchie unterstützt wurde. Trotz der Organisation, der Erfahrung und der Größe der deutschen Arbeiterklasse konnte Hitler an die Macht kommen. Er zerstörte sofort alle Arbeiterorganisationen, das Parlament und die Gerichte und errichtete eine totalitäre Diktatur, die auf Krieg und Völkermord ausgerichtet war.

Der Grund für diese Katastrophe war nicht irgendeine „besondere Psychologie der Deutschen“, sondern die falsche ultralinke Politik der Führung der Kommunistischen Partei Deutschlands, die unter dem direkten Einfluss der stalinisierten Kommunistischen Internationale stand. Als die Bürokratie in der UdSSR ihre politische Macht und sozialen Privilegien konsolidierte, verwandelte sie die Komintern von einer Weltpartei in ein Werkzeug der sowjetischen Außenpolitik. Indem sie die von Trotzki vorgeschlagene Politik der „Einheitsfront“, die kommunistische und sozialdemokratische deutsche Arbeiter im Kampf gegen Hitlers Aufstieg vereinen sollte, ablehnten, kapitulierten die Stalinisten kampflos und ebneten den Nazis den Weg zur Macht.

Dies führte zur Errichtung des reaktionärsten kapitalistischen Regimes der Geschichte im fortschrittlichsten Land Europas. Das Regime begann eine rasche Wiederaufrüstung und sah seine Aufgabe darin, die Welt von Bolschewismus und Sozialismus zu befreien, d.h. vor allem der Existenz der Sowjetunion ein Ende zu setzen, ein Ziel, das die imperialistischen Mächte im Bürgerkrieg 1918–1921 nicht erreicht hatten.

Dieser Ansturm der Reaktion entfachte das revolutionäre Bewusstsein der sowjetischen Massen erneut, die trotz der schrecklichen Verbrechen des Stalinismus heldenhaft die Errungenschaften der Oktoberrevolution gegen die Nazis verteidigten. Am Ende war es jedoch die stalinistische Bürokratie, die das schaffte, was den Nazis 1941 nicht gelungen war: Im Jahr 1991 zerstörte sie die Sowjetunion und stellte den Kapitalismus in Russland, der Ukraine und allen anderen Teilen der ehemaligen UdSSR vollständig wieder her. Aus dieser langwierigen Konterrevolution ist das Putin-Regime entstanden, das wichtige Merkmale der stalinistischen Ideologie geerbt und wiederbelebt hat.

Daher ist es kein Zufall, dass das Putin-Regime Stalin immer offener rehabilitiert. Von den 110 Stalin-Denkmälern, die es heute in Russland gibt, wurden 95 unter Putin aufgestellt. Vor kurzem haben die Behörden in einer beliebten Moskauer U-Bahnstation ein Stalin-Denkmal errichtet. Gleichzeitig wurden Denkmäler für die Opfer des Terrors wiederholt mutwillig beschädigt. Erst vor kurzem hatte Putin die Umbenennung des Wolgograder Flughafens in Stalingrad bewilligt und hatte keine Einwände dagegen, dass Wolgograd zu seinem alten stalinistischen Namen zurückkehrt. Stalins Massenmord an Hunderttausenden von Revolutionären und unschuldigen Bürgern wird zunehmend als „notwendiger Kampf gegen die Feinde des Volkes“ uminterpretiert.

Putins Hoffnungen auf einen Deal mit dem Imperialismus

Putin steht nicht nur mit seiner Förderung von großrussischem Chauvinismus und Geschichtsfälschung in der Tradition Stalins. Auch in ihrer Außenpolitik hat die russische Oligarchie die irrationale Vorstellung der Sowjetbürokratie übernommen, es sei möglich, durch eine Kombination aus Deals, Manövern und Angriffen auf die Arbeiterklasse eine „friedliche Koexistenz“ mit den imperialistischen Mächten zu erreichen. Sie tut dies allerdings in einer Situation, in der die Sowjetunion bereits zerstört ist und das Hauptziel ihrer Außenpolitik die Wahrung der Interessen der kriminellen Bande von Oligarchen ist, die aus der Sowjetbürokratie als neue herrschende Klasse des kapitalistischen Russlands hervorgegangen ist.

Der jüngste Ausdruck dieser grundlegenden Orientierung sind die Appelle des Putin-Regimes an den „Friedensstifter“ Trump. Vor kurzem äußerte Putin in einem Interview, das er während der Dreharbeiten zu einer „Dokumentation“ gab, die Hoffnung, Trump werde eine Einigung mit Russland erzielen. Hinsichtlich der Spannungen zwischen Trump und den Europäern erklärte Putin mit besonderer Genugtuung:

Trump wird mit seinem Charakter und seiner Beharrlichkeit für Ordnung sorgen, und alle [die europäischen Eliten] werden ihrem Herrn zu Füßen sitzen und ihm sanft seinen Schwanz streicheln.

Mit anderen Worten, Putin hofft, dass der Nato-Stellvertreterkrieg in der Ukraine durch den „Charakter und die Beharrlichkeit“ des faschistischen Präsidenten Trump, unter dem die Konflikte zwischen den USA und ihren europäischen imperialistischen Rivalen offen ausgebrochen sind, gelöst wird.

Putin hat vor kurzem außerdem zugegeben, dass Russland im Jahr 2014 einfach nicht bereit war, in die Ukraine einzumarschieren. Tatsächlich war Russland auch im Februar 2022, als er die Invasion einleitete, nicht bereit für diesen ebenso reaktionären wie abenteuerlichen Schritt. Damals rechnete der Kreml mit einem schnellen Sieg, der die imperialistischen Mächte und das Kiewer Regime zu einem für Russland vorteilhafteren Frieden zwingen sollte. Der erhoffte „schnelle Sieg“ entpuppte sich als ein dreijähriger Abnutzungskrieg.

Gleichzeitig schreckte Putin davor zurück, breitere Bevölkerungsschichten in den Krieg hineinzuziehen. Er ist sich des Risikos bewusst ist, dass sich das Schicksal des zaristischen Regimes während des Ersten Weltkriegs wiederholen könnte, das zu Fall gebracht wurde, nachdem es Millionen Soldaten auf die Schlachtbank geführt hatte.

Als Putin im September 2022 eine Teilmobilmachung durchführte, war dies einer der gefährlichsten Schritte für seine Herrschaft. Die Reaktion der Bevölkerung war so feindselig, dass Putin es nicht wagte, ähnliche Maßnahmen erneut zu ergreifen, und sich stattdessen darauf konzentrierte, das Militär durch Geldzahlungen aufzustocken. Damit zog er patriotische Männer mit finanziellen Problemen an und eine gewisse Zahl von Gefängnisinsassen.

Am Abend des 11. Mai kündigte Putin an, am 15. Mai in Istanbul Friedensgespräche aufzunehmen, woraufhin Selenskyj seine Bereitschaft erklärte, nach Istanbul zu reisen. Aus Angst vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch angesichts der Sanktionen und der stagnierenden Produktion im Inland könnte Putin einem für ihn weniger günstigen Deal zustimmen, um soziale Unruhen zu verhindern. Seine Hoffnung auf einen Anstieg des Patriotismus, die in den ersten Jahren des Krieges vielleicht berechtigt war, ist heute nicht mehr so unerschütterlich.

Die anfängliche Zunahme von Patriotismus beruhte nicht zuletzt auf den in der Mehrheit der Bevölkerung noch immer lebendigen Erinnerungen an die Schrecken des Krieges gegen den Faschismus. Putin, der Erbe Stalins, des „Totengräbers der Revolution“, appellierte an diese Stimmungen und manipulierte sie, um sich als Erbe des Kampfes gegen den Faschismus darzustellen. Diese Propaganda wurde dadurch unterstützt, dass die imperialistischen Mächte in der Ukraine offen Neonazi-Kräfte förderten. Die Verbrechen der Nazis im Zweiten Weltkrieg sind allgemein bekannt. Doch keine Geschichtsverfälschung und keine nationalistische Propaganda kann die scharfen Klassenwidersprüche in der russischen Gesellschaft vollständig verbergen.

Das Putin-Regime ist der Beschützer der größten sozialen Ungleichheit in der Geschichte des modernen Russlands. Selbst während des Krieges ist die Zahl der russischen Milliardäre weiter gestiegen, laut Forbes gibt es mittlerweile 146 von ihnen. Alleine im Jahr 2024 konnten diese 146 Personen ihre Vermögen um insgesamt 48,7 Milliarden Dollar erhöhen.

Putin hat sich zu einer bonapartistischen Figur entwickelt, deren Hauptaufgabe es ist, diesen immensen Reichtum der Oligarchen zu schützen, indem er einen Drahtseilakt zwischen Teilen der Oligarchie und zwischen der Oligarchie und dem Imperialismus vollführt. Die Militär- und Wirtschaftspolitik des Kremls hat jedoch alle Ungleichgewichte des russischen Kapitalismus der Vorkriegszeit nur verschärft.

Da Putin ein erfahrener Politiker ist und vom stalinistischen KGB ausgebildet wurde, ist er sich durchaus bewusst, dass seine Rolle als „Retter der Nation“ zunehmend in Gefahr ist. Allerdings hat er keine andere vernünftige Antwort auf die sich verschärfende Krise seines eigenen Regimes außer weiteren Manövern mit den imperialistischen Mächten und dem Fördern von Nationalismus, um die Arbeiterklasse zu desorientieren und zu spalten. Statt die Massen gegen den Imperialismus zu schützen, schafft seine in den Klasseninteressen der Oligarchie verwurzelte Politik die Grundlagen für eine noch größere Katastrophe als den Krieg in der Ukraine, der bereits Hunderttausende von Menschenleben gefordert hat.

Obwohl sich unmöglich vorhersehen lässt, ob und welche Art von Abkommen Moskau und Kiew aushandeln, lässt sich bereits jetzt mit Sicherheit sagen, dass kein Abkommen die grundlegenden Widersprüche des kapitalistischen Weltsystems, die die imperialistischen Mächte zu einer immer aggressiveren Neuaufteilung der Welt treiben, lösen wird. Unabhängig von allen taktischen Kurswechseln ist den imperialistischen Mächten die vollständige Kontrolle über die Rohstoffe der ehemaligen Sowjetunion heute genauso wichtig wie dem Nazi-Regime im Zweiten Weltkrieg. Der Völkermord in Gaza ist eine unheilvolle Warnung vor dem Ausmaß an Gewalt, zu der der Imperialismus heute bereit ist, um seine Ziele zu erreichen.

Daher ist es am 80. Jahrestag des Sieges über den Nationalsozialismus für die Arbeiter in Russland von entscheidender Bedeutung, den unlösbaren Zusammenhang zwischen ihrem Schicksal und dem der Arbeiter in anderen Ländern zu verstehen. Nur eine Weltrevolution der Arbeiterklasse kann den sich anbahnenden imperialistischen Konflikt um eine Neuaufteilung der Welt noch aufhalten. Dafür müssen die russische Arbeiterklasse und ihre Brüder und Schwestern in der ehemaligen Sowjetunion die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg und der Politik des Stalinismus ziehen und bewusst zu den Traditionen der Oktoberrevolution zurückkehren, die von Lenin, Trotzki und dem Kampf der Linken Opposition verkörpert wurden.

Unser Genosse Bogdan Syrotjuk, ein Führer der Jungen Garde der Bolschewiki-Leninisten (JGBL), hat für genau diese Prinzipien gekämpft und wurde dafür vom Selenskyj-Regime in der Ukraine inhaftiert.

An diesem Jahrestag rufen wir alle Arbeiter und Jugendlichen in der ehemaligen Sowjetunion auf, sich der Kampagne für Bogdan Syrotjuks Freiheit anzuschließen und den Kampf für das internationalistische Programm aufzunehmen, das Bogdan und die JGBL vertreten.

Vereinigt die Arbeiter in Russland und der Ukraine gegen den Imperialismus und die oligarchischen Regime in Moskau und Kiew!

Schließt euch der Jungen Garde der Bolschewiki-Leninisten an!

Baut das Internationale Komitee der Vierten Internationale in der ehemaligen Sowjetunion auf!

#Titelbild: In Brand gesetztes Gebäude April 1942 in Krasnyj, davor Wehrmachtsangehörige [Photo by Museum Berlin-Karlshorst / Albert Dieckmann]

Quelle: wsws.org… vom 20. Mai 2025

Tags: , , , , , , , , , , , ,